Notfälle bei bipolaren Störungen

Expertenkonsensus zum Assessment und Management der Agitation


Wolfgang Zimmermann, München

Psychomotorische Agitation als Notfallsituation im Rahmen einer bipolaren Störung erfordert eine differenzierte, schweregradgeleitete Behandlung. Orientierung bietet ein unlängst publizierter Expertenkonsensus zum Management von Agitation in der Psychiatrie, der bei einem Symposium der Firma Trommsdorff im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS) vorgestellt wurde.

Nehmen Patienten einen ärztlichen Notdienst in Anspruch, dann in 12 bis 25% der Fälle aufgrund eines psychiatrischen Notfalls. Im Rahmen der Erstversorgung werden psychische Störungen in primär nicht psychiatrisch ausgerichteten Institutionen und Kliniken häufig nicht richtig erkannt und nicht angemessen behandelt. Dabei erfordert nicht jede Krise eine Unterstützung, so zum Beispiel eine situative, vom Betreffenden in der Regel selbst zu bewältigende Belastungssituation. Pathologische Krisen, in denen die individuellen Bewältigungsstrategien zusammenbrechen, bedürfen hingegen psychotherapeutischer Maßnahmen, wenn auch ohne Zeitdruck. Sofortiges Handeln im Rahmen einer ärztlichen Notfallbehandlung ist nötig in Belastungssituationen, die mit einer Gefährdung von Leben und Gesundheit einhergehen. Zu den wichtigsten Notfallsituationen gehören Delir (Alkoholentzugssyndrom), akute Erregtheit (Psychose), schwere Intoxikation und ein beabsichtigter oder erfolgter Suizidversuch.

Bei psychiatrischen Notfällen aufgrund von bipolaren Störungen ist auch an Risikofaktoren wie organische Erkrankungen, psychiatrische Komorbiditäten und psychosoziale Belastungen zu denken. In der Häufigkeitsskala psychosozialer Probleme vor der korrekten Diagnosestellung stehen Beziehungs-, Arbeits-/schulbezogene Probleme und Substanzmissbrauch an erster Stelle, gefolgt von finanziellen Schwierigkeiten und gesundheitlichen Problemen. Die aktuelle S3-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen der DGBS und DGPPN, Langversion 1.4 von 2012, listet unter den Risikofaktoren für schwere Verläufe mit häufig wiederkehrenden Episoden auf: junges Erkrankungsalter, weibliches Geschlecht, gemischte Episoden, schwerwiegende Lebensereignisse, psychotische Symptome, insuffizientes Ansprechen auf die phasenprophylaktische Therapie und Rapid Cycling.

Expertenkonsensus zur Behandlung der psychomotorischen Agitation

Mit einer Prävalenz von über 10% gehören Agitation und Aggression zu den häufigsten medizinischen Notfallsituationen in der Psychiatrie. Etwa 30% dieser Patienten leiden an einer bipolaren Störung. Jetzt publizierten 24 international ausgewiesene Experten aus 13 Ländern erstmals ein 22 Punkte umfassendes Konsensuspapier zum Assessment und Management von psychomotorischer Agitation [1]. Demnach stehen im Management der psychomotorischen Agitation Maßnahmen der verbalen Deeskalation und Reizreduktion bei leichten Formen im Vordergrund vor medikamentösen Interventionen bei mittelschweren und Zwangsmaßnahmen als Ultima Ratio bei schweren Ausprägungen. Eine ideale pharmakologische Behandlung sollte nach Expertenkonsensus beruhigend wirken, ohne übermäßig zu sedieren. Die orale oder inhalative Applikationsform von Antipsychotika sei einer i.m. Verabreichung vorzuziehen und die i.v. Injektion zu vermeiden.

Seit 2013 steht in Deutschland Loxapin (Adasuve®) als inhalatives Aerosol zur Verfügung, das eine rasche, nicht übersedierende Wirkung und gute Verträglichkeit aufweist. Nach Empfehlung der Experten bieten sich inhalative Antipsychotika an, wenn eine möglichst schnelle Wirkung erzielt werden muss.

Quelle

Prof. Dr. med. Martin Schäfer, Essen, Priv.-Doz. Dr. Thomas Messer, Pfaffenhofen, Symposium „Notfälle bei bipolaren Störungen“, veranstaltet von Trommsdorff im Rahmen der 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS), Chemnitz, 16. September 2016.

Literatur

1. Garriga M, et al. Assessment and management of agitation in psychiatry: Expert consensus. World J Biol Psychiatry 2016;17:86–128.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(01)