Tabea Krause, Stuttgart
In verschiedenen US-amerikanischen Studien konnte ein Anstieg der Diagnosen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beobachtet werden. Zur Therapie eignen sich stimulierende (Amphetamin/Dexamphetamin, Methylphenidat) und nichtstimulierende (Atomoxetin, Guanfacin) Arzneistoffe. Unter den privatversicherten Frauen im gebärfähigen Alter hat sich die Zahl der Stimulanzien-Anwenderinnen im Zeitraum von 2003 bis 2015 verdreifacht. 2013 gaben 1,2 % der Schwangeren an, ADHS-Medikamente einzunehmen. Am häufigsten wurden Psychostimulanzien angewendet, nichtstimulierende Arzneistoffe waren weniger gebräuchlich.
Da die Psychostimulanzien die Plazentaschranke überwinden können, ist auch ein Anstieg der Noradrenalin- und Dopamin-Konzentration im Kind möglich. Studien mit Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft missbräuchlich Metamphetamin konsumiert haben, zeigten, dass diese Kinder häufiger von Angststörungen, Depressionen und emotionalen sowie Entwicklungsstörungen betroffen sind als nicht exponierte Kinder. Die Datenlage über den Effekt auf die Kinder bei medizinischer Anwendung ist heterogen. In der Kohortenstudie von Suarez et al. sollte eine mögliche Assoziation zwischen der Einnahme von Psychostimulanzien in der Schwangerschaft aufgrund einer ADHS-Erkrankung und der neuronalen Entwicklung der Kinder untersucht werden, insbesondere hinsichtlich der Einwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) und ADHS bei den Kindern.
Studiendesign
Für die Kohortenstudie wurden die Datenbanken der US-amerikanischen Krankenversicherung Medicaid und Merative MarketScan Research Databases verwendet, die Daten über staatlich und privat Krankenversicherte enthalten. Eingeschlossen wurden Schwangere zwischen 12 und 55 Jahren, die eine Verordnung über Amphetamin/ Dexamphetamin oder Methylphenidat hatten. Primärer Expositionszeitraum war die Zeit von der 19. Schwangerschaftswoche bis zur Entbindung, da dies die Hochphase der Synaptogenese ist. Als sekundärer Expositionszeitraum wurde der Zeitraum bis zur 19. SSW gewählt.
Die Kinder wurden ab dem Tag der Geburt bis zum Erreichen eines Endpunkts, dem Ende des Untersuchungszeitraums oder der Studienperiode oder bis zum Versterben beobachtet. Endpunkt war die Diagnose von vorab definierten Entwicklungsstörungen wie ADS, ADHS, spezifischen Lern-, Sprach- oder Verhaltensstörungen oder intellektueller Behinderung. Für die staatlich versicherten Frauen wurden Daten von 2000 bis 2018 und für die der privaten Krankenversicherungen von 2003 bis 2020 verwendet.
Ergebnisse
Unter den staatlich versicherten Frauen konnten etwa 2,5 Millionen Schwangerschaften eingeschlossen werden, bei den privat Versicherten waren es knapp 1,8 Millionen. Bei den staatlich Versicherten wurde bei 4693 Schwangerschaften im primären Expositionszeitraum Amphetamin/Dexamphetamin eingenommen und bei 786 Methylphenidat. Bei den privat Versicherten waren es 2372 und 377 Schwangerschaften.
In den unbereinigten Analysen verdoppelte eine Amphetamin/Dexamphetamin-Einnahme in der zweiten Schwangerschaftshälfte das Risiko für ASD, ADHS oder insgesamt neuronale Entwicklungsstörungen. Nach Bereinigung der Ergebnisse, unter anderem für Alter, psychiatrische Diagnosen und sozioökonomischen Status der Mutter, zeigte sich kein erhöhtes Risiko für exponierte Kinder gegenüber den nichtexponierten Kindern (Tab. 1). Bei einer Methylphenidat-Einnahme war das unbereinigte Risiko zwei- bis dreifach höher für die exponierten Kinder, aber auch hier zeigte sich nach Bereinigung der Ergebnisse kein Unterschied hinsichtlich der Endpunkte zwischen den Kindern (Tab. 1).
Tab. 1. Bereinigte Hazard-Ratios (HR) für neuronale Entwicklungsstörungen
Endpunkt |
Hazard-Ratio (95%-KI) |
|
Exposition nach 19. SSW |
Exposition vor 19. SSW |
|
Amphetamin/Dexamphetamin |
||
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0,80 (0,56–1,14) |
0,82 (0,65–1,03) |
|
1,07 (0,89–1,28) |
0,98 (0,87–1,10) |
|
0,91 (0,81–1,01) |
0,92 (0,86–0,99) |
Methylphenidat |
||
|
1,06 (0,62–1,81) |
1,18 (0,89–1,58) |
|
1,43 (1,12–1,82) |
1,28 (1,11–1,47) |
|
1,15 (0,97–1,36) |
1,16 (1,05–1,27) |
KI: Konfidenzintervall; SSW: Schwangerschaftswoche
Fazit der Autoren
Die Ergebnisse lassen annehmen, dass eine therapeutische Einnahme von Amphetamin/Dexamphetamin oder Methylphenidat während der Schwangerschaft nicht mit einem erhöhten Risiko für neuronale Entwicklungsstörungen bei den Kindern einhergeht. Gleichzeitig kann es schwangere Frauen beruhigen, die zur Symptomkontrolle auf die Einnahme ihrer Medikamente angewiesen sind.
Quelle
Suarez EA, et al. Prescription stimulant use during pregnancy and risk of neurodevelopmental disorders in children. JAMA Psychiatry Published online January 24, 2024. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2023.5073.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(02):62-75