Depression bei Bipolar-II-Störung

Rezidivprophylaxe mit Venlafaxin vs. Lithium


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer randomisierten Doppelblindstudie zur Akutbehandlung der Depression im Rahmen einer Bipolar-II-Störung erhielten die Patienten eine 12-wöchige Monotherapie mit Venlafaxin oder Lithium [1]. Bei den Respondern wurde die jeweilige Behandlung um weitere sechs Monate doppelblind fortgeführt. Primärer Wirksamkeitsparameter war ein depressives Rezidiv, sekundäre Parameter waren unter anderen der Anteil der Patienten, die bis zum Studienende durchgehend stabil blieben, die Zeit bis zum Rückfall und das Auftreten hypomaner Symptome. Die Rückfallraten unter Venlafaxin (7,5%) und unter Lithium (26,7%) waren statistisch nicht signifikant verschieden. Auch unterschied sich die Zeit bis zum Rückfall nicht statistisch. Weiterhin gab es keine Unterschiede zwischen beiden Behandlungsgruppen im Score der Young Mania Rating Scale.
(Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. D. Angersbach, Wolfratshausen

Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen [2] gibt keine getrennten Empfehlungen zur pharmakologischen Phasenprophylaxe bei Bipolar-I- und Bipolar-II-Störungen und daher auch keine Empfehlung zur Prävention eines depressiven Rückfalls bei einer Bipolar-II-Störung. Für eine Beurteilung der Eignung neuerer Antidepressiva zur prophylaktischen Behandlung der Bipolar-II-Depression ist offenbar die Studienlage zu dürftig. Ziel der vorliegenden Studie ist ein Vergleich der Wirksamkeit der Monotherapie mit einem Antidepressivum mit der Monotherapie mit einem Stimmungsstabilisierer in der Verhinderung eines depressiven Rückfalls bei Patienten mit einer Bipolar-II-Störung. Die Patienten wurden in einer vorausgegangenen doppelblinden Akutstudie mit Venlafaxin oder Lithium behandelt. In der vorliegenden doppelblind fortgeführten Studie wurde bei den Respondern die jeweilige Therapie für weitere sechs Monate fortgeführt.

Methoden

Ein- und Ausschlusskriterien sowie die Aufdosierung der Prüfsubstanzen wurden bereits an anderer Stelle beschrieben ([1]; s.a. Psychopharmakotherapie 2016;23(6):263–4). Die mittlere maximale Venlafaxin-Dosis war 253,9 mg/Tag (Bereich 112,5–375 mg/Tag), die mittlere maximale Lithium-Dosis 1090 mg/Tag (Bereich 300–1740 mg/Tag). Der mittlere Lithium-Spiegel war 0,72±0,24 mmol/l (Bereich 0,30–1,08 mmol/l). Die Dosierung aus der Akutstudie wurde zur rezidivprophylaktischen Behandlung beibehalten.

Primärer Wirksamkeitsparameter war der Anteil der Patienten mit einem depressiven Rezidiv, definiert als Score auf der Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) von 14 plus einem Score auf der Clinical Global Impression Scale, Teil Schweregrad (CGI-S), von 4 (mäßig krank bis sehr schwer krank) für wenigstens 14 Tage. Sekundäre Parameter waren unter anderen der Anteil der Patienten, der vom Behandlungsbeginn bis zum Endpunkt durchgehend stabil blieb, die Zeit bis zum Rückfall und Änderungen im Score der Young Mania Rating Scale (YMRS) sowie die Häufigkeit und Dauer der syndromalen (nach DSM-IV) und subsyndromalen hypomanen Episoden (<4 diagnostische Kriterien mit einer Dauer von <4 Tagen). Arztbesuche waren in den Behandlungswochen 16, 20, 24, 30 und 36 vorgesehen.

Ergebnisse

Patienten: Von den 129 in die Akutstudie eingeschlossenen Patienten (Lithium n=64, Venlafaxin n=65) erfüllten in der Venlafaxin-Gruppe 44 und in der Lithium-Gruppe 22 Patienten die Kriterien für eine Response. Von ihnen waren 40 in der Venlafaxin- und 15 Patienten in der Lithium-Gruppe bereit zu einer Behandlung in der Verlängerungsstudie. Allerdings brachen neun Patienten unter Venlafaxin und ein Patient unter Lithium die Weiterbehandlung ab.

Wirksamkeit: Insgesamt erlitten sieben Patienten einen depressiven Rückfall: drei (7,5%) unter Venlafaxin und vier (26,7%) unter Lithium (p=0,079). Depressive Symptome traten unter Lithium häufiger auf als unter Venlafaxin (p=0,03). Unter Venlafaxin blieb ein größerer Anteil der Patienten durchgehend stabil (43,1%) als unter Lithium (15,6%; p=0,0001). Die mittlere Zeit bis zu einem depressiven Rückfall war in beiden Gruppen statistisch nicht verschieden: 215,9 Tage unter Venlafaxin und 156,4 Tage unter Lithium (p=0,09).

Subsyndromale hypomane Episoden traten bei insgesamt sechs Patienten (10,9%) auf, und zwar in beiden Behandlungsgruppen bei je drei Patienten (p=0,33). Kein Patient erfüllte die Kriterien für eine hypomane Episode. Es gab auch keine Unterschiede in den Änderungen des YMRS-Scores zwischen beiden Gruppen.

Nach Ansicht der Autoren deuten die Ergebnisse dieser Studie wie Beobachtungen in früheren Studien darauf hin, dass die Fortführung einer antidepressiven Monotherapie eine wirksame Prophylaxe gegen ein Depressionsrezidiv bei einer Bipolar-II-Störung ist und ein geringes Risiko für eine Switch in eine Hypomanie aufweist. Die Beobachtungen in dieser Studie benötigen wegen der geringen Kohortenstärke eine Bestätigung durch weitere Untersuchungen.

Kommentar

Die Aussagefähigkeit der Studie wird durch die geringe Teilnehmerzahl in der Lithium-Gruppe erheblich geschwächt. Weiterhin lässt sich wegen des Fehlens einer Placebo-Kontrolle schwer abschätzen, wie groß die prophylaktische Wirksamkeit der Behandlung in dieser Studie wirklich war. Die Ergebnisse bestätigen den Eindruck aus der Akutstudie, dass der Stimmungsstabilisierer eine relativ geringe antidepressive Wirksamkeit hat. In diesem Zusammenhang muss auch das „enriched design“ der Studie erwähnt werden, das heißt, nur die Responder aus der jeweiligen akuten Behandlung erhielten eine weiterführende Therapie. Die Ergebnisse hätten ungünstiger ausfallen können, wenn Patienten, die sich unter anderen Behandlungen stabilisiert hatten, in die Studie eingeschlossen worden wären.

Quelle

Amsterdam JD, et al. Safety and effectiveness of continuation antidepressant versus mood stabilizer monotherapy for relapse prevention of bipolar II depression: A randomized, double-blind, parallel-group, prospective study. J Affect Disord 2015;185:31–7.

Literatur

1. Amsterdam JD, et al. Short-term venlafaxine vs. lithium monotherapy for bipolar type II major depressive episodes: effectiveness and mood conversion rate. Br J Psychiatry 2016;208:359–65.

2. DGBS e.V. und DGPPN e.V.: S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Langversion 1.0, Mai 2012.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(01)