Psychopharmakotherapie bei gerontopsychiatrischen stationären Patienten


Werden die Empfehlungen der PRISCUS-Liste umgesetzt?

Stefan Poljansky, Kerstin Sander, Sissi Artmann, Wasserburg am Inn, und Gerd Laux, Haag i. OB/München

Einleitung: Bedingt durch Multimorbidität und Polypharmazie verbunden mit Einschränkungen der renalen und hepatischen Funktion sind ältere Patienten anfälliger für durch Medikamente ausgelöste Nebenwirkungen. Für den deutschen Sprachraum wurde daher 2010 die sogenannte PRISCUS-Liste veröffentlicht, in der insgesamt 83 Arzneistoffe als potenziell inadäquat für ältere Patienten bewertet wurden. Ziel der vorliegenden Studie war es, für den Bereich der gerontopsychiatrischen stationären Versorgung anhand einer Stichprobe das tatsächliche Verordnungsverhalten von Psychopharmaka diagnosespezifisch abzubilden, Häufigkeiten der Verschreibung potenziell inadäquater Medikation anzugeben sowie die Empfehlungen der PRISCUS-Liste dem tatsächlichen Verordnungsverhalten gegenüberzustellen. Methoden: Es erfolgte eine Analyse mittels Auswertung von Daten der Basisdokumentation in der Psychiatrie (BADO) von gerontopsychiatrischen Patienten, die zwischen 2008 und 2012 in zwei Bezirkskrankenhäusern stationär behandelt wurden. Ergebnisse: In die Analyse gingen Daten von 8324 Patienten ein. Die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva und Antidementiva erfolgte in großer Übereinstimmung mit den Empfehlungen der PRISCUS-Liste. Hingegen fanden bei der antipsychotischen Therapie mit Haloperidol und Olanzapin auch Wirkstoffe, die in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikation (PIM) genannt werden, gehäuft Verwendung (Platz 3 und 4 der Verordnungshäufigkeit antipsychotischer Medikamente in der Gesamtgruppe aller Patienten). Seltener, jedoch mit einer Verordnungshäufigkeit von 1,7% in der Gesamtgruppe aller Patienten wurde auch das in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführte antipsychotische Reservemedikament Clozapin angewandt. Bei 91% der Patienten, die ein als PIM klassifiziertes Psychopharmakon während ihres stationären Aufenthalts erhalten hatten, war zum Entlasszeitpunkt eine Besserung ihres Zustands eingetreten. Diskussion: Aufgrund klinikspezifischer Verordnungsmuster erlaubt vorliegende Untersuchung keine Verallgemeinerung der Aussagen auf die Gesamtheit der Verordnungen in Deutschland. Inwieweit die PRISCUS-Liste für den in der Gerontopsychiatrie tätigen Arzt wirklich hilfreich ist, kann diskutiert werden. Wesentliche Bausteine der Psychopharmakotherapie wie therapeutisches Drug-Monitoring, Vermeidung von Polypharmazie sowie Beachtung von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Grunddaten der verordneten Präparate dürfen jedoch neben der Beachtung von Medikamenten-Listen nicht außer Acht gelassen werden.
Schlüsselwörter: PRISCUS-Liste, potenziell inadäquate Medikation, Gerontopsychiatrie.
Psychopharmakotherapie 2015;22:153–64.

Ein zunehmendes Alter der Gesamtbevölkerung sowie eine damit einhergehende Multimorbidität stellen wachsende Anforderungen an das deutsche Gesundheitssystem. Bedingt durch die Multimorbidität steigt zudem die Anzahl der dem einzelnen Patienten verordneten Medikamente. Gerade ältere Menschen sind jedoch – ausgelöst durch oftmals vorhandene Einschränkungen der renalen und hepatischen Funktion, verbunden mit weiteren internistischen sowie orthopädischen Grunderkrankungen – anfälliger für durch Medikamente ausgelöste Nebenwirkungen [4, 27]. Es wurden daher als Empfehlungen für die Therapie älterer Patienten Listen mit potenziell inadäquaten Medikamenten (PIM) oder potenziell inadäquaten Substanzklassen erstellt, welche zum Teil auch das landesspezifische Verordnungsverhalten sowie die landesspezifische Verfügbarkeit und Zulassung von Medikamenten berücksichtigen [2, 3, 8, 10, 11, 13–15, 19].

Für den deutschen Sprachraum wurde 2010 die sogenannte PRISCUS-Liste veröffentlicht (lat. priscus: alt, altehrwürdig), in der insgesamt 83 Arzneistoffe aus 18 Arzneistoffklassen als potenziell inadäquat für ältere Patienten bewertet wurden [11].

Die hohe Bedeutung des Themas PIM für die Gerontopsychiatrie wird dadurch klar, dass bei einer Erhebung von 1-Jahres-Prävalenzen von PIM bei mindestens 65 Jahre alten gesetzlich Versicherten für das Jahr 2007, also vor Publikation der PRISCUS-Liste, in der dortigen Studienpopulation 25,0% der Personen mindestens eine PIM-Verordnung erhalten hatten, wobei Amitriptylin den Wirkstoff mit der höchsten Prävalenz darstellte und Platz 3 und 4 mit Tetrazepam und Oxazepam ebenfalls von Psychopharmaka eingenommen wurden [1].

Unklar ist jedoch bisher, wie sich die auf pharmakologischen Überlegungen basierenden Empfehlungen der PRISCUS-Liste in der stationär psychiatrischen Verordnungsrealität niederschlagen.

Ziel der hier vorgelegten Studie ist es, das tatsächliche Verordnungsverhalten von PIM bei stationären gerontopsychiatrischen Patienten an einem großen Patientenkollektiv diagnosespezifisch abzubilden, Häufigkeiten der Verschreibung potenziell inadäquater Medikation anzugeben sowie diagnosespezifisch die Empfehlungen der PRISCUS-Liste dem tatsächlichen Verordnungsverhalten gegenüberzustellen.

Hierzu soll zuerst die Methodik bei der Erstellung der PRISCUS-Liste skizziert werden [11]. Es waren hierzu vier internationale, im Zeitraum 1997 bis 2007 veröffentlichte Arbeiten zu potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen analysiert worden [3, 8, 13, 14]. Nach einer weiteren Literaturrecherche war von den Autoren dann eine vorläufige, an den deutschen Arzneimittelmarkt angepasste Liste potenziell inadäquater Medikamente für ältere Menschen erstellt worden, welche 131 Arzneistoffe enthielt. Mittels der Methode einer Expertenbefragung (Delphi-Methode) wurden in zwei Expertenrunden letztlich 26 Arzneimittel als nicht potenziell inadäquat eingestuft sowie 83 Arzneimittel als potenziell inadäquat. Bei immerhin 46 Arzneimitteln war jedoch auch nach zwei Expertenrunden keine Zuordnung in Nicht-PIM oder PIM möglich, sodass diese 46 Arzneimittel als fragliche PIM eingestuft wurden.

Von besonderer Relevanz für die spezifische psychiatrische Behandlung gerontopsychiatrischer Patienten sind hierbei die Bewertungen der PRISCUS-Liste für die dort aufgeführten Arzneistoffklassen „Antidepressiva“, „Neuroleptika“, „Sedativa, Hypnotika“ sowie die Mischgruppe „Antidementiva, Vasodilatatoren, durchblutungsfördernde Mittel“. Tabelle 1 gibt eine Zusammenfassung der diesbezüglichen Wirkstoffe, die in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikamente aufgeführt sind.

Tab. 1. Wirkstoffe, die in der PRISCUS-Liste [11] als potenziell inadäquate Medikamente aufgeführt sind

Wirkstoffgruppe

Arzneistoffe

Antidepressiva

  • Trizyklische Antidepressiva

Amitriptylin

Doxepin

Imipramin

Clomipramin

Maprotilin

Trimipramin

  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Fluoxetin

  • MAO-Hemmer

Tranylcypromin

Neuroleptika

Thioridazin

Fluphenazin

Levomepromazin

Perphenazin

Haloperidol (in Dosierungen>2 mg)

Olanzapin (in Dosierungen>10 mg)

Clozapin

Sedativa und Hypnotika

Verschiedene lang wirksame Benzodiazepine

Mehrere kurz und mittellang wirksame Benzodiazepine, zum Teil mit Angabe von Tagesdosisgrenzen:

  • Lorazepam >2 mg
  • Oxazepam >60 mg
  • Lormetazepam >0,5 mg
  • Brotizolam >0,125 mg

Z-Substanzen

  • Zolpidem >5 mg
  • Zopiclon >3,75 mg
  • Zaleplon >5 mg

Doxylamin

Diphenhydramin

Chloralhydrat

Antidementiva, Vasodilatatoren und durchblutungsfördernde Mittel

Pentoxifyllin

Naftidrofuryl

Nicergolin

Piracetam

Nach Aussage der Autoren der PRISCUS-Liste erhebe diese weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch ersetze sie eine auf den einzelnen Patienten bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung, sie solle vielmehr auf besondere Probleme bei der Arzneimitteltherapie älterer Menschen aufmerksam machen.

