Ischämischer Schlaganfall

Bessere Prognose durch ischämische Konditionierung?


Prof. Dr. med. Hans-Christian Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Bei Erwachsenen mit akutem, mittelschwerem ischämischem Schlaganfall erhöhte die Behandlung mit ischämischer Konditionierung im Vergleich zur üblichen Behandlung signifikant die Wahrscheinlichkeit eines guten funktionellen Outcomes nach 90 Tagen. Diese Ergebnisse müssen jedoch in einer weiteren Studie repliziert werden, bevor auf die Wirksamkeit dieser Intervention geschlossen werden kann.

Die ischämische Präkonditionierung wurde erstmals am Herzen entdeckt und untersucht. Dabei zeigte sich, dass kurze repetitive Phasen einer Ischämie bei einem nachfolgenden Myokardinfarkt die Infarktgröße reduzieren. Die molekularen Mechanismen, die dieser ischämischen Präkonditionierung zugrunde liegen, sind aber bisher nicht geklärt. Präklinische und kleine klinische Studien deuten auf eine neuroprotektive Wirkung der Remote-Ischämie-Konditionierung (RIC) im Gehirn hin. Diese erfolgt durch wiederholte Okklusions-/Freigabezyklen bilateral an den Arterien der Arme durch Blutdruckmanschetten. Ziel der RICAMIS(Remote ischemic conditioning for acute moderate ischemic stroke)-Studie war es, die Wirksamkeit der RIC bei akutem, mittelschwerem ischämischem Schlaganfall zu untersuchen.

Studiendesign

Diese multizentrische, offene, randomisierte klinische Studie wurde von Dezember 2018 bis Januar 2021 in 55 Krankenhäusern in China durchgeführt (Tab. 1). Die RIC-Behandlung wurde innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der Schlaganfallsymptome eingeleitet. Zehn bis 14 Tage lang wurden zweimal täglich mithilfe eines pneumatischen Blutdruckmessgeräts je fünf Zyklen der ischämischen Konditionierung durchgeführt, indem an beiden Oberarmen durch Aufblasen der Manschette ein Druck von 200 mm Hg angelegt und für fünf Minuten aufrechterhalten wurde, gefolgt von fünf Minuten Pause nach Ablassen des Drucks. Die RIC-Behandlung erfolgte ergänzend zu einer leitlinienbasierten Therapie; die Kontrollgruppe erhielt allein eine leitlinienbasierte Behandlung.

Tab. 1. Studiendesign der RICAMIS-Studie [Chen et al.]

Erkrankung

Akuter ischämischer Schlaganfall

Studienziel

Wirksamkeit einer ischämischen Konditionierung

Studientyp

Interventionsstudie mit aktiver Kontrolle,

Studiendesign

Multizentrisch, randomisiert, offen, verblindete Evaluation der Endpunkte

Eingeschlossene Patienten

1895 Patienten mit akutem, mittelschwerem ischämischem Schlaganfall (NIHSS-Score 6–16)

Intervention

  • Ischämische Konditionierung für 10–14 Tage, beginnend spätestens 48 h nach Beginn der Schlaganfallsymptome, zusätzlich zur leitlinienbasierten Schlaganfalltherapie (n = 922)
  • Leitlinienbasierte Schlaganfalltherapie (n = 971)

Primärer Endpunkt

Ausgezeichnetes funktionelles Ergebnis nach 90 Tagen, definiert als ein modifizierter Rankin-Score (mRS) von 0 bis 1

Sekundäre Endpunkte

u. a. günstiges funktionelles Ergebnis nach 90 Tagen (mRS 0–2), Veränderung des NIHSS-Scores an Tag 12, Schlaganfall oder andere vaskuläre Ereignisse bis Tag 90

Sponsor

General Hospital of Shenyang Military Region

Studienregisternummer

NCT 03740971 (ClinicalTrials.gov)

NIHSS: National Institutes of Health Stroke Scale

Ergebnisse

Für die vollständige Auswertung standen Daten von 1776 Patienten zur Verfügung. Sie waren im Mittel 65 Jahre alt und 65 % waren Männer. Der NIHSS-Score lag im Median bei 7. Die häufigsten Begleiterkrankungen waren Hypertonie, Diabetes mellitus und ein vorausgegangener Schlaganfall.

Ein ausgezeichnetes funktionelles Ergebnis nach 90 Tagen erreichten 582 (67,4 %) Patienten in der RIC-Gruppe und 566 (62,0 %) in der Kontrollgruppe. Die Risikodifferenz betrug 5,4 Prozentpunkte (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,09,9; Odds-Ratio 1,27 [95%-KI 1,051,54]; p = 0,02). Für die meisten sekundären Endpunkte zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.

Unerwünschte Ereignisse wurden bei 6,8 % (59/863) der Patienten in der RIC-Gruppe und bei 5,6 % (51/913) in der Kontrollgruppe. RIC-bedingte Nebenwirkungen wie Rötung oder Schwellung an den Armen traten lediglich bei sechs Patienten auf. Es gab keine Klagen über Schmerzen in den Armen; die Studienautoren führen dies u. a. darauf zurück, dass die Patienten vorab informiert worden waren, dass die Prozedur unangenehm sein kann, aber ungefährlich ist.

Kommentar

Wenn die Ergebnisse dieser chinesischen Studie repliziert werden könnten, wäre die Methode der ischämischen Konditionierung ein wichtiger Fortschritt in der Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls. Das Konzept wurde bereits umfangreich in der Kardiologie untersucht und wird beispielsweise vor großen Herzoperationen klinisch umgesetzt. Der größte Vorteil dieser Methode ist, dass sie fast nebenwirkungsfrei ist. Etwas problematisch bei der vorliegenden Studie ist allerdings, dass bei einer großen Patientenzahl ein signifikanter Nutzen nur für den primären Endpunkt, aber nicht für die meisten sekundären Endpunkte beobachtet werden konnte. Daher müssen die Ergebnisse in einer zweiten Studie bestätigt werden.

Quelle

Chen H-S, et al. Effect of remote ischemic conditioning vs usual care on neurologic function in patients with acute moderate ischemic stroke: The RICAMIS randomized clinical trial. JAMA 2022;328:627–36.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(06):230-239