Pharmakogenetik

Genetische Unterschiede beeinflussen Haupt- und Nebenwirkungen


Dr. Claudia Bruhn, Schmölln

Patienten, die wegen einer Depression oder einer Schizophrenie mit den entsprechenden Arzneistoffen behandelt werden, sprechen häufig nur unzureichend auf die Medikation an oder tolerieren die Behandlung schlecht. Ursachen und mögliche Auswege aus dieser unbefriedigenden Situation wurden auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im November in Berlin diskutiert.

Eine häufige Ursache für die große interindividuelle Variabilität bei Haupt- und Nebenwirkungen von Antidepressiva und Antipsychotika ist ein genetischer Polymorphismus von Arzneistoff-metabolisierenden Enzymen wie CYP2D6 und CYP2C19, aber auch von Transportern wie den Dopamin-, Serotonin- und Noradrenalin-Transportern sowie beim P-Glykoprotein. Letzteres transportiert an der Blut-Hirn-Schranke Wirkstoffe aus Endothelzellen in die Blutbahn zurück und beeinflusst damit deren Konzentration im Gehirn.

Daten teilweise noch nicht konsistent

Bei einer Reihe von Antidepressiva (z.B. Nortriptylin, Desipramin, Venlafaxin) und Antipsychotika (z.B. Haloperidol, Perphenazin, Olanzapin) ist der CYP2D6-Polymorphismus von Bedeutung. Genamplifikationen des auf dem Chromosom 22 befindlichen CYP2D6-Gens führen zum Phänotyp des Ultrarapid Metabolizers (UM). In Europa liegt die Prävalenz dieses Phänotyps zwischen 5 und 10%. Betroffene Patienten sprechen bei den empfohlenen Dosierungen nicht an und müssten daher eine höhere Dosis erhalten. Dagegen ist beim Phänotyp des Langsam-Metabolisierers (Poor Metabolizer), der unter Kaukasiern mit annähernd gleicher Häufigkeit auftritt, infolge einer CYP2D6-Gendeletion das Risiko für unerwünschte Wirkungen höher.

Während der genetische Polymorphismus von CYP2D6 mittlerweise recht gut erforscht ist, gibt es beispielsweise zum Polymorphismus des Serotonin-Transporters bisher nur inkonsistente Daten, sodass dieser Parameter derzeit in der Praxis noch nicht berücksichtigt wird.

HLA-Varianten verursachen schwere Unverträglichkeitsreaktion

Als Ursache besonders schwerwiegender unerwünschter Arzneimittelwirkungen werden in jüngerer Zeit genetische Variabilitäten bei humanen Leukozytenantigenen (HLA) beschrieben. So zeigten beispielsweise zwei Studien [1, 2], dass genetische Varianten in HLA-DQB1 und HLA-B mit einem erhöhten Risiko für die gefürchtete Nebenwirkung Agranulozytose unter Clozapin-Therapie assoziiert sind.

Konsortium gibt Empfehlungen

Um die Fülle der Daten zu systematisieren und praxisrelevante Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, haben sich international verschiedene Initiativen gegründet. Dazu zählt das Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC), das evidenzbasierte Leitlinien für die Anwendung genetischer Tests erarbeitet hat. Diese werden auf der Website der Pharmacogenomics Knowledge Base (PharmGKB, www.pharmgkb.org) veröffentlicht, verbunden mit Empfehlungen zur Dosisanpassung entsprechend einer Reihe von Genotypen. Wegen der teilweise inkonsistenten Datenlage plädieren Experten derzeit dafür, stets noch das therapeutische Drug-Monitoring (TDM) zur Entscheidungsfindung heranzuziehen wenn es darum geht, für den Patienten die bestmöglich wirksame und verträgliche Dosierung zu ermitteln.

Quelle

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ingolf Cascorbi, Kiel, „Stellenwert der Pharmakogenetik im Rahmen des TDM und zur Prävention von UAWs“, Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 23. November 2016.

Literatur

1. Athanasiou MC, et al. Candidate gene analysis identifies a polymorphism in HLA-DQB1 associated with clozapine-induced agranulocytosis. J Clin Psychiatry 2011;72:458–63.

2. Goldstein JI, et al. Clozapine-induced agranulocytosis is associated with rare HLA-DQB1 and HLA-B alleles. Nat Commun 2014;5:4757.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)