Methoden

Erhoben und ausgewertet wurden die Daten von allen stationären Patienten des kbo-Inn-Salzach-Klinikums gemeinnützige GmbH an den Orten Wasserburg am Inn und Freilassing, die im Entlasszeitraum 2008 bis 2012 in psychiatrischer Behandlung und 65 Jahre oder älter waren. Die BADO (Basisdokumentation in der Psychiatrie) dient als Instrument der Versorgungsforschung und der Qualitätssicherung und stellt eine wichtige Datengrundlage in einem evidenzbasierten Klinikmanagement dar [25]. Bei der BADO handelt es sich jedoch nicht um ein standardisiertes Erhebungsinstrument, somit werden von Klinik zu Klinik teils unterschiedliche Parameter erfasst. Mithilfe der umfangreichen BADO unseres Klinikums wurden das Alter der Patienten, das Geschlecht, die psychiatrische ICD-10-F-Hauptdiagnose bei Entlassung, Psychopharmaka während des stationären Aufenthalts, Probleme bei der Psychopharmakotherapie sowie CGI (Clinical global impression) Teil 1 und Teil 2 erfasst. Die zusätzlich erhobenen Parameter neurologische Diagnosen, relevante somatische Diagnosen, körperliche Beeinträchtigungen bei Entlassung, empfohlene ambulante/komplementäre Weiterbehandlung und die Wohnsituation bei Entlassung gingen in die vorliegende Analyse nicht mit ein.

Zusätzlich wurden Häufigkeit und Anzahl von Behandlungen mit den (nicht auf den hausspezifischen BADO-Bögen gelisteten) Wirkstoffen Fluvoxamin, Imipramin, Benperidol, Fluphenazin (als Depot), Haloperidol (als Depot), Olanzapin (als Depot), Zotepin und Piracetam sowie unter der Rubrik Phasenprophylaktika/Stimmungsstabilisierer Häufigkeit und Anzahl von Behandlungen mit Antiepileptika mittels Patientendatenmanagement erhoben. Die Analyse bezieht sich auf Fälle, nicht auf Personen. Die Auswertung erfolgte mit dem Programm SPSS.

Alle im kbo-Inn-Salzach-Klinikum tätigen Ärzte nahmen regelmäßig an den Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen der wöchentlichen Klinikkonferenzen sowie an den weiteren regelmäßigen Fortbildungsveranstaltungen im Hause wie auch an externen Fortbildungsveranstaltungen teil. Die Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nahmen zusätzlich regelmäßig an den Bausteinen des Facharztweiterbildungs-Curriculums teil. Alle Nicht-Fachärzte wurden kontinuierlich durch die Chefärzte und Oberärzte im Hause supervidiert. Insofern ist bei allen verordnenden Ärzten von einer Kenntnis der Inhalte der PRISCUS-Liste seit deren Veröffentlichung auszugehen und insbesondere davon, dass eine Behandlung mit einer Substanz der PRISCUS-Liste mit vollem Wissen des Therapeuten um die Aufnahme der Substanz in die PRISCUS-Liste durchgeführt wurde. Eine gesonderte Schulung der Ärzte zum Zwecke der vorliegenden Studie wurde jedoch nicht durchgeführt.

Ergebnisse

Patientencharakteristika

Es konnten insgesamt 8324 stationäre Patienten im Alter ab 65 Jahre im Entlassungszeitraum 2008 bis 2012 identifiziert werden. Wegen Doppelerfassungen oder fehlenden Angaben bezüglich der Medikation reduzierte sich die Datenbasis für die endgültige Analyse auf insgesamt 7947 Patienten, davon 4832 weibliche und 3115 männliche Patienten. Die Daten zur Altersverteilung sind in Tabelle 2 aufgezeigt.

Tab. 2. Altersverteilung der untersuchten Patienten

Alter [Jahre]

Mittelwert

SD

Median

Minimum

Maximum

Geschlecht

  • Männlich (n=3115)

76,2

7,6

75

65

101

  • Weiblich (n=4832)

78,0

7,8

78

65

102

Insgesamt (n=7947)

77,3

7,8

77

65

102

Betrachtet man die Hauptdiagnose bei Entlassung, so stellen Patienten mit einer organisch bedingten psychischen Störung (ICD-10: F00 bis F09) den Löwenanteil von fast der Hälfte der entlassenen Patienten (Tab. 3). Es folgen mit fast 30% der Entlassungshauptdiagnosen die affektiven Störungen (ICD-10: F30 bis F39). 10% der Entlassdiagnosen entfallen auf die Gruppe der Schizophrenien, schizotypen und wahnhaften Störungen (ICD-10: F20 bis F29). Nur gut 6% entfallen auf die psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (ICD-10: F10 bis F19) sowie gut 4% auf die Gruppe der neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (ICD-10: F40 bis F48).

Tab. 3. ICD-10 Hauptdiagnose bei Entlassung

Hauptdiagnose, Zugehörigkeit nach ICD-10

Häufigkeit

[n]

[%]

F0

Organisch bedingte psychische Störungen

3782

47,6

F1

Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

516

6,5

F2

Schizophrenien, schizotype und wahnhafte Störungen

808

10,2

F3

Affektive Störungen

2358

29,7

F4

Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

332

4,2

F5

Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

10

0,1

F6

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

40

0,5

F7

Intelligenzstörungen

47

0,6

F9

Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

20

0,3

Sonstige

34

0,4

Gesamt

7947

100,0

Verordnungshäufigkeit über alle Fälle

Betrachtet man die Häufigkeit, mit der einzelnen Patienten Psychopharmaka verordnet wurden (Tab. 4), so ist ersichtlich, dass nur 4,7% aller Patienten während des stationären Aufenthalts keine Psychopharmakotherapie erhielten.

Tab. 4. Während des stationären Aufenthalts verordnete Antidepressiva

ICD-10-Hauptdiagnosen

Alle [F00 bis F98]

F00 bis F09

F10 bis F19

F20 bis F29

F30 bis F39

F40 bis F48

F70 bis F79

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

Keine Medikation

Keine psychotrope Medikation

4,7

375

3,9

148

22,3

115

1,4

11

1,3

30

16,6

55

4,3

2

Antidepressiva

Agomelatin

2,0

156

0,9

34

0,8

4

0,1

1

4,6

109

2,1

7

4,3

2

Amitriptylin

0,6

46

0,2

8

0,2

1

0,4

3

1,3

31

0,6

2

Amitriptylinoxid

0,1

10

0,1

2

0,1

1

0,3

6

0,3

1

Bupropion

0,4

29

0,1

2

1,1

27

Citalopram

11,5

910

10,7

404

8,7

45

7,5

61

14,5

341

13,0

43

Clomipramin

0,2

14

0,1

3

0,4

10

0,3

1

Doxepin

0,6

48

0,1

3

1,6

8

0,7

6

1,1

27

1,2

4

Duloxetin

6,3

499

1,7

65

2,1

11

2,8

23

15,6

368

8,1

27

8,5

4

Escitalopram

11,1

879

8,1

308

4,1

21

5,8

47

18,7

441

16,3

54

Fluoxetin

0,1

8

0,0

1

0,2

2

0,2

4

Fluvoxamin

0,0

1

0,0

1

Imipramin

0,0

1

0,0

1

8,5

4

Maprotilin

0,1

8

0,0

1

0,2

2

0,2

5

2,1

1

Mirtazapin

22,6

1798

18,1

683

16,3

84

7,1

57

36,6

864

27,1

90

Moclobemid

0,3

24

0,1

4

0,8

20

Nortriptylin

0,8

61

0,1

4

0,4

3

2,2

53

0,3

1

Paroxetin

0,4

32

0,1

5

0,6

3

0,4

3

0,6

15

0,9

3

8,5

4

Reboxetin

1,7

138

0,5

20

0,6

5

4,6

109

0,9

3

Sertralin

3,0

238

2,0

74

1,0

5

2,2

18

5,3

125

2,7

9

Tranylcypromin

0,2

12

0,0

1

0,4

3

0,3

8

6,4

3

Trimipramin

0,9

68

0,2

7

2,9

15

1,1

9

1,4

32

1,5

5

Venlafaxin

6,4

510

1,9

72

1,9

10

3,0

24

15,8

373

7,5

25

10,6

5

Andere Antidepressiva

0,3

22

0,2

8

0,1

1

0,6

13

Fettdruck, wenn in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikation aufgeführt.

