Epilepsie-Therapie

Neue Option für schwer therapierbare Patienten


Dr. Claudia Bruhn, Berlin

Für Patienten mit schwer therapierbarer Epilepsie steht ein neues Medikament zur Verfügung. Ende März 2021 hat die Europäische Kommission das Antiepileptikum Cenobamat zugelassen. Es kann zur adjunktiven Behandlung von Erwachsenen mit fokalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung eingesetzt werden, wenn eine vorangegangene Behandlung mit mindestens zwei Antiepileptika nicht ausreichend wirksam war.

Das Ziel der Epilepsie-Behandlung, die Anfallsfreiheit, kann gegenwärtig bei etwa einem Drittel der Patienten nicht erreicht werden. Daher besteht nach wie vor ein ungedeckter medizinischer Bedarf an neuen Arzneimitteln. Bei Cenobamat (Ontozry®; Abb. 1) wird ein dualer Wirkungsmechanismus postuliert. Es ist ein positiver allosterischer Modulator von Subtypen des Gamma-Aminobuttersäure-(GABAA-)Chloridionenkanals, bindet dabei aber nicht an die Benzodiazepin-Bindungsstelle. Die Folge ist ein vermehrter Einstrom von Chloridionen in die Neuronen des ZNS und dadurch eine verminderte Erregbarkeit. Außerdem ist der Wirkstoff ein langsamer Inaktivator von Natriumkanälen. Er reduziert das wiederholte neuronale Feuern, indem er die Inaktivierung von Natriumkanälen verstärkt und die persistente Komponente des Natriumstroms hemmt [2].

Abb. 1. Cenobamat

Besonderheiten im klinischen Zulassungsprogramm

Nach einer Proof-of-Concept-Studie wurde Cenobamat zunächst in zwei multizentrischen randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-II-Studien geprüft [1, 3]. Deren Ergebnisse waren so überzeugend, dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA auf Phase-III-Studien zur Wirksamkeit verzichtete. So lag die mittlere prozentuale Reduktion der Anfallshäufigkeit über 28 Tage (primärer Endpunkt) unter 200 mg Cenobamat (n = 113) bei 55,6 %, unter Placebo (n = 108) dagegen bei 21,5 % (p < 0,0001). Eine Anfallsfreiheit konnte in dieser Studie durch Cenobamat bei 28 Patienten erreicht werden, versus neun unter Placebo (p = 0,0001) [1]. Als unerwünschte Wirkungen waren während des klinischen Studienprogramms drei Fälle des DRESS-Syndroms (Drug related eosinophilia and systemic symptoms) aufgetreten. Aufgrund dieser seltenen Nebenwirkung hatte die FDA eine Open-Label-Sicherheitsstudie gefordert. In dieser Phase-III-Untersuchung mit 1347 Patienten wurde Cenobamat langsam aufdosiert, weitere DRESS-Fälle traten nicht auf [4]. Die Zulassung in den USA erfolgte im November 2019. Die europäische Zulassung legt ebenfalls die Phase-II-Studien zugrunde [2].

Start low, go slow

Cenobamat wird einmal täglich eingenommen. Die Zieldosis von 200 mg wird nach einem Titrationsplan beginnend mit einer Anfangsdosis von 12,5 mg über 12 Wochen schrittweise erhöht. Wegen des Potenzials für schwerwiegende Nebenwirkungen sollte dieser Plan genau eingehalten werden. Patienten, die keine optimale Anfallskontrolle erreichen, können von Dosen über 200 mg (erhöht in Schritten von 50 mg/Tag alle zwei Wochen) bis zu einem Maximum von 400 mg täglich profitieren.

Die häufigsten in den Studien berichteten unerwünschten Wirkungen von Cenobamat waren Kopfschmerzen, Somnolenz, Schwindelgefühl, Koordinations- und Gangstörungen, Ermüdung, Sehstörungen und andere ZNS-bezogene Symptome wie Verwirrtheit und Reizbarkeit.

Da Cenobamat über das Cytochrom-P450-Enzymsystem metabolisiert wird, sind zahlreiche Wechselwirkungen möglich. Beispielsweise kann die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva, die über CYP3A4 metabolisiert werden, verringert sein. Daher sollten Frauen im gebärfähigen Alter, die gleichzeitig orale Kontrazeptiva einnehmen, zusätzliche oder alternative nichthormonelle Verhütungsmaßnahmen anwenden. Besonders relevant sind auch Interaktionen mit anderen antiepileptischen Substanzen, da Cenobamat laut Zulassung stets zusätzlich zu weiteren Antiepileptika angewendet wird. Gegebenenfalls müssen Dosisanpassungen vorgenommen werden.

Quelle

Prof. Dr. Hajo Hamer, Erlangen, Prof. Dr. Bernhard Steinhoff, Kork; virtuelle Launch-Presskonferenz: ONTOZRY®: Eine neue Perspektive in der Epilepsietherapie, 11. Juni 2021, veranstaltet von Angelini Pharma Deutschland.

Literatur

1. Chung SS, et al. Randomized phase 2 study of adjunctive cenobamate in patients with uncontrolled focal seizures. Neurology 2020;94:e2311–22.

2. EPAR Ontozry®, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Stand März 2021.

3. Krauss GL, et al. Safety and efficacy of adjunctive cenobamate (YKP3089) in patients with uncontrolled focal seizures: a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, dose-response trial. Lancet Neurol 2020;19:38–48.

4. Sperling MR, et al. Cenobamate (YKP3089) as adjunctive treatment for uncontrolled focal seizures in a large, phase 3, multicenter, open-label safety study. Epilepsia 2020;61:1099–108.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(04):172-183