Wie entstehen therapeutische Referenzbereiche für Psychopharmaka?
Empfehlungen der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP
Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) ist ein etabliertes Werkzeug zur Optimierung der individuellen Psychopharmakotherapie und Arzneimitteltherapiesicherheit. Es umfasst den Prozess von der Anforderung über die Probenentnahme bis zur Interpretation der Wirkstoffkonzentrationen im Blutplasma oder -serum und deren Auswirkungen auf die klinische Entscheidungsfindung. Wesentliches Ziel von TDM ist die Einstellung des Patienten auf eine Wirkstoffkonzentration innerhalb des so genannten therapeutischen Referenzbereichs (TRR) mit einer unteren und oberen Grenze, bei der mit höchster Wahrscheinlichkeit mit Ansprechen und guter Verträglichkeit zu rechnen ist.
Der Nutzen von TDM wird allerdings oft bezweifelt, da die Validität der therapeutischen Referenzbereiche unzureichend sei. Hier stellen wir eine Methode zur schrittweisen Bestimmung therapeutischer Referenzbereiche von Psychopharmaka vor. Sie basiert auf der Analyse verschiedener Datentypen, erhoben an gesunden Probanden und an meist naturalistisch behandelten Patienten. Ergänzt werden die Analysen durch Positronen-Emissions-Tomographie-Studien, mit denen die Besetzung von Zielstrukturen in Abhängigkeit von der Wirkstoffkonzentration bestimmt werden kann. Die untere Grenze des TRR wird idealerweise aus Studien abgeleitet, die Blutspiegelwerte mit klinischer Wirksamkeit korrelieren, insbesondere mit objektiver Erfassung krankheitsspezifischer Symptome nach einer Behandlung mit festen Dosierungen. Die obere Grenze des TRR wird aus Konzentrationen abgeleitet, die mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder maximaler Wirksamkeit assoziiert sind. Diese Vorgehensweise erlaubt eine standardisierte und evidenzbasierte Festlegung von TRRs. Die Anwendbarkeit des Vorgehens wurde an Escitalopram und anderen Antidepressiva und an Antipsychotika gezeigt. Im kommenden Update der TDM-Konsensusleitlinien der AGNP wird sie erstmalig breit angewandt.
Schlüsselwörter: Therapeutisches Drug-Monitoring, Referenzbereiche, Psychopharmakotherapie, Individualisierte Medizin
Psychopharmakotherapie 2025;32(04):125–131. DOI: 10.52778/ppt20250012
English abstract
How do therapeutic reference ranges for psychiatric drugs evolve? Recommendations of the AGNP TDM working group
Therapeutic drug monitoring (TDM) as part of pharmacotherapy allows for treatment personalization based on estimation of pharmacogenetic and pharmacokinetic variation. Specifically, TDM refers to the process starting from the TDM request ending to the interpretation of the blood concentrations of the drug and the related consequences for the clinical decision process. The clinical utility of TDM may be challenged due to lack of systematic recommendations, when it comes to the therapeutic reference ranges of medications and the way these are defined. Here we describe a step-by-step method of how to determine a therapeutic reference range (TRRs) in psychiatry based various data types and sources including clinical trials and positron emission tomography studies. The lower limits of the TRR ideally derive from studies assessing associations between blood drug concentrations and clinical effectiveness, whereas the upper limits of the TRRs depend on the concentrations associated with adverse reactions or maximal clinical response.
Ultimately, this proposed method describes a procedure that allows for a standardized and evidence-based determination of TRRs. The applicability of the procedure has been previously demonstrated with escitalopram and other antidepressant drugs, as well as with antipsychotic drugs. In the upcoming update of the AGNP TDM consensus guidelines this method will be widely applied for the first time.