Antidepressiva

Aus der Gruppe der Antidepressiva wurde am häufigsten (bei 22,6% aller untersuchten Patienten) Mirtazapin verordnet, am zweithäufigsten Citalopram mit 11,5%, dicht gefolgt von Escitalopram mit 11,1% (Tab. 4). Auf Platz 4 und 5 der Verordnungshäufigkeit rangieren die selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahehemmer (SSNRI) Venlafaxin mit 6,4% und Duloxetin mit 6,3%. Auf Platz 6 folgt der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Sertralin mit 3,0%. Immerhin 2,0% aller Patienten erhielten den melatonergen Agonisten Agomelatin, der damit den selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin in der Verordnungshäufigkeit übertrifft. Sämtliche weiteren Antidepressiva liegen in der Verordnungshäufigkeit unter 1%. Dies bedeutet, dass insbesondere alle in der PRISCUS-Liste als PIM genannten Antidepressiva jeweils nur bei weniger als 1% der stationär behandelten Patienten Verwendung fanden; am häufigsten wurde von den Antidepressiva der PRISCUS-Liste noch der schlafanstoßend wirkende Wirkstoff Trimipramin verordnet.

Neuroleptika

In der Gruppe der Neuroleptika wurde am häufigsten Risperidon bei 22,4% aller Patienten verordnet, dicht gefolgt von Quetiapin mit einer Verordnung bei 19,3% aller Patienten (Tab. 5). Bereits an dritter Stelle der Verordnungshäufigkeit liegt das in der PRISCUS-Liste für Dosierungen >2 mg Tagesdosis als PIM benannte Haloperidol. Die vierte Stelle der Verordnungshäufigkeit nimmt das ebenfalls in der PRISCUS-Liste als PIM (für Dosierungen >10 mg) genannte Olanzapin ein. Aripiprazol wurde 2,5% der Patienten während des stationären Aufenthalts verordnet, das in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführte Clozapin 1,7% der Patienten. 6,4% der Patienten erhielten eine im BADO-Bogen als „andere“ klassifizierte neuroleptische Medikation. Jedwede neuroleptische Depotmedikation wurde jeweils nur in weniger als 1% aller Patienten verordnet.

Tab. 5. Während des stationären Aufenthalts verordnete Antipsychotika/Neuroleptika

ICD-10-Hauptdiagnosen

Alle [F00 bis F98]

F00 bis F09

F10 bis F19

F 20 bis F29

F30 bis F39

F40 bis F48

F70 bis F79

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

Antipsychotika/Neuroleptika

Amisulprid

0,7

54

0,3

12

4,3

35

0,3

7

Aripiprazol

2,5

202

1,7

65

0,2

1

11,9

96

1,4

34

0,3

1

Asenapin

0,0

0

Benperidol

0,0

1

0,1

1

Clozapin

1,7

135

1,2

46

0,2

1

8,7

70

0,7

17

Flupentixol

0,5

41

0,1

3

4,0

32

0,3

6

Fluphenazin

0,1

9

0,1

2

0,9

7

Fluphenazin Depot

0,1

4

0,4

2

0,2

2

Haloperidol

9,2

733

11,2

425

6,6

34

24,9

201

2,4

56

1,5

5

8,5

4

Haloperidol Depot

0,2

16

0,1

2

0,2

1

1,6

13

Olanzapin

6,5

518

5,0

189

1,4

7

20,3

164

6,3

148

1,8

6

2,1

1

Olanzapin Depot

0,0

1

0,1

1

Perazin

0,5

42

0,6

22

0,2

1

1,4

11

0,3

7

2,1

1

Quetiapin

19,3

1530

21,2

800

6,0

31

26,6

215

18,0

425

7,8

26

23,4

11

Risperidon

22,4

1781

33,0

1249

8,1

42

33,0

267

7,4

174

3,3

11

23,4

11

Sertindol

0,0

0

Sulpirid

0,2

18

0,0

1

0,1

1

0,6

14

0,6

2

Ziprasidon

0,2

18

0,0

1

1,2

10

0,2

5

0,3

1

Zotepin

0,0

2

0,2

2

Zuclopenthixol

0,6

51

0,7

25

1,0

5

1,7

14

12,8

6

Andere Neuroleptika

6,4

506

8,7

329

3,9

20

6,9

56

3,8

90

2,1

7

4,3

2

Depot typisch

0,5

41

0,1

5

3,8

31

0,1

3

2,1

1

Depot atypisch

0,6

47

0,1

3

0,4

2

5,1

41

Fettdruck, wenn in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikation aufgeführt.

Antidementiva/Nootropika, Phytopharmaka, Tranquilizer und Hypnotika

In der Kategorie der Antidementiva erhielten 14% aller stationär gerontopsychiatrisch behandelten Patienten einen Cholinesterasehemmer, gut 7% Memantin (Tab. 6). Der in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführte Wirkstoff Piracetam (Anwendungsgebiet zur symptomatischen Behandlung von chronischen hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts bei demenziellen Syndromen) wurde nur bei einem einzigen von 7947 Patienten verordnet.

Tab. 6. Während des stationären Aufenthalts verordnete Antidementiva/Nootropika, Phytopharmaka, Tranquilizer und Hypnotika

ICD-10-Hauptdiagnosen

Alle [F00 bis F98]

F00 bis F09

F10 bis F19

F20 bis F29

F30 bis F39

F40 bis F48

F70 bis F79

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

Antidementiva/Nootropika

Cholinesterasehemmer

14,0

1112

24,7

936

2,3

12

2,6

21

5,3

124

2,7

9

2,1

1

Memantin

7,1

565

13,5

510

1,0

5

0,5

4

1,8

42

Piracetam

0,0

1

0,0

1

Andere Antidementiva/
Nootropika

0,2

19

0,3

11

0,1

1

0,3

6

0,3

1

Phytopharmaka

Phytopharmaka

0,2

16

0,1

2

0,1

1

0,5

12

0,3

1

Tranquilizer

Benzodiazepine
[als Tranquilizer]

21,0

1668

21,1

797

19,0

98

20,8

168

21,8

514

20,8

69

17,0

8

Opipramol

0,5

43

0,2

7

0,2

1

0,1

1

1,4

32

0,3

1

2,1

1

Pregabalin

5,2

416

3,9

147

2,5

13

1,2

10

7,7

182

15,7

52

8,5

4

Niederpotente Neuroleptika [als Tranquilizer]

28,5

2263

34,6

1308

14,3

74

25,6

207

22,9

540

22,9

76

53,2

25

Andere Tranquilizer

0,4

32

0,5

19

0,2

1

0,1

1

0,4

10

0,3

1

Hypnotika

Benzodiazepine
[als Hypnotika]

3,4

268

2,8

105

6,0

31

4,3

35

3,5

83

2,7

9

4,3

2

Z-Substanzen

5,2

411

4,0

152

2,5

13

4,5

36

8,1

191

4,2

14

2,1

1

Niederpotente Neuroleptika [als Hypnotika]

0,5

41

0,7

27

0,6

3

0,4

3

0,3

8

Andere Hypnotika

0,5

38

0,6

21

0,2

1

0,4

3

0,6

13

Fettdruck, wenn in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikation aufgeführt.

Durch die Besonderheit der Konzeption des hausspezifischen Entlass-BADO-Bogens werden die Benzodiazepine und die niederpotenten Neuroleptika sowohl unter der Substanzklasse der Tranquilizer als auch der Hypnotika aufgeführt, sodass die Verordnungshäufigkeit der beiden Substanzklassen jeweils nur für den Unterpunkt Tranquilizer bzw. Hypnotika gesondert dargestellt werden kann (Tab. 6). Ebenso ist mittels der erhobenen BADO-Daten keine Differenzierung der Gruppe der Benzodiazepine in Untergruppen oder einzelne Wirkstoffe möglich, sodass keine Zuordnung zu einzelnen in der PRISCUS-Liste spezifisch als PIM genannten Wirkstoffe der Gruppe der Benzodiazepine erfolgen kann.

In der Gruppe von Medikamenten mit Einsatz als Tranquilizer nehmen die niederpotenten Neuroleptika mit Verordnung bei 28,5% der Patienten sowie die Benzodiazepine (21%) den größten Raum ein, Pregabalin (psychiatrische Indikation: Behandlung von generalisierten Angststörungen bei Erwachsenen; zudem Anwendungsgebiet Behandlung von peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen im Erwachsenenalter und Zusatztherapie von partiellen epileptischen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung im Erwachsenenalter) spielt im Verordnungsverhalten mit 5,2% nur eine nachgeordnete Rolle. In der Gruppe der Hypnotika liegen noch vor der Substanzklasse der Benzodiazepine die Z-Substanzen mit einer Verordnung in 5,2% aller Patienten an erster Stelle. Die Z-Substanzen sind jedoch nur in den nicht erniedrigten Dosierungen (Zolpidem und Zaleplon >5 mg pro Tag, Zopiclon >3,75 mg pro Tag) in der PRISCUS-Liste als PIM eingestuft. Aussagen zu den jeweils eingesetzten Dosierungen sind mittels des Instruments BADO-Bogen nicht möglich.

