Kardiovaskuläre Nebenwirkungen von Psychostimulanzien und Atomoxetin bei der Behandlung von ADHS


Katharina Wenzel-Seifert, Benedikt Stegmann, Marlene Wild und Ekkehard Haen, Regensburg

Die für die Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugelassenen Arzneistoffe Atomoxetin, Methylphenidat, Amfetamin, Dexamfetamin und Lisdexamfetamin führen zu einem Anstieg der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt. Daher kann es auch zu unerwünschten Symptomen einer erhöhten Aktivität des sympathischen Nervensystems kommen, zu denen neben Schlaflosigkeit, Unruhe und Appetitlosigkeit auch periphere kardiovaskuläre Wirkungen gehören. Die Ergebnisse mehrerer Metaanalysen haben gezeigt, dass bei der Mehrzahl der Patienten zu Beginn der Therapie mit Atomoxetin bzw. Methylphenidat im Durchschnitt nur sehr geringe Anstiege von Herzfrequenz und Blutdruck auftreten, die im Laufe der Behandlung wieder zurückgehen können. Bei 6 bis 12% der Patienten wurden jedoch unter Atomoxetin Erhöhungen des Blutdrucks um mehr als 15 bis 20 mmHg und der Herzfrequenz um mehr als 20 Schläge/Minute beobachtet, die bei 15 bis 32% dieser Patienten im weiteren Verlauf der Therapie persistierten oder sogar zunahmen. Bislang konnte zwar in mehreren großen, von der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA (U.S. Food and Drug Administration) finanzierten, pharmakoepidemiologischen retrospektiven Kohortenstudien weder für Kinder und Jugendliche noch für Erwachsene ein erhöhtes Risiko für schwere kardiovaskuläre Nebenwirkungen – Herzinfarkt, Schlaganfall und plötzlicher Herztod – nachgewiesen werden. Es war jedoch nicht auszuschließen, dass Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen ein höheres Risiko aufweisen. Aufgrund dieser Studien ordneten die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde (EMA) und das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Dezember 2011 für Atomoxetin, wie bereits seit 2009 für Methylphenidat, die Aufnahme von Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen in die Fach- sowie die Produktinformationen an. Vor Beginn der Behandlung soll bei allen Patienten durch eine sorgfältige Anamnese und Voruntersuchung das Vorliegen einer schwerwiegenden kardio- oder zerebrovaskulären Erkrankung ausgeschlossen werden. Zusätzlich sollten bei allen Patienten vor Beginn und im Laufe der Behandlung regelmäßig Herzfrequenz und Blutdruck gemessen und protokolliert werden. Diese Kontraindikationen und Sicherheitsvorkehrungen gelten auch für Amfetamin, Dexamfetamin und Lisdexamfetamin.Es ist hinzuzufügen, dass es bei Patienten mit einem sogenannten „Poor Metabolizer“-Phänotyp für das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP2D6 bzw. bei zusätzlicher Einnahme von CYP2D6 oder die Monoaminoxidasen hemmenden Medikamenten zu einer Erhöhung der Plasmakonzentrationen von Atomoxetin und Methylphenidat sowie den Neurotransmittern Noradrenalin und Dopamin kommen kann. Des Weiteren sollte nach Möglichkeit wegen des Risikos additiver pharmakodynamischer Arzneimittelinteraktionen (Typ PD1, PD2a und PD3a) auf die zusätzliche Anwendung von ebenfalls sympathomimetisch wirkenden und damit die unerwünschten Arzneimittelwirkungen der ADHS-Medikamente verstärkenden Arzneistoffen verzichtet werden.
Schlüsselwörter: ADHS, Methylphenidat, Atomoxetin, Lisdexamfetamin, Dexamfetamin, Amfetamin, kardiovaskuläre Nebenwirkungen, Kinder, Erwachsene
Psychopharmakotherapie 2015;22:42–6.

