Multiple Sklerose

Fatigue ist das häufigste neuropsychologische Begleitsymptom


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Mindestens zwei Drittel aller Patienten mit einer multiplen Sklerose (MS) leiden unter Fatigue. Eine frühzeitige Therapie mit Immunmodulatoren kann die Krankheitsprogression und damit auch die Fatigue verhindern bzw. reduzieren. Gut belegt ist nach den Ergebnissen der TOWER-Studie die Wirksamkeit von Teriflunomid auch im Hinblick auf die Fatigue-Symptomatik, so das Fazit eines von der Firma Sanofi Genzyme veranstalteten Pressegesprächs.

Definitionsgemäß handelt es sich bei der MS-assoziierten Fatigue um eine über das übliche Funktionsniveau im Alltag hinausgehende, anhaltende, subjektive Empfindung von psychischer und mentaler Erschöpfung und Mangel an Energie in Zusammenhang mit der MS. Die Fatigue gehört neben den kognitiven Beeinträchtigungen und der Depression zu den neuropsychologischen MS-Symptomen. Betroffen sind mehr als 70% der MS-Patienten und für mehr als jeden dritten MS-Patienten ist die Fatigue das am stärksten belastende Symptom. Die Fatigue kann in jedem Stadium der Erkrankung auftreten und ist in etwa 30% sogar das Erstsymptom der Erkrankung. Sie geht mit einer starken Beeinträchtigung der betroffenen Patienten im Alltag und Beruf einher, das heißt, die Fatigue ist einer der häufigsten Gründe für Frühverrentung bzw. reduzierte Beschäftigungsverhältnisse.

Multifaktorielles Geschehen

Auch wenn die Ursachen der Fatigue noch nicht genau bekannt sind, so dürfte es sich doch um ein multifaktorielles Geschehen handeln. Es werden verschiedene Hypothesen diskutiert. So könnte die lokale Demyelinisierung mit konsekutiven Nervenfaserschädigungen im Hirnstamm zu Defiziten in Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration führen, die diffuse Demyelinisierung und Nervenfaserschädigung im Stammhirn und in den Stammganglien dagegen zu Defiziten bei der Bewegungsprogrammierung. Die Leitungsschädigung hat auch eine verzögerte Reizweiterleitung und somit auch eine vermehrte Anstrengung bei der Reizweiterleitung zur Folge. Somit könnte es sich bei der Fatigue um ein dyskonnektionelles Syndrom handeln, das durch einen Ausfall von Verbindungen in Funktionssystemen, Schäden durch „strategische Läsionen“ und eine verminderte Rekrutierung alternativer Netzwerke charakterisiert ist. Bei der Abgeschlagenheit könnten auch neuroendokrine Störungen als Folge von vermehrt gebildeten entzündlichen Botenstoffen eine Rolle spielen.

Keine spezifische medikamentöse Therapie

Bei der symptomatischen Therapie der MS-assoziierten Fatigue stehen nichtmedikamentöse Maßnahmen im Vordergrund. Zunächst sollten Ursachen wie Depression, Anämie, Schilddrüsenfunktionsstörungen und/oder Schlafstörungen ausgeschlossen oder zielgerecht behandelt werden. Zu den nichtmedikamentösen Maßnahmen gehören Sport und Bewegung, Entspannungsübungen, Kühlung bei wärmeempfindlichen Patienten und psychologische Interventionen. Im Rahmen klinischer Studien wurde eine Reihe von Wirkstoffen untersucht (Amantadin, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Modafinil, 4-Aminopyridin). Dabei konnten allerdings keine oder nur schwache bzw. inkonsistente Effekte dokumentiert werden. Deshalb ist entsprechend der Leitlinie bisher keine anerkannte medikamentöse Therapie der MS-assoziierten Fatigue in Deutschland verfügbar.

Teriflunomid beeinflusst auch Fatigue

Teriflunomid (Aubagio®) ist ein Immunmodulator mit entzündungshemmenden Eigenschaften. Es hemmt unter anderem reversibel und selektiv das Enzym Dihydroorotat-Dehydrogenase und reduziert so selektiv die Zahl der aktivierten B- und T-Zellen, die über die Blut-Hirn-Schranke in das zentrale Nervensystem migrieren. Zugelassen ist die Substanz zur Behandlung der schubförmig remittierenden MS bei Erwachsenen.

Das klinische Entwicklungsprogramm von Teriflunomid umfasst die Zulassungsstudien TEMSO (Teriflunomide multiple sclerosis oral) und TOWER (Teriflunomide oral in people with relapsing remitting multiple sclerosis). Dabei konnte für Teriflunomid eine effektive Schubratenreduktion im Vergleich zu Placebo um relativ 31,5% (TEMSO) bzw. 36,3% (TOWER) (p<0,001 bzw. p=0,0001) belegt werden. Daraus ergibt sich eine Number needed to treat (NNT) von 5,9 bzw. 5,6 [1, 2]. Die Post-hoc-Analyse der gepoolten Daten aus TEMSO und TOWER ergab sogar eine relative Risikoreduktion von 53% (p<0,001) [3]. Auch wurde für die Substanz eine effektive Reduktion der Behinderungsprogression, des Hirnvolumenverlusts und der MRT-Parameter dokumentiert. Die Effekte bezüglich Behinderungsprogression und Hirnvolumenverlust lassen vermuten, dass Teriflunomid nicht nur die entzündliche Komponente der MS günstig beeinflusst, sondern eventuell auch neurodegenerative Aspekte der Erkrankung.

Darüber hinaus zeigen die Daten der TOWER-Studie, dass die Substanz auch neuropsychologische Faktoren, insbesondere die Fatigue, positiv beeinflusst. Bestätigt wurden diese Beobachtungen durch die Ergebnisse der Phase-IV-Studie TERI-PRO. So berichteten 48% der Patienten mit Teriflunomid keine oder nur eine geringfügige Einschränkung der Kognition nach 24 Wochen im Vergleich zu 41% zu Therapiebeginn und 25% der Patienten über keine oder nur eine geringe Einschränkung durch Fatigue im Vergleich zu 18% bei Therapiebeginn [4].

Fazit

Fatigue ist neben Depression und kognitiver Beeinträchtigung ein sehr häufiges und quälendes neuropsychologisches Begleitsymptom der MS, für das bisher keine spezifische medikamentöse Therapie zur Verfügung steht. Doch der Immunmodulator Teriflunomid beeinflusst nach vorliegenden Studienergebnissen nicht nur die Schubrate, die Behinderungsprogression, die MRT-Parameter und die Hirnatrophierate günstig, sondern bessert auch die Fatigue und die kognitiven Beeinträchtigungen.

Quelle

Prof. Mathias Mäurer, Würzburg, Prof. Jürgen Köhler, Passau, Pressekonferenz „Fatigue und Teriflunomid – Mehr Lebensqualität bei konsistenter Wirksamkeit“, München, 2. März 2017, veranstaltet von Sanofi Genzyme.

Literatur

1. O’Connor P, et al. N Engl J Med 2011;365: 1293–303.

2. Confavreux C, et al. Lancet Neurol 2014;13: 247–56.

3. Macdonell R, et al. Mult Scler J 2013;19: 74–558; Poster P1095.

4. Coyle P, et al. ECTRIMS 2015, Barcelona, Spain, Poster P562.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)