EditorialProf. Dr. Heinz Reichmann, Dresden

Neue Wirkstoffe in der Neurologie

ÜbersichtGökce Orhan, Tübingen, Thomas V. Wuttke, Boston/Cambridge, Anne T. Nies, Matthias Schwab, Stuttgart/Tübingen, und Holger Lerche, Tübingen

Der Kaliumkanalöffner Retigabin für die Add-on-Behandlung fokaler Epilepsien

Pharmakologische und klinische Daten

Diese Arbeit fasst die wichtigsten pharmakologischen und klinischen Daten des neuen Arzneistoffs Retigabin (RGB) zusammen und diskutiert die Bedeutung dieses Wirkstoffs für die Add-on-Behandlung von fokalen Epilepsien. Retigabin verstärkt die Aktivität spannungsabhängiger Kaliumkanäle der KCNQ/KV7-Familie und hat somit einen neuen Wirkungsmechanismus gegenüber den bisher auf dem Markt erhältlichen Antikonvulsiva. In mehreren präklinischen sowie klinischen Phase-II- und -III-Studien konnte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Retigabin nachgewiesen werden. Die europäische Zulassung erfolgte Ende März 2011.
Schlüsselwörter: Epilepsie, Kaliumkanal, Pharmakotherapie, Antiepileptikum, Retigabin
Psychopharmakotherapie 2011;18:148–55.

FlaggeEnglish abstract

The KCNQ/KV7 potassium channel opener Retigabine as add-on therapy for partial epilepsy. Pharmacological and clinical data

This review summarizes the pharmacological, preclinical and clinical data on the new anticonvulsant compound retigabine (RGB) and discusses the impact of this drug for patients with refractory partial epilepsy. Retigabine increases the activity of voltage-gated KCNQ/KV7 channels and thus exhibits a novel mechanism of action as compared to available anticonvulsive drugs. Retigabine has been investigated in three multicenter, randomized, double-blind and placebo-controlled clinical phase II and III trials in adults with ≥4 partial-onset seizures per month and showed efficacy in pharmacoresistant epilepsy. In march 2011, Retigabine received approval in Europe as Trobalt®.

Key words: Epilepsy, potassium channel, pharmacotherapy, antiepileptic drug, retigabine

ÜbersichtHans-Christoph Diener, Ralph Weber, Christian Weimar, Benedikt Frank, Essen, und Paulus Kirchhof, Münster

Dabigatran zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern

Vorhofflimmern ist ein wichtiger Risikofaktor für Schlaganfälle. Eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten verringert das Risiko ischämischer Insulte um etwa 64%, wobei das günstigste Nutzen-Risiko-Verhältnis bei einem International Normalized Ratio (INR) zwischen 2,0 und 3,0 gegeben ist. Direkte Thrombinantagonisten wie Dabigatran haben gegenüber Vitamin-K-Antagonisten den Vorteil, dass sie in einer fixen Dosierung, unabhängig von Körpergewicht, Größe und Ethnizität, gegeben werden. Es gibt keine Interaktionen mit Nahrungsmitteln und nur minimale Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. In der RE-LY-Studie, in die 18113 Patienten mit Vorhofflimmern eingeschlossen waren, konnte gezeigt werden, dass 110 mg Dabigatran 2-mal täglich genauso wirksam sind wie Warfarin und dass die höhere Dosis von 2-mal 150 mg Dabigatran Warfarin bezüglich der Reduktion von Schlaganfällen und systemischen Embolien signifikant überlegen ist. Unter beiden Dabigatran-Dosierungen war die Rate an hämorrhagischen Insulten und intrakraniellen Blutungen signifikant geringer als unter Warfarin. Dabigatran ist damit eine wirksame und sichere Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten.
Schlüsselwörter: Vorhofflimmern, Schlaganfall, Vitamin-K-Antagonisten, direkte Thrombinantagonisten, Dabigatran
Psychopharmakotherapie 2011;18:156–63.

