Multiple Sklerose

Erfolge bei der Verlangsamung des Krankheitsverlaufs


Dr. Jasmine Thibaut, Stuttgart

Mit einem Kommentar der Autorin
In einer schwedischen, populationsbasierten Kohortenstudie mit über 7000 MS-Patienten wurde untersucht, inwieweit sich die Dauer bis zum Erscheinen von MS-assoziierten Behinderungen über das letzte Jahrzehnt verändert hat. Es konnte gezeigt werden, dass sich der Krankheitsverlauf verlangsamt hat und Patienten später mit Behinderungen zu rechnen haben.

Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung, die bei jungen Erwachsenen zu bleibender Behinderung führt [2]. Endpunkte, die die Behinderung betreffen, sind daher ein Hauptbestandteil der Analysen bei MS. Es wird vermutet, dass sich Krankheitsverlauf und insbesondere Behinderungsprogression, gemessen mittels Expanded Disability Status Scale (EDSS), in den letzten 20 Jahren verlangsamt haben.

Ziel der vorliegenden Studie war daher, dieser Frage basierend auf Daten des schwedischen MS-Registers nachzugehen.

Studiendesign

Das schwedische MS-Register (SMSreg) ist ein nationales und populationsbasiertes Register, das Informationen von allen neurologischen Kliniken in Schweden erhält. Es enthält klinische Daten (inkl. Krankheitsbeginn, Diagnosedatum, Krankheitsverlauf sowie Behinderungsgrad) und demographische Daten von rund 18 500 MS-Patienten (Stand April 2017) und deckt ungefähr 80 % aller prävalenten MS-Fälle des Landes. Über das Register wurde eine retrospektive Kohorte mit Patienten ausgewählt (Diagnosedatum zwischen 1995 und 2010, Nachbeobachtung bis 2016), die mindestens zwei dokumentierte EDSS-Werte hatten. Endpunkte waren die EDSS-Werte von 3,0 (= moderate Behinderung ohne Einschränkung beim Gehen), 4,0 (= signifikante Behinderung, aber Fähigkeit ohne Hilfe oder Pause 500 m zu gehen) und 6,0 (= unilaterale Hilfe beim Gehen benötigt, um 100 m mit oder ohne Pause zu gehen).

Ergebnisse

Die mediane Nachbeobachtungsdauer betrug 8,5 Jahre. Von den 7331 eingeschlossenen Patienten waren 5196 Patienten (70,9 %) weiblich. Die Patienten waren im Mittel 38,3 Jahre alt. Die Ergebnisse zeigten, dass bei der schubförmig-remittierenden MS (RRMS) das Risiko pro Kalenderjahr

  • einen EDSS-Score von 3,0 zu erreichen, um 3 %,
  • einen EDSS-Score von 4,0 zu erreichen, um 6 % und
  • einen EDSS-Score von 6,0 zu erreichen, sogar um 7 % sank.

Bei der primär-progredienten Form der MS (PPMS) wurde dieser Trend nicht beobachtet.

Fazit der Studienautoren

Das Risiko, schwere Behinderungsendpunkte zu erreichen, hat den Autoren zufolge signifikant abgenommen, was auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein kann. Insbesondere die Verfügbarkeit von neuen und effizienten immunmodulierenden Therapien, frühzeitigere Diagnosen der MS sowie ein Umdenken im Gesundheitsverhalten könnten hier eine Rolle spielen. In Anbetracht der Tatsache, dass aber keine Veränderung der Behinderungsprogressionsdauer bei der PPMS beobachtet wurde und für dieses Patientenkollektiv im untersuchten Bobachtungszeitraum keine effiziente Behandlung zur Verfügung stand, könnten die neuen, in den letzten Jahren zugelassenen Arzneimittel eine mögliche Ursache für diesen Wandel sein.

Kommentar

Mit Ocrelizumab steht seit Januar 2018 erstmalig auch für die Behandlung der primär-progredienten Form der MS ein Arzneimittel zur Verfügung [1]. Es bleibt daher abzuwarten, ob dieser Trend auch bei der PPMS zu sehen sein wird. Da die PPMS aber mit 10 bis 15 % aller MS-Fälle weitaus seltener als die RRMS vorkommt, dürfte es noch eine Weile dauern, bis mit ersten Ergebnissen zu rechnen ist.

Quelle

Beiki O., et al. Changes in the risk of reaching multiple sclerosis disability milestones in recent decades. A nationwide population-based cohort study in Sweden. JAMA Neurology. 2019; doi: 10.1001/jamaneurol.2019.0330.

Literatur

1. DAZ.online. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/01/12/ms-antikoerper-ocrelizumab-erhaelt-eu-zulassung (Zugriff am 27.06.2019)

2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose. https://www.dgn.org/leitlinien/2333-ll-31-2012-diagnose-und-therapie-der-multiplen-sklerose (Zugriff am 27.06.2019).

Psychopharmakotherapie 2019; 26(04):247-251