EditorialProf. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Haag i. OB/München

Neues aus der neurologischen Therapie

ÜbersichtThomas Mayer und Martin T. Lutz, Radeberg

Behandlung von Menschen mit Epilepsie und Intelligenz-Minderung

Menschen mit geistiger Behinderung erkranken im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger an Epilepsie. Hinsichtlich Diagnostik und Behandlung gelten prinzipiell die gleichen Grundsätze wie bei nichtbehinderten Epilepsiekranken. Bei der pharmakologischen Therapie ist eine verbesserte Anfallskontrolle über eine Monotherapie anzustreben, um unerwünschte Wirkungen zu minimieren. Wo dies nicht möglich ist, bringt bereits oft eine Reduktion und Vereinfachung einer bestehenden Polytherapie für den Patienten eine erhebliche Verbesserung seiner psychischen, kognitiven und motorischen Möglichkeiten. Die der Epilepsie zugrunde liegende Hirnschädigung oder Hirnentwicklungsstörung selbst und die für eine bestmögliche Anfallskontrolle eventuell notwendige Kombination von Antiepileptika können das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen erhöhen. Diese sind bei Menschen mit Behinderung viel schwieriger erfassbar als bei gesunden. Dabei geht es nicht nur um ZNS-typische Nebenwirkungen wie Schwindel, Doppeltsehen, Ataxie und Müdigkeit, sondern auch um psychische und kognitive Nebenwirkungen. Bei pharmakoresistenten Patienten spielen nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Verhinderung von Anfällen oder anfallsbedingtem Schaden eine wichtige Rolle, zum Beispiel der Vagusnervstimulator oder auch Schulungsprogramme. Behinderung und epilepsiechirurgischer Eingriff schließen sich nicht aus, sofern die dazu notwendige aufwendige Diagnostik möglich ist.
Schlüsselwörter: Epilepsie, Intelligenzminderung, Behinderung, Kognition, Therapie
Psychopharmakotherapie 2015;22:76–83.

FlaggeEnglish abstract

Treatment of people with epilepsy and intellectual disability

People with intellectual disabilities suffer in comparison to the general population more frequently from epilepsy. With regard to diagnosis and treatment the same principles are necessary like in non-disabled epilepsy. In the pharmacological therapy improved seizure control is the main aim, monotherapy is often not reachable. Where this is not possible, often a reduction and simplification of an existing polytherapy brings a significant improvement for the mental, cognitive and motor possibilities of the patient. Brain damage or developmental delay leading to epilepsy itself in combination with the antiepileptic drug treatment may increase the risk of the occurrence of side effects. There are not only typical CNS side effects such as dizziness, diplopia, ataxia, and fatigue, but also psychological and cognitive side effects. In drug resistant patients non-pharmacological issues to prevent seizures play an important role, e.g. the vagus nerve stimulator or education training programs. Patients with disabilities can also profit from epilepsy surgery if the diagnostic is possible.

Key words: Epilepsy, mental disability, cognition, treatment

ÜbersichtUwe K. Zettl, Rostock, Peter Flachenecker, Bad Wildbad, Ute Essner, Hamburg, und Thomas Henze, Nittenau

Aktuelle Spastikbehandlung am Beispiel der multiplen Sklerose

Erfahrungen mit Nabiximols

Die Spastik ist ein häufiges Symptom der multiplen Sklerose (MS) und tritt bei bis zu 80% der Patienten auf. Eine Schädigung absteigender Bahnsysteme in Cerebrum, Hirnstamm und/oder Rückenmark bedingt die Spastik. Folgen sind unter anderem Limitierungen in der Mobilität, Schmerzen, Schlafstörungen und in schweren Fällen spinale Bewegungsautomatismen. Aufgrund dieser Symptome, die im Laufe der Erkrankung zunehmen, sind Aktivitäten des täglichen Lebens und die Lebensqualität beeinträchtigt. Die symptomatische Therapie ist für die Patienten von großer Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Funktionalität und damit einhergehend die Lebensqualität zu verbessern bzw. zu erhalten. Zur medikamentösen Behandlung werden Antispastika in Mono- oder Kombinationstherapie eingesetzt. Nabiximols, ein Modulator des Endocannabinoid-Systems, kann in der Kombinationstherapie eingesetzt werden, wenn Patienten nicht angemessen auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben. In diesem Beitrag werden die bisherigen Erfahrungen mit Nabiximols bei der Behandlung der MS-induzierten Spastik beschrieben und auf Besonderheiten in der Anwendung dieses Medikaments eingegangen.
Schlüsselwörter: MS-induzierte Spastik, Nabiximols, praktische Anwendung
Psychopharmakotherapie 2015;22:84–90.

