Zwangsstörung

Quetiapin steigert die Wirksamkeit von Citalopram


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer 10-wöchigen Doppelblindstudie erhielten Patienten mit einer Zwangsstörung, die noch nicht medikamentös behandelt worden war, zusätzlich zu Citalopram entweder Quetiapin oder Plazebo. Der Zusatz von Quetiapin führte zu einer signifikant stärkeren Verringerung der Zwangssymptome. Die Abnahme im Gesamtscore der Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (YBOCS) bis zum Endpunkt ging jedoch allein auf die Verringerung der Zwangsgedanken zurück. Bei den Zwangshandlungen trat im Vergleich zu Plazebo keine Besserung ein.

Die medikamentöse Behandlung der Zwangsstörung ist schwierig. Erfolge treten erst bei längerer Behandlung ein und die Ansprechrate ist eher niedrig. Als Mittel der ersten Wahl gelten die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Allerdings sprechen nur bis zur Hälfte der in Studien behandelten Patienten auf eine SSRI-Therapie ausreichend an, das heißt mit einer Abnahme des YBOCS-Scores um wenigstens 35%. Eine schnellere Besserung und eine höhere Ansprechrate sind ein bisher nicht erreichtes Behandlungsziel.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass Antipsychotika, darunter auch Quetiapin, die Wirksamkeit von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern steigern können. Allerdings wurden alle diese Untersuchungen bei Patienten mit einer behandlungsresistenten Zwangserkrankung durchgeführt.

Das Ziel der vorliegenden Studie war der Nachweis einer Wirksamkeitssteigerung von Citalopram durch Quetiapin im Vergleich zu Plazebo bei Patienten, die bisher noch keine Medikamente (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Antipsychotika) gegen diese Erkrankung eingenommen hatten. Die Studie wurde von November 2003 bis Juni 2005 in der Klinik für Angststörungen der Universität Utrecht durchgeführt.

Studiendesign

Eingeschlossen wurden Patienten mit einer Zwangsstörung nach DSM-IV-Diagnosekriterien und einem YBOCS-Score von ≥17 oder von ≥11, wenn nur Zwangsgedanken oder nur Zwangshandlungen vorhanden waren. Ausschlusskriterien waren unter anderen:

  • Gegenwärtige oder frühere Einnahme von Antipsychotika oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmern über einen Zeitraum von ≥8 Wochen
  • Gegenwärtige depressive Störung oder ein Score auf der Hamilton Depression Rating Scale, 17-Item-Version (HAMD-17), von ≥18 Punkten
  • Diagnose einer psychischen Erkrankung mit psychotischen Merkmalen
  • Komorbide Ticstörungen

Die Patienten wurden randomisiert einer Kombinationsbehandlung mit Citalopram und Quetiapin oder mit Citalopram und Plazebo zugewiesen. Die Citalopram-Dosis lag zu Beginn bei 20 mg/Tag und wurde alle zwei Wochen um 20 mg/Tag auf 60 mg/Tag gesteigert. Die Tagesdosis von Quetiapin wurde von 50 mg zu Beginn bis auf die Zieldosis von 300 mg an Tag 43 titriert. Bei unzureichendem Ansprechen und guter Verträglichkeit konnte die Dosis an Tag 57 auf 450 mg erhöht werden.

Klinische Beurteilungen wurden bei Screening und Einschluss sowie in den Studienwochen 2, 4, 6, 8 und 10 vorgenommen.

Das primäre Studienziel war die Untersuchung der Wirksamkeit einer Behandlung von Quetiapin zusätzlich zu Citalopram im Vergleich zu Plazebo plus Citalopram. Der primäre Messparameter hierfür war die Änderung des mittleren YBOCS-Gesamtscores vom Einschluss bis zum Endpunkt in der Intention-to-treat-(ITT-)Population in einer Last-Observation-Carried-Forward-(LOCF-)Analyse.

Weitere Messinstrumente waren unter anderen:

  • Klinischer Gesamteindruck, Teil Schweregrad der Erkrankung (CGI-S)
  • Klinischer Gesamteindruck, Teil Verbesserung (CGI-I)
  • Ansprechrate (Ansprechen war definiert als Abnahme des mittleren YBOCS-Scores um ≥35% zusammen mit einer CGI-I-Beurteilung von 1 [sehr stark verbessert] oder 2 [stark verbessert]
  • Hamilton-Skala zur Beurteilung der Angst (HAM-A)
  • HAMD sowie das Padua Inventory zur Beurteilung von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

Von 249 im Screening beurteilten Patienten wurden 76 in die Studie eingeschlossen: 39 in die Citalopram+Quetiapin-Gruppe und 37 in die Citalopram+Plazebo-Gruppe.

In der Quetiapin-Gruppe beendeten 31 und in der Plazebo-Gruppe 35 Patienten die 10-wöchige Studie. Die Patienten waren im Mittel 35 beziehungsweise 34 Jahre alt und litten seit 19 beziehungsweise 17 Jahren an der Zwangsstörung.

