Antidepressiva in der Schwangerschaft

Risiko für Spontanabort erhöht


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

In einer kanadischen Fall-Kontroll-Studie war die Anwendung von Antidepressiva in der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für eine spontane Fehlgeburt assoziiert. Das Risiko war dabei vor allem unter selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern sowie unter einer Kombination verschiedener Substanzklassen erhöht.

Antidepressiva werden auch bei Schwangeren zur Behandlung verschiedener Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Schmerzen eingesetzt. Nach einer Untersuchung von Ramos et al. nahmen in Quebec zwischen Januar 1998 und Dezember 2002 3,7% der Schwangeren im ersten Trimenon wenigstens einmal ein Antidepressivum ein [1]. Doch nicht nur die Einnahme von Antidepressiva ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, sondern auch das Absetzen der Medikation, denn dies kann einen Rückfall depressiver Episoden zur Folge haben, die sowohl die Mutter als auch das Ungeborene gefährden können.

In einer kanadischen Fall-Kontroll-Studie wurde der Einfluss der Einnahme von Antidepressiva auf das Risiko für eine spontane Fehlgeburt untersucht [2]. Hierfür wurden Daten aus dem Schwangerschaftsregister des kanadischen Bundesstaats Quebec (Quebec Pregnancy Registry) ausgewertet. Das Register ist mit drei weiteren Datenbanken verknüpft, so dass es möglich war, Arzneimittelverordnungen, Erkrankungen und andere Parameter von Frauen zu analysieren, die eine spontane Fehlgeburt erlitten hatten.

Ausgewertet wurden die Daten von 5124 Frauen mit einem klinisch nachgewiesenen Spontanabort zwischen dem ersten Tag und der zwanzigsten Woche der Schwangerschaft. Jeder Frau mit einer Fehlgeburt wurden von den verbleibenden Frauen im Register zehn Kontrollen mit identischer Schwangerschaftsdauer gegenübergestellt, die bis zum entsprechenden Zeitpunkt der Schwangerschaft keine Fehlgeburt hatten (n=51240). Die Anwendung eines Antidepressivums war definiert als das Einlösen mindestens einer ärztlichen Verordnung eines Antidepressivums, die Einnahme einer Kombination von Antidepressiva als das Einlösen einer Verordnung von zwei oder mehr Antidepressiva.

Analysiert wurde der Einfluss verschiedener Wirkstoffe, Wirkstoffklassen und Dosierungen. Dabei wurden diverse Faktoren berücksichtigt, die das Ergebnis beeinflussen können, wie soziodemographische Charakteristika und chronische Erkrankungen der Schwangeren, die Einnahme anderer Arzneistoffe, die im Verdacht stehen, abortiv wirken zu können, sowie die Einnahme von Antidepressiva und die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens (vor allem zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen) im Jahr vor der Schwangerschaft.

Studienergebnis

Im Vergleich zu den Kontrollen waren die Frauen mit Fehlgeburt älter, lebten häufiger in städtischer Umgebung, erhielten häufiger soziale Unterstützung, hatten häufiger Depressionen, Angststörungen, Diabetes mellitus und Asthma bronchiale. Im Jahr vor der Schwangerschaft nahmen sie vermehrt Gesundheitsdienste in Anspruch (Konsultation eines Arztes oder speziell eines Psychiaters) und nahmen länger Antidepressiva ein.

Insgesamt nahmen Frauen mit Fehlgeburten etwa doppelt so häufig Antidepressiva während der Schwangerschaft ein wie die Kontrollen: 284 Frauen (5,5%) mit einem Spontanabort erhielten mindestens einmal eine ärztliche Verordnung für ein Antidepressivum gegenüber 1401 (2,7%) der entsprechenden Kontrollen (Odds-Ratio [OR] 2,09; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,83–2,38). Nach Berücksichtigung potenzieller Störfaktoren zeigte sich, dass sowohl die Einnahme von Antidepressiva als auch eine vorbestehende Depression mit einem erhöhten Risiko für einen Spontanabort assoziiert waren (OR 1,68; 95%-KI 1,38–2,06 bzw. 1,19 95%-KI 1,03–1,38).

Bei der Betrachtung verschiedener Substanzklassen fiel auf, dass selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) sowie der kombinierte Einsatz verschiedener Wirkstoffklassen mit einem erhöhten Risiko für einen Spontanabort verbunden waren (Tab. 1). Das Risiko unter diesen drei Therapien war deutlich höher als unter einer Therapie mit trizyklischen Antidepressiva oder anderen Antidepressiva in Monotherapie.

