Sialorrhö unter Aripiprazol-Depot


Ein Fallbericht

Valentin Popper, Wien, Sermin Toto, Hannover, Victoria Watzal, Michael Treiber, Maximilian Preiß, Arkadiusz Komorowski, Ulrich Rabl, Lucie Bartova, Wien, Dominik Dabbert, Bremen, Richard Frey, Dan Rujescu und Gernot Fugger, Wien

Sialorrhö ist eine unerwünschte Wirkung unter einer Therapie mit Antipsychotika und wird von Betroffenen als sehr einschränkend und stigmatisierend erlebt. Daher führt ein gesteigerter Speichelfluss häufig zu einem Abbruch einer indizierten Therapie. Unter Aripiprazol ist Sialorrhö dagegen selten beschrieben. In der hier dargestellten Kasuistik eines 27-jährigen Patienten mit paranoider Schizophrenie ist die Substanz jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit als auslösendes Agens anzusehen.
Schlüsselwörter: Aripiprazol, Sialorrhö, Antipsychotika, Hypersalivation, Psychopharmaka, Arzneimittelsicherheit
Psychopharmakotherapie 2022;29:227–9.

Kasuistik

Ein Ende 20-jähriger Patient wurde bei fraglich psychotischer Symptomatik stationär-psychiatrisch aufgenommen. Die Universitätsklinik beteiligt sich an dem Pharmakovigilanzprojekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) [5]. Der Patient beschrieb eine komplexe Symptomatik, die initial mit Bauch- und Kopfschmerzen begonnen habe. Es seien im weiteren Verlauf Albträume hinzugekommen und der Patient habe sich im Schlaf selbst verletzt, ohne sich später daran erinnern zu können. Er sei morgens mit für ihn unerklärlichen tiefen Schnitten und Kratzern an den Beinen aufgewacht. Zudem berichtete der Patient von paranoiden und bizarren Wahnideen sowie audiovisuellen Halluzinationen. Der Duktus des Patienten war bei Aufnahme sprunghaft, umständlich und ideenflüchtig, im Tempo beschleunigt. Erwähnenswert ist, dass bei dem Patienten zumindest drei Schädel-Hirn-Traumen in der Kindheit und Jugend exploriert werden konnten.

Im Rahmen des ersten stationär-psychiatrischen Voraufenthalts wurde bei dem Patienten eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und eine Therapie mit Olanzapin und Prothipendyl etabliert. Aufgrund einer Hyperprolaktinämie (ohne entsprechende Klinik wie z. B. Galaktorrhö) wurde die Medikation auf Aripiprazol 20 mg Tagesdosis sowie Quetiapin bis zu 200 mg und Quetiapin in retardierter Galenik in der Dosis von 50 mg umgestellt. Im weiteren Verlauf erhielt der Patient eine zusätzliche antipsychotische Therapie mit Risperidon 1 mg, worunter er eine dezente Sialorrhö entwickelte. Folglich wurde Risperidon wieder abgesetzt und Aripiprazol auf 30 mg Tagesdosis erhöht. Dies bewirkte eine Besserung der Sialorrhö. Zudem wurde im ersten Aufenthalt die Verdachtsdiagnose eines CADASIL-Syndroms (Cerebral autosomal dominant arteriopathy with subcortical infarcts and leukoencephalopathy) gestellt, da in der Familienanamnese mehrere atypische Insulte erhoben werden konnten. Diesbezüglich erfolgte eine MRT-Untersuchung des Cerebrums, die mäßiggradige Atrophiezeichen sowie Hämosiderinablagerungen im Caput nuclei caudati und eine Läsion temporopolar rechts zeigte. Die genetische Abklärung des CADASIL-Syndroms verblieb jedoch negativ.

