Multiple Sklerose

Autoantikörper bei MS-Patienten identifiziert


Rosemarie Ziegler, Albershausen

Deutsche Wissenschaftler haben im Serum einer Untergruppe von Patienten mit multipler Sklerose einen Antikörper gegen den Kaliumkanal KIR4.1 entdeckt. Dieser Befund könnte die Krankheit besser erklären, aber auch ihre Diagnose erleichtern.

Die der multiplen Sklerose (MS) zugrunde liegende Ursache hat sich trotz hundertjähriger Forschung als schwer fassbar erwiesen. Zahlreiche Hinweise sprechen für eine autoimmune Pathogenese. Allerdings ist das Ziel-Antigen bislang nicht bekannt.

Schon vor Jahren ist bei Patienten mit Neuromyelitis optica, einer der MS-verwandten Krankheit, in vitro ein Autoantikörper gegen das Kanalprotein Aquaporin-4 gefunden worden. Ebenso wie dieser Wasserkanal wird der Kaliumkanal KIR4.1 in den Astro- und Oligodendrozyten des Gehirns exprimiert. KIR4.1 ist ein ATP-aktivierter und einwärts gleichrichtender Kanal, dem wichtige Funktionen für die Reizweiterleitung zugeschrieben werden: Die Aufrechterhaltung eines elektrochemischen Gradienten durch die Membran der perisynaptischen Astrozyten ermöglicht ein effizientes „spatial buffering“. Dies bedeutet, dass während der neuronalen Aktivität in den extrazellulären Raum freigesetzte Kaliumionen in die Gliazellen aufgenommen werden. Mutationen im KIR4.1-kodierenden Gen KCNJ10 stehen mit einer neurologischen Erbkrankheit, dem sogenannten EAST-Syndrom (Epilepsie, Ataxie, Schwerhörigkeit und Tubulopathie), in Verbindung.

Ein Forscherteam des Kompetenznetzes Multiple Sklerose hat jetzt das Serum von MS-Patienten nach Antikörpern durchsucht, die an Gliazellen im ZNS binden konnten. In einer Patienten-Untergruppe isolierten sie spezifisch an die Astrozytenmembran gebundenes IgG. Die Analyse des Antigen-Antikörper-Komplexes zeigte, dass diese Antikörper an den Kaliumkanal KIR4.1 binden, genauer an eine der zwei extrazellulären Schleifen. Anti-KIR4.1 fanden sich bei 186 der 397 untersuchten Patienten mit multipler Sklerose (46,9%), aber bei nur 3 von 329 (0,9%) Personen mit anderen neurologischen Erkrankungen und bei keinem der 59 gesunden Kontrollen. Zwischen den Patienten mit und ohne KIR4.1-Antikörper gab es keine Unterschiede im Subtyp der multiplen Sklerose, dem Alter oder Behinderungsgrad; die Studie war allerdings nicht darauf ausgelegt, diese Aspekte im Detail zu analysieren.

Zum Nachweis der pathogenen Antikörper-Wirkung in vivo injizierten die Forscher Serum von Patienten mit Anti-KIR4.1-IgG zwischen Cerebellum und Medulla oblongata (intrazisternal) von Mäusen und beobachteten nach 24 Stunden pathologische Veränderungen. Dazu gehörten auch C9neo-Ablagerungen, die eine Aktivierung der Komplementkaskade anzeigen.

Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie untermauern die Bedeutung der B-Zellen bei der multiplen Sklerose als Produzenten von (Auto-)Antikörpern. Antikörper gegen den Kaliumkanal KIR4.1 wurden bei ungefähr der Hälfte der MS-Patienten gefunden. Wenn sich die vorliegenden Ergebnisse bestätigen und ausbauen lassen, könnte ein Teil der MS-Fälle mit dem neuen Marker identifiziert und den „Kanalopathien“ zugeordnet werden.

Quellen

Srivastava R, et al. Potassium channel KIR4.1 as an immune target in multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:115–23.

Cross AH, Waubant E. Antibodies to potassium channels in multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:172–4.

Warth R, et al. EAST-Syndrome: mutations in the KCNJ10 potassium channel gene cause epilepsy, ataxia, sensorineural deaf-ness and salt wasting tubulopathy. Acta Physiologica 2010;198(Suppl 677):L-MON-1.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(02)