Tab. 1. Auftreten von Spontanaborten in Verbindung mit der Einnahme von Antidepressiva während der Schwangerschaft: Häufigkeiten in der Studienpopulation (N=5124) und Risiko für Spontanabort, nach [2]

Variable

Häufigkeit von Spontanaborten [n (%)]

Odds-Ratio (95%-Konfidenzintervall)

Nicht adjustiert

Nach Risikofaktoren adjustiert

Wirkstoffklassen

Keine Anwendung

4840 (94,5)

1,00

1,00

SSRI in Monotherapie

161 (3,1)

1,84 (1,55–2,18)

1,61 (1,28–2,04)

SSNRI in Monotherapie

33 (0,6)

2,66 (1,81–3,90)

2,11 (1,34–3,30)

Trizyklische Antidepressiva in Monotherapie

36 (0,7)

1,95 (1,37–2,79)

1,27 (0,85–1,91)

Andere* in Monotherapie

18 (0,3)

2,26 (1,36–3,77)

1,53 (0,86–2,72)

Kombination aus ≥2 Wirkstoffklassen

36 (0,7)

3,71 (2,53–5,44)

3,51 (2,20–5,61)

Wirkstoffe

Keine Anwendung

4840 (94,5)

1,00

1,00

Paroxetin in Monotherapie

84 (1,6)

1,78 (1,41–2,25)

1,75 (1,31–2,34)

Sertralin in Monotherapie

28 (0,5)

1,68 (1,12–2,50)

1,33 (0,85–2,08)

Fluoxetin in Monotherapie

22 (0,4)

2,16 (1,36–3,42)

1,44 (0,86–2,43)

Citalopram in Monotherapie

19 (0,4)

2,15 (1,31–3,53)

1,55 (0,89–2,68)

Fluvoxamin in Monotherapie

5 (0,1)

1,61 (0,63–4,13)

2,19 (0,79–6,08)

Venlafaxin in Monotherapie

33 (0,7)

2,66 (1,81–3,90)

2,11 (1,34–3,30)

Kombination von ≥2 SSRI

36 (0,7)

1,93 (0,56–6,64)

2,47 (0,62–9,83)

SSRI: selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSNRI: selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; *z.B. Monoaminoxidase-Hemmer, Mianserin, Mirtazapin, Reboxetin

Beim Vergleich der Einzelsubstanzen fiel auf, dass Spontanaborte am häufigsten unter Paroxetin und Venlafaxin auftraten (Tab. 1), das Risiko für einen Spontanabort unterschied sich jedoch nicht signifikant zwischen verschiedenen SSRI, was für einen Effekt der gesamten Wirkstoffklasse spricht. Unter höheren mittleren Tagesdosen von Paroxetin oder Venlafaxin traten Spontanaborte häufiger auf als unter niedrigeren mittleren Tagesdosen, ein Hinweis auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung.

Fazit

Die Anwendung von Antidepressiva in der Schwangerschaft war in der vorliegenden Studie mit einem relativen Anstieg des Gesamtrisikos für eine Fehlgeburt um 68% verbunden. Signifikante Zusammenhänge zwischen dem Risiko und der Exposition gegenüber Antidepressiva wurden bei Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI, SNRI) beobachtet. Unter Therapie mit mehr als einer Wirkstoffklasse war das Risiko für einen Spontanabort deutlich erhöht.

Mit der kanadischen Studie konnte jedoch nicht definitiv bewiesen werden, dass die Einnahme von Antidepressiva in der Schwangerschaft tatsächlich eine spontane Fehlgeburt verursachen kann. Noch ist nicht bekannt, wie diese Substanzen Spontanaborte auslösen. Möglicherweise könnten serotonerge Mechanismen an der abortiven Wirkung beteiligt sein.

Aus diesen Gründen sollten Antidepressiva in der Schwangerschaft nur bei strenger Indikationsstellung und nach Abwägung von Nutzen und Risiken eingesetzt werden. Zu bedenken ist hierbei auch, dass das Absetzen einer antidepessiven Medikation während der Schwangerschaft ein Rezidiv der Depression mit erheblichen Risiken für Mutter und Kind zur Folge haben kann.

Quellen

1. Ramos E, et al. Prevalence and predictors of antidepressant use in a cohort of pregnant women. BJOG 2007;114:1055–64.

2. Nakhai-Pour HR, et al. Use of antidepressants during pregnancy and the risk of spontaneous abortion. CMAJ 2010;182:1031–7.

Psychopharmakotherapie 2010; 17(06)