Neuroscience based Nomenclature (NbN) für Psychopharmaka – eine wichtige neue Entwicklung


Hans-Jürgen Möller, München, und Siegfried Kasper, Wien

In den letzten Jahren wurde von den internationalen psychopharmakologischen Fachgesellschaften eine neue Nomenklatur für Psychopharmaka entwickelt. Sie umgeht viele Probleme der traditionellen Terminologie, die im Wesentlichen indikationsbezogenen ist. Die Neuroscience based Nomenclature (NbN) ist im Gegensatz dazu an den pharmakologischen Wirkorten/Wirkungsmechanismen orientiert und erreicht unter vielen Aspekten einen höheren Präzisionsgrad.
Schlüsselwörter: Psychopharmaka, Terminologie, Nomenklatur, Neuroscience
Psychopharmakotherapie 2017;24:2–6.

Warum ist eine neue Nomenklatur der Psychopharmaka notwendig?

Die Terminologie der Psychopharmaka hat sich im Rahmen der Einführung der ersten modernen Psychopharmaka in der Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt und ist seitdem unverändert geblieben, abgesehen von der Berücksichtigung einiger neuerer Entwicklungen im Gesamtsystem. Diese historisch gewachsene Terminologie ist vielen – nicht nur den Ärzten, sondern auch Patienten und Angehörigen – vertraut und ist die Basis für die Kommunikation der verschiedenen in der Betreuung und Behandlung psychiatrischer Patienten tätigen Berufsgruppen. Sie richtet sich in der Regel nach der erstzugelassenen Indikation für den jeweiligen Arzneistoff, und so kennen wir Antidepressiva, Antipsychotika (ursprünglich und oft auch heute noch Neuroleptika genannt), Anxiolytika etc. Zur genaueren Bestimmung werden zusätzliche Charakterisierungen verwendet, zum Beispiel „trizyklisch“ in Hinblick auf die Strukturformel oder „serotonerg“ in Hinblick auf den pharmakologischen Wirkungsmechanismus.

Diese historisch gewachsene Nomenklatur wird dem durch Forschung der letzten Jahrzehnte gewachsenen neurobiologischen Wissen nicht gerecht und ist obendrein im klinischen Alltag nicht mehr ausreichend zweckmäßig. Manche fest verankerte Begriffe wie „Neuroleptikum“ sind obendrein in ihrem Bedeutungsgehalt für viele nicht unmittelbar erschließbar, andere sind in ihrer Definition unzureichend präzise, zum Beispiel „atypische Neuroleptika“ oder „Antipsychotika der 2. Generation“, und möglicherweise eher Marketing-Interessen dienend als wirklich der wissenschaftlichen Kommunikation.

Die oben dargestellte Nomenklatur ist zudem nur zum Teil kompatibel mit der inzwischen in manchen Bereichen besonders veraltet Wirkenden, die von der WHOʼs Drug Utilization Research Group (DURG) in dem sogenannten ATC(Anatomical-therapeutic-chemical)-Classification-System entwickelt wurde und 1976 erstmals publiziert wurde [2, 3]. Sie wird noch immer von dem WHO Collaborating Center for Drug Statistics Methodology verwendet, um den Arzneimittelgebrauch zu erfassen. Diese Nomenklatur enthält eine Reihe von Termini, die im heutigen klinischen Alltag völlig obsolet klingen und nicht mehr verwendet werden und die auch unter theoretischen Aspekten höchst fragwürdig sind, wie die Obergruppenbenennung „Psychoanaleptics“, in der Antidementiva, Antidepressiva, „Psychostimulants“ (der Terminus wird benutzt für Stimulanzien, aber auch für Nootropika) und Antipsychotika (unter dem alten Terminus Psycholeptika, nicht Neuroleptika!) zusammengefasst werden. Die Antidepressiva werden dann weiter aufgeteilt nach verschiedenen pharmakologischen Mechanismen: „Non-selective monoamine reuptake inhibitors“ (synonym mit dem heute gebräuchlichen Begriff TCA [trizyklische Antidepressiva]), selective serotonin reuptake inhibitors, non selective monoamine oxidase inhibitors, monoamine oxidase A inhibitors, „other antidepressants“ (z.B. Reboxetin, Venlafaxin, Duloxetin, Mirtazapin, Agomelatin).

