Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Erfahrungen mit Methylphenidat bei erwachsenen ADHS-Patienten


Christine Vetter, Köln

Methylphenidat (MPH) ist auch bei erwachsenen ADHS-Patienten ein Mittel der Wahl. Im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts erhöht es die Erfolgschancen einer psychotherapeutischen Intervention, wie die COMPAS-Studie zeigte. Diese Daten und Ergebnisse einer aktuellen Sicherheitsanalyse der Studie wurden in einem von Medice veranstalteten virtuellen Symposium im Rahmen des DGPPN-Kongresses 2020 diskutiert.

Erwachsene mit ADHS haben oft mit erheblichen Konsequenzen ihrer Erkrankung zu rechnen. Das betrifft den beruflichen Bereich wie auch das private Umfeld. Nicht selten kommt es zum Jobwechsel, es resultiert eine hohe Scheidungsrate und eine ungewöhnlich hohe Unfallhäufigkeit. Sind Beschränkungen in verschiedenen Lebensbereichen zu erkennen und/oder besteht ein hoher Leidensdruck des Patienten, so ist eine gezielte Behandlung angezeigt. Methylphenidat (MPH) gilt auch bei Erwachsenen als Goldstandard der Therapie bei einer ADHS. Der Wirkstoff ist seit 2011 zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zugelassen und hat 2018 auch Eingang in die Empfehlungen der S3-Leitlinie gefunden [2]. Die Behandlung sollte sich den Empfehlungen entsprechend am ADHS-Schweregrad orientieren. Bei leichten Fällen ist zunächst eine psychosoziale Intervention ausreichend. Liegt ein mittelgradig bis schweres Krankheitsbild vor, so sollte unbedingt auch eine Pharmakotherapie veranlasst werden.

Multimodales Therapiekonzept

Psychosoziale (einschließlich psychotherapeutische) Behandlung ist indiziert bei milder Symptomatik, bei Teilremission unter der Medikation, bei Nicht-Ansprechen auf die Medikamente und auch, wenn der Patient keine Medikamente einnehmen möchte. Im Idealfall folgt die Therapie einem multimodalen Konzept einschließlich Pharmakotherapie und psychosozialer Interventionen, wie nicht zuletzt die COMPAS-Studie gezeigt hat. Bei schwerem ADHS ist primär eine Pharmakotherapie, parallel mit intensiver Psychoedukation, angezeigt.

Dies bekräftigen die Ergebnisse der COMPAS-Studie, einer prospektiven, randomisierten multizentrischen Studie bei 433 adulten ADHS-Patienten. Diese wurden in vier Studiengruppen behandelt, entweder mittels eines individuellen klinischen Managements/Coaching (CM) oder mit einer gruppenbasierten kognitiven Verhaltenstherapie (GPT) oder jeweils mit einem der beiden Verfahren in Kombination mit MPH (Startdosis 10 mg/Tag, Steigerung auf max. 60 mg/Tag).

Nach 52 Wochen zeigte sich in allen vier Behandlungsarmen eine deutliche Besserung, wobei die besten Therapieeffekte in den beiden Patientengruppen mit MPH beobachtet wurden. Es machte dabei keinen Unterschied, ob die Patienten zusätzlich eine GPT oder CM erhielten.

Umfassende Sicherheitsanalyse

Als sekundärer Parameter wurden bei jeder Studienvisite die unter der Therapie auftretenden Nebenwirkungen systematisch erfasst und im Rahmen einer sich an die Kernstudie anschließenden Sicherheitsstudie analysiert [1]. In den MPH-Gruppen traten dabei signifikant häufiger unerwünschte Ereignisse auf. Am häufigsten waren dies mit 22 versus 3,8 % unter MPH gegenüber Placebo ein verminderter Appetit und mit 15 versus 4,8 % Mundtrockenheit. Auch Palpitationen wurden mit 13 versus 3,3 % unter MPH häufiger als in den beiden anderen Gruppen berichtet, ebenso Magen-Darm-Infektionen mit 11 versus 4,8 %, Agitiertheit mit 11 versus 3,3 % und Ruhelosigkeit mit 10 versus 2,9 %. Unter MPH wurden im Vergleich zu Placebo häufiger vermehrtes Schwitzen, eine Tachykardie und eine Gewichtsabnahme berichtet, des Weiteren traten depressive Symptome häufiger auf, ebenso grippale Infekte und akute Mandelentzündungen. Andererseits waren Synkopen signifikant häufiger in den Placebo-Gruppen als unter MPH (2,4 vs. 0 %).

Die meisten Nebenwirkungen waren eher leicht und vorübergehend. So zeigten sich geringgradige Veränderungen bei den Vitalparametern: Das Körpergewicht der Studienteilnehmer nahm unter MPH im Mittel um 1,2 kg ab, der systolische Blutdruck stieg um 1,1 und der diastolische Blutdruck um 1,3 mm Hg, die Herzfrequenz nahm um 3,3 Schläge pro Minute zu.

Die unerwünschten Ereignisse konnten im Allgemeinen durch eine Dosisreduktion oder ein zeitweises Absetzen der Medikation gut behandelt werden. Schwere unerwünschte Ereignisse, also beispielsweise eine Klinikeinweisung oder ein Therapieabbruch aufgrund einer Nebenwirkung waren selten und es fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den verschiedenen Studiengruppen. Konkret wurden als schwere unerwünschte Ereignisse unter MPH Anspannung, Depressivität, Suizidgedanken, Aggressivität und Schlafwandel berichtet, unter Placebo vier Autounfälle sowie das Auftreten einer Epikondylitis und Stürze.

Quelle

Univ.-Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Bonn, Priv.-Doz. Dr. med. Bernhard Kis, Hattingen, Dr. rer. nat. Mona Abdel-Hamid, Göttingen; virtuelles Symposium „Adulte ADHS: Sie fragen – wir antworten. Wie sicher ist Methylphenidat? Wovon profitieren Patienten? Die COMPAS-Studie als Wegweiser“, veranstaltet von MEDICE im Rahmen des virtuellen DGPPN-Kongresses, 27. November 2020.

Literatur

1. Kis B, et al. Safety profile of methylphenidate under long-term treatment in adult ADHD patients – Results of the COMPAS study. Pharmacopsychiatry 2020;53:263-71.

2. S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter.“ AWMF-Registernummmer 028-045. https://www.awmf.org (Zugriff am 14.12.2020).

Psychopharmakotherapie 2021; 28(01):40-49