Epilepsie

Neue Therapieleitlinien in Entwicklung


Abdol A. Ameri, Weidenstetten

Für die Therapie der Epilepsie steht heute eine Vielzahl von Arzneimitteln zur Verfügung. Um das Management von epileptischen Anfällen für die behandelnden Ärzte klarer zu gestalten und zugleich die Prognose der Patienten zu verbessern, werden zurzeit neue Leitlinien zum Management des Status epilepticus sowie zur Therapie des ersten Anfalls und der Epilepsie im Erwachsenenalter erarbeitet. Über diese neue Leitlinien wurde bei einem Satellitensymposium der Firma UCB im Rahmen der 7. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Liga gegen Epilepsie in Graz berichtet.

Status epilepticus

Ein Status epilepticus liegt vor, wenn ein epileptischer Anfall länger anhält als gewöhnlich (>5 Minuten bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen, >20 bis 30 Minuten bei fokalen Anfällen und Absencen) oder wenn mehrere Anfälle aufeinanderfolgen, zwischen denen der Patient das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Ein Status epilepticus ist ein potenziell lebensbedrohlicher Notfall und muss dementsprechend sofort konsequent behandelt werden, um mögliche schwere Komplikationen zu vermeiden. Voraussetzung für eine optimale Therapie ist ein standardisiertes Konzept. In der klinischen Realität ist die Behandlung des Status epilepticus jedoch durch eine ätiologische, syndromatische und phänomenologische Heterogenität geprägt. Aufgrund der häufig fehlenden Evidenz aus klinischen Studien sind die Therapieentscheidungen der behandelnden Ärzte oft mit einem relativ hohen Grad an Unsicherheit verbunden. Ziel systematisch entwickelter evidenzbasierter Leitlinien ist es, die Morbidität und Mortalität der betroffenen Patienten zu reduzieren.

In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Therapie des Status epilepticus im Erwachsenenalter aus dem Jahr 2008 gelten Benzodiazepine wie Lorazepam (z.B. Tavor®), Diazepam (z.B. Faustan®) oder Clonazepam (Rivotril®) als Mittel der ersten Wahl [2]. Führt diese Therapie nicht innerhalb von 10 bis 20 Minuten zum Erfolg, werden bei Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle an zweiter Stelle Phenytoin (z.B. Phenhydan®) und als Mittel der dritten Wahl Valproinsäure (z.B. Orfiril®) oder Phenobarbital (z.B. Luminal®) empfohlen [2].

An dieser Leitlinie können verschiedene Punkte bemängelt werden: nicht berücksichtigt werden zum einen die Nebenwirkungen der Benzodiazepine, zum anderen einige neuere Antiepileptika wie Levetiracetam (z.B. Keppra®) oder Lacosamid (Vimpat®) [1]. Auch wenn diese beiden Antiepileptika nicht für die Therapie des Status epilepticus zugelassen sind, gibt es positive Erfahrungen zur Anwendung dieser Arzneimittel bei therapierefraktärem Status epilepticus. So ergab eine retrospektive Analyse von insgesamt 156 Patienten mit verschiedenen Formen eines Status epilepticus, denen Levetiracetam intravenös verabreicht wurde (Initialdosis meist 2000–3000 mg über 15 Minuten), eine Responderrate von insgesamt 65,4%; Nebenwirkungen traten bei 7,1% der Patienten auf, sie waren leicht und vorübergehend [3]. Auf eine Behandlung mit Lacosamid sprachen von 126 Patienten mit unterschiedlichen Typen eines Status epilepticus ungefähr zwei Drittel an; auch diese Behandlung wurde gut vertragen [1, 4, 5].

Die Erfahrungen zur Anwendung der neuen Antiepileptika werden in die neue Leitlinie Status epilepticus einfließen, die derzeit von den Österreichischen, Schweizerischen und Deutschen Fachgesellschaften unter Federführung von Professor Dr. Felix Rosenow, Marburg, entwickelt wird [1].

Erster Anfall und Epilepsie im Erwachsenenalter

Auch in den neuen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Epilepsie bei Erwachsenen werden die neuen Antiepileptika stärker berücksichtigt werden [1]. Nicht zuletzt wegen der zahlreichen Interaktionen älterer Antiepileptika wurde in den vergangenen Jahrzehnten in der Regel eine Monotherapie angestrebt. Seit Einführung neuerer interaktionsarmer Antikonvulsiva hat sich diese Sichtweise geändert. Für den schon frühzeitigen Einsatz von Kombinationstherapien sprechen unter anderem die Ergebnisse einer Untersuchung von Luciano et al. mit 155 erwachsenen Patienten mit chronischer Epilepsie und mutmaßlicher Therapieresistenz. Durch die Gabe eines bisher noch nicht verordneten Antiepileptikums zusätzlich zur bestehenden Medikation (als Add-on-Therapie) konnte bei 16% der Patienten eine Anfallsfreiheit und bei weiteren 21% eine Anfallsreduktion um 50 bis 99% erreicht werden [6]. Doch auch bei Kombination mit neuen Wirkstoffen sind einige Dinge zu berücksichtigen, so sollte die Dosis eines Natriumkanalblockers bei Zugabe von Lacosamid halbiert werden, um die Verträglichkeit zu verbessern.

Quellen

1. Prof. Dr. Christian E. Elger, Bonn, Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg. Satellitensymposium „Neue Leitlinien Epilepsie und Status epilepticus“ veranstaltet von UCB im Rahmen der 7. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Liga gegen Epilepsie, Graz, 3. Juni 2011.

2. Kommission „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ (Hrsg.). Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Auflage 2008. Stuttgart: Georg Thieme Verlag: 654 ff.

3. Trinka E, Dobesberger J. New treatment options in status epilepticus: a critical review on intravenous levetiracetam. Ther Adv Neurol Disord 2009;2:79–91.

4. Höfler, et al. Epilepsia 2011. Im Druck.

5. Trinka E, et al. Epilepsia 2011. Im Druck.

6. Luciano AL, Shorvon SD. Results of treatment changes in patients with apparently drug-resistant chronic epilepsy. Ann Neurol 2007;62:375–81.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(04)