Weitere Neuropsychopharmaka

Bei den suchtmedizinischen Wirkstoffen („Entzugs- und Entwöhnungsmittel“) überschreitet lediglich Clomethiazol geringfügig eine Verordnungshäufigkeit von 1% (Tab. 7).

Tab. 7. Während des stationären Aufenthalts verordnete Entzugs- und Entwöhnungsmittel, Phasenprophylaktika/Stimmungsstabilisierer, Psychostimulanzien und Parkinsonmittel

ICD-10-Hauptdiagnosen

Alle [F00 bis F98]

F00 bis F09

F10 bis F19

F20 bis F29

F30 bis F39

F40 bis F48

F70 bis F79

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

Häufigkeit

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

[%]

[n]

Entzugs- und Entwöhnungsmittel

Clomethiazol

1,3

105

0,5

18

14,5

75

0,1

1

0,4

9

0,6

2

Opiatersatzstoffe

0,2

15

0,2

6

0,6

3

0,2

4

Acamprosat

0,6

49

5,8

30

0,4

3

0,6

13

0,9

3

Naltrexon

0,0

3

0,6

3

Andere Entzugs- und Entwöhnungsmittel

0,3

26

0,1

2

4,5

23

0,3

1

Phasenprophylaktika/
Stimmungsstabilisierer

Lithium

1,7

139

0,4

15

0,2

1

3,1

25

4,1

96

0,3

1

Carbamazepin

0,9

73

0,8

32

1,7

9

1,6

13

0,6

15

4,3

2

Valproinsäure

6,0

475

5,4

204

5,6

29

13,6

110

4,4

104

1,2

4

29,8

14

Lamotrigin

0,6

49

0,3

12

0,4

2

0,4

3

1,3

30

0,3

1

2,1

1

Atypische Neuroleptika

0,4

31

0,6

22

0,1

1

0,3

7

0,3

1

Antiepileptika

3,2

255

4,0

151

5,4

28

1,2

10

1,8

43

3,3

11

21,3

10

Andere Phasenprophylaktika

0,4

28

0,6

22

0,2

1

0,1

2

0,3

1

2,1

1

Psychostimulanzien

Methylphenidat

0,0

0

Andere Psychostimulanzien

0,1

5

0,1

4

0,0

1

Parkinsonmittel

Parkinsonmittel

4,1

326

5,0

190

2,5

13

2,1

17

3,9

93

2,7

9

4,3

2

Fettdruck, wenn in der PRISCUS-Liste als potenziell inadäquate Medikation aufgeführt.

Bei den Phasenprophylaktika wurde Valproinsäure am häufigsten verordnet (6% aller stationär behandelten Patienten, Tab. 7). Lithium wurde bei 1,7% der Patienten verordnet, Lamotrigin und Carbamazepin jeweils nur in weniger als 1% der Patienten. Unter „Antiepileptika“ werden 255 Nennungen registriert, entsprechend 3,2% der Patienten.

Methylphenidat wurde bei keinem der 7947 untersuchten Patienten verordnet.

Parkinsonmittel wurden bei 4,1% aller stationär-gerontopsychiatrisch behandelten Patienten angewandt.

Zwischenfazit

Zusammenfassend betrafen, bezogen auf alle Psychopharmaka-Verordnungen bei Patienten, die im Beobachtungszeitraum in der Klinik zur Behandlung waren, 10,2% der Verordnungen Medikamente, die in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführt sind.

Deskriptive Analyse nach Entlasshauptdiagnose

Es soll nun eine deskriptive Analyse der Verordnungshäufigkeit der einzelnen Psychopharmaka für die einzelnen Gruppen von Patienten mit gleicher Entlasshauptdiagnose aus der Kategorie ICD-10: F00 bis F09, F10 bis F19, F20 bis F29, F30 bis F39, F40 bis F48 sowie F70 bis F79 erfolgen. Eine gesonderte Auswertung von Patienten mit den Diagnosen aus den Gruppen F5, F6 und F9 erfolgte wegen kleiner Patientenzahlen von 40 nicht.

Organisch bedingte psychische Störungen

Nur 3,9% der Patienten mit organisch bedingten psychischen Störungen (ICD-10: F0) erhielten keine Psychopharmakomedikation (Tab. 4).

Bei der antidepressiven Medikation wurden Medikamente der PRISCUS-Liste jeweils maximal in 0,2% der Patienten (entsprechend bei max. 8 von 3782 Patienten) verordnet. Spitzenreiter in der Verordnungshäufigkeit von Antidepressiva bei den F0-Diagnosen waren ähnlich wie bei der gesamten untersuchten Patientengruppe, welche alle Hauptdiagnosen enthielt, Mirtazapin, Citalopram und Escitalopram.

Bei den Neuroleptika (Tab. 5) wurde bei Patienten mit einer F0-Hauptdiagnose am häufigsten Risperidon (33%) verordnet, gefolgt von Quetiapin (21,2%) und Haloperidol (11,2%). Das ebenso wie Haloperidol in Abhängigkeit von der Dosierung als PIM der PRISCUS-Liste eingestufte Olanzapin wurde in 5% aller Patienten mit einer F0-Diagnose verordnet.

Ein Viertel der Patienten mit einer F0-Hauptdiagnose erhielt einen Cholinesterasehemmer, 13,5% erhielten Memantin (Tab. 6). Als Tranquilizer wurden mit knapp 35% am häufigsten niederpotente Neuroleptika verwendet, gefolgt von mehr als 21% Benzodiazepinen und knapp 4% Pregabalin. Die relative Verordnungshäufigkeit von Z-Substanzen war geringer als in der Gesamtgruppe aller gerontopsychiatrischen Patienten.

Suchterkrankungen

Bei Patienten mit einer F1-Hauptdiagnose (Suchterkrankungen) fand sich im Vergleich zur Gesamtpopulation eine erhöhte Verordnungshäufigkeit der als PIM in der PRISCUS-Liste aufgeführten Wirkstoffe Doxepin (1,6%) und Trimipramin (2,9%, Tab. 4). Antipsychotisch wirksame Medikation wurde am häufigsten mit Risperidon (8,1%) gegeben, dicht gefolgt von Haloperidol mit 6,6% (Tab. 5). Bei den spezifisch suchtmedizinischen Wirkstoffen wurde am häufigsten Clomethiazol mit 14,5% verordnet, gefolgt von Acamprosat bei 5,8% der Patienten mit F1-Diagnose (Tab. 7).

Schizophrenien und wahnhafte Störungen

Die antipsychotische Behandlung der gerontopsychiatrischen Patienten mit einer F2-Hauptdiagnose (Schizophrenien und wahnhafte Störungen) stützt sich vor allem auf die Wirkstoffe Risperidon (Verordnung in 33% der Patienten) und Quetiapin (26,6%, Tab. 5). In der Verordnungshäufigkeit jedoch nur knapp dahinter rangiert Haloperidol mit einer Verordnung bei 24,9% der Patienten mit einer F2-Hauptdiagnose, gefolgt von Olanzapin mit 20,3%. Im Vergleich zur gerontopsychiatrischen Gesamtpopulation fällt auch eine erhöhte Häufigkeit der Verordnung von Aripiprazol mit 11,9% auf. Auch die Häufigkeit der Verordnung von Clozapin ist mit 8,7% der Patienten mit F2-Hauptdiagnose im Vergleich zur Verordnungshäufigkeit im Gesamtkollektiv deutlich erhöht. Bei den Depotgaben wurde Haloperidol-Decanoat bei 1,6% aller Patienten mit F2-Hauptdiagnose verordnet, der in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführte Wirkstoff Fluphenazin war sowohl in oraler Form als auch in Depotform nur selten in Verwendung.

Bei den stimmungsstabilisierenden Medikamenten fällt zudem eine gehäufte Verwendung von Valproinsäure (Verordnung bei 13,6% der Patienten mit F2-Hauptdiagnose) auf (Tab. 7).

Affektive Störungen

Bei Patienten mit einer F3-Hauptdiagnose (affektive Störungen) wurde aus dem Bereich der Antidepressiva mit 36,6% mit Abstand am häufigsten Mirtazapin verordnet, gefolgt von Escitalopram (18,7%) sowie den beiden SSNRI Venlafaxin (15,8%) und Duloxetin (15,6%, Tab. 4). Auf Platz 5 der Verordnungshäufigkeit liegt mit 14,5% Citalopram. Mit großem Abstand folgt Sertralin auf Platz 6 (5,3%). Das Spektrum der Häufigkeitsverteilung der Antidepressiva bei den Patienten mit F3-Hauptdiagnose deckt sich im Wesentlichen mit dem der Gesamtpopulation, es ist jedoch bei den Patienten mit F3-Hauptdiagnose eine überproportional höhere Verordnungshäufigkeit (mehr als um den Faktor 2 im Vergleich zur Gesamtpopulation) bei den SSNRI Venlafaxin und Duloxetin sowie für Reboxetin und Agomelatin festzustellen. Von den Antidepressiva, welche in der PRISCUS-Liste als PIM benannt werden, wurde am häufigsten noch der Wirkstoff Trimipramin (Verordnung in 1,4% der Patienten mit F3-Hauptdiagnose, Platz 10 der Verordnungshäufigkeit), gefolgt von Amitriptylin mit 1,3% verschrieben.