FlaggeEnglish abstract

Current spasticity therapy in multiple sclerosis: Practical experiences using nabiximols

Spasticity is a common symptom of multiple sclerosis (MS) and occurs in up to 80% of patients. Spasticity is due to lesions in descending nerves of the cerebrum, brainstem or spinal cord and leads to limitations in mobility, pain, sleep disorders and, in more severe cases, to spinal automatism. During the progression of the disease symptoms worsen and have an impact on activities of daily living and quality of life. Therefore, symptomatic therapy is important as it helps to maintain and increase functionality and quality of life. At this stage, antispasticity medication is used in mono- and combination therapies. Nabiximols, a modulator of the endocannabinoid system, is intended to be used in addition to the patient’s current anti-spasticity medication in those patients who have not responded adequately to other anti-spasticity medication. This article reviews recent practical experiences using nabiximols as a therapy for MS-induced spasticity and highlights important facts for its application.

Key words: MS-induced spasticity, nabiximols, practical application

ÜbersichtTorsten Kraya, Halle

Vagusnervstimulation bei Migräne und Clusterkopfschmerzen

Neuromodulation – eine Option zur Therapie primärer Kopfschmerzerkrankungen

Die Behandlung primärer Kopfschmerzerkrankungen erfolgt in der Regel mit nichtmedikamentösen und medikamentösen Therapieverfahren. Für Patienten mit chronischen, therapierefraktären Kopfschmerzen wurde in den letzten Jahren die Neuromodulation als neue Therapiemöglichkeit etabliert. Bei der Neuromodulation werden nichtinvasive von invasiven Stimulationsverfahren unterschieden. In den letzten Jahrzehnten wurde die invasive Stimulation des Nervus vagus erfolgreich bei Epilepsie und Depression eingesetzt. Aktuell wird zur Behandlung der Migräne und auch des Clusterkopfschmerzes die nichtinvasive Vagusnervstimulation (nVNS) angewandt.
Schlüsselwörter: Migräne, Clusterkopfschmerz, Vagusnervstimulation, Neuromodulation, Nervus vagus
Psychopharmakotherapie 2015;22:91–4.

FlaggeEnglish abstract

Vagus nerve stimulation in patients with migraine or cluster headaches

The treatment of primary headache disorders includes non-pharmacological and pharmacological therapies. For patients with chronic, refractory headache neuromodulation was established as a new treatment option in recent years. Non-invasive stimulation methods have to be distinguished from invasive approaches. In the past, the invasive stimulation of the vagus nerve has been successfully applied in treatment of intractable epilepsy and depression. Non-invasive vagus nerve stimulation (nVNS) shows a positive effect in the treatment of migraine and cluster headache.

Key words: Migraine, cluster headache, vagus nerve stimulation, neuromodulation, vagus nerve

ÜbersichtZacharias Kohl, Erlangen

Molekulare und zelluläre Therapieansätze für die Huntington-Erkrankung

Was ist am Horizont?

Bis heute existieren für die erbliche neurodegenerative Huntington-Erkrankung nur symptomatische Behandlungsmöglichkeiten. Allerdings konnte die Erkrankung und ihr Verlauf insbesondere in der Frühphase in den letzten Jahren durch internationale Beobachtungsstudien sehr präzise charakterisiert werden. Zur Behandlung werden derzeit intensiv experimentelle Therapieansätze entwickelt. Dabei stellen gentherapeutische Methoden einen innovativen Ansatz dar, um die Pathophysiologie der Erkrankung selbst zu beeinflussen. Auch Verfahren zur Zelltransplantation, besonders von Stammzellen, werden weiterhin intensiv untersucht, um neue Therapieoptionen für die betroffenen Patienten zu schaffen.
Schlüsselwörter: Huntingtin, Transplantation, Antisense-Oligonukleotide, Striatum
Psychopharmakotherapie 2015;22:95–100.

FlaggeEnglish abstract

Molecular and cellular treatment options for Huntington’s disease

Current treatment options for Huntingtonʼs disease are restricted to the alleviation of symptoms. Nevertheless, international observational studies led to a precise characterization of the disease, in particular in its early phases. Currently, new treatment options are evaluated to influence the pathophysiology and progression of the disease itself. Here, gene therapy and stem cell transplantation represent innovative approaches to develop new treatments for affected patients.

Key words: Huntingtin, transplantation, antisense oligonucleotide, striatum

ArzneimitteltherapiesicherheitHolger Petri, Bad Wildungen*

Analyse von CYP450-Wechselwirkungen – kleiner Aufwand, große Wirkung

Das Interaktionspotenzial der Antiallergika

Für die Bewertung des pharmakokinetischen Interaktionspotenzials der H1-Antihistaminika ist die Affinität zum Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 3A4 von maßgeblicher Bedeutung. In der Interaktionstabelle (Tab. 1) wird das Verhalten der Substanzen zu diesem Cytochrom-P450-Isoenzym dargestellt.
Psychopharmakotherapie 2015;22:101–4.