Im Sprachgebrauch des klinischen Alltags entstehen schon seit Langem Probleme dadurch, dass Psychopharmaka im Laufe ihrer weiteren klinischen und wissenschaftlichen Evaluierung zusätzlich zur ursprünglichen Indikation weitere Indikationen erhalten haben. So wirken viele Antidepressiva, beispielsweise die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective serotonin reuptake inhibitors [SSRI]), auch bei Angsterkrankungen. Antipsychotika sind nicht nur bei schizophrenen Erkrankungen effektiv, sondern auch bei Manie und gegebenenfalls bei der bipolaren Depression (Depression im Rahmen bipolarer Erkrankung). Andere Psychopharmaka haben zwar keine offizielle weitere Indikation, werden aber aufgrund ihres pharmakologischen Profils und vorhandener orientierender klinischer Erfahrungen als Arzneistoffe angesehen, die neben der offiziell zugelassenen Indikation auch noch Wirksamkeit hinsichtlich anderer Syndrome haben. Man könnte fast sagen, dass es häufig eine relativ willkürliche beziehungsweise nach außerwissenschaftlichen Gesichtspunkten getroffene Entscheidung einer pharmazeutischen Firma ist, ob zum Beispiel eine Substanz mit einem für ein Antipsychotikum charakteristischen pharmakologischen Wirkungsmechanismus primär in der Indikation Schizophrenie/psychotische Erkrankung entwickelt wird oder ob man primär und dann möglicherweise ausschließlich die Indikation Manie/bipolare Erkrankung anstrebt. Kompliziert wird es mit der Benennung, wenn ein Psychopharmakon in den USA die Indikation Schizophrenie und Manie hat, in Europa aber nur die Indikation Manie.

Im klinischen Alltag ergeben sich dadurch insbesondere für den Patienten missverständliche Situationen. Zum Beispiel erhält ein Patient, der an einer Angsterkrankung leidet, ein Arzneimittel, das als Antidepressivum bezeichnet wird, was den Patienten verwirrt, da er ja keine Depression hat. Oder ein Patient mit einer therapierefraktären Depression bekommt zusätzlich zum Antidepressivum im Rahmen einer Augmentationsstrategie ein Antipsychotikum, um ein besseres therapeutischen Ansprechen zu erreichen. Die Tatsache, dass der Patient ein Antipsychotikum erhält, lässt ihn vermuten, dass er eine viel schlimmere Erkrankung hat als eine Depression, nämlich eine Psychose. Termini wie „second generation antipsychotics“, „atypische Neuroleptika“ und „moderne Antidepressiva“ oder „Antidepressiva der dritten Generation“ werden zunehmend wegen ihrer unzureichend definierten Bedeutung nicht als wissenschaftliche Bezeichnung akzeptiert und obendrein kritisch als eher Marketing-bezogen gesehen.

Diese und viele andere Probleme lassen sich vermeiden, wenn man Psychopharmaka nicht indikationsbezogen benennt, sondern einheitlich nach ihren pharmakologischen Wirkprinzipien, wie dies zum Beispiel auch in der internistischen Hypertonie-Therapie der Fall ist. Ziel der neuentwickelten „Neuroscience based Nomenclature“ (NbN) ist es, die dargestellte Problematik [1] einer solchen Lösung zuzuführen.

NbN wurde entwickelt von einer Expertengruppe, die in Kooperation mit mehreren internationalen psychopharmakologischen Fachgesellschaften einberufen wurde. Den Anstoß gab 2008 das ECNP (European College of Neuropsychopharmacology) unter der Präsidentschaft von Prof. Joseph Zohar, der auch die Expertengruppe im weiteren Verlauf leitete. CINP (Collegium Internationale Neuropsychopharmacologicum, heute in Englisch: International College of Psychopharmacology), ACNP (American College of Neuropsychopharmacology) und AsCNP (Asian College of Neuropsychopharmacology) beteiligten sich von Anfang an intensiv an diesem Projekt und entsandten ihre Repräsentanten. Die Teilnahme der IUPHAR (International Union of Basic and Clinical Pharmacology) sorgt für die Einbettung in das Gesamtgebiet der Pharmakologie. Von Anfang an wurde nicht angestrebt, von Vornherein ein „perfektes“ System vorzulegen – das hätte zu lange gedauert, alle Beteiligten waren aber an einer schnelleren Lösung interessiert –, sondern es sollte versucht werden, in einem ersten Entwurf die Grundprinzipien und Detailaspekte darzustellen. Dieser Entwurf sollte dann durch die eingehenden Feedbacks von Kollegen wie auch durch weitere konzeptuelle und inhaltliche Arbeit der Expertengruppe optimiert werden. Dieses Grundprinzip besteht auch weiterhin, das heißt, auch die jetzige Version soll weiter optimiert werden.

Nach mehreren Jahren publizierte die Gruppe [4] erstmals „A proposal for an updated neuropsychopharmacological nomenclature“ (ein Beispiel für die dort verwendete Systematik siehe Kasten „Entwicklung der Neuroscience based Nomenclature [NbN]“). Dieser Vorschlag fand, unter anderem bei Präsentationen auf verschiedenen nationalen und internationalen Fachkongressen in verschiedenen Regionen der Welt, guten Anklang und konstruktive Kritik. Darauf basierend wurde eine revidierte Version [5] ausgearbeitet, die in publizierten Reviews positive Resonanz fand.

Entwicklung der Neuroscience based Nomenclature (NbN)

Beispiel: Multiaxiale Klassifizierung von Agomelatin im ersten Vorschlag einer NbN [4]

Achse 1

Klasse: Melatonin, Serotonin

Relevanter Mechanismus: Rezeptoragonist und -antagonist

Achse 2

Familie: MT1- und MT2-Rezeptoragonist, 5-HT2C-Rezeptorantagonist

Achse 3

Neurobiologische Wirkung

Tier

Mensch

Neurotransmittereffekte

Erhöhtes extrazelluläres Dopamin (DA) und Noradrenalin (NE) im Präfrontalkortex; kein Effekt auf DA im Nucl. accumbens

Unbekannt

Zentrale Schaltkreise

Modifiziert die Funktion des Nucl. suprachiasmaticus; erhöhte die DA-Aktivität in mesolimbischen und mesokortikalen Bahnen

Präfrontalkortex, Hippocampus, Amygdala (fMRI)

Physiologisch

Erhöht die DA-Transmission zu 5-HT-Neuronen der dorsalen Raphekerne; erhöhte 5-HT-Feuerungsrate und 5-HT1A-Transmission im Hippocampus; kehrt die verminderte Neurogenese infolge von pränatalem Stress um; Resynchronisation zirkadianer Rhythmen; erhöhte Neuroplastizität

Phasenverschiebung zirkadianer Rhythmen; Keine Veränderung der Schlafarchitektur, insbesondere keine Zunahme von Deltaschlaf (Slow-Wave-Sleep), wie er mit 5-HT2-Antagonisten zu erwarten wäre

Achse 4

Wirksamkeit und relevante („major“) Nebenwirkungen: Angstsymptome.
Seltene Fälle transienter Leberwerterhöhung; wenig Einfluss auf die Sexualfunktion

Achse 5

Zugelassene Indikationen: Major Depression („Major depressive disorder“)

