Die SANAD-II-Studie

Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Levetiracetam, Zonisamid oder Lamotrigin bei neu diagnostizierter fokaler Epilepsie


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer pragmatischen, offenen, multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Nichtunterlegenheits-Phase-IV-Studie mit 990 Patienten mit neu diagnostizierter fokaler Epilepsie in Großbritannien zeigte sich eine Überlegenheit von Lamotrigin im Vergleich zu Zonisamid und Levetiracetam. Lamotrigin sollte als Erstlinientherapie für Patienten mit fokaler Epilepsie beibehalten werden und in zukünftigen Studien die Standardbehandlung sein.

Levetiracetam und Zonisamid sind in Europa als Monotherapie für Patienten mit fokaler Epilepsie zugelassen. Es ist aber nicht endgültig geklärt, ob sie als Erstlinienbehandlung empfohlen werden sollten, oder ob eine Therapie mit Lamotrigin zuerst eingesetzt werden sollte. Daher sollte in einer pragmatischen Studie die langfristige klinische Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Levetiracetam und Zonisamid im Vergleich zu Lamotrigin bei Patienten mit neu diagnostizierter fokaler Epilepsie untersucht werden.

SANAD II

Das SANAD-II-Studienprogramm (A study of new and standard antiepileptic drugs) wurde 2012 vom brititschen National Health Service aufgelegt, um unter Alltagsbedingungen die Wirksamkeit und Kosteneffektivität der neuen Antiepileptika Levetiracatem und Zonisamid mit den Standard-Antiepileptika Lamotrigin und Valproinsäure zu vergleichen.

Studiendesign

Die randomisierte, offene, kontrollierte Studie verglich Levetiracetam und Zonisamid mit Lamotrigin als Erstlinienbehandlung bei Patienten mit neu diagnostizierter fokaler Epilepsie. Neurologische Kliniken und Ambulanzen in Großbritannien rekrutierten Teilnehmer im Alter ab fünf Jahren mit zwei oder mehr nichtprovozierten fokalen epileptischen Anfällen.

Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip (1 : 1 : 1) einer antikonvulsiven Therapie mit Lamotrigin, Levetiracetam oder Zonisamid zugeteilt. Teilnehmer und Prüfärzte waren über die Behandlungszuweisung informiert. SANAD II wurde konzipiert, um die Nichtunterlegenheit sowohl von Levetiracetam als auch Zonisamid gegenüber Lamotrigin für den primären Endpunkt zu untersuchen. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zur 12-monatigen Remission, definiert als der Zeitraum ohne einen erneuten epileptischen Anfall.

Die Antikonvulsiva wurden oral eingenommen. Für Teilnehmer im Alter von 12 Jahren oder älter waren die empfohlenen Erhaltungsdosen für Lamotrigin 50 mg (morgens) und 100 mg (abends), Levetiracetam 500 mg zweimal pro Tag und Zonisamid 100 mg zweimal pro Tag. Für Kinder im Alter von fünf bis 12 Jahren wurden als anfängliche tägliche Erhaltungsdosen Lamotrigin 1 bis 5 mg/kg zweimal pro Tag, Levetiracetam 20 mg/kg zweimal pro Tag und Zonisamid 2 bis 5 mg/kg zweimal pro Tag eingesetzt. Alle Teilnehmer wurden in die Intention-to-treat-Analyse (ITT) eingeschlossen. Die Per-Protocol(PP)-Analyse schloss Teilnehmer mit größeren Protokollabweichungen und Teilnehmer, bei denen sich die Diagnose einer Epilepsie nicht bestätigte, aus. Die Sicherheitsanalyse umfasste alle Teilnehmer, die mindestens eine Dosis eines der Studienmedikamente erhalten hatten. Der Grenzwert für die Nichtunterlegenheit war eine Hazard-Ratio (HR) von 1,329 (was einem absoluten Unterschied von 10 % entspricht), das heißt, die obere Grenze des 97,5%-Konfidenzintervalls (KI) musste unter diesem Wert liegen, um Nichtunterlegenheit zu belegen. Eine HR größer als 1 zeigt an, dass ein Ereignis (erneuter epileptischer Anfall) unter Lamotrigin wahrscheinlicher war.

Ergebnisse

990 Teilnehmer wurden zwischen Mai 2013 und Juni 2017 rekrutiert und für weitere zwei Jahre verfolgt. Die Patienten waren im Mittel 39 Jahre alt (17,9 % <18 Jahre) und 57 % waren Männer. Die Zahl der epileptischen Anfälle bis zum Studieneinschluss betrug im Median 6 und der Zeitraum seit dem letzten epileptischen Anfall betrug im Median 13 Tage. Die Patienten wurden zufällig einer Behandlung mit Lamotrigin (n = 330), Levetiracetam (n = 332) oder Zonisamid (n = 328) zugewiesen. Die Per-Protocol-Analyse umfasste 324 Teilnehmer, die Lamotrigin erhielten, 320 Teilnehmer, die mit Levetiracetam und 315 Teilnehmer, die mit Zonisamid behandelt wurden.

Für den primären Endpunkt, die Zeit bis zur 12-monatigen Remission, erfüllte Levetiracetam in der ITT-Analyse gegenüber Lamotrigin nicht die Kriterien für eine Nichtunterlegenheit (HR 1,18; 97,5%-Konfidenzintervall [KI] 0,95–1,47). Zonisamid erfüllte die Kriterien für eine Nichtunterlegenheit gegenüber Lamotrigin (HR 1,03; 97,5%-KI 0,83–1,28). Die Per-Protocol-Analyse zeigte, dass die 12-Monats-Remission unter Lamotrigin besser war als unter Levetiracetam (HR 1,32; 97,5%-KI 1,05–1,66) und Zonisamid (HR 1,37; 97,5%-KI 1,08–1,73).

Die Analyse der Gesamtzeit bis zum Behandlungsabbruch ergab, dass es unter Lamotrigin signifikant seltener zu einem Therapieabbruch kam als bei Levetiracetam (HR 0,60; KI 0,46–0,77) oder als bei Zonisamid (HR 0,46; KI 0,36–0,60). Im Vergleich mit Lamotrigin kam es nach zwei Jahren zu 16 % mehr Behandlungsabbrüchen unter Levetiracetam und 23 % mehr Behandlungsabbrüchen unter Zonisamid.

Während der Studie gab es 37 Todesfälle. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden von 108 (33 %) Teilnehmern berichtet, die mit Lamotrigin behandelt wurden, 144 (44 %) Teilnehmern unter Levetiracetam und 146 (45 %) Teilnehmern unter Zonisamid. Unter Levetiracetam und Zonisamid war insbesondere die Zahl psychiatrischer Nebenwirkungen höher (30 % bzw. 23 %) als unter Lamotrigin (14 %).

In der Kosten-Nutzen-Analyse war Lamotrigin überlegen, mit einem höheren Netto-Gesundheitsnutzen von 1,403 QALYs (97,5%-KI 1,319–1,458) verglichen mit 1,222 QALYs (97,5%-KI 1,110–1,283) für Levetiracetam und 1,232 QALYs (97,5%-KI 1,112–1,307) für Zonisamid bei einem Kosteneffektivitätsschwellenwert von 20 000 £ pro QALY (qualitätskorrigiertes Lebensjahr; englisch: quality-adjusted life year).

Kommentar

Das SANAD-Studienprogramm in Großbritannien untersucht sehr pragmatisch den Einsatz verschiedener Antikonvulsiva bei fokalen und generalisierten epileptischen Anfällen. Der große Vorteil dieses Studienansatzes ist, dass Patienten eingeschlossen werden, bei denen die Epilepsie erstmalig auftritt und bei denen es daher ethisch nicht vertretbar wäre, Placebo einzusetzen. Der wichtigste Aspekt dieser Studien ist die Untersuchung der Retention einer bestimmten antiepileptischen Therapie. Die Zeit bis zum Abbruch der Therapie resultiert aus mangelnder Wirksamkeit und potenziellen unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die den Patienten veranlassen, das Medikament abzusetzen. In früheren Studien (SANAD I) war bezüglich der Retention Lamotrigin wirksamer als Carbamazepin, Gabapentin, Oxcarbazepin und Topiramat [1, 2]. In der hier durchgeführten offenen Studie zeigte sich, dass die Hauptunterschiede zwischen den drei Antikonvulsiva weniger in der Wirksamkeit liegen als in der Zahl der Studienabbrüche infolge unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei Levetiracetam und Zonisamid.

Der Vorteil der Studie liegt darin, dass sie den klinischen Alltag widerspiegelt. Ein möglicher Nachteil mag daran liegen, dass die Anfallshäufigkeit über Tagebücher erfasst wurde. Ein weiterer Nachteil war, dass die Zahl von Kindern und Jugendlichen in der Studie sehr gering war und daher für diese Patientenpopulation keine gültigen Aussagen möglich sind. Trotz der Tatsache, dass Lamotrigin nur langsam eingeschlichen werden kann, belegt aber diese Studie, dass Lamotrigin das Antiepileptikum der ersten Wahl für die Behandlung von neu aufgetretenen fokalen Epilepsien ist.

Quelle

Marson A, et al. The SANAD II study of the effectiveness and cost-effectiveness of levetiracetam, zonisamide, or lamotrigine for newly diagnosed focal epilepsy: an open-label, non-inferiority, multicentre, phase 4, randomised controlled trial. Lancet 2021;397:1363–74.

Literatur

1. Marson AG, et al. The SANAD study of effectiveness of carbamazepine, gabapentin, lamotrigine, oxcarbazepine, or topiramate for treatment of partial epilepsy: an unblinded randomised controlled trial. Lancet 2007;369:1000–15.

2. Marson AG, et al. The SANAD study of effectiveness of valproate, lamotrigine, or topiramate for generalised and unclassifiable epilepsy: an unblinded randomised controlled trial. Lancet 2007;369:1016–26.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(05):216-226