Referiert & kommentiertAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Schwer behandelbare Epilepsien

Schwierigkeiten in der Bewertung des Zusatznutzens von innovativen Antiepileptika

Aus formal-methodischen Gründen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im November 2014 entschieden, dass für eine Add-on-Therapie mit Perampanel gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie mit konventionellen Antiepileptika kein Zusatznutzen nachgewiesen werden kann [1]. Die Tücken bei der Nutzenbewertung innovativer Antiepileptika und der negative G-BA-Beschluss könnten Konsequenzen für Patienten mit therapieresistenten Epilepsien haben, wie bei einem von der Firma Eisai organisierten Fachpresse-Experten-Roundtable diskutiert wurde.

Referiert & kommentiertDr. Bettina Hellwig, Konstanz

Multiple Sklerose

Der Progression entgegenwirken

Zu den wichtigsten Therapiezielen bei der Behandlung einer multiplen Sklerose gehören die Senkung der Schubfrequenz und die Reduktion der Behinderungsprogression über einen möglichst langen Zeitraum hinweg. Dass Beta-Interferone nach wie vor zu den Mitteln der ersten Wahl gehören, wurde auf dem von Merck Serono unterstützten Symposium „MS im Dialog“ deutlich, das anlässlich der 87. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in München stattfand.

Referiert & kommentiertAbdol A. Ameri, Weidenstetten

Multiple Sklerose

Eskalation der Therapie

Bestmögliche Freiheit von klinischer und subklinischer Krankheitsaktivität lautet das ambitionierte Ziel in der Behandlung von Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose (MS). Bei Patienten, die unter einer immunmodulatorischen Basistherapie weiterhin Krankheitsaktivität aufweisen, ist eine rechtzeitige Eskalation erforderlich. Besonders ausgeprägt ist der Einfluss einer Therapieoptimierung in der Frühphase der Erkrankung, noch bevor die Patienten einen EDSS(Expanded disability status scale)-Wert von 3 erreichen [1]. Die Daten wurden auf einem von Biogen Idec veranstalteten Pressegespräch diskutiert.

Referiert & kommentiertDr. Marion Hofmann-Aßmus, Fürstenfeldbruck

Multiple Sklerose

Einfluss von Fingolimod auf die Krankheitsfreiheit

Ging es früher hauptsächlich darum, Schubraten zu reduzieren, rückt inzwischen die „Freiheit messbarer Krankheitsaktivität“ in den Vordergrund. Diesem Anspruch liegen vielversprechende Daten von Fingolimod zugrunde, dessen Einfluss auf verschiedene Krankheitsparameter in einem umfangreichen Studienprogramm untersucht wurde. Welche Parameter dabei zu berücksichtigen sind und was der Begriff „Krankheitsfreiheit“ in der Praxis bedeutet, diskutierten Experten auf einem von Novartis Pharma organisierten Pressegespräch.

Referiert & kommentiertDr. Alexander Kretzschmar, München

Bipolar-I-Störungen

Therapeutisch alles auf Anfang durch DSM-5?

Die Entwicklung des DSM-5 hat zu einer Vergrößerung der Zahl von bipolaren Patienten mit Mischzuständen zulasten reiner Manien geführt. Dies führt auch zu einer Neuorientierung der Pharmakotherapie, machte Prof. Andrea Fagiolini, Siena/Italien, bei einem von Lundbeck veranstalteten Satellitensymposium auf dem ECNP-Kongress 2014 deutlich. Inzwischen werden einige Therapiestudien nach DSM-IV-Kriterien auf der Basis des DSM-5 re-analysiert, darunter zwei Phase-III-Studien mit Asenapin.

Referiert & kommentiertPriv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Bipolar-I-Störung

Lurasidon in Monotherapie und als Zusatztherapie antidepressiv wirksam

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde die antidepressive Wirksamkeit zweier Dosisbereiche von Lurasidon (20–60 mg/Tag und 80–120 mg/Tag) in Monotherapie bei Patienten mit einer Bipolar-I-Depression untersucht [1]. In einer weiteren Placebo-kontrollierten Studie wurde Lurasidon als Zusatztherapie bei Patienten mit einer Bipolar-I-Depression eingesetzt, die auf eine Therapie mit Lithium oder Valproinsäure unzureichend angesprochen hatten [2]. Primärer Wirksamkeitsparameter war in beiden Studien die Änderung des Scores der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 6). Als Monotherapie verringerte Lurasidon in beiden Dosisbereichen den MADRS-Score signifikant im Vergleich zu Placebo. Auch als Zusatztherapie war die Substanz signifikant wirksamer als Placebo. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse von Lurasidon in beiden Studien waren Übelkeit, Kopfschmerz, Akathisie und Somnolenz. Die Änderungen des Körpergewichts und der Lipidspiegel waren minimal.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen