Die SANAD-II-Studie

Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Valproinsäure versus Levetiracetam bei neu diagnostizierter, generalisierter und nicht klassifizierbarer Epilepsie


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In der SANAD-II-Studie wurde in Großbritannien in einem pragmatischen Design die Wirksamkeit von Valproinsäure und Levetiracetam zur Behandlung von Patienten mit Epilepsie und Grand-mal-Anfällen untersucht. Im Vergleich zu Valproinsäure erwies sich Levetiracetam weder als klinisch wirksamer noch als kosteneffektiv. Bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter sollte allerdings Valproinsäure nicht eingesetzt werden.

Valproinsäure ist die Erstlinientherapie für Patienten mit neu diagnostizierter, idiopathischer, generalisierter oder schwer zu klassifizierender Epilepsie. Dies gilt aufgrund der Teratogenität jedoch nicht für Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter [1]. Levetiracetam wird zunehmend für diese Patientenpopulationen verschrieben, obwohl es kaum Belege für die klinische Wirksamkeit oder Kosteneffektivität bei generalisierten Anfällen gibt. Das SANAD(Standard and new antiepileptic drug)-II-Studienprogramm zielt unter anderem darauf ab, die langfristige klinische Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Levetiracetam im Vergleich zu Valproinsäure bei Patienten mit neu diagnostizierter, generalisierter oder nicht klassifizierbarer Epilepsie zu vergleichen.

Studiendesign

Es handelt sich um eine offene, randomisierte, kontrollierte Studie zum Vergleich von Levetiracetam mit Valproinsäure als Erstlinienbehandlung bei Patienten mit generalisierter oder unklassifizierter Epilepsie. 69 Epilepsiezentren in Großbritannien rekrutierten Teilnehmer im Alter ab fünf Jahren mit mindestens zwei unprovozierten generalisierten oder nicht klassifizierbaren Anfällen. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip (1 : 1) entweder Levetiracetam oder Valproinsäure zugewiesen. Die Teilnehmer und die Prüfärzte waren über die Behandlungszuweisung informiert. Für Teilnehmer im Alter von 12 Jahren oder älter betrug die empfohlene Erhaltungsdosis für Levetiracetam oder Valproinsäure 500 mg zweimal täglich. Bei Kindern im Alter von fünf bis 12 Jahren betrug die empfohlene tägliche Erhaltungsdosis 25 mg/kg für Valproinsäure und 40 mg/kg für Levetiracetam. Im weiteren Verlauf konnten die Dosierungen angepasst werden. Alle Medikamente wurden oral verabreicht.

Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur 12-monatigen Anfallsfreiheit (Remission), und Ziel der Studie war, die Nichtunterlegenheit von Levetiracetam im Vergleich zu Valproinsäure für diesen Endpunkt zu bewerten. Der Grenzwert für die Nichtunterlegenheit war eine Hazard-Ratio (HR) von 1,314 (was einem absoluten Unterschied von 10 % entspricht), das heißt, die obere Grenze des 97,5%-Konfidenzintervalls (KI) musste unter diesem Wert liegen, um Nichtunterlegenheit zu belegen. Eine HR größer als 1 zeigte an, dass der Endpunkt unter Valproinsäure wahrscheinlicher war.

Alle Teilnehmer wurden in die Intention-to-treat(ITT)-Analyse eingeschlossen. Die Per-Protocol(PP)-Analyse schloss Teilnehmer mit größeren Protokollabweichungen aus und solche, bei denen später die Diagnose einer Epilepsie nicht bestätigt werden konnte.

Ergebnisse

520 Patienten wurden zwischen dem April 2013 und August 2016 rekrutiert und für weitere zwei Jahre nachbeobachtet. 260 Teilnehmer wurden zu einer Behandlung mit Levetiracetam und 260 Teilnehmer zu einer Behandlung mit Valproinsäure randomisiert. Die PP-Analyse schloss 255 Teilnehmer ein, die Valproinsäure und 254 Teilnehmer, die Levetiracetam zugeteilt wurden. Das mediane Alter der Teilnehmer betrug 13,9 Jahre (Bereich 5,0–94,4), 65 % waren männlich, 397 Teilnehmer hatten eine generalisierte Epilepsie und 123 eine nicht klassifizierte Epilepsie. Die Studienteilnehmer hatten im Median in der Vergangenheit zehn epileptische Anfälle erlitten. Der Zeitraum vom letzten epileptischen Anfall bis zum Studieneinschluss betrug im Median vier Tage.

In der ITT-Analyse der Zeit bis zur 12-monatigen Remission erfüllte Levetiracetam im Vergleich zu Valproinsäure nicht die Kriterien für Nichtunterlegenheit (HR 1,19; 95%-KI 0,96–1,47). Die PP-Analyse zeigte, dass die 12-Monats-Remission mit Valproinsäure besser war als mit Levetiracetam.

Valproinsäure war auch überlegen in Bezug auf ein Therapieversagen nach zwei Jahren. Dieser Endpunkt umfasst Patienten mit erneuten epileptischen Anfällen und Patienten, die die Therapie wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen abbrachen. Nach zwei Jahren war die Therapieabbruchrate für Levetiracetam um 15 % höher als für Valproinsäure. Es gab zwei Todesfälle, einen in jeder Gruppe, die nicht mit den Studienbehandlungen in Zusammenhang standen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden von 96 (37 %) Teilnehmern, die Valproinsäure erhielten, und 107 (42 %) Teilnehmern, die Levetiracetam erhielten, berichtet.

In der Kosten-Nutzen-Analyse ergab sich für Levetiracetam im Vergleich mit Valproinsäure ein negativer inkrementeller Netto-Gesundheitsnutzen von –0,040 QALYs (95%-KI –0,175 bis 0,037) und eine Wahrscheinlichkeit von 0,17 für die Kosteneffektivität bei einem Schwellenwert von 20 000 £ pro qualitätsbereinigtem Lebensjahr (QALY).

Kommentar

Auf den ersten Blick sind die Ergebnisse der pragmatischen Studie aus Großbritannien überraschend. Viele Neurologen bevorzugen Levetiracetam zur Behandlung generalisierter Epilepsien, da dieses Antikonvulsivum die wenigsten Interaktionen mit anderen Arzneimitteln und anderen Antikonvulsiva hat. Die Ergebnisse der SANAD-Studie legen allerdings nahe, dass die Erstlinientherapie generalisierter epileptischer Anfälle mit Valproinsäure durchgeführt werden sollte. Dies gilt allerdings nicht für Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter, da Valproinsäure erhebliche teratogene Eigenschaften hat. Wenn Valproinsäure in der Schwangerschaft eingenommen wird, kommt es nicht nur zu vermehrten Missbildungen, sondern auch zu langfristigen Einschränkungen intellektueller Funktionen in der weiteren Entwicklung. Überraschend war auch das Ergebnis, dass unter Levetiracetam mehr unerwünschte Arzneimittelwirkungen insbesondere im psychiatrischen Bereich beobachtet wurden als unter Valproinsäure. Die erste SANAD-Studie hatte 2007 gezeigt, dass Valproinsäure besser verträglich ist als Topiramat und wirksamer als Lamotrigin [2].

Quelle

Marson A, et al. The SANAD II study of the effectiveness and cost-effectiveness of valproate versus levetiracetam for newly diagnosed generalised and unclassifiable epilepsy: an open-label, non-inferiority, multicentre, phase 4, randomised controlled trial. Lancet 2021;397:1375–86.

Literatur

1. Tomson T, et al. Comparative risk of major congenital malformations with eight different antiepileptic drugs: a prospective cohort study of the EURAP registry. Lancet Neurol 2018;17:530–8.

2. Marson AG, et al. The SANAD study of effectiveness of valproate, lamotrigine, or topiramate for generalised and unclassifiable epilepsy: an unblinded randomised controlled trial. Lancet 2007;369:1016–26.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(05):216-226