Grundprinzipien und Detailaspekte der NbN

Das System der NbN soll folgende Erwartungen erfüllen:

  • Es soll den aktuellen Wissensstand widerspiegeln
  • Es soll Ärzten für alle Schritte der klinischen Entscheidungsfindung eine rationale Grundlage bieten
  • Es soll ein System bieten, das nicht mit der Anwendung der Arzneistoffe in Widerspruch steht
  • Es soll zukunftsorientiert sein und neue Substanzen integrieren können

Inzwischen liegt eine erste umfangreiche Fassung der NbN als Buch vor [5]. Auch wenn man Terminologie/Nomenklatur gern im Buchformat sieht – unterstreicht dies doch die erwartete Stabilität einer solchen Systematik –, so entsprach das Buchformat nicht der oben dargestellten Konzeption, dass die NbN sich auf der Basis von Rückmeldungen der Kollegen ständig weiterentwickeln soll und somit ein kontinuierliches „work in progress“ bleibt. Die Notwendigkeit der Verbesserung erwies sich trotz vieler positiver Rückmeldungen nach Erscheinen des Buchs erwartungsgemäß als erforderlich. Um dem lebendigen Charakter des Projekts besser Rechnung zu tragen und obendrein die bestehende Version praktikabler für den alltäglichen klinischen Gebrauch werden zu lassen, wurde eine App entwickelt [6], die für jeden frei zugänglich ist unter der Adresse: https://itunes.apple.com/us/app/nbn-neuroscience-based-nomenclature/id927272449?mt=8.

Das im Buch und auf dieser App anfänglich dargestellte NbN-System wurde dann im weiteren Verlauf kontinuierlich ergänzt und verbessert. Obendrein sind Übersetzungen in mehrere Sprachen (u.a. Spanisch, Japanisch, ggf. später auch Deutsch) in Arbeit oder werden angestrebt. Jeder, der diese App nutzt, sollte Kritikpunkte melden beziehungsweise Anregungen geben, um das System weiter zu optimieren.

NbN ist ein pharmakologisch orientiertes System, das auf pharmakologische Domänen und Mechanismen fokussiert. Es enthält in der Buchversion 108 Arzneistoffe, in der App-Version wurden inzwischen weitere Arzneistoffe integriert.

Elf pharmakologische Domänen wurden identifiziert und dem System zugrunde gelegt. Diese pharmakologischen Domänen reflektieren den aktuellen Wissensstand hinsichtlich Neurotransmittern/Molekülen, die durch Psychopharmaka beeinflusst werden (Tab. 1).

Hinsichtlich der pharmakologischen Domänen wird berücksichtigt, dass Arzneistoffe auf mehr als ein System Wirkung haben können. In solchen Fällen werden die relevanten Domänen in hierarchischer Weise aufgeführt.

Tab. 1a. Pharmakologische Domänen, die dem NbN-System zugrunde liegen [5, 6; http://nbnomenclature.org]

1.

Acetylcholin

2.

Dopamin

3.

GABA

4.

Glutamat

5.

Histamin

6.

Ionenkanal

7.

Lithium-artig

8.

Melatonin

9.

Noradrenalin

10.

Opioid

11.

Serotonin

Tab. 1b. Pharmakologische Domänen mit ergänzenden Informationen zu häufigen Kombinationen (multimodal/multifunktional)

Dopamin

2a: Dopamin, Noradrenalin

2b: Dopamin, Serotonin

2c: Dopamin, Serotonin, Noradrenalin

Glutamat

4a: GABA, Glutamat, Dopamin

Ionenkanal

6a: Ca2+-Kanal

6b: Na+-Kanal

6c: Na+-,Ca2+-Kanal

Noradrenalin

9a: Noradrenalin, Serotonin

9b: Noradrenalin, Serotonin, Dopamin

Serotonin

11a: Serotonin, Dopamin

11b: Serotonin, Melatonin

11c: Serotonin, Noradrenalin

In Ergänzung zu den pharmakologischen Domänen werden die pharmakologischen Mechanismen berücksichtigt. Basierend auf den ursprünglich einbezogenen 108 Arzneistoffen wurden zehn Wirkungsmechanismen identifiziert (Tab. 2).