Einen Monat nach Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der Patient ein weiteres Mal, zur weiteren psychopharmakologischen Therapieoptimierung sowie Befundbesprechung, stationär-psychiatrisch aufgenommen. Im Rahmen dieses Aufenthalts wurde eine antipsychotische Depotmedikation mit Aripiprazol 400 mg intramuskulär im 4-wöchentlichen Intervall etabliert, gleichzeitig wurde Aripiprazol per os auf 10 mg reduziert. Bereits vier Tage nach der Depotinjektion entwickelte der Patient eine ausgeprägte Sialorrhö, die ihn beim Sprechen behinderte. Zudem musste der Patient den gesamten Tag über ein Tuch vor seinen Mund halten, um seinen Speichel abzufangen. Etwa zur selben Zeit wurde eine vorbestehende Medikation mit Doxazosin auf 12 mg Tagesdosis gesteigert. Der Patient erhielt zusätzlich Amitriptylin 100 mg, Pregabalin 600 mg und Clonazepam bis zu einer Tagesdosis von einem Milligramm. Die antipsychotische Depotmedikation mit Aripiprazol wurde in weiterer Folge aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwirkung nicht mehr verabreicht. Bei Entlassung litt der Patient unter einer oralen Therapie von 10 mg Aripiprazol weiterhin an einer ausgeprägten Sialorrhö.

Im Anschluss an den stationären Aufenthalt fand eine Anbindung an die psychiatrische Tagesklinik statt. Dort wurde die Medikation mit Aripiprazol schließlich abgesetzt und durch Risperidon ersetzt, woraufhin die Sialorrhö sistierte.

Diskussion

Die Sialorrhö ist eine klassische unerwünschte Wirkung unter Antipsychotika-Therapie und wurde vor allem für Clozapin häufig beschrieben [3]. Pathophysiologisch werden zwei verschiedene Mechanismen diskutiert. Zum einen könnte der Speichelfluss seine Genese in einer erhöhten Speichelproduktion haben, andererseits könnten auch motorische Schluckstörungen dafür verantwortlich sein [7]. In Studien an Patienten unter Clozapin-Therapie konnte jedoch gezeigt werden, dass die Ausprägung der Sialorrhö nicht in direktem Zusammenhang mit der Speichelflussrate steht [2]. In der Kasuistik entwickelte der Patient eine massive Sialorrhö unter einer Begleitmedikation mit Doxazosin, Clonazepam, Amitriptylin und Quetiapin. Diese Arzneistoffe sind dafür bekannt, als unerwünschte Arzneimittelwirkung eine Xerostomie über das parasympathische Nervensystem zu verursachen [1, 4, 13]. Dass es dennoch zu einer ausgeprägten Sialorrhö gekommen ist, lässt deren Pathogenese durch eine Störung des Schluckens wahrscheinlicher wirken.

Bezüglich Sialorrhö unter Aripiprazol gibt es nach derzeitiger Studienlage nur wenige Berichte. In einer Studie mit Kindern und Jugendlichen, die an einer bipolar-affektiven Störung und einer komorbiden Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung litten, zeigten sich jedoch in der Aripiprazol-Gruppe erhöhte Raten von Sialorrhö [11]. In dem hier beschriebenen Fall kann aufgrund des Therapieverlaufes und des zeitlichen Zusammenhangs der Depotgabe von Aripiprazol und der Verschlechterung der Sialorrhö diese unerwünschte Wirkung wahrscheinlich Aripiprazol zugeordnet werden. Das Sistieren der Sialorrhö nach Absetzen von Aripiprazol ist ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass die Substanz der ursächliche Faktor, zumindest für die Aggravierung der vorbestehenden Sialorrhö, ist.

Bei dem vorliegenden Fall sind zudem individuelle Faktoren, die das Auftreten beziehungsweise die Verschlechterung der Sialorrhö begünstigt haben könnten, zu diskutieren. Zum einen trat bei dem Patienten schon einmal im Zusammenhang mit Risperidon eine geringgradige Sialorrhö auf, die jedoch nicht als belastend wahrgenommen wurde. Dennoch ist dies vielleicht ein Zeichen für eine erhöhte Vulnerabilität für diese spezielle Wirkung unter Antipsychotika. Außerdem entwickelte der Patient unter Olanzapin eine Hyperprolaktinämie. Es kann also davon ausgegangen werden, dass eine erhöhte Anfälligkeit bezüglich unerwünschter Wirkungen von Antipsychotika vorhanden ist. Zum anderen sind beim Patienten verschiedene hirnorganische Schädigungen vorbeschrieben. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese Schäden traumatischer Genese im Zusammenhang mit der Sialorrhö stehen. Der Speichelfluss wird physiologisch über die Hirnnerven V, VII, IX und X afferent sowie efferent gesteuert [8]. Die beim Patienten beschriebenen Schäden liegen nicht in dem Ursprungsgebiet dieser Hirnnerven und stören auch deren Verlauf nicht direkt [10]. Ein veränderter Metabolisierungsstatus konnte bei dem Patienten durch die Analyse der Cytochrom-P450-(CYP-)Genetik ausgeschlossen werden, wobei Aripiprazol über die CYP-Enzyme 2D6 und 3A4 verstoffwechselt wird. In durchgeführten Blutspiegelkontrollen lag die Aripiprazol-Plasmakonzentration des Patienten stets leicht unter dem therapeutischen Bereich oder an dessen unterem Rand.

