Immunvermittelte Neuropathien

Gute Evidenz für intravenöse Immunglobuline


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Auf dem Gebiet der Neuroimmunologie ist der Forschungsbedarf noch groß. Die steigende Zahl von klinischen Studien lässt aber auf eine Verbesserung der Therapiemöglichkeiten hoffen. Thema eines von der Firma CSL Behring anlässlich des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie veranstalteten Satellitensymposiums war der Einsatz von Immunglobulinen bei der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie und der multifokalen motorischen Neuropathie.

Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie

Die Differenzierung zwischen einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) und einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) bereitet bei manchen Patienten erhebliche Schwierigkeiten. Bei diesen Patienten beginnt eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie ähnlich wie ein Guillain-Barré-Syndrom („GBS-like CIDP“, Abb. 1). Sie sind meist nicht sehr schwer erkrankt, der Nervus facialis kann mitbetroffen sein. Auffällig sind für ein Guillain-Barré-Syndrom untypische frühe Eiweiß-Erhöhungen im Liquor. Wenn sich der Zustand eines Patienten mit Verdacht auf ein Guillain-Barré-Syndrom nach acht Wochen wieder verschlechtert oder wenn der Patient drei oder mehr Rückfälle erleidet, sollte an eine CIDP gedacht werden, so die Empfehlung einer niederländischen Arbeitsgruppe [1]. Eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) ist bei ihnen von Vorteil, da diese sowohl bei einem Guillain-Barré-Syndrom als auch bei einer CIDP wirksam sind.

Abb. 1. Phasen des Krankheitsverlaufs bei verschiedenen Formen des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) und der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP). Bei manchen Patienten verläuft eine CIDP zu Beginn ähnlich wie ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS-like CIDP).

Bei der Akuttherapie der CIDP sind Glucocorticoide, intravenöse Immunglobuline und Plasmapherese gleichwertige Mittel der ersten Wahl. Die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline (Gamunex®) wurde in der bislang größten und längsten Plazebo-kontrollierten Studie zur Therapie der CIDP untersucht [2]. Inzwischen liegen auch die Ergebnisse der Follow-up-Phase dieser Studie vor: sie zeigen, dass die physische und mentale Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität der Patienten durch intravenöse Immunglobuline verbessert werden können [3]. In einem aktuellen evidenzbasierten Konsensus zum Einsatz intravenöser Immunglobuline wird die Anwendung dieser Präparate in der Erhaltungstherapie der CIDP mit einer Evidenzklasse und dem Empfehlungsgrad A bewertet [4].

Im November 2010 wurde eine neue Studie zur Langzeittherapie der CIDP mit dem intravenösen Immunglobulin Privigen® begonnen, in die 30 Patienten eingeschlossen werden sollen. Primärer Endpunkt ist die Ansprechrate nach 25 Wochen, ermittelt mit der Inflammatory Neuropathy Cause and Treatment Scale (INCAT).

Erste Untersuchungen zeigen, dass die Wirksamkeit subkutan applizierter Immunglobuline (SCIG) bei Patienten mit CIDP mit derjenigen intravenös applizierter Immunglobuline vergleichbar ist.

Multifokale motorische Neuropathie

Patienten mit multifokaler motorischer Neuropathie (MMN) sprechen, anders als Patienten mit CIDP, nicht auf Glucocorticoide an; in einigen Fällen tritt nach Applikation von Glucocorticoiden sogar eine Verschlechterung des Krankheitsbilds ein. Auch die Plasmapherese wirkt bestenfalls schwach und birgt das Risiko einer Verschlechterung, möglicherweise weil bei diesem Verfahren antiidiotypische Antikörper entfernt werden.

Studien und Fallberichte zur Anwendung intravenöser Immunglobuline bei Patienten mit multifokaler motorischer Neuropathie belegen eine bis zu mehreren Monaten anhaltende Verbesserung der Muskelkraft. Die Besserung tritt nach 3 bis 10 Tagen ein, die maximale Wirkung wird nach einigen Wochen erreicht. In Studien sprachen bis zu 70% der Patienten auf eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen an, in Fallserien sogar bis zu 90% der Patienten. Die meisten Patienten benötigen Auffrischinfusionen in einem Abstand von zwei bis sechs Wochen. In Einzelfällen kam es nach einem bis mehreren Zyklen intravenöser Immunglobuline zu Remissionen, sodass bei diesen Patienten keine weitere Therapie erforderlich war. Prädiktoren für ein gutes Ansprechen sind hohe Titer der gegen das Gangliosid GM1 gerichteten Antikörper (anti-GM1-AK). Ein schlechtes Ansprechen ist bei ausgeprägten Atrophien und langer Krankheitsdauer zu erwarten. Trotz der insgesamt günstigen Bilanz müssen die Patienten darauf vorbereitet werden, dass die Neuropathie langsam fortschreitet. Auch ein sekundäres Therapieversagen wurde beschrieben.

Zum Einsatz immunmodulierender und immunsuppressiver Wirkstoffe gibt es einer aktuellen Analyse der Cochrane-Collaboration zufolge keine kontrollierten Studien [5]. Die besten Daten liegen nach dieser Analyse für Cyclophosphamid vor, das als Reservemedikament zum Einsparen von Immunglobulinen und bei Therapieversagen von intravenösen Immunglobulinen empfohlen wird [6]. In offenen Studien und Fallberichten wurden bei multifokaler motorischer Neuropathie überwiegend positive Wirkungen einer Anwendung von Cyclophosphamid beschrieben. Zur Anwendung von Azathioprin, Interferon beta und Rituximab liegen sowohl positive als auch negative Fallberichte vor.

Fazit

Die Anwendung intravenöser Immunglobuline wird bei der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropahtie und der multifokalen motorischen Neuropathie empfohlen. Die Wirksamkeit ist bei diesen Erkrankungen durch Studien und Fallberichte belegt.

Quelle

Prof. Dr. med. Ralf Gold, Bochum, Prof. Dr. med. Claudia Sommer, Würzburg. Satellitensymposium „Immunglobuline in der Neuroimmunologie“, veranstaltet von CSL Behring Deutschland im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Mannheim, 23. September 2010.

Literatur

1. Ruts L, et al. Distinguishing acute-onset CIDP from fluctuating Guillain-Barre syndrome: a prospective study. Neurology 2010;74:1680–6.

2. Hughes RA, et al. Intravenous immune globulin (10% caprylate-chromatography purified) for the treatment of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy (ICE study): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2008;7:136–44.

3. Merkies IS, et al. Health-related quality-of-life improvements in CIDP with immune globulin IV 10%: the ICE-Study. Neurology 2009;73:1337–44.

4. Stangel M, et al. Einsatz intravenöser Immunglobuline in der Neurologie. Nervenarzt 2010 Jun 26. [Epub ahead of print].

5. Umapathi T, et al. Immunosuppressant and immunomodulatory treatments for multifocal motor neuropathy. Cochrane Database Syst Rev 2009:CD003217.

6. Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.). Therapie akuter und chronischer immunvermittelter Neuropathien und Neuritiden. In: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Auflage. Stuttgart: Thieme Verlag, 2008.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(02)