Pharmakogenetik

Für eine bessere Prognose medikamentöser Response


Reimund Freye, Baden-Baden

Biomarker werden zunehmend in verschiedenen medizinischen Bereichen eingesetzt: diagnostisch, um bestimmte Erkrankungen zu detektieren; sodann prognostisch, um das spezifische Risiko des Patienten zu bestimmen, wonach die therapeutischen Maßnahmen ausgewählt werden. Schließlich können aber auch prädiktive Marker bestimmt werden, um das Ansprechen des Patienten auf bestimmte Therapeutika möglichst genau vorherzusagen. Es gibt aktuell Tests, mit denen ein individuelles pharmakogenetisches Profil erstellt wird, welches Aufschluss über die Metabolisierung eines bestimmten Arzneistoffs gibt. Daraus kann der Arzt schlussfolgern, mit welchem Ansprechen er bei einer bestimmten Substanz rechnen darf.

In der Onkologie gehören Biomarker mittlerweile zur Routine. Hier gibt es zahlreiche Arzneimittel, deren Zulassung an bestimmte Treibermutationen gebunden ist, weil sie wirkmechanistisch genau diese Genvariante adressieren.

Indikationsübergreifend weiß man mittlerweile von 20 Gen-Aberrationen, die Einfluss auf mindestens 80 Arzneistoffe und deren Wirkung haben [3]. Dies wird wahrscheinlich in näherer Zukunft dazu führen, dass die EMA zu jedem Arzneimittel auch pharmakogenomische Informationen fordert. Diese Hinweise werden sich meist auf die Pharmakokinetik, also vor allem den Abbau der Substanzen im Körper, beziehen [2]. Pharmakogenetische Varianten gibt es hier zum Beispiel in Form eines Poor oder Rapid (oder sogar Ultra Rapid) Metabolizers. Dabei ist mit unterschiedlichen Effektgrößen der assoziierten genetischen Eigenschaften auf die Wirkungs- und Nebenwirkungsrate zu rechnen (siehe Kasten).

Ein Beispiel aus der Immunologie

Bei etwa 10% der Patienten besteht durch einen genetischen Polymorphismus eine verminderte Aktivität des Enzyms Thiopurin-Methyltransferase (TPMT). Insbesondere bei homozygoten Merkmalsträgern ist der Abbau des Immunsuppressivums Azathioprin beeinträchtigt, sodass ein höheres Risiko für myelotoxische Wirkungen besteht. Daher wird eine Testung auf TPMT-Mangel prätherapeutisch zumindest bei hochdosierter Azathioprin-Therapie sowie bei rascher Verschlechterung des Blutbilds empfohlen. Allerdings werden diese Tests bislang nur von wenigen Labors angeboten und sind außerdem noch nicht sehr zuverlässig. Deswegen ist eine engmaschige Überwachung des Blutbilds erforderlich.

Pharmakokinetik-Biomarker in der Psychiatrie

Die Metabolisierung etlicher psychiatrisch verwendeter Arzneistoffe erfolgt über Abbauwege des Cytochrom-P450-(CYP-)Systems. Gen-Polymorphismen können hier vor allem dann Probleme bereiten, wenn die Metabolisierung eines Arzneistoffs hauptsächlich über ein CYP-Enzym erfolgt. Wenn ein Wirkstoff unerwartet rasch abgebaut wird, spricht der Patient nicht auf die Therapie an. Wird der Arzneistoff hingegen zu langsam metabolisiert, führt dies zu einem eklatanten Anstieg der Nebenwirkungen.

Die Wahrscheinlichkeit für pharmakokinetisch bedingte Nebenwirkungen ist geringer, wenn mehrere CYP-Enzyme zur Metabolisierung beitragen. So wird etwa Escitalopram zu 37% über CYP2C19 metabolisiert, zu 35% über CYP3A4 und zu 27% über CYP2D6.

Individueller Test erstellt pharmakogenetisches Profil

Inzwischen stehen mehrere Untersuchungsmöglichkeiten zur pharmakogenetischen Diagnostik zur Verfügung. Ein Beispiel ist der in den USA angebotene GeneSightRX-Test. In einer Genprobe des Patienten werden verschiedene enzymatische Abbauwege des CYP-Systems auf genetische Abweichungen geprüft, ebenso Genvarianten von Serotonin-Rezeptoren und -Transportern im Gehirn. Daraus wird eine farbkodierte Risiko-Stratifikation des Patienten erstellt. Grün signalisiert eine normale Funktionalität, Gelb weist auf Einschränkungen hin und bei Rot ist eine erhöhte Achtsamkeit mit häufigeren Kontrollen geraten. Jeder Farbe wird beim individuellen Patienten eine Liste psychiatrischer Arzneistoffe zugeordnet. Der Arzt weiß nun also, welche Präparate er bei diesem Patienten unbedenklich geben kann, und bei welchen er mit Problemen rechnen muss.

Validiert wurde diese Vorgehensweise in drei Studien, in denen therapieresistente Depressionspatienten mit GeneSightRX getestet wurden. Die Testergebnisse wurden dem Behandler entweder sofort mitgeteilt – als Grundlage für weitere Therapieentscheidungen, zum Beispiel Dosisanpassung oder Umstellung – oder erst nach acht bis zehn Wochen. In diesem Zeitraum konnte der Behandler die Therapie nach eigenem Ermessen ändern [1]. Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der Wirksamkeit, gemessen mit der Hamilton-Depressionsskala (HAMD17-Score), zumindest zwischen der grün-gelben und der roten Kohorte (p=0,003), in dem Sinne, dass bei Patienten, die ein für sie problematisches Antidepressivum („rot“) erhielten, die therapeutische Wirkung erheblich eingeschränkt war. Dies kann direkt auf mangelnde Wirksamkeit oder auch auf Nicht-Einnahme aufgrund starker Nebenwirkungen zurückgeführt werden.

Im direkten Vergleich der beiden Gruppen war in der testgeleiteten Kohorte eine 2,3-mal so hohe Chance für klinisches Ansprechen zu verzeichnen (p=0,004) und im HAMD17-Score war eine um 53% höhere Verbesserung zu sehen als bei der ungeleiteten Behandlung (p=0,0002). Eine weitere Folge der testgeleiteten Medikation war eine signifikant höhere Adhärenz (p<0,0001). Dadurch konnten 1035 Dollar an Arzneimittelkosten pro Jahr eingespart werden [4]. Rechnet man außerdem noch andere Kosten im Gesundheitssystem dazu wie Ausfälle bei der Arbeitsfähigkeit, kommen die Studienautoren auf geschätzte Einsparungen von 3200 Dollar pro Jahr und Patient [1].

Quelle

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ingolf Cascorbi, Universität Kiel, Dr. C. Anthony Altar, Ph.D., Ohio, USA, Symposium „S-192: Pharmacogenetics: Recommendations, implementation and perspectives“, veranstaltet im Rahmen des DGPPN Kongresses 2016, Berlin, 25. November 2016.

Literatur

1. Altar CA, et al. Clinical utility of combinatorial pharmacogenomics-guided antidepressant therapy: Evidence from three clinical studies. Mol Neuropsychiatry 2015;1:145–55.

2. Ehmann F, et al. Pharmacogenomic information in drug labels: European Medicines Agency perspective. Pharmacogenomics J 2015;15:201–10.

3. Relling MV, et al. Pharmacogenomics in the clinic. Nature 2015;526:343–50.

4. Winner JG, et al. Combinatorial pharmcogenomic guidance for psychiatric medications reduces overall pharmacy costs in a 1 year prospective evaluation. Curr Med Res Opin 2015;31:1633–43.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(01)