Pathophysiologie und Behandlung von ADHS

Methylphenidat und Atomoxetin werden seit vielen Jahren zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Nach der Zulassung der beiden Arzneistoffe für Erwachsene stiegen in den USA die Verordnungszahlen zwischen 2001 und 2010 noch schneller an als bei Kindern. Derzeit werden dort 32% aller ADHS-Medikamente an erwachsene Patienten verordnet [10]. Es ist nicht auszuschließen, dass auch in Deutschland nach der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Methylphenidat für erwachsene ADHS-Patienten im Jahre 2011 die Verordnungszahlen in dieser Altersgruppe zunehmen werden.

Im Juni 2013 wurde zusätzlich Lisdexamfetamin zugelassen. Hierbei handelt es sich um ein Prodrug (Lisdexamfetamindimesilat, LDX) des Wirkstoffs Dexamfetamin, der in Deutschland seit Mitte 2011 als Fertigarzneimittel (Attentin®) zugelassen ist und in Form seines Razemats Amfetamin schon seit längerem als in Apotheken zuzubereitender Saft abgegeben werden kann. Lisdexamfetamin besitzt eine Zulassung bei Kindern ab sechs Jahren, wenn eine zuvor erhaltene Behandlung mit Methylphenidat nicht zu einem ausreichenden Behandlungserfolg geführt hat.

Methylphenidat – ebenfalls ein Amfetaminderivat –, Amfetamin, Dexamfetamin und Lisdexamfetamin wirken wie andere Psychostimulanzien als indirekte Sympathomimetika. Sie erhöhen die Konzentrationen von Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt zum einen durch Hemmung von deren Wiederaufnahme in die präsynaptischen Speichervesikel (wie Atomoxetin), darüber hinaus aber in höheren Konzentrationen auch über Verdrängung von Noradrenalin aus diesen Speichervesikeln. Durch die Erhöhung der Konzentration von Noradrenalin in der Präsynapse dreht sich die Richtung des Noradrenalin-Transporters in der präsynaptischen Membran um, sodass der Neurotransmitter in den synaptischen Spalt transportiert wird [26].

Pathophysiologisch wird beim ADHS eine Imbalance des dopaminergen Systems mit einem Defizit im mesolimbokortikalen Bereich (in Verbindung mit Aufmerksamkeits- und exekutiven Defiziten) bei gleichzeitiger Überfunktion des nigrostriatalen Dopamin-Systems in Verbindung mit hyperaktivem Verhalten angenommen [1, 12]. Daher erscheint es auf den ersten Blick paradox, dass die die synaptische Konzentration von Dopamin erhöhenden Psychostimulanzien einen normalisierenden Effekt auf das hyperaktive Verhalten der Patienten haben könnten. Dopamin wird jedoch nicht nur auf einen Nervenimpuls hin in den synaptischen Spalt ausgeschüttet (impulsinduzierte Ausschüttung), sondern auch stetig in den Intervallen zwischen den Impulsen (tonische Ausschüttung).

Da beide Prozesse im Sinne eines negativen Feedbacks voneinander abhängig sind, geht eine Erhöhung der tonischen Konzentration des Neurotransmitters durch niedrige Dosen von Stimulanzien mit einer durch präsynaptische D2-Autorezeptoren vermittelten verringerten impulsinduzierten Ausschüttung von Dopamin einher, sodass die Konzentration von Dopamin im synaptischen Spalt weniger starken Schwankungen unterliegt. Mit steigenden Dosen der Stimulanzien kann die Ausschüttung von Dopamin dagegen so stark erhöht werden, dass das negative Feedback über die D2-Autorezeptoren nicht mehr ausreicht [22].

