Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Verbesserung der Transition senkt Komorbiditäten und Gesundheitskosten


Dr. Miriam Sonnet, Rheinstetten

Kinder und Jugendliche, die unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung leiden, werden oft im Übergang zum Erwachsenenalter und auch danach nicht adäquat versorgt. Zahlreiche Patienten gehen während der Transition verloren – das verursacht nicht nur zusätzliche Kosten, sondern auch mehr Begleiterkrankungen. Dies diskutierten Experten bei einem Symposium, das von der Firma Medice im Rahmen des Deutschen Kongresses für Kinder- und Jugendpsychiatrie 2019 veranstaltet wurde.

Unbehandelt kann eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) schwere Folgen für Betroffene haben, unter anderem ein gesteigertes Risiko für Unfälle und Depressionen, eine erhöhte Mortalität sowie Persönlichkeitsstörungen [1]. Nicht umsonst empfehlen die Leitlinien eine multimodale Therapie, bestehend unter anderem aus psychosozialen Interventionen und einer Pharmakotherapie [3] (s. Kasten). Jugendliche Patienten mit ADHS stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Eine davon ist das mögliche Therapieende beim bisher betreuenden Kinder-/Jugendarzt und der Wechsel zu einem anderen Mediziner. Bei diesem Prozess der Transition – und teilweise auch schon vorher – gehen viele Patienten verloren. Eine adäquate Versorgung ist dann nicht mehr sichergestellt.

Medikamentöse Therapie der ADHS

S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ [3]: „Wenn eine medikamentöse Behandlung indiziert ist, sollen Stimulanzien (Methylphenidat, Amfetamin und Lisdexamfetamin), Atomoxetin und Guanfacin als mögliche Optionen zur Behandlung der ADHS in Betracht gezogen werden. Der jeweils aktuelle Zulassungsstatus sollte beachtet werden.“

Zwei Drittel der erwachsenen Patienten sind nicht mehr im System erfasst

Das zeigen Ergebnisse einer Studie, in der Versichertendaten von rund 5500 ADHS-Patienten ausgewertet wurden. Bei Studienbeginn waren sie 15 Jahre alt und etwa die Hälfte wurde mit ADHS-Medikamenten behandelt. Im Alter von 21 Jahren waren nur noch etwa 30 % der Patienten überhaupt im System erfasst und nur 6,6 % erhielten eine entsprechende Pharmakotherapie [1]. Prof. Peter Greven, Berlin, betonte, dass sich hier ein Versorgungsdefizit abzeichne.

Dieses Defizit wird auch in einer anderen Studie deutlich, in der die Autoren die medizinischen Kosten für die Behandlung von ADHS untersuchten [2]. Die Daten belegen, dass die Kosten für ADHS-Patienten etwa 1500 Euro mehr pro Jahr betragen als für Individuen ohne die Erkrankung. Die Kosten für ADHS-Patienten fallen jedoch deutlich im Transitions-Alter ab 18 Jahren, bevor sie dann ab dem 30. Lebensjahr wieder steigen. Die höheren Kosten bei ADHS-Patienten sind aber nicht vorrangig durch ADHS-Behandlungen bedingt, sondern vielmehr durch die Behandlung von Begleiterkrankungen: So sind etwa 22 % der Kinder und Jugendlichen mit ADHS von einer Angststörung betroffen, bei den erwachsenen Patienten sind es 59 %.

ADHS ist demnach eine lebenslang beeinträchtigende Erkrankung und bei Erwachsenen unterdiagnostiziert. Es ist daher wichtig, den Übergang der psychischen Gesundheitsförderung vom Kindes-/Jugendalter in das Erwachsenenalter zu verbessern. Das kann das Auftreten von Begleiterkrankungen verringern und die Gesundheitskosten reduzieren. Es fehlen aber bisher klare Strukturen für die Überleitung von Patienten zu einem Behandler im Erwachsenenalter.

Erfolgreiche Transition – die Voraussetzungen

Damit dies funktionieren kann, ist zunächst die Frage zu klären, was man eigentlich behandeln will. In den meisten Fällen ist dies die Unruhe der Patienten, damit diese ihre Umwelt weniger stören. Dieser Ansatz ist aber problematisch, denn er stellt nicht den Patienten in den Vordergrund, sondern sein soziales und berufliches Umfeld. Die Arzneimittel funktionieren nur, wenn die Patienten sie auch tatsächlich nehmen wollen – und das ist nicht gegeben, wenn sich der Betroffene nicht ernst genommen fühlt, betonte Dr. Jürgen Fleischmann, Sinzig/Rhein. Ärzte sollten daher besonders empathisch sein und sich in ihre Patienten hineinversetzen. Weitere wichtige Punkte sind:

  • Resilienz – denn viele ADHS-Patienten fühlen sich irgendwann als Opfer
  • Fachwissen, damit Patienten Spezialisten für ihre Erkrankung werden
  • Klare Regeln und Strukturen
  • Die Lebensqualität der Patienten erhalten
  • Geduld bewahren
  • Eltern mit einbeziehen/mitbehandeln

Mit der Kombination von Erfahrung aus dem klinischen Behandlungsalltag und der evidenzbasierten Medizin ist die Behandlung, Adhärenz und Transition erfolgreicher.

Quelle

Prof. Peter Greven, Berlin, Dr. Jürgen Fleischmann, Sinzig/Rhein; Symposium „Lost in Transition“ – (K)einen Schritt weiter?“, veranstaltet von MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co KG im Rahmen des XXXVI. DGKJP-Kongresses, Mannheim, 11. April 2019.

Literatur

1. Bachmann CJ, et al. ADHD in Germany: Trends in diagnosis and pharmacotherapy. Dtsch Arztebl Int 2017;114:141–8.

2. Libutzki B, et al. Direct medical costs of ADHD and its comorbid conditions on basis of a claims data analysis. Eur Psychiatry 2019;58:38–44.

3. S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ (2018), AWMF-Registernummer 028–045.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(04):247-251