In der Therapie mit Neuroleptika bei Patienten mit F3-Hauptdiagnose (Tab. 5) sticht mit 18% der Wirkstoff Quetiapin hervor (Anwendungsgebiet: Behandlung der Schizophrenie, die Behandlung von mäßigen bis schweren manischen Episoden bei bipolaren Störungen, die Behandlung von schweren depressiven Episoden bei bipolaren Störungen, die Prävention von Rückfällen bei Patienten mit bipolaren Störungen, deren manische oder depressive Episode auf Quetiapin angesprochen hat, Seroquel prolong zusätzlich zur Behandlung depressiver Erkrankungen [Episoden einer Major Depression] als Zusatztherapie bei Patienten, die unzureichend auf die Monotherapie mit einem Antidepressivum angesprochen haben). An zweiter Stelle der Verordnungshäufigkeit bei Patienten mit einer F3-Hauptdiagnose steht mit 7,4% Risperidon (Anwendungsgebiet im Erwachsenenbereich: Behandlung der Schizophrenie, Kurzzeitbehandlung von anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz und Behandlung mäßiger bis schwerer manischer Episoden assoziiert mit bipolaren Störungen), gefolgt von Olanzapin mit 6,3% (Anwendungsgebiet: Behandlung der Schizophrenie, Behandlung mäßig schwerer bis schwerer manischer Episoden und Phasenprophylaxe bei Patienten mit bipolarer Störung, deren manische Episode auf eine Behandlung mit Olanzapin angesprochen hat). Als weitere, von der PRISCUS-Liste als PIM benannte Neuroleptika wurden neben Olanzapin Haloperidol (dosisabhängiges Anwendungsgebiet: akute und chronische schizophrene Syndrome, organisch bedingte Psychosen, akute manische Syndrome, akute psychomotorische Erregungszustände, sowie als Reservemedikament bei Tic-Erkrankungen und Erbrechen) bei 2,4% der Patienten mit F3-Hauptdiagnose und Clozapin (Anwendungsgebiet: Behandlung therapieresistenter Schizophrenie und schizophrener Patienten, die mit schweren neurologischen unerwünschten Reaktionen auf andere Neuroleptika reagieren, sowie Psychosen im Verlauf eines Morbus Parkinson nach Versagen der Standardtherapie) bei 0,7% verordnet, jedoch Fluphenazin bei keinem Patienten.

Auffallend ist eine erhöhte Verordnungshäufigkeit von Z-Substanzen (8,1% versus 5,2%) und von Pregabalin (7,7% versus 5,2%) im Vergleich zur Gesamtgruppe mit allen Hauptdiagnosen (Tab. 6). Eine erhöhte Verordnungshäufigkeit bei den F3-Diagnosen findet sich erwartungsgemäß auch bei Lithium (4,1% versus 1,7%, Tab. 7). Hingegen ist die Verordnungshäufigkeit von Valproinsäure (neben der Indikation Anfallsleiden Indikation zur Behandlung von akuten Manien und zur Prophylaxe bipolarer Störungen) bei den F3-Haupdiagnosen gering (4,4% versus 6,0% bei der Gesamtgruppe mit allen Hauptdiagnosen, sowie insbesondere versus 13,6% bei den Patienten mit F2-Hauptdiagnose).

Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

Betrachtet man nun die Patienten mit einer Diagnose aus der Gruppe der neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F40–F48), so stellen Mirtazapin und Escitalopram (wie bei den Patienten mit einer F3-Hauptdiagnose) die beiden am häufigsten verordneten Antidepressiva dar (Tab. 4), eine Verordnung eines Antidepressivums, das in der PRISCUS-Liste als PIM genannt wird, bildet die Ausnahme (Verordnungshäufigkeit aller PIM-Wirkstoffe <2%). Die Verordnungshäufigkeit neuroleptischer Medikation zeigt sich insgesamt bei den Patienten mit F4-Hauptdiagnose reduziert, am häufigsten ist noch der Wirkstoff Quetiapin im Einsatz (Tab. 5).

Intelligenzstörungen

Bei der Diagnosegruppe der Intelligenzstörungen (F70–F79) zeigt sich bei eingeschränkter Aussagekraft infolge der geringen Fallzahlen ein zurückhaltender Einsatz antidepressiver Medikation. Die Therapie stützt sich bei Betrachtung der Gesamtheit der Patienten mit F7-Hauptdiagnose neben Risperidon und Quetiapin vor allem auf niederpotente Neuroleptika und Valproinsäure, nur selten wird auf Medikamente der PRISCUS-Liste zurückgegriffen.

Auswertung der Fälle mit PIM-Gabe während des stationären Aufenthalts

Grenzt man die Auswertung ein auf Patienten, die potenziell inadäquate Medikation (PIM) während des stationären Aufenthalts erhielten, so sind 1802 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 76 Jahren zu betrachten, davon 62% weiblichen Geschlechts. Somit erhielten 22,7% der 7947 Patienten unserer Studie während ihres stationären Aufenthalts eine Verordnung eines Psychopharmakons, das in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführt ist.

Die Auswertung der Skala CGI Teil 1 zeigt, dass die Mehrzahl der Patienten, die PIM erhielten, bei Entlassung als „deutlich krank“ eingestuft wurden, aus dem CGI bei Entlassung Teil 2 ist jedoch zu entnehmen, dass bei 91% dieser Patienten mit PIM bei Entlassung eine Besserung des Zustands seit Aufnahme eingetreten war.

Bei 70% der Patienten, die PIM während des Aufenthalts erhielten, waren in der Erhebung mittels der BADO keine „Probleme bei der Psychopharmakotherapie“ aufgetreten. Bei 8% der Patienten, die PIM erhielten, waren Probleme bei anderen Medikamenten beobachtet worden. Nur bei 7% der Patienten, die PIM erhielten, waren auch Probleme im Zusammenhang mit der PIM angegeben worden. Bei den in der PRISCUS-Liste aufgeführten Wirkstoffen waren „Probleme bei der Psychopharmakotherapie“ nur für die Wirkstoffe Amitriptylin, Trimipramin, Clozapin, Haloperidol, Haloperidol (als Depot), Olanzapin und für die Z-Substanzen auffallend.

Diskussion

Die PRISCUS-Liste [11] hat eine hohe Verbreitung gefunden. Mit der Publikation im Deutschen Ärzteblatt ist sie an alle deutschen Ärzte gegangen. Durch die Veröffentlichung in der Zeitschrift der Stiftung Warentest [26] ist sie bei den Verbrauchern und in den Medien verbreitet. Bislang liegen aber kaum Daten zur Umsetzung bzw. zur Versorgungsrealität vor.

Unsere Studie über Verordnungen von Psychopharmaka bei gerontopsychiatrischen stationären Patienten für den Zeitraum 2008 bis 2012 zeigt, dass immerhin 10,2% der Verordnungen Medikamente betrafen, die in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführt sind. 1802 von 7947 Patienten unserer Studie, entsprechend 22,7%, erhielten während ihres stationären Aufenthalts zumindest eine Verordnung eines Psychopharmakons, welches in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführt ist.

Daten zur Bedeutung potenziell inadäquater Medikation bei älteren Patienten liegen bereits für ältere Notaufnahmepatienten vor [6]. Hier waren zwar bei den über 65 Jahre alten Patienten nur 63 PRISCUS-Medikamente versus 1818 Nicht-PRISCUS-Medikamente aufgefallen, die PIM der PRISCUS-Liste waren jedoch mit einer erhöhten Rate an unerwünschten Arzneimittelereignissen assoziiert.

Eine multinationale europäische Studie [7] hatte große Unterschiede im Nationenvergleich in der Häufigkeit des Gebrauchs von PIM offenbart. Das Risiko, PIM zu erhalten, hatte sich in Osteuropa erhöht gezeigt, zudem hatten sich Armut und Polypharmazie als die bedeutendsten Risikofaktoren für den Gebrauch von PIM erwiesen.

Die große Bedeutung des Themas PIM in der Psychopharmakotherapie älterer Patienten zeigt sich exemplarisch an einer Auswertung einer Zufallsstichprobe von über 64 Jahre alten Versicherten der AOK Hessen für das Jahr 2010. Diese ergab, dass 22,0% der Personen mindestens eine PIM-Verordnung erhalten hatten, wobei Amitriptylin mit 2,8% die höchste Prävalenz aufwies, gefolgt von Tetrazepam mit 2,3% und Doxepin mit 2,2%. Erst Rang 4 der Prävalenzliste war mit einem internistischen Wirkstoff besetzt [23].