Im Gegensatz zu Methylphenidat und den Amfetaminderivaten zählt Atomoxetin (Strattera®) nicht zu den Psychostimulanzien. Wie das Antidepressivum Reboxetin ist es ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der eine Erhöhung der Konzentration des Neurotransmitters Noradrenalin im synaptischen Spalt bewirkt. Vergleichbar zu den Antidepressiva tritt die volle Wirkung von Atomoxetin erst nach zwei bis drei Wochen oder noch später ein. Das noradrenerge System ist mit der Modulation höherer kortikaler Funktionen wie Aufmerksamkeit und Vigilanz assoziiert, die durch Atomoxetin günstig beeinflusst werden können. Zudem wird Dopamin auch gemeinsam mit Noradrenalin aus noradrenergen Neuronen freigesetzt, sodass eine erhöhte Konzentration von Noradrenalin im synaptischen Spalt über präsynaptische α2-adrenerge Rezeptoren auch die impulsinduzierte Freisetzung von Dopamin hemmen kann [3, 26].

Im Endeffekt führen alle drei Substanzen in den entsprechenden Funktionssystemen zu einer Verbesserung der dopaminergen und noradrenergen synaptischen Transmission.

Aufgrund dieser Wirkungsmechanismen können diese Arzneistoffe jedoch auch zu unerwünschten Symptomen einer erhöhten Aktivität des sympathischen Nervensystems führen, zu denen neben Unruhe, Schlaflosigkeit und Gewichtsabnahme auch Anstiege von Blutdruck und Herzfrequenz gehören. Bislang wurde das Risiko kardiovaskulärer Nebenwirkungen bei den therapeutisch zugelassenen Dosierungen jedoch als gering eingeschätzt. Durch die Zulassung für Erwachsene könnte sich diese Risikobewertung ändern.

Kardiovaskuläre Wirkungen von Methylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin

Eine bereits 1992 veröffentlichte Metaanalyse von 15 kontrollierten klinischen Studien hatte nach Beginn der Therapie mit Methylphenidat Anstiege der Herzfrequenz um durchschnittlich elf Schläge pro Minute gezeigt, die im weiteren Verlauf jedoch auf durchschnittlich vier Schläge pro Minute zurückgingen [19].

Auch in einer vom Hersteller Eli Lilly im Jahr 2003 veröffentlichten Metaanalyse von fünf Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien mit insgesamt 612 mit Atomoxetin behandelten ADHS- und 474 Kontrollpatienten wurde in allen Altersgruppen im Durchschnitt ein geringer Anstieg der Herzfrequenz um 2 bis 6 Schläge pro Minute und des systolischen und diastolischen Blutdrucks um 2 bis 4 bzw. 1 bis 3 mmHg nachgewiesen. Bei 3,6% der Patienten stieg die Herzfrequenz jedoch über 110 bzw. um mehr als 25 Schläge pro Minute [25].

Eine weitere im Auftrag des Herstellers durchgeführte Metaanalyse dokumentierte sogar bei 6 bis 12% der Kinder und Erwachsenen Blutdruckerhöhungen um mehr als 15 bis 20 mmHg und Herzfrequenzanstiege um mehr als 20 Schläge pro Minute, die bei 15 bis 32% dieser Patienten im weiteren Verlauf der Therapie persistierten oder sogar zunahmen. Die Mehrheit der mit Atomoxetin behandelten Patienten entwickelte jedoch nur geringfügige Anstiege von Herzfrequenz und Blutdruck (<10 Schläge pro Minute, <5 mmHg) [15].

In den Zulassungsstudien wurden für Lisdexamfetamin nur moderate Anstiege der Herzfrequenz (im Durchschnitt um 3,6 Schläge pro Minute) gefunden, die in derselben Größenordnung wie die im Durchschnitt für Atomoxetin und Methylphenidat angegebenen liegen. Bei 15% der 6 bis 12 Jahre alten Studienteilnehmer traten jedoch Herzfrequenzen über 100 Schläge pro Minute auf [4].

Metaanalysen zum Wirkstoff Lisdexamfetamin liegen noch nicht vor.

