Adhärenz als Erfolgsfaktor in der ADHS-Therapie

Naturalistische Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Mit einer stabilen und guten Adhärenz kann es bei Kindern und Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auch in schwierigen Phasen gelingen, dass die Betroffenen weiter von einer effektiven Pharmakotherapie profitieren. Adhärenzprobleme sind gerade bei Jugendlichen bislang kaum systematisch erforscht. Prof. Michael Huss, Mainz, stellte hierzu auf der DGKJP-Jahrestagung erste Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag vor. In der naturalistischen Vergleichsstudie war die Adhärenz unter retardiertem Methylphenidat mit rund 76% signifikant besser als unter der zweimal täglichen Einnahme von kurzwirksamem Methylphenidat mit 44%.

Die Adhärenz ist ein sensibler Faktor, der von den Komorbiditäten und dem individuellen Setting abhängig ist. Gerade in der Pubertät erfordern der verstärkte Wunsch nach einer unabhängigen Lebensführung und die steigenden funktionellen Anforderungen eine gute Symptomkontrolle. Gleichzeitig entfallen viele der im Kindesalter wirksamen Unterstützungssysteme, beispielsweise der Einfluss durch die Eltern oder Lehrer. Erstaunlicherweise finden sich nur wenige harte Daten zum Einfluss der ADHS-Medikation auf die Adhärenz im Kindes- und Jugendlichenalter: In einem aktuellen Review [1] waren retardierte Stimulanzien mit einer Medical-Possession-Rate (MPR; Maß für die Adhärenz) von 0,67 (Maximalwert 1,0) mit der besten Adhärenz assoziiert waren, wobei in den untersuchten Studien eine ausreichende Adhärenz als MPR >0,7 bzw. >0,8 definiert war. Negative Einflussfaktoren waren unzureichende Wirkung, unerwünschte Effekte und die Sorge vor Stigmatisierung [2].

Daten zum deutschen Versorgungsalltag

Erste Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag liefert jetzt eine naturalistische Vergleichsstudie der Arbeitsgruppe um Huss zur Adhärenz unter kurz- und langwirksamem Methylphenidat. Teilnehmer waren knapp 30 Kinder und Jugendliche mit ADHS im Alter von 6 bis 17 Jahren, die langfristig stabil auf retardiertes Methylphenidat eingestellt waren. Sie erhielten entweder kurzwirksames Methylphenidat (Medikinet®) oder weiterhin retardiertes Methylphenidat (Medikinet® retard). Primärer Endpunkt war die Adhärenz unter der Behandlung mit Methylphenidat. Sekundäre Endpunkte waren die Dauer der regelmäßigen Einnahme der Medikation über 30 aufeinanderfolgende Tage, die Anzahl der eingenommenen Kapseln, die ADHS-Symptomatik, die Lebensqualität sowie die Sicherheit und Verträglichkeit. Die Beobachtungsdauer betrug 100 Tage [3].

In einer vorläufigen Auswertung der Ende 2014 abgeschlossenen Studie war die Adhärenz mit 75,68% unter retardiertem Methylphenidat deutlich besser als unter der zweimal täglichen Einnahme von kurzwirksamem Methylphenidat (43,70%). Dieser Unterschied war trotz der kleinen Fallzahl signifikant [3]. Für Studienleiter Huss wird damit deutlich, dass selbst bei vergleichbarer Wirksamkeit der beiden Methylphenidat-Formulierungen bei den mit dem Retard-Präparat behandelten Patienten deutlich mehr Wirkstoff „ankommt“.

Geringe Evidenz nichtpharmakologischer Therapien

Die leitliniengerechte medikamentöse Behandlung ist umso wichtiger, als die Evidenz für nichtpharmakologische Therapieoptionen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS überwiegend gering ist, so Prof. Martin Holtmann, Hamm. Die Auswahl geeigneter Interventionen sollte nicht unspezifisch nach dem Motto „One size fits all“ erfolgen, sondern an den Zielsymptomen orientiert sein. Dazu gehören kognitive Therapien bei Arbeitsgedächtnis-Problemen [4], Diäten bei spezifischer Überempfindlichkeit, die zusätzliche körperliche Symptome verursacht, oder psychomotorische Übungen bzw. Sport bei motorischen Koordinationsproblemen [5]. Neurofeedback könnte möglicherweise bei Unaufmerksamkeit nützlich sein [6]. Für Homöopathie, Meditation, Akupunktur und Chiropraktik/Osteopathie gibt es bislang keine ausreichende Evidenz, so Holtmann.

Quelle

Univ.-Prof. Dr med. Dipl.-Psych. Michael Huss, Mainz, Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Martin Holtmann, Hamm; Lunchsymposium „Optimierte Therapiemodule“, veranstaltet von MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG im Rahmen der 34. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie (DGKJP), München, 5. März 2015.

Literatur

1. Turgay A, et al. Lifespan persistence of ADHD: the life transition model and its application. J Clin Psychiatry 2012;73:192–201.

2. Gajria K, et al. Adherence, persistence, and medication discontinuation in patients with attention-deficit/hyperactivity disorder – a systematic literature. Neuropsychiatr Dis Treat 2014;10:1543–69.

3. EU Clinical Trials Register/EudraCT Nr. 2008–003285–26.

4. McNab F, et al. Changes in cortical dopamine D1 receptor binding associated with cognitive training. Science 2009;323:800–2.

5. Sonuga-Barke EJ, et al. Nonpharmacological interventions for ADHD: systematic review and meta-analyses of randomized controlled trials of dietary and psychological treatments. Am J Psychiatry 2013;170:275–89.

6. Micoulaud-Franchi JA, et al. EEG neurofeedback treatments in children with ADHD: an updated meta-analysis of randomized controlled trials. Front Hum Neurosci 2014;8:906.

Psychopharmakotherapie 2015; 22(03)