Obwohl in einem kürzlich erschienenen Studienprotokoll zu Polypharmazie und PIM bei älteren Erwachsenen bereits Patienten ab einem Alter von 45 Jahren eingeschlossen wurden [9], wurde für unsere Studie die übliche Altergrenze von 65 Jahren für die Analyse gewählt. In unserer Studie zeigten sich Patienten, die PIM während des stationären Aufenthalts erhalten hatten, im Durchschnitt tendenziell jünger (76 versus 77 Jahre) als die Patienten der Gesamtgruppe, zudem zeigte sich ein tendenziell höherer Frauenanteil (62% versus 61%) bei den PIM-Fällen.

Einschränkungen der Auswertung der vorliegenden Daten ergeben sich durch die Gruppierung nach ICD-Hauptdiagnose, da hierbei zum Teil doch unterschiedlich zu therapierende Erkrankungen gemeinsam in einer Gruppe zusammengefasst werden (z.B. schwere depressive Episode und Manie); möglicherweise werden auch Patienten mit einer psychiatrischen Doppeldiagnose nur unzureichend berücksichtigt. Andererseits wäre eine weitere Spezifizierung in Untergruppen aufgrund der dann zu geringen Zahlen problematisch gewesen.

Die Ergebnisse der hier vorgestellten Stichprobe erlauben zudem keine Aussage über die Gesamtheit der Verordnungen in den gerontopsychiatrischen Kliniken in Deutschland, da das Verordnungsverhalten ein von Klinik zu Klinik unterschiedliches klinikspezifisches Muster aufweist und das Verordnungsverhalten von Klinikärzten durch das Verordnungsverhalten der jeweiligen leitenden Ärzte beeinflusst ist.

Zudem ergibt sich eine Einschränkung der Aussagekraft der Studie durch die Selektion von bestimmten Patientengruppen für eine bestimmte medikamentöse Therapie mit gegebenenfalls PIM (z.B. gerontopsychiatrische Patienten oder gerontopsychiatrische Patienten mit Depression). So ist bei stationär psychiatrischen Patienten, die sich zur Behandlung einer Depression im Krankenhaus befinden, ein nicht unerheblicher Anteil von Patienten zu erwarten, welche ambulant bereits eine „Standardtherapie“ erhalten haben, die jedoch bei dem individuellen Patienten keine Besserung gebracht hat. So kann es gerade in diesen Einzelfällen durchaus gerechtfertigt sein, nach Versagen mehrerer Therapieversuche nach Nutzen-Risiko-Abwägung und Aufklärung des Patienten auf ein trizyklisches, in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführtes Antidepressivum zurückzugreifen. Eine bloße Anwendung der PRISCUS-Liste würde also in solchen Einzelfällen, die jedoch im untersuchten Kollektiv gehäuft auftreten, der individuellen Krankheitsvorgeschichte des Patienten nicht ausreichend gerecht.

Einige in der PRISCUS-Liste als PIM aufgeführten Wirkstoffe spielen in der Klinik-Arzneimittel-Liste keine Rolle, da sie sich in den einzelnen Unterrubriken des hausspezifischen BADO-Entlassbogens (Antidepressiva, Antipsychotika/Neuroeptika, …) nicht als einzelne Wirkstoffe finden, deren Gabe während des stationären Aufenthalts zu erfassen wäre. So kann die Verordnungshäufigkeit dieser nicht direkt auf dem BADO-Bogen anzukreuzenden Wirkstoffe nur über die jeweilige Kategorie „andere“ abgeschätzt werden (Beispiel Thioridazin, Levomepromazin, Perphenazin, Doxylamin, Diphenhydramin, Chloralhydrat, Pentoxifyllin, Naftidrofuryl, Nicergolin) beziehungsweise die Verordnungshäufigkeit nur über die Erhebung weiterer Daten angegeben werden (Beispiel Imipramin und Piracetam). Zudem werden mit den hauseigenen BADO-Bögen keine Verordnungen internistischer Medikamente erfasst, sodass mit vorliegender Studie keine Aussage zur Häufigkeit einer Verordnung internistischer PIM bei stationär gerontopsychiatrischen Patienten getroffen werden kann.

Mittels der erhobenen Daten war zudem keine Differenzierung der Gruppe der Benzodiazepine in einzelne Wirkstoffe möglich, sodass keine Zuordnung zu einzelnen in der PRISCUS-Liste spezifisch als PIM genannten Wirkstoffe erfolgen konnte. Auch sind mithilfe der BADO keine Angaben zu verabreichten Tagesdosierungen zu erheben. Eine Analyse der medikamentösen AGATE-Stichtagsdaten könnte hier einige offene Aspekte klären. So hatte sich in der Auswertung der Stichtagsdaten von 2010 für den einzigen Vertreter der Benzodiazepine unter den Top 10 der verordneten Psychopharmaka, nämlich Lorazepam, eine signifikant niedrigere mittlere Tagesdosis von 1,3 mg in der Gruppe der über 65-Jährigen im Vergleich zu den beiden jüngeren Altersgruppen gezeigt [21]. Da Lorazepam in der PRISCUS-Liste erst für Tagesdosierungen von mehr als 2 mg als PIM aufgeführt ist, scheint zumindest für dieses am häufigsten eingesetzte Benzodiazepin die Empfehlung der PRISCUS-Liste in der Versorgungsrealität umgesetzt zu werden.

Zusammenfassend lassen sich mit den aus dieser Studie vorliegenden Daten sehr klare Aussagen zur Umsetzung der Empfehlungen der PRISCUS-Liste bzw. zur Anwendung von Psychopharmaka vor Publikation der PRISCUS-Liste für die in der psychiatrischen Behandlung essenziellen Wirkstoffklassen der Antidepressiva, Antipsychotika und Antidementiva treffen.

Die in der PRISCUS-Liste als „mögliche Therapie-Alternativen“ in der antidepressiven Therapie genannten Wirkstoffe werden in der gerontopsychiatrischen stationären Verordnungspraxis auch tatsächlich häufig verwendet (Mirtazapin, Citalopram, in geringerem Umfang auch Sertralin), lediglich der als Therapie-Alternative genannte Wirkstoff Trazodon weist eine sehr geringe Verordnungshäufigkeit auf (0,3%, enthalten in der Gruppe „andere Antidepressiva“). Setzt man im gesamten Patientenkollektiv die Verordnungshäufigkeit von in der PRISCUS-Liste als PIM benannten Wirkstoffen zur Verordnungshäufigkeit der Therapie-Alternativen, so erhält man für die Beispielsubstanz Amitriptylin ein Verhältnis von 46 Verordnungen versus 910 (Citalopram) + 238 (Sertralin) + 1798 (Mirtazapin), das heißt, auf eine Amitriptylin-Verordnung treffen 64 Verordnungen einer in der PRISCUS-Liste empfohlenen Therapie-Alternative.

Die medikamentöse antidepressive Therapie erfolgt also in der stationären gerontopsychiatrischen Versorgungsrealität in nahezu völliger Übereinstimmung mit den Empfehlungen der PRISCUS-Liste.

In der spezifischen antidementiven medikamentösen Therapie werden die von der PRISCUS-Liste genannten zu vermeidenden Wirkstoffe in der stationären Versorgungspraxis tatsächlich auch nicht angewandt.