Einschätzung der Kardiotoxizität durch die FDA

Zwischen 1999 und 2005 wurden an das Adverse Event Reporting System (AERS) der FDA insgesamt 44 aufgetretene plötzliche Todesfälle unter Therapie mit ADHS-Medikamenten gemeldet. Davon hatten sich 20 Fälle unter Therapie mit Amfetaminen bzw. deren Derivaten (14 pädiatrische Fälle, 6 Erwachsene), 18 Fälle unter therapeutischen Dosierungen von Methylphenidat (14 pädiatrische Fälle, 4 Erwachsene) und 8 Fälle unter Atomoxetin (7 Kinder und Jugendliche, 1 Erwachsener) ereignet. Bei den Patienten, für die eine Autopsie vorlag, fanden sich mehrfach Hinweise auf das Vorliegen von zu Lebzeiten nicht diagnostizierten kardialen Erkrankungen [5, 8, 17]. Die FDA hat sich daher gegen die Anwendung von Amfetaminderivaten bei bestehenden kardialen Vorerkrankungen ausgesprochen, was auch Lisdexamfetamin einschließt [7, 8].

Aufgrund dieser Ergebnisse und des Anstiegs der Verordnungszahlen von ADHS-Medikamenten bei Erwachsenen, von denen anzunehmen ist, dass sie generell ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen als Kinder haben, begann sich die FDA bereits im Jahr 2006 mit den schwerwiegenden kardio- und zerebrovaskulären Risiken dieser Arzneistoffe zu beschäftigen und initiierte mehrere große pharmakoepidemiologische Studien, die im Laufe der letzten beiden Jahre publiziert wurden [2, 6, 7, 10, 20].

  • In einer von 1986 bis 2002 auf der Basis elektronischer Krankenakten und Sterberegister durchgeführten retrospektiven Kohortenstudie (1579104 Kinder und junge Erwachsene, 2 bis 24 Jahre alt, mittleres Alter 11 Jahre; mittlere Beobachtungszeit 2,1 Jahre) wurden insgesamt 81 schwere kardiovaskuläre Ereignisse (33 Fälle plötzlichen Herztods, 9 akute Herzinfarkte und 39 Schlaganfälle) beobachtet. Dies entspricht einer sehr niedrigen Inzidenz von 3,1 Ereignissen pro 100000 Personenjahre. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in den altersadjustierten Inzidenzen für schwere kardiovaskuläre Ereignisse zwischen medikamentös behandelten Patienten und ihren Kontrollen (Hazard-Ratio 0,70; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,31–1,85 [2]). Eine weitere Kohortenstudie mit 241417 medikamentös behandelten 3 bis 17 Jahre alten ADHS-Patienten kam zu vergleichbaren Ergebnissen [20].
  • Auch eine zur Kardiotoxizität von ADHS-Medikamenten bei erwachsenen Patienten durchgeführte sehr ähnliche Studie (1986 bis 2007) mit 150359 mit Methylphenidat, Amfetaminen oder Atomoxetin behandelten Patienten und 443198 Kontrollpatienten (25 bis 64 Jahre, mittlere Beobachtungsdauer 2,1 Jahre) ergab kein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Myokardinfarkts (adjustierte Risikorate [aRR] 0,88; 95%-KI 0,74–1,15), eines Schlaganfalls (aRR 0,70; 95%-KI 0,56–1,12) oder plötzlichen Herztods (aRR 0,80; 95%-KI 0,55–1,18) [10]. Die Analyse von Subgruppen differenziert nach Arzneistoffen und dem Vorliegen kardiovaskulärer Vorerkrankungen oder anderer psychiatrischer Erkrankungen zeigte ebenfalls keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu unbehandelten ADHS-Patienten. In einem Editorial wurde jedoch darauf hingewiesen, dass in der ansonsten sehr sorgfältig durchgeführten Studie keine Kontrollen der Compliance der Patienten (Bestimmung der Wirkstoffkonzentrationen) durchgeführt und neben den sehr schweren kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen nicht wesentlich häufigere moderate kardiovaskuläre Symptome, wie Herzrhythmusstörungen und Luftnot erfasst worden waren [23].

In den klinischen Studien wurden weder für die Psychostimulanzien noch für Atomoxetin signifikante Effekte auf die Länge des QTc-Intervalls gefunden. Bislang wurden zudem noch keine Fälle mit Torsades-de-pointes-Tachyarrhythmien publiziert [16, 24].

