Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Parkinson-Krankheit ist gekennzeichnet durch eine Bewegungsverlangsamung (Bradykinese), einen erhöhten Muskeltonus (Rigor), Tremor und ein verändertes Gangbild. Zum Zeitpunkt, zu dem die Erkrankung symptomatisch wird, sind allerdings bereits 60 bis 80 % der dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra zugrunde gegangen. Eine neuroprotektive Therapie, die die Manifestation der Erkrankung verhindert oder verzögert, müsste daher in einem Stadium erfolgen, in dem die Krankheit bereits begonnen hat, aber noch nicht zu klinisch wahrnehmbaren Symptomen führt. Daher ist es notwendig, biologische Parameter zu entwickeln, die mit einer gewissen Sicherheit voraussagen, dass die Krankheit bereits begonnen hat, auch wenn noch keine Symptome bestehen.
Methodik
Die Arbeitsgruppe führte eine systematische Literaturrecherche durch und identifizierte die Literatur zu pathologischen Alpha-Synuclein Ablagerungen in Geweben oder im Liquor bzw. Serum. Darüber hinaus wurden Publikationen zum Nachweis einer Neurodegeneration beim beginnenden Morbus Parkinson und Erkenntnisse zur Genetik erfasst.
Ergebnisse
Die Autoren schlagen eine biologische Klassifizierung der Parkinson-Krankheit vor. Diese basiert auf:
- dem Vorhandensein oder Fehlen von pathologischem Alpha-Synuclein (Syn) in Liquor oder peripherem Gewebe, z. B. in Hautbiopsien,
- bildgebenden Merkmalen, die das Vorhandensein von Neurodegeneration (Neur) definieren, und
- dem Vorhandensein von für die Parkinson-Krankheit spezifischen pathogenen Genvarianten (Ge).
Einige der genetischen Varianten gelten als früheste Ursache der Lewy-Körperchen-Pathologie (Parkinson-Typ-Synukleinopathie). Es wird angenommen, dass Letztere zu einer Parkinson-Krankheit führt oder mit ihr assoziiert ist. Bei den meisten Fällen der Parkinson-Krankheit fehlen die spezifischen pathogenen Genvarianten allerdings, und umgekehrt weisen einige Patienten mit einer genetischen Ursache oder Veranlagung pathologische Veränderungen ohne Synukleinopathie auf. Außerdem ist das Muster der mit der Parkinson-Krankheit assoziierten Neurodegeneration und deren klinischer Korrelate von Person zu Person sehr unterschiedlich. Die vorgeschlagene biologische Klassifikation umfasst und harmonisiert verschiedene Konzepte, die aus einer vorwiegend klinischen Perspektive abgeleitet wurden, darunter die präklinische, prämotorische und prodromale Parkinson-Krankheit, nichtmotorische Syndrome wie Rapid-Eye-Movement-(REM-)Schlafverhaltensstörung und postganglionäre, rein autonome Störungen, Parkinson-Krankheit mit Demenz und Demenz mit Lewy-Körperchen.
SynNeurGe
Die Bezeichnung des Konzepts ist aus den Wortanfängen von „Synuclein“, „Neurodegeneration“ und „Gen(varianten)“ zusammengesetzt. Bei deutscher Aussprache wirkt der Name holprig. Wesentlich eingängiger ist, wie von den Autoren nahe gelegt, die englische Form „synergy“.
Schlussfolgerungen
Die neue Klassifizierung berücksichtigt die Komplexität und Heterogenität der Krankheit durch die Verwendung eines Drei-Komponenten-Systems (SynNeurGe): Vorhandensein oder Fehlen von pathologischem Alpha-Synuclein in Geweben oder Liquor; Nachweis der Zugrunde liegenden Neurodegeneration durch bildgebende Verfahren; und den Nachweis von pathogenen Genvarianten, die die Parkinson-Krankheit verursachen oder stark dazu prädisponieren. Diese drei Komponenten sind mit einer klinischen Komponente verknüpft, die entweder durch ein einziges hochspezifisches klinisches Merkmal oder durch mehrere klinische Merkmale mit geringerer Spezifität gekennzeichnet sind.
Die Verwendung einer biologischen Klassifikation wird Fortschritte in der Grundlagen- und klinischen Forschung ermöglichen und das Feld der Parkinsonforschung an die Präzisionsmedizin heranführen, die für die Entwicklung krankheitsverändernder Therapien erforderlich ist. Die Autoren sind sich der ethischen Implikationen, ihrer Grenzen und der Notwendigkeit einer prospektiven Validierung in künftigen Studien bewusst.
Kommentar
Für fast alle neurodegenerativen Erkrankungen gilt, dass der Untergang von Neuronen der klinischen Manifestation um viele Jahre und manchmal um Jahrzehnte vorausgeht. Dies erklärt wahrscheinlich auch, warum die Ansätze zur Neuroprotektion bei den meisten neurodegenerativen Erkrankungen bisher erfolglos waren. Daher ist es außerordentlich wichtig, diese Erkrankungen im präklinischen Stadium zu identifizieren und dann Patienten zu gewinnen, die bereit sind an randomisierten Therapiestudien mit Neuroprotektiva teilzunehmen.
In den letzten Jahren hat es dramatische Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie des Morbus Parkinson gegeben. In der Zwischenzeit ist es möglich, mit neuen Methoden Alpha-Synuclein-Aggregate in Hautbiopsien, aber auch im Serum und Liquor nachzuweisen. Die modernen Methoden der Bildgebung wie Kernspintomographie und Positronenemissionstomographie erlauben es ebenfalls, bestimmte neurodegenerative Erkrankungen im vorklinischen Stadium zu identifizieren. Auch im Bereich der Genetik gibt es dramatische Fortschritte, wobei hier aber der Nachweis einzelner Genvarianten für die Pathophysiologie der Parkinson-Erkrankung bei den meisten Patienten noch nicht wegweisend ist. In naher Zukunft wird sich bereits zeigen, ob das hier vorgestellte biologische Modell einer Diagnose im präklinischen Stadium valide ist und Konsequenzen für Therapiestudien hat.
Quelle
Höglinger GU, et al. A biological classification of Parkinson’s disease: the SynNeurGe research diagnostic criteria. Lancet Neurol 2024;23(2):191–204.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(02):62-75