In der Gruppe der Neuroleptika werden zwar die in der PRISCUS-Liste nicht als PIM aufgeführten Wirkstoffe Risperidon und Quetiapin am häufigsten verwendet. Bei Betrachtung der Gesamtheit aller Patienten liegt jedoch bereits an dritter Stelle der Verordnungshäufigkeit das in der PRISCUS-Liste als PIM benannte Haloperidol (für Dosierungen >2 mg Tagesdosis), an vierter Stelle das in der PRISCUS-Liste als PIM benannte Olanzapin (für Tagesdosen >10 mg). Neuroleptische Depotgaben spielen in der Anwendungshäufigkeit nur eine untergeordnete Rolle. Jeder neunte Patient mit einer organisch bedingten psychischen Störung erhielt während des stationären Aufenthalts Haloperidol. Von den Patienten mit einer F2-Hauptdiagnose nach ICD-10 erhielt jeder fünfte Patient während des stationären Aufenthalts Olanzapin und jeder vierte Patient Haloperidol. Selbst wenn sich aus den vorliegenden Daten keine durchschnittlichen Tagesdosierungen ableiten lassen, ist dennoch zu bedenken, dass Haloperidol und Olanzapin auch in den niedrigen Dosierungen von 2 mg bzw. 10 mg zu den Arzneistoffen gehören, für die in der PRISCUS-Studie „keine eindeutige Entscheidung durch die Expertengruppe“ erzielt werden konnte. Andererseits ist es sehr diskussionswürdig, Haloperidol als PIM zu klassifizieren, die heute üblichen niedrigen Dosierungen könnte man durchaus als adäquat einstufen. Ähnliches gilt für Clozapin, welches in unserer Studie bei 8,7% der Patienten mit einer F2-Hauptdiagnose eingesetzt wurde und als Reservemedikament bei chronischen Schizophrenien und in der Behandlung von Parkinson-Psychosen ja unverzichtbar ist. Hierzu ist zu bemerken, dass es sich bei der PRISCUS-Liste nicht um eine breit konsentierte, fachspezifisch abgestimmte Liste handelt; Kliniker und ausgewiesene Psychopharmaka-Experten waren nicht ausreichend vertreten gewesen. Möglicherweise spiegelt die trotz der Empfehlungen der PRISCUS-Liste starke Verwendung von Clozapin auch ein für ein stationär psychiatrisches Patientengut charakteristisches Verordnungsverhalten wider, da ja typischerweise sich ambulant als therapierefraktär erweisende Psychosepatienten zur Anpassung der Medikation stationär eingewiesen werden. In der 1-Jahres-Prävalenzstudie von Amann et al. [1] hatten die Wirkstoffe Haloperidol, Olanzapin und Clozapin im Gegensatz zu unseren Daten im Vergleich zum Wirkstoff Amitriptylin deutlich niedrigere Prävalenzen aufgewiesen, so lag Haloperidol auf Rang 27 der nach Alter und Geschlecht standardisierten Prävalenz, Olanzapin auf Rang 45 und Clozapin schließlich auf Platz 60. In einer weiteren 1-Jahres-Prävalenzstudie waren die Wirkstoffe Haloperidol und Olanzapin von der Erfassung ausgenommen, zur Prävalenz des Wirkstoffs Clozapin wurden keine Angaben gemacht [23]. Anzumerken ist weiterhin, dass die starren Dosisgrenzen der PRISCUS-Liste, zum Beispiel für Haloperidol, den modernen Möglichkeiten der Therapiesteuerung nicht gerecht werden. So lässt sich beispielsweise mittels therapeutischem Drug-Monitoring – neben der unerlässlichen klinischen Beurteilung von Wirkung und Nebenwirkung – die für den Patienten individuell passende Dosierung finden.

Grenzen der PRISCUS-Liste

Titel wie „PRISCUS-Liste – Schädliche Arzneistoffe im Alter“ können Assoziationen wecken und dem Laien suggerieren, in der Liste aufgeführte Arzneistoffe seien generell schädlich, gerade wenn weiter ausgeführt wird, bei der PRISCUS-Liste handele es sich im Prinzip um eine Art „Pharmakologiebuch für alte Menschen“ [22]. So findet sich bei einer Internet-Recherche [12] prompt eine Internet-Seite des AOK-Bundesverbandes, auf der festgestellt wird: „PRISCUS-Liste bietet Ärzten verlässliche Entscheidungshilfe“ und auf welcher der Download von „PRISCUS-Liste für den Schreibtisch: Die 83 Wirkstoffe im Überblick!“ angeboten wird. Dieser Link ist offensichtlich auch für den medizinischen Laien gedacht. Aber ist er wirklich hilfreich? Wird er der Komplexität des Themas Pharmakotherapie im Alter wirklich gerecht? Bietet die PRISCUS-Liste wirklich eine verlässliche Entscheidungshilfe? Oder wird derjenige ärztliche Kollege, der aus seinem Erfahrungsschatz heraus eine bestmögliche medikamentöse Therapie für den Patienten wählt, vom Laien nun vor allem danach beurteilt, ob er sich an die Empfehlungen der PRISCUS-Liste gehalten hat und dadurch „korrekt“ therapiert hat?

In einem Internetbeitrag der Medical Tribune [20] ist gar zu lesen: „Kassen legen großen Wert auf Beachtung der PRISCUS-Liste“, das AOK-System habe „schon einige Anläufe unternommen“, um die 83 Wirkstoffe der PRISCUS-Liste „den verordnenden Ärzten bekannt zu machen“, so beispielsweise über die „Liste als Tischunterlage“ oder einem „extra honorierten Arzneimittelcheck“. Besteht hier nicht der Versuch einer Einflussnahme von Nicht-Ärzten auf das Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient? Weiter wird in der Medical Tribune aufgeführt, dass in einem AOK-Vergleich Rheinland-Pfalz und das Saarland die „Spitzenposition beim Anteil der PRISCUS-Patienten an den Versicherten ab 65 Jahren“ eingenommen hätten. Dort hätten über 27% dieser Versicherten „ungeeignete Arzneien“ erhalten. Aber woher wissen die Verfasser, ob die „Arzneien“ wirklich „ungeeignet“ waren, für den einzelnen Patienten mit seinem individuellen Beschwerdebild, seinen individuellen Erkrankungen und Risikofaktoren? Kann das nicht nur der behandelnde Arzt zusammen mit dem Patienten entscheiden?

In der Publikation „Einstellungen älterer Menschen zur Arzneimitteltherapie, Ergebnisse einer Umfrage unter 1000 GKV-Versicherten ab 65 Jahren“ [28] wird ausgeführt: „Auch die Patienten, die nachweislich ein für ihre Altersgruppe ungeeignetes Arzneimittel (PRISCUS-Arzneimittel) erhalten haben, fühlen sich mehrheitlich nicht informiert.“ Die Interviews seien im Infratest-Telefonstudio München durchgeführt worden. Auch hier werden die Begrifflichkeiten „PRISCUS-Arzneimittel“ und „ungeeignet“ gleichgesetzt.

In einer Pressemeldung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK vom 23. März 2012 [18] wird getitelt: „Arzneimitteltherapie im Alter – Ältere Frauen erhalten besonders häufig ungeeignete Arzneimittel“ und in der Mitteilung angeführt, die Gesundheitskasse schreibe deshalb gezielt Ärzte an, die stärker als ihre Fachkollegen zu PRISCUS-Arzneimitteln griffen. Zudem biete die AOK vielerorts „pharmakotherapeutische Beratungen“ an. Das „Verordnungsspektrum“ eines interessierten Arztes werde dazu mit einer speziellen Software analysiert. Daraus leite ein Apotheker der AOK „Vorschläge für Verbesserungen der Arzneimitteltherapie“ ab und erläutere diese in einem ausführlichen Beratungsgespräch.

Ist die PRISCUS-Liste aber für den in der Gerontopsychiatrie tätigen Arzt wirklich hilfreich? Diejenigen, die in der Gerontopsychiatrie tätig sind, kennen in der Regel die Inhalte der PRISCUS-Liste, wissen jedoch insbesondere auch, dass bei der Behandlung eines älteren Patienten alle individuellen Aspekte der Erkrankung, der bisherigen Behandlungsansätze und der individuellen körperlichen Begleiterkrankungen berücksichtigt werden müssen. Das Stülpen einer Schablone über die verordnete Medikation mit einer Dichotomisierung in PRISCUS-positive Medikation und nicht in der PRISCUS-Liste aufgeführte Medikation ist abzulehnen. Dies würde eine Einschränkung der Therapiefreiheit des behandelnden Arztes bedeuten.

Die Entscheidung über eine dem individuellen Patienten mit seinen Wünschen und Bedürfnissen angemessene Therapie muss immer eine Entscheidung bleiben, die behandelnder Arzt und Patient gemeinsam unter Abwägung aller Nutzen und Risiken treffen. Eine starre Beurteilung der Angemessenheit der Medikation, ja gar eine Anmaßung über die Beurteilung der Behandlungsqualität von nicht in den Behandlungsablauf eingebundenen Personen anhand der PRISCUS-Liste ist strikt zurückzuweisen.

Neben der Berücksichtigung von Listen potenziell inadäquater Medikamente, beispielsweise durch pharmazeutische Betreuung [16], sollten andere wichtige Überlegungen bei der Verordnung von Psychopharmaka nicht aus dem Blickfeld rücken. So sollten dem Verordner Metabolismus und Eliminationswege der jeweiligen Substanz bekannt sein, insbesondere mögliche Interaktionen im Abbau über die Cytochrom-P450-Isoenzyme. Weiterhin erhöht unnötige Polypharmazie das Risiko für pharmakodynamische und pharmakokinetische Interaktionen [17]. Bestehen bei drei gleichzeitig verordneten Medikamenten drei bezüglich Wechselwirkungen mögliche Interaktionspaare, so steigt die Anzahl bei vier Medikamenten auf sechs Interaktionspaare. Bei fünf Medikamenten sind zehn Interaktionspaare zu beachten, bei sechs Medikamenten bereits 15, bei sieben verordneten Medikamenten schließlich eine kaum noch zu überblickende Zahl von 21 verschiedenen Interaktionspaaren. Durch Kenntnis der spezifischen Rezeptorbindungsprofile lassen sich gerade auch bei den antipsychotisch wirksamen Medikamenten unvorteilhafte Kombinationen vermeiden [5]. Durch ein therapeutisches Drug-Monitoring [24] können aktuell bereits für viele Psychopharmaka Wirkstoffspiegel bestimmt werden, um fragliche Compliance, schlechte Arzneimittelverträglichkeit oder unzureichendes Ansprechen auf therapeutisch empfohlene Dosen zu beurteilen. Wenn denn eine Polypharmazie oder die Anwendung von PIM unvermeidlich ist, lässt sich mittels TDM zumindest das Risiko des Auftretens von unerwünschten Arzneimittelwirkungen besser kalkulieren.