Arzneimittelrechtliche Maßnahmen

Die FDA ordnete bereits im Jahr 2007 die Aufnahme von Warnhinweisen über mögliche schwerwiegende kardiovaskuläre Nebenwirkungen in die „Summary of Product Characteristics“ (SPC, Fachinformation) von Ritalin® an und verfügte, dass vor Beginn der Behandlung bei allen Patienten durch eine sorgfältige Anamnese und Voruntersuchung das Vorliegen schwerwiegender kardio- oder zerebrovaskulärer Erkrankungen ausgeschlossen werden muss. Zusätzlich sollten bei allen Patienten vor Beginn der Behandlung sowie unter Therapie mindestens alle sechs Monate und bei jeder Dosisanpassung Herzfrequenz und Blutdruck gemessen und protokolliert werden [18]. Die EMA schloss sich nach zweijähriger Überprüfung am 27. September 2009 diesen Änderungen der Packungsbeilage und Fachinformation für alle Methylphenidat-Präparate an [4].

Vor allem auf der Basis der bereits beschriebenen Metaanalyse [15] revidierte Lilly Deutschland in Absprache mit dem BfArM in einem am 7. Dezember 2011 herausgegebenen Rote-Hand-Brief zu Strattera® die bislang in der Fachinformation angegebene Einschätzung, dass Atomoxetin nur zu mäßigen Anstiegen von Blutdruck und Herzfrequenz führen könne [16]. Auch für Atomoxetin müssen nun die bereits für die Therapie mit Methylphenidat angeordneten Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden. Für Lisdexamfetamin sind in der Fachinformation zum Handelspräparat Elvanse® die für Methylphenidat und Atomoxetin geltenden Kontraindikationen und Überwachungsempfehlungen bereits festgehalten [16].

Erhöhtes Risiko aufgrund von Arzneimittelinteraktionen

Von großem Interesse sind zwei kürzlich publizierte Fallberichte, die auf ein durch die Komedikation verstärktes Risiko der Therapie mit Atomoxetin hinweisen. Bei einem 26-jährigen Mann, der seit sechs Jahren mit Atomoxetin und seit kurzem zusätzlich mit Fluoxetin behandelt wurde, traten eine Synkope mit Tachykardie und Hypotension sowie leicht erweiterte Pupillen auf. Atomoxetin wird überwiegend durch das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP2D6 metabolisiert. Fluoxetin ist ein sehr effektiver Hemmstoff von CYP2D6, sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass die neu aufgetretenen Symptome auf eine pharmakokinetische Arzneimittelinteraktion mit Anstieg der Serumkonzentration von Atomoxetin auf supratherapeutische Werte zurückzuführen war [13]. ADHS-Patienten werden häufig zusätzlich mit Antidepressiva oder Antipsychotika behandelt, von denen Paroxetin, Citalopram, Escitalopram, Bupropion, Sertralin und Clomipramin ebenfalls CYP2D6-Inhibitoren sind. Hinzu kommt, dass ungefähr 7% der kaukasischen Bevölkerung einen langsamen Metabolismus für CYP2D6 aufweisen und daher Substrate von CYP2D6 4- bis 5-mal langsamer abbauen [14].

Neben pharmakokinetischen Interaktionen sollte auch auf pharmakodynamische Wechselwirkungen mit der Begleitmedikation geachtet werden: Dazu passend wurde der Fall eines 27-jährigen Patienten publiziert, der kurz nach Beginn der Therapie mit Methylphenidat (5 mg morgens, 5 mg um 13 Uhr) einen antelateralen Myokardinfarkt erlitt. Die Angiographie zeigte normale Koronargefäße, sodass vermutlich ein Vasospasmus den Infarkt ausgelöst hatte. In der Nacht vor dem Infarkt hatte der Patient zwischen 22 und 1 Uhr drei zusätzliche Tabletten Methylphenidat eingenommen, um für die Zusammenstellung seiner Steuererklärung wach zu bleiben. Der Patient war zudem Raucher und nahm wegen einer Sinusitis das Cephalosporin Cefdinir und ein Kombinationspräparat aus Fexofenadin und Pseudoephedrin ein. Trotz des Missbrauchs von Methylphenidat am Vortag lag die Tagesdosis noch im therapeutischen Bereich. Es ist jedoch möglich, dass die zusätzliche Einnahme des indirekten Sympathomimetikums Pseudoephedrin, für das in hoher Dosierung kardiovaskuläre Nebenwirkungen inklusive arterieller Vasospasmen bereits berichtet wurden, zur Auslösung des Infarkts beigetragen hat [24].