Key words: Therapeutic drug monitoring, reference ranges, psychopharmacotherapy, individualized medicine
Fahreignung unter Psychopharmaka – ein Update
Autofahren gehört zu den wichtigsten Elementen der Lebensqualität. Psychische Störungen und Erkrankungen liegen an der Spitze aller Krankheiten. Dementsprechend gehören Psychopharmaka zu den meistverordneten Medikamenten. Der hoch relevanten Frage der Fahreignung/Verkehrssicherheit unter dieser Medikation widmen sich nur wenige Arbeitsgruppen und die Patienten-Datenlage ist relativ dünn. In den letzten Jahren wurden nun empirische Studien durchgeführt, die hier zusammengefasst werden. Die Beurteilung eines Patienten hat stets vor dem Hintergrund der Bewertung des klinischen Bildes sowie objektiver Leistungstests zu erfolgen. Erst aus jüngster Zeit liegen fundierte Patientenstudien zur Frage der kognitiven Dysfunktion bei Depressiven und differenzieller Effekte verschiedener Antidepressiva auf Psychomotorik, Vigilanz und neuropsychologische Funktionen vor. Zu den in der Verordnung an der Spitze stehenden Antidepressiva zeigt die Studienlage, dass SSRIs und SNRIs die Fahrsicherheit nicht beeinträchtigen, remittierte depressive Patienten sind in der Regel wieder fahrgeeignet und schneiden in psychologischen Tests besser ab als unbehandelte major Depressive. Zur Frage der Beeinträchtigung verkehrsrelevanter Leistungen von Patienten unter Antipsychotika liegen bislang nur wenige Daten vor. Laboruntersuchungen weisen auf einen Vorteil von Antipsychotika der zweiten Generation hin, die hohe interindividuelle Varianz verdeutlich bei Schizophrenen die Notwendigkeit einer individuellen Beurteilung, ggf. mit neuropsychologischer Testung und Fahrverhaltensbeobachtung (Fahrprobe). Tranquilizer und Hypnotika wirken sich akut überwiegend negativ auf die Fahrsicherheit aus und erhöhen das Verkehrsunfallrisiko. Bei ADHS verbessern Psychostimulanzien die Fahreignung. Innerhalb von 24 Stunden nach dem Konsum von Cannabis wird abgeraten, am Straßenverkehr teilzunehmen. Obligat sind Psychoedukation/Aufklärung der Patienten. Die große interindividuelle Variabilität weist auf die Notwendigkeit einer individuellen Bewertung unter Berücksichtigung der psychopathologischen Leitsymptomatik, des Krankheitsverlaufs, von Persönlichkeitsfaktoren, Attitüden sowie möglicher Kompensationsfaktoren hin.
Schlüsselwörter: Fahreignung, Antidepressiva, Antipsychotika, Methylphenidat, Cannabis
Psychopharmakotherapie 2025;32(04):132–143. DOI: 10.52778/ppt20250009
English abstract
Driving ability under psychotropic medication
Driving mobility is important for daily life functioning affecting mental, physical, social and economic well-being. Psychoactive drugs are prescribed frequently according to the frequency of psychiatric disorders. Empirical data impact of psychopharmacological treatment on driving performance in patients is rare. Experimental data have been analysed in detail in various reviews, with particularly sedating CNS effects in the acute phase of treatment being of major concern. When validating treatment with respect to driving performance stabilizing effects of pharmacological treatment have to be weighted against possible detrimental cognitive, vegetative-somatic and psychomotor effects within the treatment phase. Most patients benefit from treatment with psychotropic medicines over time with respect to driving performance, when given on clinical considerations; i. e. adjustment of dosing regimen according to clinical response or nocturnal administration, especially in the case of sedating medications. Major depressions treated adequately with antidepressants show better results than patients without treatment with antidepressants. Remitted patients under SSRIs and SNRIs have no reduction of driving ability. Schizophrenic patients show impairment in skills relevant for driving, data point to an advantage of SGA compared to FGA, considerable interindividual variance makes individual judgement necessary. (Benzodiazepine) tranquilizers and hypnotics worse driving in the first weeks after treatment initiation. Psychostimulans like methylphenidate can improve the restricted driving ability in ADHD patients. Effects of cannabis use are negative but varying. Neuropsychological testing is recommended if concise decision criteria are necessary. Psychopharmacologic medicines improve or at least stabilize driving performance of patients under long-term treatment when given on clinical considerations. Clinicians should be aware of possible detrimental effects of psychotropic medicines on driving performance and should patients individually counsel and advise to monitor for side effects.
