Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Medikamenten-Verordnung und Suchtrisiko


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Erwachsene Patienten mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung haben ein erhöhtes Risiko für Alkohol- und Substanzmissbrauch. Daran sollte auch bei der Verordnung von Methylphenidat gedacht werden. In einem von der Firma Medice veranstalteten Workshop tauschten Psychiater ihre Erfahrungen aus.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist wie viele andere psychiatrische Erkrankungen ein multifunktionaler Prozess. Als neurobiologische Ursache wird unter anderem eine fehlerhafte Impulsverarbeitung zwischen kortikalen und subkortikalen Strukturen und eine dadurch bedingte Störung im Neurotransmitterstoffwechsel diskutiert. In der medikamentösen Behandlung gehört Methylphenidat zu den Mitteln der ersten Wahl, die Evidenz für die Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist gesichert.

Als eine der relativen Kontraindikationen bei der Verordnung von retardiertem Methylphenidat gilt Medikamenten- oder Drogenmissbrauch – entweder durch den Patienten selbst oder bei Kindern in dessen unmittelbarem Umfeld. Auch gilt es, bei der Therapieentscheidung bestehende Risikofaktoren für Suchtstörungen wie gleichzeitige oppositionelle oder Verhaltensstörungen sowie Bipolarstörungen zu berücksichtigen.

Alkohol- und Drogenabusus sind allerdings gerade bei ADHS-Patienten ein häufiger anzutreffendes Problem. Die Gründe dürften vielfältig sein. Krankheitsbedingte intellektuelle und soziale Misserfolge, Ängste und Depressionen und auch die Tendenz, stets neue und stimulierende Situationen und die schnelle Belohnung zu suchen, machen die Betroffenen anfällig für einen Substanzmissbrauch. Zusätzlich entfalten Drogen wie Cannabis oder Amphetamine bei Menschen mit ADHS häufig andere Effekte als bei Gesunden, weshalb die Substanzen nicht selten – zumindest anfänglich – auch zur Symptomkupierung eingesetzt werden. Auf lange Sicht führt der Drogen- und Alkoholmissbrauch jedoch zu den gleichen negativen Konsequenzen, wie sie bei allen Abhängigkeitserkrankungen gesehen werden.

In der Praxis stellt sich daher häufig die Frage: Liegt ein eher „harmloser“ beziehungsweise nahezu „therapeutischer“ Beigebrauch zum Beispiel von Cannabis vor? Das wird im Allgemeinen noch zu tolerieren sein, meinten niedergelassene Kollegen. Die Patienten berichten in diesen Fällen über beruhigende und ausgleichende Effekte, die lediglich im „Bedarfsfall“ herbeigeführt werden. Ein typisches Suchtverhalten sowie eine Vernachlässigung von Alltag, sozialen und beruflichen Anforderungen sind dabei nicht zu erkennen. Schon hier ein absolutes Verbot auszusprechen, sei bei den gegenüber Zurückweisung besonders empfindlichen ADHS-Patienten kontraproduktiv und zerstöre eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung, meinten die Kollegen. Dennoch müsse natürlich auf ein mögliches Umkippen in die Sucht geachtet und dann rechtzeitig interveniert werden.

Darüber hinaus ist eine differenzierte Betrachtungsweise angebracht. Die meisten Kollegen können über einen leichten Cannabisbeigebrauch vielleicht noch hinwegsehen. Bei Alkohol wird dagegen restriktiv vorgegangen. Wird dann eine stationäre Entgiftungs- bzw. Entwöhnungsbehandlung nötig, kann es allerdings bei gleichzeitiger Methylphenidat-Verordnung Probleme geben. Ein Telefonat mit der stationären Einrichtung verschafft Klarheit über die Möglichkeit einer weiteren BtM-Verordnung oder auch -Einnahme in der jeweiligen Einrichtung.

Wird Methylphenidat verordnet, sollte immer auch an einen möglichen Missbrauch und eine Zweckentfremdung gedacht werden. Hat der Patient sein Rezept verloren, es versehentlich in der Waschmaschine mitgewaschen oder der Hund es gefressen, wird man ihm beim ersten Mal glauben – Chaos im Alltag gehört zu den typischen ADHS-Symptomen. Passiert das aber regelmäßig, wird sehr engmaschig überwacht beziehungsweise verordnet oder aber auf ein Alternativpräparat umgestellt.

Austausch mit dem Hausarzt oder Kollegen zu möglicherweise erfolgten Mehrfachverordnungen kann hilfreich sein – vorausgesetzt, man hat sich zuvor die Zustimmung des Patienten eingeholt.

Der wichtigste Baustein in der Suchtprophylaxe und -therapie ist in jedem Fall die adäquate Behandlung der ADHS-Symptome. Dies erfolgt durch eine gute medikamentöse Einstellung, die Psychoeduktation und eine begleitende Psychotherapie. Sehr gute Erfahrungen wurden auch mit gruppentherapeutischen Angeboten gemacht.

Quelle

Praxis-Workshop „ADHS und Sucht“ unter der Leitung von Andreas Steimann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Rickling, im Rahmen der Praxisworkshops ADHS & Komorbiditäten, Hamburg, 25. Februar 2017, veranstaltet von Medice Pharma GmbH & Co. KG.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)