Ist die Validität von Arzneimittelprüfungen, die in Osteuropa durchgeführt werden, anzuzweifeln?


Prof. Dr. H.-J. Möller, München

Von verschiedenen Kollegen wird immer wieder die Frage gestellt, ob in Osteuropa durchgeführte Arzneinmittelprüfungen zu validen Ergebnissen führen. Der sich in dieser Frage ausdrückende grundsätzliche Zweifel scheint unberechtigt, wenn man alle diesbezüglich vorhandenen Informationen berücksichtigt. Auch ist zu betonen, dass die dort durchgeführten Studien keinesfalls in einer „Grauzone“ anzusiedeln sind. Ganz im Gegenteil, es gibt eine Reihe von Informationen, die ein positives Bild ergeben.

In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der in Osteuropa durchgeführten klinischen Pharmakastudien stark gestiegen [3]. Studiendaten aus Zentral- und Osteuropa, die zur Zulassung verschiedener Wirkstoffe in Westeuropa und den USA geführt haben, wurden hinsichtlich der Akzeptanz aus regulatorischer Sicht und Studienqualität geprüft [1]. Die Richtlinien von GCP (Good Clinical Practice) und ICH (International Conference on Harmonization) sind auch dort obligatorisch. Die Qualität klinischer Studien, die in Zentral- und Osteuropa durchgeführt wurden, ist vergleichbar mit jener in Westeuropa oder den USA [3]. Zum Beispiel ist die Anzahl substantieller Rückfragen (queries) pro Prüfbogen (CRF, case report form) in zentral- und osteuropäischen Studien sogar geringer als in westeuropäischen Studien. Von den Autoren wird explizit hervorgehoben, dass die Bevölkerung in Zentral- und Osteuropa ethnisch mit jener in Westeuropa vergleichbar ist.

Zentren in Zentral- und Osteuropa wurden seit 1994 von der FDA inspiziert [2]. Im Zeitraum 1994 bis 2002 wurden 23 Inspektionen in Zentral- und Osteuropa durchgeführt und es wurde kein Verstoß als OAI (official action indicated) klassifiziert, was bedeutet hätte, dass die Daten des betreffenden Zentrums in der Analyse nicht hätten berücksichtigt werden können. In Russland wurden im Jahr 2004 mehr als 550 klinische Studien durchgeführt [4]. Seit 1994 wurden in 9 von 14 Inspektionen der FDA keine Auffälligkeiten („findings“) und keine OAI festgestellt. Diese aktuellen Daten belegen die gute Studienqualität in Russland.

In Psychopharmakastudien der letzten Jahre, zum Beispiel zu Antidepressiva oder Antipsychotika, fällt auf, dass in Osteuropa durchgeführte Studien häufig zu besseren und aussagekräftigeren Ergebnissen führen. Während es zum Beispiel in den USA immer weniger gelingt, Verum von Plazebo in Antidepressivastudien und in den letzten Jahren auch in Antipsychotikastudien zu differenzieren, liefern offenbar die in Osteuropa/Russland durchgeführten Psychopharmakastudien bessere/validere Ergebnisse im Sinne der Differenzierung von Verum-Gruppe und Plazebo-Gruppe bzw. im Sinne der Differenzierung von verschiedenen Behandlungsgruppen. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Der wichtigste Grund scheint, dass es in diesen Ländern aufgrund andersartiger Versorgungsbedingungen im psychiatrischen Bereich noch gelingt, weitgehend unbehandelte, psychopharmakanaive Patienten in die Studie einzubeziehen, während die Patienten in den anderen Ländern häufig schon eine gewisse Therapieresistenz aufweisen oder – ein besonders Problem in den USA – durch Anzeigenkampagnen gefunden wurden und somit nicht den üblichen Patienten aus Versorgungseinrichtungen entsprechen. Dieser Rekrutierungsvorteil führt offensichtlich dazu, dass besser zwischen verschiedenen Behandlungsgruppen getrennt werden kann.

Es gibt also keinen Grund, die Validität von Arzneimittelstudien, die in Osteuropa durchgeführt werden, anzuzweifeln.

Literatur

1. Natorff, BL. Clinical trials in Central/Eastern Europe: industry viewpoint. Drug Inf J 1998;32:129–3.

2. Platonov P. Clinical trials in Russia and Eastern Europe: recruitment and quality. Int J Clin Pharmacol Ther 2003; 41:277–80.

3. Püchler K, Rennecke J. Project management opportunities and challenges in Central and Eastern Europe. Drug Inf J 2005;39:311–9.

4. Reihart D, Platanov P. Clinical trials in Russia, growing experience and revision of regulations. Int Pharm Med 2005;19:73–6.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(02)