Daten aus der Versorgung


Prof.Dr.med.Dipl.-Psych. Gerd Laux Federführender Herausgeber

Für Psychopharmaka existieren in Deutschland zwei Arzneimittelüberwachungssysteme, AMSP sowie die aus dem AMÜP-System hervorgegangene AGATE. Die Übersicht von Haen und Laux, Regensburg/Wasserburg, beschreibt diese bayerische Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen, in deren Zentrum die Pharmakovigilanz, also die Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen steht. Durch sogenannte Stichtagserhebungen wird zweimal jährlich das Verordnungsverhalten bei stationär behandelten Patienten anonymisiert mit den Daten Alter, Geschlecht, Diagnose, verordnete Handelspräparate und verordnete Dosierungen erhoben. Ergebnisse aus den Datenbanken werden in den nächsten Ausgaben der Psychopharmakotherapie vorgestellt.

Der jährlich erscheinende, aktuelle Arzneiverordnungsreport 2011 wird wiederum von Fritze, Pulheim, zusammengefasst vorgestellt und kommentiert. Dieser „Fundgrube der Pharmakoepidemiologie“ ist zum Beispiel zu entnehmen, dass Psychopharmaka mit einem Umsatzanteil von knapp 9% nach den Herz-Kreislauf-Mitteln Rang 2, bei den Verordnungen Rang 3 der GKV-Arzneimittel einnehmen. Für die generikafähigen Neuro-Psychopharmaka liegen die Generikaanteile an den Verordnungen jetzt bei 90%. Die Verordnung von Antidepressiva hat erneut zugenommen, seit 1994 haben sich die verordneten Tagesdosen (DDD) mehr als vervierfacht. Moderne Antidepressiva haben inzwischen einen Anteil von rund 73% der gesamten Antidepressiva-Verordnungen. Zu Recht wird kritisch angemerkt, dass die im Report geäußerten Zweifel an den Antidepressiva-Verordnungen („es sind Zweifel aufgekommen, ob nicht die verbreitete langfristige Verordnung von Antidepressiva den Verlauf der Depression ungünstig beeinflussen kann“) in Zeiten evidenzbasierter Medizin völlig inadäquat sind. Wohl auch durch Indikationserweiterungen auf bipolare Störungen und infolge Off-Label-Use steigt auch die Verordnung von Neuroleptika/Antipsychotika. Die sogenannten atypischen Neuroleptika haben inzwischen einen Anteil von 49% bei den verordneten Tagesdosen (87% des Umsatzes). Ebenfalls gestiegen ist die Verordnung von Antidementiva, bedingt durch den Zuwachs bei Cholinesterasehemmern. Fritze rechnet hier, dass nur etwa 33% der Alzheimer-Kranken diese Medikation kontinuierlich erhalten. Hinsichtlich der Entwöhnungsmittel sind die Verordnungen von Acamprosat auf niedrigem Niveau stabil geblieben, allenfalls 5% der geeigneten Patienten werden erreicht. Ein Cochrane-Review über 24 Plazebo-kontrollierte, randomisierte klinische Studien belegt eindeutig den Nutzen von Acamprosat, ein weiterer auch von Naltrexon bei Alkoholabhängigkeit. Der Report gibt leider diese Datenlage nicht wieder und leistet der Unterverordnung dieser Substanzen Vorschub. Massiv zugenommen hat in den letzten Jahren auch die Verordnung von Antiepileptika, wahrscheinlich infolge Indikationserweiterungen (neuropathischer Schmerz, bipolare Störung, generalisierte Angststörung). Im Rahmen des demographischen Wandels sind auch die Verordnungen von Parkinsonmitteln gestiegen, die Umsatzsteigerungen sind durch Dopaminagonisten und COMT-Hemmer bedingt. Lesenswert sind auch die regionalen Verordnungsgewohnheiten sowie die Verordnungen nach Fachgebieten.

Beachtung verdient die neue Pharmakovigilanz-Gesetzgebung in der EU, vorgestellt von Farzan vom Paul-Ehrlich-Institut. Ab 2012 gelten ein erweiterter Nebenwirkungsbegriff, die Meldung auch nicht schwerwiegender Nebenwirkungen sowie ein neues Entscheidungsverfahren der EU. Diese neue Richtlinie soll zu einer europaweiten Harmonisierung und Zentralisierung der Pharmakovigilanz führen sowie die Transparenz und Information für Verbraucher und Fachkreise in der gesamten Europäischen Union verbessern.

Die Originalarbeit von Tiedemann et al., München-Ost, stellt die Ergebnisse einer Studie zur Qualitätsverbesserung durch integrierte Versorgung vor. Sie belegt die gute Behandlungsqualität in psychiatrischen Institutsambulanzen, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass durch eine integrierte Versorgung, also eine Leistungssektoren übergreifende Patientenversorgung, nicht zwingend eine verbesserte Behandlung zu erreichen ist.

Wie immer ergänzt durch Kurzberichte aus der internationalen Literatur, denken wir, auch mit dem abschließenden Heft des 18. Jahrgangs 2011 unseren Lesern in Klinik und Praxis eine wissensbereichernde Lektüre vorlegen zu können.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(06)