Schlussfolgerungen

Die Auswertungen der an die FDA gemeldeten Fallberichte weisen darauf hin, dass insbesondere Patienten mit kardiovaskulären, bei Kindern meist kongenitalen Vorerkrankungen, unter Therapie mit Atomoxetin, Methylphenidat und Amfetaminderivaten ein erhöhtes Risiko für schwere unerwünschte kardiovaskuläre Wirkungen haben. Dieser Verdacht lässt sich durch die Ergebnisse von drei großen epidemiologischen Beobachtungsstudien zum kardiovaskulären Risiko von ADHS-Medikamenten nicht ausräumen, da es aufgrund zu niedriger Fallzahlen in den Studien nicht möglich war, diese gefährdete Untergruppe gesondert zu untersuchen.

Empfehlungen für die Praxis

Die Empfehlungen der Fachinformationen zu Methylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin enthaltenen Arzneimitteln sind sinnvoll, um Risikopatienten vor Beginn einer medikamentösen ADHS-Behandlung zu identifizieren und das Risiko einer derartigen Behandlung so klein wie möglich zu halten. Als sehr nützliche Hilfsmittel, die für die Überwachung der Therapie mit diesen Medikamenten angewendet werden können und über das Internet zugänglich sind, enthält der Rote-Hand-Brief zu Strattera® [15] im Anhang einen Leitfaden für Ärzte zur Beurteilung und Überwachung von kardiovaskulären Risiken, Prüflisten für Vorsichtsmaßnahmen vor Therapiebeginn und während der Behandlung sowie einen Verlaufsbogen zur Dokumentation kardiovaskulärer Veränderungen unter ADHS-Medikation. Darüber hinaus möchten wir auf die von der European Guidelines Group veröffentlichte Leitlinie zum Umgang mit dem Risiko unerwünschter Wirkungen unter Pharmakotherapie von ADHS bei Kindern und Jugendlichen hinweisen [9].

Allerdings sollte beachtet werden, dass nicht die Dosis für die Wirkungen eines Arzneistoffs ausschlaggebend ist, sondern die Plasmakonzentration. Auch das Auftreten kardiovaskulärer Wirkungen ist konzentrationsabhängig. Atomoxetin wird überwiegend, Methylphenidat zum Teil durch CYP2D6 abgebaut, sodass nicht nur bei CYP2D6-hemmender Komedikation sondern auch bei Patienten mit einem Poor-Metabolizer-Status höhere Wirkstoffkonzentrationen erreicht werden können, als aufgrund der verschriebenen Dosis zu erwarten sind. Wir schließen uns daher den Empfehlungen von Schlamp und Mitarbeitern an [21], die Therapie mit einer niedrigen Dosierung – im Falle von Atomoxetin mit 0,5 mg/kg KG/Tag – zu beginnen und diese nach 5 bis 7 Tagen für eine Dauer von vier bis fünf Wochen auf 0,8 bis 0,9 mg/kg KG/Tag zu erhöhen. Bei der Mehrzahl der Patienten ist es nicht notwendig, auf die vom Hersteller empfohlene „Richtdosis“ von 1,2 mg/kg KG/Tag überzugehen. Auch für Methylphenidat reichen häufig Dosierungen von 0,5 bis 0,8 mg/kg KG/Tag aus. Eine Tagesdosis von 1,0 mg/kg KG/Tag sollte aufgrund des erhöhten Risikos für das Auftreten unerwünschter Wirkungen nicht überschritten werden. Werden mit dieser Dosierung keine ausreichenden Wirkungen erzielt, gehört der Patient vermutlich in die Gruppe der Nonresponder (15–30%). In solchen Fällen wäre die Bestimmung der Wirkstoffkonzentration empfehlenswert. Für das therapeutische Drug-Monitoring von Methylphenidat müssen spezielle Vorkehrungen für den Transport beachtet werden, da diese Substanz sehr schnell zerfällt [11]. Auch für Lisdexamfetamin empfiehlt es sich, wie in der klinischen Praxis bereits praktiziert, mit einer Tagesdosis von 15 mg und nicht wie vom Hersteller angegeben mit 30 mg zu beginnen. Dies ist allerdings schwierig, da auf dem deutschen Markt leider keine Hartkapseln dieser Dosierung verfügbar sind. Zudem ist auch zu beachten, dass bei jugendlichen und erwachsenen Patienten eine höhere Gefahr des Missbrauchs von ADHS-Medikamenten, um Gewicht abzunehmen oder die kognitive Leistungsfähigkeit zu steigern, besteht.