Die Sialorrhö geht mit einem großen Leidensdruck für die Betroffenen einher. Häufig ist sie, wie in diesem Fall, mit Einschränkungen im Alltag verbunden. Der in der Kasuistik dargestellte Patient konnte infolge der Sialorrhö nicht mehr verständlich kommunizieren. Zudem ist die unerwünschte Wirkung mit einem hohen Maß an Stigmatisierung verbunden [3]. Abgesehen von den psychischen Auswirkungen der Sialorrhö, kann diese auch die körperliche Gesundheit negativ beeinflussen, wobei in diesem Zusammenhang vor allem die gefährliche Komplikation einer Aspirationspneumonie genannt werden muss [12]. Da gerade bei Patienten, die eine Therapie mit Antipsychotika benötigen, die Krankheits- und Behandlungseinsicht oft nicht in ausreichendem Maß gegeben ist und Probleme mit der Adhärenz häufig vorkommen, ist die Ausbildung einer belastenden unerwünschten Wirkung eng mit dem eigenständigen Absetzen der Medikation verbunden [9].

Die Behandlung der Sialorrhö ist bis dato rein symptomatisch (z. B. mit Botulinumtoxin, Glycopyrrolat, Pirenzepin oder Scopolamin), wobei eher geringe Evidenz für die Wirksamkeit besteht und das Auftreten anderer unerwünschter Arzneimittelreaktionen berücksichtigt werden muss [6, 7]. Auch die Pathophysiologie der medikamentös induzierten Sialorrhö ist noch nicht restlos geklärt.

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass in unserem Fallbericht Aripiprazol mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Auftreten, beziehungsweise die Aggravierung der vorbestehenden Sialorrhö verantwortlich ist. Das Symptom kann zu großen Einschränkungen im Alltag sowie zur Stigmatisierung führen und ist oft mit einem Therapieabbruch verbunden. Vertiefende Forschung auf diesem Gebiet erscheint unerlässlich. Für die Praxis ergibt sich, dass eine bestehende Sialorrhö ernstgenommen und gegebenenfalls symptomatisch behandelt werden muss. Auch ein Wechsel des Antipsychotikums sollte erwogen werden, was in der Praxis bei komplexen Fällen und bei insuffizientem Ansprechen auf alternative Therapieoptionen nicht immer möglich ist.

Interessenkonflikterklärung

VP, VW, MT, MP, AK, UR: Keine Interessenkonflikte

ST: Vortragshonorare Janssen-Cilag GmbH, Otsuka/Lundbeck, Recordati Pharma GmbH und Servier; Advisory Board Otsuka und Janssen-Cilag GmbH

LB: Reisekostenzuschüsse und Berater- bzw. Vortragshonorare von Angelini, Alpine Market Research, Biogen, Diagnosia, Dialectica, Janssen, Lundbeck, Medizin Medien Austria, Novartis, Schwabe und Universimed

DD: Vortragshonorar von Aristo Pharma

RF: Vortragshonorare von Janssen, LivaNova und Lundbeck. Beraterhonorare von Janssen und LivaNova

DR: Beratertätigkeit für Janssen, Honorare von Gerot Lannacher, Janssen und Pharmagenetix, Reisezuschüsse von Angelini und Janssen, Mitglied des Beirats von AC Immune, Roche und Rovi

GF: Honorare von Janssen

Literatur

1. Almeida P, Grégio A, Brancher J, et al. Effects of antidepressants and benzodiazepines on stimulated salivary flow rate and biochemistry composition of the saliva. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 2008;106:58–65. doi: 10.1016/j.tripleo.2007.11.008.