Key words: Driving ability, antidepressants, antipsychotics, methylphenidate, cannabis, side effects
Distickstoffmonoxid (Lachgas) als schnell wirksames Antidepressivum
Distickstoffmonoxid (Lachgas, N2O) ist bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Im medizinischen Bereich findet Distickstoffmonoxid aufgrund seiner schmerzlindernden und betäubenden Wirkung schon seit Langem breite Anwendung, insbesondere in der Zahnmedizin, der Chirurgie sowie in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Erst seit Kurzem wird das erhebliche Potenzial von Lachgas auch zur Behandlung von psychiatrischen Störungen, insbesondere der schweren und der therapieresistenten Depression wieder intensiv wissenschaftlich untersucht und außerdem im Rahmen von „Off-Label“-Behandlungen in diversen universitären Zentren bereits erfolgreich eingesetzt. Vermutet wird bei der Lachgas-Behandlung, dass die antidepressiven Effekte hauptsächlich durch die hemmende Wirkung dieses inerten Gases auf den N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor sowie durch opioiderge Mechanismen zustande kommen. Um Lachgas als schnell wirkendes Antidepressivum einer größeren Gruppe von Patientinnen und Patienten anbieten zu können, sind gegenwärtig größere, am besten multizentrisch durchgeführte, klinische Studien dringend notwendig. Wichtige Fragen betreffen hierbei auch die optimale Konzentration sowie die Dauer und die Häufigkeit der Lachgas-Inhalation. Risiken bei wiederholtem Lachgas-Gebrauch und insbesondere dem nichtmedizinischen Lachgas-Missbrauch resultieren vor allem aus einem Vitamin-B12-Mangel, welcher gravierende neurologische, hämatologische und dermatologische Schäden nach sich ziehen kann.
Schlüsselwörter: Depression, Distickstoffmonoxid, Homocystein, Lachgas, Vitamin B12
Psychopharmakotherapie 2025;32(04):144–147. DOI: 10.52778/ppt20250010
English abstract
Nitrous oxide (“laughing gas”) as a rapidly acting antidepressant
Nitrous oxide (N2O) has been known since the late 18th century and is widely used in medical contexts for its analgesic and anaesthetic properties, particularly in dentistry, surgery, gynaecology, and obstetrics. Recently, its substantial potential in treating psychiatric disorders – especially severe and treatment-resistant depression – has gained scientific attention, with promising results already observed in off-label use at various university centres. The antidepressant effects are thought to arise mainly through inhibition of the NMDA receptor and additional opioid-related mechanisms. To make nitrous oxide more widely accessible as a fast-acting antidepressant, large-scale, preferably multicentre clinical trials are urgently required. Key questions include optimal dosage, duration, and frequency of administration. Risks related to repeated use – especially outside medical supervision – primarily concern vitamin B12 deficiency, which may result in serious neurological, haematological, and dermatological complications.
Key words: Depression, nitrous oxide, homocysteine, vitamin B12
Neue evidenzbasierte Leitlinien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft für die …
Ein Gremium aus Experten der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) und der italienischen Kopfschmerzgesellschaft hat evidenzbasierte Leitlinien für die pharmakologische Behandlung von Migräne erarbeitet. Die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der Migräneattacke sowie zur medikamentösen Prophylaxe der episodischen und der chronischen Migräne werden im Folgenden zusammengefasst und in den Kontext der Empfehlungen der deutschen Leitlinie gestellt.
Schlüsselwörter: Migräne, episodisch, chronisch, Attacke, Leitlinien
Psychopharmakotherapie 2025;32(04):148–151. DOI: 10.52778/ppt20250011
English abstract
New evidence-based guidelines of the Internation Headache Society on pharmacological treatment of migraine
A committee of experts from the International Headache Society (IHS) and the Italian Headache Society has developed evidence-based guidelines for the pharmacological treatment of migraine. The recommendations for drug therapy of migraine attacks and for drug prophylaxis of episodic and chronic migraine are summarized below and placed in the context of the recommendations of the German guideline.
Key words: Migraine, episodic, chronic, attack, guidelines
Narkolepsie
Oveporexton, ein oraler Orexin-Rezeptor-2-selektiver Agonist, zur Therapie der Narkolepsie Typ 1
Mit einem Kommentar des Autors
In einer Phase-II-Studie mit 110 Teilnehmern mit Narkolepsie Typ 1 verbesserte der Orexin-Rezeptoragonist Oveporexton signifikant die Parameter Wachheit, Schläfrigkeit und Kataplexie über einen Zeitraum von acht Wochen.
