Depressionen im Alter

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Senioren


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Depressive Symptome treten bei älteren Menschen häufig auf, Tendenz steigend. Die Behandlungserfolge der zur Verfügung stehenden Antidepressiva sind allerdings wenig zufriedenstellend; Remissions- und Ansprechraten unterscheiden sich häufig kaum vom Placebo-Effekt oder die Behandlung ist mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, wie ein systematischer Review und eine anschließende Metaanalyse zeigten. Effektivere und sicherere Therapiemethoden, gerade für ältere Patienten, sind deshalb dringend erforderlich.

Schätzungsweise 10 bis 15% der älteren Menschen in Europa leiden an einer Depression, in Altersheimen liegt die Häufigkeit vermutlich zwischen 20 und 25%. Gerade bei älteren Menschen geht eine Depression mit einer verminderten Lebensqualität und erhöhter Sterblichkeit einher. Am häufigsten kommt die Major Depression als mentale Störung bei Älteren vor, und obwohl sie mit schweren Leiden verbunden ist, wird sie häufig nicht erkannt und nicht oder nur unzureichend behandelt.

Über die Wirksamkeit der zur Verfügung stehenden Antidepressiva bei Senioren über 65 Jahren liegen teilweise unterschiedliche Ergebnisse vor. Auch haben sich bislang nur wenige Studien mit den Nebenwirkungen antidepressiver Wirkstoffe in diesem älteren Patientenkollektiv befasst, insbesondere wenn sie als Erhaltungstherapie über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden.

Studienziel und -design

Ziel der vorliegenden systematischen Übersichtsarbeit war es, Wirksamkeit und Verträglichkeit antidepressiver Wirkstoffe bei depressiven Patienten ab einem Alter von 65 Jahren zu untersuchen. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Remission, das Ansprechen auf die Therapie und die Nebenwirkungen gelegt. Nicht betrachtet wurde die Besserung der Depressionssymptomatik von Baseline bis Studienende anhand eines anerkannten Depressionsscores, also der von den Zulassungsbehörden geforderte primäre Endpunkt. Die systematische Übersichtsarbeit war Teil eines größeren Projekts, das von der Swedish Agency for Health Technology Assessment and Assessment of Social Services geleitet wurde.

Elektronische Datenbanken wie PubMed, EMBASE, Cochrane Library, CINAHL und PsycInfo wurden bis Mai 2016 von zwei unabhängigen Wissenschaftlern nach geeigneten Studien durchforscht. Dabei beschränkte sich die Suche auf Placebo-kontrollierte, in englischer Sprache veröffentlichte Studien. Die Studienteilnehmer mussten eine gesicherte Diagnose einer Major Depression aufweisen und mit im Handel verfügbaren Antidepressiva behandelt worden sein.

Studienergebnis

Insgesamt wurden 921 Publikationen durchgesehen, davon wurden 901 ausgeschlossen, weil sie eines oder mehrere Einschlusskriterien nicht erfüllten. Die restlichen 20 Studien wurden bewertet. Allerdings wurde auch bei diesen ein Bias-Risiko gesehen, das für zwölf Studien als moderat und für acht als hoch eingestuft wurde.

Für die Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) konnte in keiner der drei ausgewerteten Studien nach einer Behandlungsdauer von acht Wochen eine Überlegenheit im Vergleich zu Placebo im Hinblick auf das Erreichen einer Remission festgestellt werden (Odds-Ratio [OR] 0,79; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,61–1,03). Das Gleiche galt für das Ansprechen auf die Therapie (OR 0,86; 95%-KI 0,51–1,10). Allerdings konnte in zwei Studien bei einigen Patienten, die auf eine Therapie mit einem SSRI ansprachen, mit einer Erhaltungstherapie bis zu einem Jahr die Rückfallquote verringert werden. In diesen Fällen zeigten sich die SSRI einer Placebo-Gabe als überlegen (OR 0,22; 95%-KI 0,13–0,36; Number needed to treat [NNT] 5; 95%-KI 3–6).

Für den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin wurde in drei Studien bei einer wiederkehrenden Major Depression nach achtwöchiger Therapiedauer gegenüber Placebo eine Überlegenheit im Erreichen der Remission belegt (OR 1,78; 95%-KI 1,20–2,65; NNT 9; 95%-KI 6–20). In zwei Studien traf dies auch für die Therapieantwort zu (OR 2,83; 95%-KI 1,96–4,08). Allerdings ging der Therapieerfolg mit einer deutlich höheren Nebenwirkungsrate einher, was in einem älteren Patientenkollektiv besonders problematisch sein kann. Zu den häufigsten unerwünschten Effekten einer Therapie mit Duloxetin gehörten Mundtrockenheit, Verstopfung, Diarrhö und Schwindel.

Für antidepressiv wirkende Substanzen wie Agomelatin oder Bupropion, die ebenfalls zur Behandlung der Major Depression eingesetzt werden, war in den ausgewerteten Studien die Datenlage zu gering und inkonsistent, um eine beweiskräftige Aussage treffen zu können.

Fazit der Studienautoren

Die vorliegende Übersichtsarbeit macht deutlich, wie schwierig sich eine Nutzen-Risiko-Bewertung für im Handel befindliche Antidepressiva zur Therapie einer Major Depression im Seniorenalter gestaltet. Da die Beweiskraft der ausgewerteten Studien insgesamt als eher gering eingestuft wurde, sind ihre Ergebnisse nur mit Vorsicht zu betrachten. Schon die ausgewählten Studienpopulationen wurden der heterogenen Population älterer Menschen mit depressiven Erkrankungen nur teilweise gerecht. Insgesamt konnte bei der Mehrzahl der Studienteilnehmer während der akuten Behandlung keine Remission erzielt werden. Für die Klasse der SSRI wurde im Vergleich zu Placebo in der akuten Therapiephase keine überlegene Remission oder Therapieantwort festgestellt, während eine Erhaltungstherapie möglicherweise einen Nutzen bringen könnte. Duloxetin aus der Gruppe der SNRI erwies sich bei wiederkehrender Major Depression gegenüber Placebo als überlegen, war aber mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko verknüpft.

Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, ältere Menschen mit depressiven Erkrankungen bei einer Therapie mit Antidepressiva möglichst engmaschig zu überwachen. Außerdem müssen Methoden entwickelt werden, um Responder und Nonresponder zu identifizieren, um wirksame und möglichst nebenwirkungsarme Behandlungsmethoden für dieses Patientenkollektiv entwickeln zu können.

Quelle

Tham A, et al. Efficacy and tolerability of antidepressants in people aged 65 years or older with major depressive disorder – A systematic review and meta-analysis. J Affect Disord 2016;205:1–12. http://dx.doi.org/10.1016/j.jad.2016.06.013.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)