FlaggeEnglish abstract

Dabigatran for the prevention of stroke in patients with atrial fibrillation

Atrial fibrillation (AF) is an important risk factor for stroke. Oral anticoagulation with vitamin-K-antagonists reduces stroke risk in patients with AF by about 64%. The risk of bleeding is only acceptable if the international normalized ratio (INR) is kept between 2.0 and 3.0. Oral direct thrombin antagonists such as dabigatran are given in a fixed daily dose irrespective of age, body weight or ethnicity. Dabigatran has no interaction with food and only minimal interactions with a few other drugs. The RE-LY study in 18,133 patients with atrial fibrillation showed that dabigatranetexilate 110 mg bid is as effective as warfarin in the prevention of stroke and systemic embolism and that dabigatranetexilate 150 mg bid is superior to warfarin. Both doses of dabigatranetexilate have a significantly lower incidence of cerebral hemorrhage or intracranial bleeds. Dabigatran offers a safe and effective alternative treatment to warfarin in patients with AF.

Key words: Atrial fibrillation, stroke, vitamin-K-antagonists, direct thrombin antagonists, dabigatran

ÜbersichtDirk Wolter und Walter Winkler, Wasserburg am Inn

Zugelassene Indikationen und Maximaldosierungen in der Psychiatrie

Die Zulassungen der meisten Psychopharmaka, die zurzeit in Deutschland auf dem Markt sind, umfassen mehrere Anwendungsgebiete. Aufgrund von Produktneueinführungen, Marktrücknahmen und Veränderungen der Zulassungen ist es schwierig, einen Überblick darüber zu behalten, welche Arzneimittel aktuell bei welchen Erkrankungen eingesetzt werden können. Daher wurde eine Tabelle erstellt, in der die in der Psychiatrie eingesetzten Wirkstoffe und psychiatrische Erkrankungen aufgeführt sind; eingetragen sind zugelassene Anwendungsgebiete, Maximaldosierungen sowie Angaben zur Altersbegrenzung bei Kindern und Jugendlichen. Aufgeführt sind in der Regel die Zulassungen der Originalpräparate, Zulassungen der Generika weichen nicht selten hiervon ab.

OriginalarbeitHans-Peter Volz, Werneck

Wirksamkeitsunterschiede zwischen Escitalopram und Citalopram

Eine systematische Übersicht

Wirksamkeitsunterschiede zwischen Antidepressiva konnten bisher nur ausnahmsweise (z.B. Venlafaxin vs. SSRI) nachgewiesen werden. Aufgrund der Tatsache, dass Escitalopram das linksdrehende Enantiomer des Razemats Citalopram ist, stellte sich von Markteinführung an die Frage, ob diese Substanz über pharmakodynamische Unterschiede hinaus auch klinische Wirksamkeitsvorteile bietet. Um diesen Gesichtspunkt genauer zu untersuchen, wurden die Studien, die zur Evidenzstufe Ia (systematische Übersichtsarbeiten von randomisierten klinischen Studien) und Ib (randomisierte klinische Studien) vorlagen, in Bezug auf die Wirksamkeitsparameter Response (mindestens 50%ige Verbesserung der depressiven Symptomatik auf einer Depressionsskala) und Remission (Verringerung der depressiven Symptomatik unter einen definierten Schwellenwert) sowie Veränderung der depressiven Symptomatik (Punktwertunterschied auf einer Depressionsskala zwischen Beginn und Ende der Studie) erfasst und dargestellt. Insgesamt ergab sich, dass etwa 20% mehr Patienten unter Escitalopram im Vergleich zu Citalopram respondierten, bei der Remission betrug der Unterschied 30%, der Punktwertunterschied in der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala (MADRS) betrug zwischen 1 und 2 Punkte (statistisch signifikanter Unterschied). In einer Subanalyse unter Berücksichtigung initialer Schweregrade zeigte sich ein zunehmender Unterschied zwischen Citalopram und Escitalopram mit Zunahme des initialen Depressionsschweregrads.
Schlüsselwörter: Escitalopram, Citalopram, Wirksamkeit, Metaanalysen
Psychopharmakotherapie 2011;18:172–8.

FlaggeEnglish abstract

Efficacy differences between escitalopram and citalopram: A systematic survey

Efficacy differences between antidepressants have only been detected exceptionally (e. g. venlafaxine versus SSRIs; [3, 37]; but [39]). Due to the fact that escitalopram is the enantiomer of the racemate citalopram, the question whether this compound possesses besides pharmacodynamic differences (e. g. [30]) also clinical relevant advantages has been a matter of discussion since the approval of the compound.