Ergebnisse

Die statistische Analyse zeigte, dass die zusätzliche Gabe von Quetiapin einer zusätzlichen Plazebo-Behandlung signifikant überlegen war. Der YBOCS-Score nahm unter Quetiapin um 11,9±7,0 und unter Plazebo um 7,8±6,5 Punkte ab (p=0,009, mittlerer Wert bei Studienbeginn: 27,5 beziehungsweise 26,4 Punkte). Die signifikante Abnahme des YBOCS-Gesamtscores unter Quetiapin beruhte allein auf der signifikanten Abnahme des YBOCS-Subscores für Zwangsgedanken. Bereits frühere Untersuchungen zeigten, dass insbesondere die Zwangsgedanken abnahmen, wenn SSRI mit Antipsychotika kombiniert wurden.

Die Ansprechrate war 69% unter Quetiapin und 41% unter Plazebo (p=0,019). Die Veränderungen der CGI-I-Scores (Abb. 1) waren ebenfalls signifikant größer unter Quetiapin als unter Plazebo (p=0,023).

Abb. 1. CGI-I-Scores für Zwangspatienten unter einer Behandlung von Citalopram plus Quetiapin (n=32) im Vergleich zu Citalopram plus Plazebo (n=37)

Signifikante Änderungen unter Quetiapin verglichen mit Plazebo zeigten sich auch mit HAM-A und HAM-D. Mit anderen Messinstrumenten, wie CGI-S und Padua Inventory, wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen entdeckt.

Verträglichkeit

In der Quetiapin-Gruppe brachen sieben Patienten bereits nach der Einnahme der ersten Dosis die Studie wegen Nebenwirkungen ab (starke Sedierung: n=4; Schwindel: n=2; Palpitationen: n=1). Im Verlauf der Studie folgten noch drei weitere Abbrüche wegen Nebenwirkungen oder fehlender Motivation (n=1 unter Quetiapin, n=2 unter Plazebo).

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (zum Beispiel lebensbedrohliche Ereignisse, bleibende Beeinträchtigung) traten in der Studie nicht auf. Im Verlauf der Studie berichteten die Patienten unter Quetiapin im Mittel fünf und die Patienten unter Plazebo vier unerwünschte Ereignisse.

Signifikant häufiger unter Quetiapin (plus Citalopram) traten Somnolenz, Gewichtszunahme und Mundtrockenheit auf, während unter Plazebo (plus Citalopram) Übelkeit und Schlaflosigkeit signifikant häufiger berichtet wurden (Tab. 1). Die Gewichtszunahme betrug unter Quetiapin plus Citalopram 2,7±0,4 kg, während die Patienten unter Plazebo plus Citalopram 0,7±0,5 kg abnahmen.

Tab. 1 Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen [%], deren Auftreten sich in den Behandlungsgruppen signifikant unterschied

Citalopram + Plazebo (n=37)

Citalopram + Quetiapin (n=39)

p-Wert

Somnolenz

57

86

0,003

Gewichtszunahme

22

54

0,003

Mundtrockenheit

14

33

0,026

Übelkeit

38

5

0,001

Schlaflosigkeit

30

0

<0,001

Insgesamt beurteilen die Autoren die Behandlung mit Quetiapin als gut verträglich.

Kommentar

Die Studie zeigt, dass niedrige Dosen (300–450 mg) von Quetiapin die Wirksamkeit des SSRI Citalopram bei nicht vorbehandelten Zwangspatienten steigern können. Es handelt sich hier allerdings um eine kleine Studie mit relativ wenigen Patienten. Die Ergebnisse sollten daher mit Vorsicht beurteilt werden und bedürfen einer Bestätigung. Die Ansprechrate unter Citalopram allein in dieser Studie ist jedoch vergleichbar mit der Rate, die unter anderen SSRI und Clomipramin in früheren Studien mit nicht vorbehandelten Zwangspatienten gefunden wurde. Citalopram ist in Deutschland nicht zur Behandlung der Zwangskrankheit zugelassen, wohl aber Escitalopram, Fluvoxamin, Fluoxetin und Paroxetin.

Kritisch gesehen werden könnte die relativ kurze Behandlungsdauer, da der Abfall im YBOCS- und CGI-I-Score zwischen Woche 8 und 10 immer noch recht deutlich war. Eine längere Behandlungsdauer hätte möglicherweise deutlichere Effekte der Kombinationsbehandlung mit Quetiapin zeigen können.

Quelle

Vulink NCC, et al. Quetiapine augments the effects of citalopram in non-refractory obsessive-compulsive disorder: A randomized, double-blind, placebo-controlled study of 76 patients. J Clin Psychiatry 2009;70:1001–8.

Psychopharmakotherapie 2010; 17(04)