Pharmakotherapie und -versorgung im Wandel?


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux

Der medikamentösen Therapie wird seit geraumer Zeit in deutschen Medien ein Negativ-Tenor zuteil – überwiegend wird über Nebenwirkungen, Risiken, fragliche Wirksamkeit berichtet. Auch die Fachpresse konstatiert, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz vielfach negativ sei, Ergebnisse von profitorientierten pharmazeutischen Unternehmen geschönt würden („publication bias“). Laut dem verbreiteten Arzneiverordnungs-Report sind jährlich Millionen-Einsparungen möglich, wenn preisgünstige Generika verordnet werden und auf teure wenig wirksame Medikamente verzichtet werde. Objektive, seriöse, Industrie-unabhängige Gremien und Studien kämen zu dem Ergebnis, dass für die meisten neueren Medikamente kein Zusatznutzen besteht. Hier sei kurz unter Hinweis auf entsprechende PPT-Beiträge der letzten Jahre erwähnt, dass von Institutionen wie dem IQWiG nur randomisierte kontrollierte Studien mittels Gruppen- und Mittelwerts-statistischen Verfahren berücksichtigt werden. Die evidenzbasierte Medizin ist aber ausdrücklich auch durch klinische Erfahrung definiert (Sackett). Besonders Psychopharmaka werden medial desavouiert („Abhängigkeit, nur symptomatisch kurzfristig wirksam, hohe Nebenwirkungsraten und Risiken wie Stürze, Schlaganfälle, Gehirnveränderungen“), zur Therapie psychischer Störungen wird Psychotherapie zumeist als alleinige Behandlung empfohlen – Kontraindikationen, Risiken oder Nebenwirkungen finden praktisch keine Erwähnung.

Jüngst finden sich etwas andere Töne: Zehn Jahre nach Einführung der Arzneimittelrabatte sparen die Krankenkassen im Sinne der vom Gesetzgeber auferlegten „WANZ“-Regel („wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig“) Milliardensummen, 3,9 Milliarden allein im Jahr 2016. Arzneimittel-Lieferengpässe in jüngster Zeit haben aufgezeigt, dass Marktkonzentrationen und industrielle Rationalisierungsprozesse Vorkehrungen fordern, um Engpässen entgegenzuwirken. Hinzu kommen die Qualitäts-Unsicherheiten ausländischer (fernöstlicher) Produktionsstätten.

Man liest, dass das gängige Statement, im internationalen Pharmamarkt werde zu viel Geld verdient, eine kaum beweisbare Pauschalplatitüde sei. Selbst die pharmakritische Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) warnt vor den Folgen des Spargebots. Vorsitzender Prof. Ludwig erläuterte, dass „die Preise, die derzeit für Medikamente erzielt werden, eindeutig zu niedrig sind, um einen gewissen Gewinn abzuwerfen“, und äußerte die Befürchtung, dass so niedrige Preise gleichermaßen Produzenten, Forschung und Entwicklung demotivieren. Zu Recht wird im aktuellen Deutschen Ärzteblatt konstatiert, dass die Versorgung mit Arzneimitteln kein „normaler Markt“ ist (Dtsch Ärztebl 2017;114:A865). Nota: Die Tagestherapiekosten für ein Antidepressivum oder Antipsychotikum (95% Generikums-Markt, niedergelassene Kollegen verordnen „automatisch per Computerprogramm“ das billigste Präparat) liegen beispielsweise bei etwa 30 Cent! Kann so eine Therapie bei den Beteiligten eine „Wertschätzung“ erfahren? (Psychologische Wirkung, s.a. Placebo-Forschung mit Abhängigkeit von Erwartung und Preis!)

Zu diesem Hintergrund passen die Beiträge des aktuellen PPT-Heftes: In bewährter Weise kommentiert J. Fritze methodenkritisch den aktuellen Arzneiverordnungs-Report mit dessen seit Jahren konstantem oben skizzierten Tenor. Bemerkenswert sind in seiner Arbeit auch die erhobenen, zum Teil gravierenden, Verordnungsunterschiede von Neuro-Psychopharmaka zwischen den Bundesländern. M. Lindenau legt in seiner Übersicht dar, dass randomisierte prospektive Studien zur wichtigen Frage des Absetzens von Antikonvulsiva im Erwachsenenalter fehlen, sodass individuelle Beratung erforderlich ist. J. Fritze und Mitarbeiter des BfArM setzen die begonnene Serie zu den erstmals im Rahmen eines BMG-geförderten Projekts zum Off-Label-Use häufig verordneter Arzneimittel mittels Vollerfassung der GKV-Abrechnungsdaten mit den Antidementiva fort.

Von den Kurzberichten aus der internationalen Literatur verdienen die Arbeiten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Senioren und zur Online-Psychotherapie besondere Beachtung.

Als neue Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats können wir Frau Professor Isabella Heuser, Berlin, und Herrn Professor Erich Seifritz, Zürich, begrüßen.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)