2. Ben-Aryeh H, Jungerman T, Szargel R, Klein E, Laufer D. Salivary flow-rate and composition in schizophrenic patients on clozapine: subjective reports and laboratory data. Biol Psychiatry 1996;39:946–9. doi: 10.1016/0006-3223(95)00296-0.

3. Chen SY, Ravindran G, Zhang Q, Kisely S, Siskind D. Treatment strategies for clozapine-induced sialorrhea: A systematic review and meta-analysis. CNS Drugs 2019;33:225–38. doi: 10.1007/s40263-019-00612-8.

4. Cubeddu LX, Fuenmayor N, Caplan N, Ferry D. Clinical pharmacology of doxazosin in patients with essential hypertension. Clin Pharmacol Ther 1987;41:439–49. doi: 10.1038/clpt.1987.54.

5. Grohmann R, Engel RR, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11. doi: 10.1055/s-2004-815505.

6. James E, Ellis C, Brassington R, Sathasivam S, Young CA. Treatment for sialorrhea (excessive saliva) in people with motor neuron disease/amyotrophic lateral sclerosis. Cochrane Database Syst Rev 2022;5:CD006981. doi: 10.1002/14651858.CD006981.pub3.

7. Lakraj AA, Moghimi N, Jabbari B. Sialorrhea: Anatomy, pathophysiology and treatment with emphasis on the role of botulinum toxins. Toxins (Basel) 2013;5:1010–31. doi: 10.3390/toxins5051010.

8. Linden RWA. The scientific basis of eating: Taste and smell, salivation, mastication and swallowing, and their dysfunctions. Front Oral Biol, Vol. 9. Basel: Karger Medical and Scientific Publishers, 1998.

9. Sockalingam S, Shammi C, Remington G. Treatment of clozapine-induced hypersalivation with ipratropium bromide: A randomized, double-blind, placebo-controlled crossover study. J Clin Psychiatry 2009;70:1114–9. doi: 10.4088/JCP.08m04495.

10. Sonne J, Lopez-Ojeda W. Neuroanatomy, cranial nerve. In: StatPearls. StatPearls Publishing; 2022. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK470353/ (Zugriff am 04.08.2022).

11. Tramontina S, Zeni CP, Ketzer CR, Pheula GF, Narvaez J, Rohde LA. Aripiprazole in children and adolescents with bipolar disorder comorbid with attention-deficit/hyperactivity disorder: a pilot randomized clinical trial. J Clin Psychiatry 2009;70:756–64. doi: 10.4088/JCP.08m04726.

12. Trigoboff E, Grace J, Szymanski H, Bhullar J, Lee C, Watson T. Sialorrhea and aspiration pneumonia: A case study. Innov Clin Neurosci 2013;10:20–7.

13. Wolff A, Joshi RK, Ekström J, et al. A guide to medications inducing salivary gland dysfunction, xerostomia, and subjective sialorrhea: A systematic review sponsored by the World Workshop on Oral Medicine VI. Drugs R D 2017;17:1–28. doi: 10.1007/s40268-016-0153-9.

 

Dr. med. univ. Valentin Popper, Dr. med. univ. Victoria Watzal, Dr. med. univ. Michael Treiber, Dr. med. univ. Maximilian Preiß, Dr. med. univ. Arkadiusz Komorowski, Dr. med. univ. Ulrich Rabl, DDr. Lucie Bartova, Univ. Prof. Dr. med .Richard Frey, Univ. Prof. Dr. med. Dan Rujescu, Priv.-Doz. Dr. Dr. Gernot Fugger, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, Österreich, E-Mail: valentin.popper@meduniwien.ac.at

Dr. med. Sermin Toto, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie

Dr. med. Dominik Dabbert, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Bremen-Ost, Bremen

Sialorrhea under long acting aripiprazole – a case report

Sialorrhea is a frequent adverse event under treatment with antipsychotic drugs and affected patients experience restrictions in everyday life and suffer from stigmatization. Often, this adverse event leads to a discontinuation of the medication. Under aripiprazole treatment sialorrhea has rarely been reported so far. However, in the present case report of a 27 year old patient with paranoid schizophrenia, aripirazole is most likely responsible for the genesis of the hypersalivation.

Key words: Aripiprazol, sialorrhea, antipsychotics, hypersalivation, psychotropic drugs, drug safety

Psychopharmakotherapie 2022; 29(06):227-229