Multiple Sklerose

Die MS-Therapie wird besser – und komplizierter


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Die Therapielandschaft der multiplen Sklerose (MS) hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Neue, hochaktive Medikamente gegen die schubförmigen MS (RRMS) stehen jetzt zur Verfügung. Gleichzeitig müssen jedoch viele neue Sicherheits- und Verträglichkeitsaspekte beachtet werden. Dazu gehört auch ein sehr aufmerksames und aufwendiges Monitoring. Damit wird die Abwägung zwischen dem therapeutischen Nutzen und der Sicherheit einerseits sowie dem notwendigen Aufwand wie Monitoring und Medikamenteneinnahme andererseits auf eine neue Basis gestellt, so Prof. Amit Bar-Or, Philadelphia, beim 14. Interaktiven MS-Symposium der Firma Merck.

Bei manchen MS-Therapeutika sind unter der Therapie häufige Kontrolluntersuchungen notwendig. Dies kann allerding nicht jedem Patienten zugemutet werden, vor allem nicht Patienten mit gesundheitlichen Behinderungen und/oder langer Anfahrt zum Therapiezentrum. Auch für den Arzt bedeutet dies hohen Aufwand, der in die täglichen Routinen integriert werden muss. Diese Aspekte müssen mit dem Patienten besprochen werden, um Adhärenzprobleme von Beginn der Therapie an zu vermeiden.

Wieviel Therapieaufwand ist zumutbar?

Die ein- oder zweimal tägliche orale Einnahme erscheint vielen als der Königsweg in der MS-Therapie, wenn man sich die Probleme mit den injizierbaren MS-Therapeutika – Interferone und Glatirameracetat – in der Vergangenheit in Erinnerung ruft. Andererseits zeigt die Erfahrung aus anderen Indikationen, dass eine tägliche orale Einnahme für viele Patienten Gründe birgt, ihre Medikation nicht einzunehmen. Dies reicht von einfachem Vergessen bis hin zu bewusster Non-Adhärenz, bestätigte Prof. Gavin Giovannoni, London.

Für den Neurologen ist in dieser Situation eine selektive Immun-Rekonstitutionstherapie (SIRT) mit Cladribin (Mavenclad®) bei Patienten mit hochaktiver schubförmiger MS (RRMS) eine attraktive Alternative. Cladribin wird in einer Gesamtdosis von 3,5 mg/kg Körpergewicht oral in zwei Therapiezyklen in zwei aufeinander folgenden Jahren verabreicht. Dies bedeutet jeweils nur maximal zehn Tabletten pro Jahr. Allerdings sollte der Patient ausführlich darüber aufgeklärt werden, dass eine tägliche und regelmäßige Einnahme in diesem Zeitraum gewährleistet sein muss, um die Wirksamkeit sicherzustellen.

Therapeutische Alternativen

Cladribin verursacht eine rasche Depletion unerwünschter pro-inflammatorischer B- und T-Zellen. Das Durchbrechen des autoreaktiven Teufelskreises gibt dem Immunsystem die Möglichkeit, wieder eine physiologische Immunabwehr aufzubauen. Die Zulassungsstudie CLARITY und deren Extension CLARITY EXT belegen, dass die Wirksamkeit von Cladribin über die zweijährige Therapie hinaus weitere zwei Jahre anhält [4]. Bei Patienten mit hochaktiver RRMS wurde in CLARITY die jährliche Schubrate um 67 % (57,6 % in der Gesamtgruppe) reduziert und das Risiko für eine über sechs Monate bestätigte Behinderungsprogression um 82 %. Während der zweijährigen Therapie wurden Gadolinium-aufnehmende Läsionen im T1-MRT ebenso wie neue oder sich vergrößernde Läsionen im T2-MRT als sekundäre Endpunkte signifikant (jeweils p < 0,001) reduziert [5]. Die jährliche Hirnatrophierate sank unter Cladribin um 20 % gegenüber Placebo (p = 0,02) [1].

Die klinisch relevantesten Nebenwirkungen unter Cladribin waren Lymphopenien und Infektionen (v. a. Herpes zoster). Die Inzidenz von Malignomen war in einer Metaanalyse jedoch nicht signifikant häufiger als in der Normalbevölkerung (GLOBOCAN-Population) (Cladribin: 24,0 %; GLOBOCAN: 22,63 % [3]). Das laufende Monitoring unter Therapie erfordert lediglich eine Kontrolle der Lymphozytenzahl jeweils vor Behandlungsbeginn in Jahr 1 und Jahr 2 sowie zwei und sechs Monate nach Behandlungsbeginn, im günstigen Fall also sechs Bestimmungen über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren. Falls die Lymphozytenzahl unter 500 Zellen/mm3 sinkt, sind weitere Bestimmungen bis zu ihrem erneuten Anstieg erforderlich [2].

Quelle

Prof. Amit Bar-Or, Philadelphia, Prof. Gavin Giovannoni, London, 14. Interaktives MS-Symposium „Multiple Sklerose-Therapie 2018 – Erfahrung trifft Fortschritt“, München, 2. bis 3. März 2018, veranstaltet von Merck Serono GmbH.

Literatur

1. De Stefano N, et al. Mult Scler 2018;24:222–6.

2. Fachinformation Mavenclad®.

3. Galazka A, et al. ECTRIMS 2017; Abstract P1878.

4. Giovannoni G, et al. Mult Scler 2017 Aug 1:1352458517727603. doi: 10.1177/ 1352458517727603.

5. Giovannoni G, et al. N Engl J Med 2010; 362:416–26.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(06):317-322