Neue Wirkstoffe in der Neurologie


Prof. Dr. Heinz Reichmann, Dresden

In diesem Heft der PPT steht die Pharmakotherapie wichtiger neurologischer Erkrankungen im Fokus. Es ist für unsere Patienten äußerst erfreulich, dass nach wie vor in den großen Krankheitsgebieten der Neurologie wie Epilepsie, multiple Sklerose, Morbus Parkinson und Schlaganfall ständig neue Präparate entwickelt werden. Das Ziel dieser neuen Präparate ist zum einen, die Nebenwirkungen, die wir von bereits zugelassenen Medikamenten kennen, zu mindern und zum anderen – durch Grundlagenforschung stimuliert –, neue Wirkungsmechanismen zur Verbesserung der klinischen Situation unserer Patienten zu realisieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Retigabin, das die Aktivität spannungsabhängiger Kaliumkanäle verstärkt und somit über einen neuen Wirkungsmechanismus im Vergleich zu den bisher auf dem Markt erhältlichen Antikonvulsiva verfügt. Das Medikament wurde 2011 in Europa zugelassen und soll zur Add-on-Behandlung fokaler Epilepsien dienen. Die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Antikonvulsiva resultiert daraus, dass immer noch etwa 30% aller Epilepsiepatienten pharmakoresistent sind. Somit liegt es nahe, insbesondere Medikamente mit neuen Wirkungsmechanismen zu entwickeln.

Als zweites neues Medikament wird Dabigatran für die Indikation Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern vorgestellt. Vorhofflimmern gehört neben der arteriellen Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterolämie, Rauchen und Adipositas zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung eines Schlaganfalls. Insbesondere bei Patienten mit einem embolischen Muster eines Schlaganfalls sollte an Vorhofflimmern als Ursache gedacht werden. Bisher wurden in diesen Situationen Vitamin-K-Antagonisten (orale Antikoagulanzien) verwendet, die einen International Normalized Ratio (INR) zwischen 2 und 3 erreichen sollten. Wenngleich zum größten Teil unberechtigt, war diese Therapie stets mit dem unangenehmen Gefühl verknüpft, die Patienten, insbesondere bei Sturzgefahr, den Risiken einer kritischen Blutung auszusetzen. Des Weiteren ist es zum Teil äußerst schwierig, die Patienten in den angestrebten INR-Bereich einzudosieren. Somit ist es eine erfreuliche Fortentwicklung, dass Dabigatran unabhängig von Körpergewicht und Größe sowie Ethnizität gegeben werden kann. Im Gegensatz zu den oralen Antikoagulanzien bestehen kaum Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Diener und Kollegen stellen die RE-LY-Studie vor, in die 18113 Patienten mit Vorhofflimmern eingeschlossen waren. Im Vergleich zu Warfarin waren 2×110 mg Dabigatran genauso wirksam und 2×150 mg Dabigatran sogar signifikant überlegen bezüglich der Reduktion von Schlaganfällen und systemischen Embolien. Entscheidend ist, dass bei beiden Dabigatran-Dosierungen hämorrhagische Insulte und intrakranielle Blutungen signifikant seltener auftraten als unter der herkömmlichen Warfarin-Therapie. Aus den Studien ergibt sich, dass Dabigatran in der Primär- wie auch in der Sekundärprävention des Schlaganfalls seinen festen Platz finden wird.

Ergänzt werden die Vorstellungen durch mehrere Kurzberichte über neue Wirkstoffe wie Perampanel, einen AMPA-Rezeptorantagonisten, der eine glutamaterg vermittelte Erregung der Nervenzellen im Gehirn unterdrückt und als neues Antikonvulsivum auf den internationalen Markt kommen soll. Erste Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Perampanel eine interessante neue Option bei der Behandlung von Patienten mit therapieresistenten Epilepsien sein dürfte.

Für Epileptologen und Notfallmediziner besonders interessant ist ein Bericht über die neuen Therapieleitlinien des Status epilepticus und des ersten Anfalls im Erwachsenenalter.

Schließlich soll ein Beitrag herausgegriffen werden, der ein zunächst an der Zulassung gescheitertes Präparat, nämlich den Kaliumkanalblocker Fampridin, näher beleuchtet. Fampridin soll künftig für Patienten mit multipler Sklerose angewandt werden und deren Mobilität (Gehstrecke) verbessern. In den der EMA vorgelegten ersten Studien waren zum Teil Skalen verwendet worden, deren klinische Aussagekraft umstritten war, so dass der Hersteller von Fampridin, Biogen-Idec, aufgefordert wurde, weitere Analysen vorzunehmen. In den Vereinigten Staaten wurde Fampridin (AmpyraTM) bereits im Januar 2010 zugelassen und es ist mittlerweile bekannt, dass die EMA sich dieser Zulassung anschließen wird. Das Besondere an Fampridin ist seine retardierte orale Darreichungsform, die auch aus meiner eigenen Kenntnis bei MS-Patienten zu einer zum Teil nachdrücklichen Verbesserung der Gehstrecke führt.

Zusammenfassend ist somit erneut eine umfassende Übersicht zu neuen Arzneistoffen, diesmal in der Neurologie, in unserer PPT gelungen, so dass die Lektüre wieder für jeden von uns spannend werden dürfte.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(04)