Tab. 2. Pharmakologische Wirkungsmechanismen, die dem NbN-System zugrunde liegen [5, 6; http://nbnomenclature.org]

1.

Rezeptoragonist

2.

Partieller Rezeptoragonist (Partialagonist)

3.

Rezeptorantagonist

4.

Wiederaufnahmehemmer

5.

Wiederaufnahmehemmer und Freisetzungsförderer (Releaser)

6.

Wiederaufnahmehemmer und Rezeptorantagonist

7.

Enzymhemmer

8.

Ionenkanalblocker

9.

Positiver allosterischer Modulator

10.

Enzymmodulator

Wenn eine Substanz mehr als einen Wirkungsmechanismus hat, wird sie als multimodal (MM) bezeichnet.

Zusätzlich zur pharmakologischen Beschreibung des Arzneistoffs enthält NbN vier weitere Kategorien:

  • Zugelassene Indikation: Basierend auf den Empfehlungen der großen Zulassungsbehörden (FDA, EMA usw.)
  • Wirksamkeit und Nebenwirkungen: Neben Daten, die die Indikation stützen, sollen hier unter anderem Ergebnisse dargestellt werden, die eine zusätzliche Indikation nahelegen würden, zum Beispiel diesbezügliche Hinweise aus Leitlinien der evidenzbasierten Medizin
  • „Practical notes“: Ergänzendes relevantes klinisches Wissen, das sich in den Diskussionen der Taskforce ergab
  • Neurobiologie: Relevante Ergebnisse aus präklinischer und insbesondere klinischer Forschung

Wie kann man die NbN anwenden?

Die App macht das NbN-System besser praktisch anwendbar als die Buchform. Sie eröffnet verschiedenen Möglichkeiten des Zugangs und der Verknüpfungen [6]. Nur einige können hier erwähnt werden.

Man kann zum Beispiel mit einem Begriff der traditionellen Terminologie beginnen und diesen in das NbN-System „übersetzen“. Man erkennt dann, dass NbN tradititionelle indikationsbezogene Begriffe wie „Antidepressiva“ vermeidet. Stattdessen wird die Kategorie „drugs for depression“ verwendet. In der Kategorie „approved indication for depression“ finden sich dann nicht nur Antidepressiva (im Sinne der bisherigen Terminologie), sondern auch einige Antipsychotika (im Sinne der bisherigen Terminologie). Hier scheint die neue Nomenklatur noch nicht radikal genug geändert; denn im Sinne des konzeptuellen Ansatzes des NbN sollten auch Letztere unter „drugs for depression“ aufgeführt werden. Sie sind bei einer ungebiasten, nicht durch die traditionelle Terminologie beeinflussten Betrachtungsweise „drugs for psychosis“ wie auch „drugs for depression“. Einige Limitierungen dieser und anderer Art finden sich leider in der aktuellen Version der NbN und legen weiteren Diskussions- und Handlungsbedarf nahe.

Man kann nach einem bestimmten Arzneimittel suchen, indem man entweder den generischen Substanznamen oder den Handelsnamen eingibt. Möglich ist auch die Suche unter pharmakologischen Aspekten wie „mode of action“ oder nach zugelassener Indikation. All dies kann auch kombiniert werden. Zum Beispiel kann man nach allen Arzneistoffen suchen, die für die Indikation „major depressive disorder“ zugelassen sind und deren primärer pharmakologischer Angriffspunkt „norepinephrine“ (Noradrenalin) ist. Wenn eine bestimmte Substanz identifiziert worden ist, kann man sich alle Medikamente mit gleicher pharmakologischer Charakteristik auflisten lassen.