Literatur

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Dr. med. Katharina Wenzel-Seifert, Benedikt Stegmann, Marlene Wild, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ekkehard Haen, Klinische Pharmakologie am Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg, Universitätsstraße 84, 93053 Regensburg, E-Mail: katharina. wenzel-seifert@klinik.uni-regensburg.de

Cardiovascular side effects of atomoxetine, methylphenidate, amfetamine, dexamfetamine and lisdexamfetamine for treatment of ADHD

Atomoxetine, methylphenidate, amfetamine, dexamfetamine and lisdexamfetamine, which are approved for therapy of attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD), elevate the concentration of dopamine and norepinephrine in the synaptic cleft. Thereby, adverse symptoms of an increased activity of the sympathetic nervous system such as insomnia, restlessness and loss of appetite, but also peripheral cardiovascular effects can occur. The results of several meta-analyses demonstrated that the majority of patients developed only small increases of heart rate and blood pressure at the beginning of treatment that normalized again later. However, increases in blood pressure and heart rate of more than 15–20 mmHg and of more than 20 beats/min respectively, were observed in 6–12% of patients taking atomoxetine, which persisted or even increased in 15–32% of these patients in the course of therapy. So far, several large pharmacoepidemiological retrospective cohort studies funded by the U.S. Food and Drug Administration (FDA) did not reveal an increased risk of serious cardiovascular side effects such as heart attack, stroke and sudden cardiac death in neither children, adolescents nor in adults. However, it was not possible to rule out that patients with cardiovascular disease are at higher risk.

In December 2011, based on these studies, the European Medicines Agency (EMA) and the German Federal Institute for Drugs and Medical Devices (BfArM) mandated the inclusion of the same safety warnings and precautions in the summary of product characteristics and product information of atomoxetine as for methylphenidate in 2009. Before treatment the presence of severe cardiovascular or cerebrovascular diseases should be ruled out by a careful medical history and physical examination. In addition, heart rate and blood pressure should be measured and recorded before and periodically during treatment in all patients. These contraindications and precautions also apply to amfetamine, dexamfetamine and lisdexamfetamine.

It should be added that patients with a so-called “poor metabolizer” phenotype for the cytochrome-P450-isoenzyme CYP2D6, or with additional intake of CYP2D6 or monoamine oxidase inhibiting drugs are more likely to develop increased plasma concentrations of atomoxetine or methylphenidate and the neurotransmitter norepinephrine and dopamine, respectively. Furthermore, because of the risk of additive pharmacodynamic drug-drug-interactions (type 1, type 2a, type 3a) the concomittant intake of other sympathomimetically acting drugs should be avoided.

Key words: ADHD, methylphenidate, atomoxetine, dexamfetamine, lisdexamfetamine, amfetamine, cardiovascular side effects, children, adults

Psychopharmakotherapie 2015; 22(01)