Die Berücksichtigung von Medikamentenlisten ist daher eben nur einer von vielen Bausteinen einer guten medikamentösen Versorgung gerontopsychiatrischer Patienten.

Interessenkonflikterklärung

Dr. Stefan Poljansky: Kein Interessenkonflikt.

Dr. Kerstin Sander: Kein Interessenkonflikt.

Dr. Sissi Artmann: Kein Interessenkonflikt.

Prof. Dr. Gerd Laux: Honorare für Vorträge und die wissenschaftliche Tätigkeit in Advisory/Expert-Boards sowie Drittmittelforschungsmittel von den Firmen Janssen-Cilag, Lilly, Lundbeck, Merz, Otsuka und Servier.

Literatur

1. Amann U, Schmedt N, Garbe E. Prescribing of potentially inappropriate medications for the elderly: an analysis based on the PRISCUS list. Dtsch Arztebl Int 2012;109:69–75.

2. American Geriatrics Society 2012 Beers Criteria Update Expert Panel. American Geriatrics Society updated Beers Criteria for potentially inappropriate medication use in older adults. J Am Geriatr Soc 2012;60:616–31.

3. Beers MH. Explicit criteria for determining potentially inappropriate medication use by the elderly. An update. Arch Intern Med 1997;157:1531–6.

4. Berthold HK. Wege zu einer angemessenen Pharmakotherapie im Alter. Arzneimittel-, Therapie-Kritik & Medizin und Umwelt 2013;45:139–50.

5. Dietmaier O, Schaub R. Therapie mit Antipsychotika beim alten Menschen. Arzneimittel-, Therapie-Kritik & Medizin und Umwelt 2011;43:375–90.

6. Dormann H, Sonst A, Müller F, Vogler R, et al. Adverse drug events in older patients admitted as an emergency – the role of potentially inappropriate medication in elderly people (PRISCUS). Dtsch Arztebl Int 2013;110:213–9.

7. Fialova D, Topinkova E, Gambassi G, Finne-Soveri H, et al. Potentially inappropriate medication use among elderly home care patients in Europe. JAMA 2005;293:1348–58.

8. Fick DM, Cooper JW, Wade WE, Waller JL, el al. Updating the Beers criteria for potentially inappropriate medication use in older adults: results of a US consensus panel of experts. Arch Intern Med 2003;163:2716–24.

9. Gnjidic D, Le Couteur DG, Pearson SA, McLachlan AJ, et al. High risk prescribing in older adults: prevalence, clinical and economic implications and potential for intervention at the population level. BMC Public Health 2013;13:115.

10. Hamilton HJ, Gallagher PF, O’Mahony D. Inappropriate prescribing and adverse drug events in older people. BMC Geriatr 2009;9:5.

11. Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste. Dtsch Arztebl Int 2010;107:543–51.

12. www.aok-gesundheitspartner.de/bund/arzneimittel/verordnung/priscus/index.html (Zugriff am 22.08.2014).

13. Laroche ML, Charmes JP, Merle L. Potentially inappropriate medications in the elderly: a French consensus panel list. Eur J Clin Pharmacol 2007;63:725–31.

14. McLeod PJ, Huang AR, Tamblyn RM, Gayton DC. Defining inappropriate practices in prescribing for elderly people: a national consensus panel. CMAJ 1997;156:385–91.

15. O’Mahony D, Gallagher P, Ryan C, Byrne S, et al. STOPP & START criteria: A new approach to detecting potentially inappropriate prescribing in old age. European Geriatric Medicine 2010;1:45–51.

16. Patterson SM, Hughes C, Kerse N, Cardwell CR, et al. Interventions to improve the appropriate use of polypharmacy for older people. Cochrane Database Syst Rev 2012;5:CD008165.

17. Pfuhlmann B, Unterecker S. Polypharmazie in der Psychopharmakotherapie. Psychopharmakotherapie 2013;20:158–62.

18. Pressemeldung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. 2012. www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_pressemitteilungen/wido_arz_pm_Priscus_0312.pdf (Zugriff am 22.08.2014).

19. Pretorius RW, Gataric G, Swedlund SK, Miller JR. Reducing the risk of adverse drug events in older adults. Am Fam Physician 2013;87:331–6.

20. Reischmann M. Online-Fortbildung über PRISCUS mithilfe der AOK. Medical Tribune 2013. www.medical-tribune.de/home/news/artikeldetail/online-fortbildung-ueber-priscus-mithilfe-der-aok.html (Zugriff am 22.08.2014).

21. Sander K, Laux G, Schiller E, Wittmann M, et al. Verordnungsmuster psychotroper Medikamente in der stationären Psychiatrie. Teil 2: Analyse nach Alter und Geschlecht der Patienten anhand der AGATE-Stichtagserhebungen 2010. Psychopharmakotherapie 2013;20:168–78.

22. Sauer B. Priscus-Liste Schädliche Arzneistoffe im Alter. Pharmazeutische Zeitung 2010;155:2948–9.

23. Schubert I, Küpper-Nybelen J, Ihle P, Thürmann P. Prescribing potentially inappropriate medication (PIM) in Germany’s elderly as indicated by the PRISCUS list. An analysis based on regional claims data. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2013;22:719–27.

24. Schwarz M, Hiemke C. Therapeutisches Drug-Monitoring für die individualisierte Risikominimierung der Psychopharmakotherapie. Psychopharmakotherapie 2013;20:163–7.

25. Spiessl H, Hübner-Liebermann B, Cording C, Klein HE. Evidence-based hospital management considering data from the psychiatric basic documentation system. Psychiatr Prax 2004;31(Suppl 1):9–11.

26. Stiftung Warentest. Arzneimittel im Alter. test 2013;9:88–93.

27. Wüst W. Neues aus der Geriatrie. Bayerisches Ärzteblatt 2012;67:280–7.

28. Zok K. Einstellungen älterer Menschen zur Arzneimitteltherapie, Ergebnisse einer Umfrage unter 1.000 GKV-Versicherten ab 65 Jahren. WIdO-monitor 2012;9:1–8.


Dr. med. Stefan Poljansky, Dr. Kerstin Sander, Dr. Sissi Artmann, kbo-Inn-Salzach-Klinikum gemeinnützige GmbH, Gabersee 7, 83512 Wasserburg am Inn, E-Mail: stefan.poljansky@kbo.de

Prof. Dr. med. Gerd Laux, Institut für Psychologische Medizin (IPM), Oberwallnerweg 7, 83527 Haag i. OB/München

Prescribing of potentially inappropriate medications in old aged psychiatric in-patients – Are the recommendations of the PRISCUS list implemented?

Introduction: Due to elevated morbidity and polypharmacy geriatric patients have a greater susceptibility to adverse drug events. In 2010 a preliminary list of drugs potentially inappropriate for elderly patients (Potentially inappropriate medications in the elderly: The PRISCUS List) had been developed specifically for use in Germany. Aim of this study was to picture the actual prescribing pattern of psychotropic drugs in old aged psychiatric in-patients and, in particular, to present the incidence of prescribing potentially inappropriate drugs.

Methods: Data were collected for all patients aged 65 years or older in a German psychiatric state hospital for a period from 2008 until 2012 using the psychiatric basis documentation system (BADO).

Results: Data of 8,324 patients were analysed. Prescribing of antidepressants and anti-dementia drugs is in good accordance to the recommendations of the PRISCUS list, whereas the situation in prescription of antipsychotic drugs is complex with haloperidol and olanzapine capturing rank three and four in frequency of prescription. Ninety-one percent of the patients that had received a psychotropic drug classified as potentially inappropriate during their hospital stay were classified as ameliorated at the time of discharge from hospital.

Discussion: Besides considering lists with potentially inappropriate drugs other strategies such as therapeutic drug monitoring, avoidance of polypharmacy and knowledge of cytochrome P 450 interactions should be noticed in the treatment of old aged psychiatric in-patients with psychotropic drugs.

Key words: PRISCUS list, potentially inappropriate medication, geriatric psychiatry

Psychopharmakotherapie 2015; 22(03)