Bei der „Übersetzung“ von in Publikationen in traditioneller Terminologie dargestellten Medikamenten in die NbN fiel auf, dass die einzelnen Arzneistoffe keine Probleme bereiteten, aber die Arzneistoffgruppen (Antidepressiva, Antipsychotika, Mood-Stabilizer u.a.). Um dieses Problem zu lösen, entwickelte die Taskforce ein Glossar. Wenn zum Beispiel eine Medikation zur Behandlung von Angststörungen (traditionelle Bezeichnung „Anxiolytika“) erwähnt ist, muss nach den verschiedenen pharmakologischen Mechanismen differenziert werden: GABA-PAM (Positive allosteric modulator), 5-HT1A-Rezeptor-Partialantagonist (Buspiron), Calciumkanalblocker (Gabapentin, Pregabalin), Histamin-Rezeptorantagonist (Hydroxyzin), und es muss geklärt werden, ob alle oder nur einer dieser Arzneistoffe gemeint sind. Wenn von Antipsychotika gesprochen wird, muss in analoger Weise das Spektrum der pharmakologischen Mechanismen berücksichtigt werden (Tab. 3).

Tab. 3. Übersetzung des indikationsbezogenen Begriffs „Antipsychotika“ in die NbN-Systematik [6; http://nbnomenclature.org]

Pharmakologische Domäne

Wirkungsmechanismus

Arzneistoff(e)

Dopamin

Rezeptorantagonist (D2)

Flupentixol, Fluphenazin, Haloperidol, Perphenazin, Pimozid, Sulpirid, Trifluoperazin, Zuclopenthixol

Amisulprid

Dopamin, Serotonin

Rezeptorantagonist
(D2, 5-HT2)

Chlorpromazin, Thioridazin

Iloperidon, Loxapin, Lurasidon, Olanzapin, Sertindol, Ziprasidon, Zotepin

Dopamin, Serotonin

Rezeptor-Partialantagonist
(D2, 5-HT1A)

Aripiprazol

Dopamin, Serotonin, Noradrenalin

Rezeptorantagonist
(D2, 5-HT2, NEalpha-2)

Asenapin, Clozapin, Risperidon, Paliperidon

Multimodal; Rezeptorantagonist (D2, 5-HT2) und Wiederaufnahmehemmer (NET) (Metabolit)

Quetiapin

Alle Wirkstoffe sind zusätzlich gekennzeichnet durch die Indikation und durch die weiteren im Text genannten Kategorien (Wirksamkeit und Nebenwirkungen, „practical notes“, Neurobiologie).

Diese „Übersetzungen“ sind wichtig, damit die neue Nomenklatur wirklich Akzeptanz findet. Sie machen deutlich, dass die NbN bei bestimmten Psychopharmakagruppen in der Formulierung umständlicher ist, da man die einzelnen dazugehörenden pharmakologischen Untergruppen auflisten muss, dafür erhöht sich aber auch die Präzision. Auch kann man statt einer breit und obendrein unpräzise definierten Obergruppe gegebenenfalls auf die in dem Kontext relevante Untergruppe fokussieren.

Inzwischen werden die Vorteile der NbN von vielen erkannt. Dies drückt sich insbesondere in der hohen Akzeptanz durch mehrere englischsprachige, auch hochrangige Psychopharmaka- bzw. Psychiatrie-Zeitschriften aus. Diese haben in Editorials öffentlich erklärt, dass sie die neue Nomenklatur für ihre Zeitschrift verpflichtend machen. Dazu gehören unter anderem die Zeitschriften der an dem Projekt beteiligten internationalen Fachgesellschaften.

