Notfallpsychiatrie

Erhebliche Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie


Christine Vetter, Köln

Die SARS-CoV-2-Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten in der Notfallpsychiatrie. Das dokumentiert eine aktuelle Marktforschungsstudie. Betroffen waren in erster Linie die Arzt-Patienten-Kontakte sowie allgemeine therapeutische Angebote wie beispielsweise die Gruppentherapie. Einen unverändert hohen Stellenwert hatte dagegen die medikamentöse Therapie einschließlich innovativer Therapieoptionen wie den schnell wirkenden Antidepressiva (RAAD, Rapid Acting Antidepressants), wie in einer Pressekonferenz der Firma Janssen Deutschland dargelegt wurde.

Unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie war und ist das Aufrechterhalten des Klinikalltags in der Notfallpsychiatrie eine große Herausforderung. Die Therapieangebote mussten eingeschränkt werden und die erforderlichen Hygienemaßnahmen wie das Tragen einer Mund-Nase-Maske haben die Kommunikation mit dem Patienten zum Teil erheblich erschwert. Das belegen die Ergebnisse einer Markforschungsstudie zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die stationäre Akutbehandlung von Depressionen. Dabei wurden im Auftrag der Janssen-Cilag GmbH 41 stationär tätige Ärzte online durch ein unabhängiges Marktforschungsinstitut befragt. Ferner wurden Tiefeninterviews mit zehn Klinik-Psychiatern geführt.

Hygieneregeln problematisch

Das Ergebnis: Die COVID-19-Pandemie hat spürbare Beeinträchtigungen bei der Patientenversorgung zur Folge. So wird durch das Tragen der Mund-Nase-Schutzmaske die Mimik des Patienten teilweise verdeckt und die Gespräche können weniger gut vom Therapeuten gedeutet werden. Auch das Tragen von Schutzanzügen und Handschuhen sowie Schnelltests und PCR-Tests erschwerten den raschen Aufbau einer persönlichen Beziehung zum Patienten. Dies betrifft den Aufnahmeprozess, aber auch die Therapiegespräche und die Entlassungsvorbereitung. Zum Beispiel konnten Patienten während der Pandemie nur mit Termin in die Klinik kommen, dabei jedoch nicht von Angehörigen begleitet werden. Während der Pandemiezeit wurden in den Notfallambulanzen zudem mehr Patienten mit schweren Depressionen aufgenommen als zuvor, der Anteil von Patienten mit eher leichter Erkrankung ging hingegen zurück.

Bei den therapeutischen Angeboten musste die Gruppengröße in Gruppentherapien reduziert werden und damit die Frequenzen für die Gruppensitzungen erhöht werden. Auch die Einzelgespräche wurden verkürzt. Es gab außerdem weniger stationsübergreifende Angebote und auch weniger Zusatztherapien sowie Ergo- und Physiotherapien. Vereinzelt musste sogar zeitweise die Elektrokrampftherapie ausgesetzt werden, weil die Anästhesie auf der Intensivstation benötigt wurde oder Isolierzimmer belegt waren.

RAAD als neue Therapieoption

Keine Beeinträchtigungen gab es hinsichtlich der medikamentösen angstlösenden und sedierenden Therapien im stationären Bereich. Das betraf und betrifft zudem den Einsatz neuer Therapieoptionen wie Esketamin-Nasenspray (Spravato®). Es handelt sich hierbei um den ersten Vertreter einer neuen Generation schnell wirkender Antidepressiva (RAAD, Rapid Acting Antidepressants) [1].

Die neue Therapieoption schließt eine Lücke bei der Akutversorgung psychiatrischer Notfallpatienten. Denn während es unter Standardantidepressiva oft zwei bis vier Wochen dauert, ehe sie ihre volle Wirksamkeit erreichen [2], zeigt sich unter Esketamin-Nasenspray eine sehr rasche klinische Wirksamkeit [3, 4]. Das belegen zwei doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte multizentrische Phase-III-Zulassungsstudien bei Patienten mit mittelgradiger bis schwerer Depression und unmittelbarer Suizidgefahr, bei denen nach Einschätzung des Arztes eine akutpsychiatrische Hospitalisierung klinisch indiziert war [3, 4]. In einer Post-hoc-Analyse der beiden Zulassungsstudien verkürzte Esketamin-Nasenspray die mediane Zeit bis zur stabilen Remission von 50 Tagen auf 23 Tage. Außerdem lag der Anteil der Patienten, die eine Remission erreichten, bei Anwendung des Esketamin-Nasensprays bei 54,2 % gegenüber nur 39,8 % unter Placebo.

Eine Indikation für die Behandlung mit Esketamin-Nasenspray in Kombination mit einer oralen antidepressiven Therapie besteht als akute Kurzzeittherapie bei Patienten mit mittelgradiger bis schwerer depressiven Episode mit stationärem Behandlungsbedarf, also wenn nach ärztlichem Ermessen ein psychiatrischer Notfall vorliegt. Es handelt sich zum einen um Patienten mit suizidalen Symptomen. Die erkennbare konkrete Handlungsabsicht ist jedoch keine Therapievoraussetzung. Vielmehr ist Esketamin-Nasenspray auch anzuwenden, wenn der Patient Anzeichen von Lebensüberdruss und Hoffnungslosigkeit zeigt und ebenso, wenn konkrete Suizidgedanken angegeben werden oder bereits ein Suizidversuch vorgenommen wurde.

Quelle

Priv.-Doz. Dr. Claus Wolff-Menzler, Göttingen, Kerstin Tressi, Neuss, Pressekonferenz „COVID-19 – die Auswirkungen auf die stationäre Akutbehandlung von Depressionen: Ergebnisse einer Marktforschung“, 7. September 2021, veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH.

Literatur

1. Fachinformation Spravato®, Stand Februar 2021

2. S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“, DGPPN, AWMF online, AWMF-Registriernummer 038–023

3. Fu DJ, et al. Esketamine nasal spray for rapid reduction of major depressive disorder symptoms in patients who have active suicidal ideation with intent. Double-blind, randomized study (ASPIRE I). J Clin Psychiatry 2020;81:19m13191.

4. Ionescu DF, et al. Esketamine nasal spray for rapid reduction of depressive symptoms in patients with major depressive disorder who have active suicide ideation with intent: Results of a phase 3, double-blind, randomized study (ASPIRE II). Int J Neuropsychopharmacol 2021;24:22–31.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(06):274-285