Chronische Insomnie
Nächtliche Sicherheit von Daridorexant
Mit einem Kommentar des Autors
In einer doppelblinden, randomisierten, Placebo-kontrollierten Cross-over-Studie war nach der Verabreichung des Schlafmittels Daridorexant vor dem Schlafengehen die Fähigkeit erhalten, mitten in der Nacht durch einen externen Geräuschreiz aufzuwachen. Haltungsstabilität, Gehen und kognitive Funktion wurden wenig bis gar nicht beeinträchtigt.
Migräne
Celecoxib-Lösung und elektrische Stimulation gegen Migräneschmerz
Migräne-Kopfschmerzen sind ein Volksleiden und stellen für Betroffene eine starke Belastung dar. Gleichzeitig besteht noch immer der Bedarf nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten. Im Zuge des Presseevents der betapharm Arzneimittel GmbH stellten die Referenten zwei neuere Therapieoptionen für Migränepatienten vor.
Migräne
Fremanezumab: Migräne-Mittel auch bei komorbider Depression wirksam?
Sowohl Migräne als auch schwere Depressionen können Betroffene stark belasten. Um zu evaluieren, ob sich eine wirksame Migränetherapie mit dem Wirkstoff Fremanezumab auch günstig auf eine komorbide Depression auswirkt, untersuchten die Autoren der UNITE-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit des Migräneprophylaktikums bei Patienten mit beiden Erkrankungen.
Migräne
Führen Triptane in der Schwangerschaft zu neurokognitiven Entwicklungsstörungen beim Kind?
Mit einem Kommentar des Autors
Die pränatale Exposition gegenüber Triptanen erhöht das Risiko für neurokognitive Entwicklungsstörungen bei Kindern bis zum Jugendalter nicht wesentlich. Darauf deuten die Ergebnisse einer landesweiten Registerstudie aus Norwegen mit 26 210 schwangeren Frauen, die unter einer Migräne litten.
Multiple Sklerose (MS)
Wie wirken sich krankheitsmodifizierende Therapien auf den Schwangerschaftsverlauf aus?
Mit einem Kommentar des Autors
In einer prospektiven Kohortenstudie des deutschsprachigen Multiple Sklerose und Kinderwunsch Registers analysierten die Autoren die Schwangerschaftsergebnisse und den Status der Neugeborenen bei Frauen mit MS. Sie fanden ein leicht erhöhtes Risiko für Neugeborene, die für ihr Gestationsalter kleinwüchsig sind – insbesondere nach hochwirksamen, krankheitsmodulierenden Therapien. Die Pathomechanismen sind bisher nicht bekannt. Weitere Untersuchungen zu Infektionsrisiken sind erforderlich.
Morbus Parkinson
Bei motorischen Fluktuationen Add-on- und Akuttherapie gezielt kombinieren
Im Management von motorischen Fluktuationen beim Morbus Parkinson steht zunächst eine Optimierung der Levodopa-Therapie im Vordergrund. Eine Option stellt die Add-on-Therapie mit Opicapon (Ongentys®) dar. Doch auch Akuttherapien, wie der Apomorphin-Sublingualfilm Kynmobi®, sollten frühzeitig berücksichtigt werden.
Parkinson-Krankheit
Stammzelltherapie bei Morbus Parkinson
Mit einem Kommentar des Autors
Zwei kleine offene Studien in Japan und Nordamerika zeigten, dass die Implantation von dopaminergen Vorläuferzellen in das Striatum zu einem Überleben der Transplantate führt. Bisher konnten keine schwerwiegenden Komplikationen beobachtet werden. Bei einem Teil der Patienten kam es zu einer Besserung der Parkinson-Symptomatik.
Myasthenia gravis
Inebilizumab bei generalisierter Myasthenia gravis
Mit einem Kommentar des Autors
Bei Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis und nachgewiesenen Autoantikörpern gegen den Acetylcholinrezeptor oder die muskelspezifische Kinase verbesserte sich unter Inebilizumab im Vergleich zu Placebo die motorische Funktion. Der Schweregrad der Erkrankung verringerte sich.