Psychopathologie von Verschwörungsmythen? Schnell wirkende Antidepressiva (RAAD), Antiepileptika in nicht-epileptologischer Indikation


Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Pulheim

Am 24. Februar 2024 hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ihre Stellungnahme „Forschung braucht Freiheit, Medizin braucht Unabhängigkeit! Die DGIM gegen autoritäre Bestrebungen“ publiziert [4], wo es unter anderem heißt: „Wir sind aufs Äußerste besorgt, dass in bestimmten aktuellen politischen Strömungen Wissenschaft verfemt und ihre Erkenntnisse geleugnet und in Folge dieser Falschinformationen einzelne Wissenschaftler wegen ihres Eintretens für die Wissenschaft bedroht werden.“

Verschwörungsmythen haben Konjunktur, insbesondere indem sie sich in den sozialen Medien ungefiltert infektiös ausbreiten können. Grundsätzlich gibt es kein Thema, das nicht Gegenstand eines Verschwörungsmythos werden könnte. Wissenschaftlichkeit in Frage zu stellen, ist eines davon.

Verschwörungsmythen sind gefährlich: Der Nationalsozialismus griff seit dem 19. Jahrhundert grassierende Verschwörungsmythen auf wie „jüdisch-(sozial)demokratisch-marxistische Weltverschwörung“, auf pseudowissenschaftlichen Interpretationen der Evolutionstheorie C. Darwins und der Vererbungsgesetze G. Mendels basierenden Rassismus mit völkischen Ideen, für jeden nachlesbar [6], hoch infektiös, mit bekannten verheerenden Folgen. Der vermutlich kommende republikanische US-Präsidentschaftskandidat propagiert im Wesentlichen Verschwörungsmythen: z. B. „Deep State“, gestohlene Wahl, Einwanderer seien psychisch Kranke und Kriminelle (mit diffamierender Absicht unter Inkaufnahme der Stigmatisierung Kranker). Der russische Präsident propagiert den Mythos einer faschistischen Verschwörung in der Ukraine als vermeintliche Rechtfertigung für den Krieg.

Was macht Menschen anfällig, Verschwörungsmythen zu erliegen? Der „Leitfaden Verschwörungstheorien“ des EU-Forschungsnetzwerks „COMPACT“ [2] schildert als begünstigend unter anderem die lindernde Wirkung von Verschwörungsmythen auf die aversiven Emotionen (Angst, Ärger, Wut), die in der subjektiv erlebten unheimlichen Bedrohung resultieren, und die verstärkende Wirkung von Gruppenprozessen. „Während einige einzelne Verschwörungstheoretiker durchaus paranoid sein mögen, ist der Glaube an solche Theorien doch viel zu weit verbreitet, um mit Hilfe von abnormaler Psychologie erklärt werden zu können.“

Pilch et al. [7] fanden jedoch in einer systematischen Übersichtsarbeit als Risikofaktoren, einem Verschwörungsmythos (conspiracy belief) zu erliegen, habituell nicht-analytische Denkstile, nämlich instrumentelle (zielorientierte) im Gegensatz zu epistemischer (Wahrscheinlichkeiten abwägender) Rationalität. Motivationspsychologisch fand sich als Risikofaktor die Neigung zur Vermeidung von Unsicherheiten und zum Erleben von Kontrollverlust. Auf Ebene der Persönlichkeit war die Anfälligkeit mit Impulsivität, Risikobereitschaft (sensation seeking) und der „dark triade“ – also Narzissmus (Selbstüberhöhung), Machiavellianismus (manipulativer, rücksichtsloser, empathiearmer, auf eigenen Erfolg fokussierender Verhaltensstil) und Psychopathie (Soziopathie, antisoziales Verhalten) – sowie Autoritarianismus (habituelle Unterordnung) verbunden. Im Übergang zur Psychopathologie war Anfälligkeit für Verschwörungsmythen mit Paranoia, Schizotypie und Psychotizismus assoziiert.

Schon weil die verfügbaren Studien infolge methodischer Heterogenität keine Metaanalyse erlaubten, bedarf es intensivierter psychiatrischer und psychologischer Forschung. Die sollte es angesichts der Gefährlichkeit von Verschwörungsmythen wert sein.

Opfer von Verschwörungsmythen sollten grundsätzlich einer kognitiven Psychotherapie zugänglich sein; dem steht aber entgegen, dass die Betroffenen nicht leiden, also keine Hilfe suchen, im Gegenteil „Psychiatrisierung“ als Teil der Verschwörung erleben dürften. Bleibt, das Wissen über die Risikofaktoren zu verbreiten und damit Anfälligen zu helfen, sich selbst und Botschafter von Verschwörungsmythen zu prüfen und dadurch das Infektionsrisiko zu mindern und mit „Faktenchecks“ das analytische Denken zu befördern.

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