In order to investigate this issue thoroughly the relevant studies of evidence level Ia (systematic surveys of randomized controlled studies) and Ib (randomized controlled trials) were summarized regarding three main outcome parameters: response (decrease of the depressive symptomatology of at least 50% on a depression scale), remission (reduction of the depressive symptomatology below a certain threshold on a depression scale) and change in depression symptomatology (point difference on a depression scale during the treatment period).

Overall, approximately 20% more patients responded under escitalopram than under citalopram; regarding remission, this difference is approximately 30%; the point difference on the Montgomery-Åsberg Depression Scale (MADRS) was between 1 and 2 (statistically significant). In a subanalysis it was found that the superiority of escitalopram increased with increasing initial depression severity.

Key words: Escitalopram, Citalopram, efficacy, meta-analyses

Arzneimittelsicherheit/AMSPUrsula Köberle, Sebastian Erbe und Tom Bschor, Berlin

Herzinfarkt als Nebenwirkung einer Levothyroxin-Hochdosis-Augmentation?

Die hoch dosierte Levothyroxin-Augmentation ist ein experimentelles Verfahren zur Behandlung therapieresistenter affektiver Erkrankungen. Wir berichten hier den Fall einer 74-jährigen Patientin, die an einer schweren, hochgradig therapieresistenten Depression litt. Während des stationären Aufenthalts wurde bei ihr eine Therapie mit dem irreversiblen Monoaminoxidasehemmer Tranylcypromin begonnen, da dieser Wirkstoff bei therapieresistenten Depressionen stärker wirksam zu sein scheint als andere Antidepressiva. Nachdem die Patientin auf eine Tranylcypromin-Dosis von 60 mg/Tag nicht ausreichend angesprochen hatte, wurde eine supraphysiologische Augmentation mit Levothyroxin begonnen. 18 Tage nach Erreichen der Levothyroxin-Zieldosis von 300 mg/Tag erlitt die Patientin einen Herzinfarkt. Als mögliche Ursache des Infarkts werden eine bestehende koronare Herzkrankheit (bei Vorliegen einer arteriellen Hypertonie, einer Fettstoffwechselstörung sowie einer zerebralen Mikroangiopathie) und eine wechselseitige Verstärkung kardiovaskulärer Nebenwirkungen durch die beiden Psychopharmaka diskutiert.
Schlüsselwörter: Therapieresistente Depression, Tranylcypromin, Levothyroxin, Myokardinfarkt
Psychopharmakotherapie 2011;18:179–81.

FlaggeEnglish abstract

Myocardial infarction as a possible side effect of a high dose levothyroxine augmentation? A case report.

High dose levothyroxine augmentation of antidepressants is an experimental strategy in treatment resistant depression (TRD). We here report the case of a 74-year-old woman with a major depression of a high degree of treatment resistance. We first started a treatment trial with the irreversible MAO inhibitor tranylcypromine, which has repeatedly been reported to be effective in TRD. After non-response to 60 mg/d, we started a supraphysiological levothyroxine augmentation. Eighteen days after reaching the final dose of 300 mcg/d the patient experienced myocardial infarction.

Possible explanations are (I) a coincidence independent of the psychotropic medication in a woman suffering from comorbid hypertension, lipid metabolic disorder and vascular encephalopathy in a MRI scan, (II) a synergistic increase in the potency of the catecholamines due to the combined psychotropic medication, leading among others to vasospasms, or (III) myocardial hypoxia due to the positive inotropic effect of levothyroxine.

Key words: Treatment resistant depression, tranylcypromine, levothyroxine, myocardial infarction

Referiert & kommentiertAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Epilepsie

Hemmung der glutamatergen Neurotransmission durch Perampanel

Nur knapp die Hälfte aller Patienten mit neu diagnostizierter Epilepsie wird unter einer ersten Monotherapie anfallsfrei, etwa ein Drittel der Patienten gilt als therapieresistent. Neue Antiepileptika werden daher dringend benötigt. Eine Neuentwicklung ist der AMPA-Rezeptorantagonist Perampanel, der eine glutamaterg vermittelte Übererregung der Nervenzellen im Gehirn unterdrückt. Die Substanz wurde bei einem Fachpressegespräch der Firma Eisai anlässlich der 7. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Liga gegen Epilepsie in Graz vorgestellt.