Schlussbemerkungen

Die neue Nomenklatur umgeht durch Abkehr von den indikationsbezogenen Bezeichnungen viele Probleme der traditionellen Terminologie [6]. Sie ist enger mit dem pharmakologischen Grundlagenwissen verbunden, dadurch präziser und inhaltsvoller. Die auf Wirkorte/Wirkungsmechanismen bezogenen Bezeichnungen lassen theoretisch begründete Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit in bestimmten Indikationsbezeichnungen zu, auch wenn diese für die jeweilige Substanz noch nicht durch Wirksamkeitsstudien oder gar durch eine Zulassung bewiesen sind. Die Systematik ist so angelegt, dass neue Psychopharmaka mit ähnlichen oder neuen Wirkungsmechanismen sinnvoll und problemlos ergänzt werden können. Einschränkungen ergeben sich dadurch, dass nicht für alle Psychopharmaka eine ausreichende Kenntnis der zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen besteht.

Wie immer, wenn sich eine Nomenklatur ändert, wird es Zeit brauchen, bis sich eine neue Routine eingeschliffen hat und eine breite Akzeptanz erreicht worden ist [7]. Die positiven Reaktionen mehrerer internationaler wissenschaftlicher Zeitschriften des Fachgebiets lassen erkennen, dass die Bereitschaft zu diesem grundlegenden Wechsel groß ist. Trotzdem werden wir uns auch bei größter Bereitschaft zum Umlernen noch über lange Zeit dabei ertappen, dass die alten Termini sich vordrängen und dann in einem rationalen Kraftakt durch die neuen ersetzt werden müssen.

Interessenkonflikterklärung

HJM: In den letzten drei Jahren Vortrags- bzw. Beratungshonorare der Firmen Servier, Lundbeck, Lilly, Schwabe. Nichtfinanzieller Interessenkonflikt: Mitarbeit in der NbN taskforce.

SK: In den letzten drei Jahren Forschungsfördermittel, Beratungs- und Vortragshonorare erhalten von Angelini, AOP Orphan Pharmaceuticals AG, AstraZeneca, Eli Lilly, Janssen, KRKA-Pharma, Lundbeck, Neuraxpharm, Pfizer, Pierre Fabre, Schwabe and Servier. Nichtfinanzieller Interessenkonflikt: president elect CINP.

Literatur

1. Nutt DJ. Beyond psychonaleptics – can we improve antidepressant drug nomenclature? J Psychopharmacol 2009;23:861.

2. WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology, WHO Collaborating Centre for Drug Utilization Research Clinical Pharmacological Services, 2003. Introduction to Drug Utilization Research/WHO International Working Group for Drug Statistics Methodology. Oslo, Norway.

3. WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology, 2014. Guidelines for ATC Classification and DDD assignment 2015, Oslo.

4. Zohar J, Nutt DJ, Kupfer DJ, Moller H-J, et al. A proposal for an updated neuropsychopharmacological nomenclature. Eur Neuropsychopharmacol 2014;24:1005–14.

5. Zohar J, Stahl S, Moller H-J, Blier P, et al. Nb-Nomenclature – Neuroscience based Nomenclature (NbN). Cambridge: University Press, 2014.

6. Zohar J, Stahl S, Moller H-J, Blier P, et al. A review of the current nomenclature for psychotropic agents and an introduction to the neuroscience-based nomenclature. Eur Neuropsychopharmacol 2015;25:231–25.

7. Zohar J, Kasper S. Neuroscience-based nomenclature (NbN): A call for action. World J Biol Psychiatry 2016;17:318–20.


Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München, E-Mail: Hans-Juergen.Moeller@med.uni-muenchen.de

O. Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kasper, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, Österreich

Neuroscience based nomenclature (NbN) for psychotropic medications – an important new development

In the recent years a new nomenclature for psychotropic medications was developed by the international psychopharmacological societies. This nomenclature avoids several problems of the traditional terminology, which was primarily indication-related. The Neuroscience based Nomenclature (NbN) is primarily related to domains and mechanism of action and reaches higher degree of precision under several aspects.

Key words: Psychotropic medications, terminology, nomenclature, neuroscience

Psychopharmakotherapie 2017; 24(01)