Referiert & kommentiertAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Epilepsie

Neue Therapieleitlinien in Entwicklung

Für die Therapie der Epilepsie steht heute eine Vielzahl von Arzneimitteln zur Verfügung. Um das Management von epileptischen Anfällen für die behandelnden Ärzte klarer zu gestalten und zugleich die Prognose der Patienten zu verbessern, werden zurzeit neue Leitlinien zum Management des Status epilepticus sowie zur Therapie des ersten Anfalls und der Epilepsie im Erwachsenenalter erarbeitet. Über diese neue Leitlinien wurde bei einem Satellitensymposium der Firma UCB im Rahmen der 7. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Liga gegen Epilepsie in Graz berichtet.

Referiert & kommentiertDr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Epilepsie bei Kindern

Weniger als die Hälfte der Kinder nehmen ihre Antiepileptika vorschriftsmäßig ein

In einer amerikanischen Beobachtungsstudie wurde die Arzneimittel-Adhärenz bei 124 Kindern mit einer neu diagnostizierten Epilepsie untersucht. Das Ergebnis ist erschreckend: nur 42% der Kinder nahmen ihre Arzneimittel nahezu perfekt ein. 13% der Kinder nahmen bereits nach wenigen Wochen praktisch keine Antiepileptika mehr ein. Einziger statistisch signifikanter Prädiktor für eine schlechte Adhärenz war ein niedriger sozioökonomischer Status, andere Faktoren wie die Anfallshäufigkeit oder die Verträglichkeit der Arzneimittel hatten dagegen keinen signifikanten Einfluss. Gezielte Schulungen, die sich an den Adhärenzmustern orientieren, könnten helfen, die Adhärenz zu verbessern.

Referiert & kommentiertDr. Alexander Kretzschmar, München

Epilepsie

Zonisamid als Kombinationspartner

Bei Patienten mit Krampfanfällen, die auf eine Monotherapie nur ungenügend ansprechen, gilt es, einen geeigneten Kombinationspartner auszuwählen. Anforderungen an diesen sind ein geringes Interaktionspotenzial und eine gute Verträglichkeit. Die Erfahrungen aus klinischen Studien und der Praxis sprechen für Zonisamid als Partner für eine frühe Add-on-Therapie, so das Fazit eines Vortrags auf dem 5. Valentinssymposium der Eisai GmbH.

Referiert & kommentiertDipl.-Biol. Anne Bleick, Stuttgart/bh

Multiple Sklerose

Bald ein neues, oral einzunehmendes Arzneimittel zur Verbesserung der Mobilität?

Eine Verminderung oder ein Verlust der Gehfähigkeit sind Folgen einer multiplen Sklerose (MS), die die Patienten in fast allen Lebensbereichen extrem einschränken. Einen solchen Verlust an Mobilität müssen bisher viele MS-Patienten hinnehmen. Nun steht ein Arzneimittel, das die Gehfähigkeit dieser Patienten verbessern soll, in Europa kurz vor der Zulassung. Klinische Studien, in denen der Kaliumkanalblocker Fampridin untersucht wurde, wurden auf einer Pressekonferenz der Firma Biogen Idec vorgestellt.

Referiert & kommentiertAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Multiple Sklerose

Verbesserung der Adhärenz

In den Augen vieler Patienten ist die Wirksamkeit bisheriger Arzneimittel zur Therapie der multiplen Sklerose nur gering und Nebenwirkungen belasten die Patienten. Die Folge ist eine hohe Zahl von Therapieabbrüchen. Durch Information der Patienten kann jedoch eine hohe Therapietreue erreicht werden, wie die Auswertung eines Projekts aus Ulm ergab. Es wurde bei einem von Biogen Idec veranstalteten Presseforum vorgestellt.

Referiert & kommentiertProf. Dr. Gerd Laux, Wasserburg a. Inn

Kongressbericht

164th Annual Meeting of the American Psychiatric Association

Unter dem Leitthema “Transforming Mental Health Through Leadership, Discovery and Collaboration“ fand vom 14. bis 18. Mai 2011 in Honolulu die 164. Jahrestagung der American Psychiatric Association (APA) statt.