Medizingeschichte

50 Jahre Therapie mit Tranylcypromin


Priv.-Doz. Dr. Sven Ulrich, Magdeburg, Prof. Dr. Gerd Laux,Wasserburg

Im Jahr 1959 publizierte pharmakologische und klinische Studien ermöglichten die Einführung des irreversiblen, nichtselektiven Monoaminoxidase-A/B-Hemmers Tranylcypromin in die Psychopharmakotherapie. Aus diesem Anlass wurde am 26. November 2009 auf dem DGPPN-Kongress in Berlin ein klinisch-pharmakologisches Symposium mit historischer Umrahmung gehalten.

Meilensteine

Ein erster Schritt war die Entdeckung der biologischen Zielstruktur: In einer Publikation des Biochemistry Journal beschrieb der Autor Christian Hare schon 1928 ein neues Enzym, welches er „tyramine oxidase“ nannte. Den heute breiter gefassten Terminus „Monoaminoxidase“ verwendete wohl erstmals Albert Zeller in seiner Arbeit zur „Kenntnis der Mono- und Diaminoxydase“, erschienen 1941 in den Helvetica Chimica Acta.

Alfred Burger und William Yost synthetisierten in den Labors von Smith, Kline und French Arylcycloalkylamine, darunter das trans-2-Phenylcyclopropylamin, dem sie 1948 eine eigene Publikation im Journal of the American Chemical Society widmeten. Man wusste aber zunächst nicht, was mit der Substanz, die mit dem kürzeren und zum wissenschaftlichen Austausch besser geeigneten Trivialnamen Tranylcypromin bedacht wurde, anzufangen sei. Als biologisches Target war nämlich nicht Zellers Monoaminoxidase vorgesehen, die man bald „MAO“ abkürzte – man ließ sich stattdessen bei der Synthese vom strukturell sehr ähnlichen Amphetamin leiten. Aber nur bei hohen Dosen zeigte Tranylcypromin dem Amphetamin ähnliche Wirkungen und verschwand deshalb fürs erste mit der Nummer SKF-385 im Laborschrank.

In der Zwischenzeit fiel bei der Behandlung der Tuberkulose mit Iproniazid eine verbesserte Stimmung der Patienten auf. Die naheliegende Anwendung von Iproniazid (Marsilid®) in der Psychiatrie wurde erstmals 1957 publiziert (Crane in Psychiatry Research), wobei es schon Vorstellungen über einen Zusammenhang mit der Monoaminoxidase gab. Folgerichtig wurde auch alles im Schrank liegende einem In-vitro-Test unterzogen, darunter SKF-385, was sich als Treffer erwies. Die sogenannte Lineweaver-Burk-Kennlinie der Zunahme von Serotonin in Präparaten aus Rattenhirn verlief für SKF-385 sogar steiler als für Iproniazid (Alfred Maas und Mary Nimmo 1959 in Nature).

Einer der ersten Tierversuche könnte derjenige von Ralph Tedeschi et al. (publiziert ebenfalls 1959 in den Proceedings of the Society of Experimental and Biological Medicine) gewesen sein. Tranylcypromin war im Vergleich der Aufhebung einer Reserpin-Depression um den Faktor 20 stärker wirksam als Iproniazid. Im Unterschied zu Amphetamin, der zweiten Vergleichssubstanz, geschah dies ohne sichtbare Zeichen einer zentralen Stimulation. Die Autoren der In-vitro- und In-vivo-Studien führten ihre Ergebnisse auf eine Hemmung der Monoaminoxidase durch Tranylcypromin zurück.

Schaut man sich nun das Molekül an, überrascht die Einfachheit und funktionale Klarheit von Tranylcypromin, wie sie sonst in der pharmazeutischen Chemie nur selten anzutreffen ist. Ohne chemische Schnörkel sind drei molekulare Komponenten vereint: neben einem Benzolring, dem „Wappen der Chemie“, bedarf es nur einer Aminogruppe als „Köder“ für die Monoaminoxidase und eines hoch gespannten Cyclopropan-Rings, welcher als „Falle“ aufschnappt und das Molekül unlösbar mit der Monoaminoxidase verbindet (Abb. 1).

Abb. 1. Tranylcypromin

Erste klinische Studie

Die erste Veröffentlichung klinischer Erfahrungen mit Tranylcypromin stammt ebenfalls aus dem Jahr 1959, das deshalb als das Geburtsjahr von Tranylcypromin angesehen werden kann. Magnus C. Petersen und John W. McBrayer hatten ab Dezember 1958 52 Patienten des Rochester State Hospitals in Minnesota mit Tranylcypromin behandelt. Die durchweg weiblichen Patienten wiesen ein breites Altersspektrum von 24 bis 85 Jahren auf und litten an „affective depression of various types“. Die Anfangsdosis war 20 mg/Tag und wurde schnell gesteigert auf 30 bis 40 mg/Tag bei einer Einzeldosis von 10 mg. Die Autoren beschrieben am Ende der Behandlung im März 1959 21 Patientinnen als genesen („recovered“), 15 stark gebessert, 6 leicht gebessert und 7 ohne Besserung. Drei Patientinnen beendeten die Behandlung vorzeitig. 17 Patientinnen waren schon aus der Klinik entlassen und 11 wurden gerade auf die Entlassung vorbereitet. Acht Patientinnen mit Suizidrisiko oder unzureichender Besserung erhielten zusätzlich eine Elektrokrampftherapie. Als Nebenwirkung wurden für alle Patientinnen verringerte Blutdruckwerte verzeichnet, eine Patientin entwickelte eine orthostatische Hypotension (liegend: 210/90 mmHg; stehend: 110/72 mmHg). Als eine weitere häufig beobachtete Nebenwirkung wurde über Insomnie berichtet, die mit milden Hypnotika wie Ethchlorvynol und Diphenhydramin gut behandelt werden konnte.

In der Diskussion fassten die Autoren sehr positiv zusammen: “The mental response to treatment with the drug usually was very rapid. In many instances both depression and agitation were greatly diminished within 24 hours and had disappeared altogether within a few days.” Im Nachhinein waren die Autoren der Meinung, dass man die Patienten hätte auch gut ambulant behandeln oder früher entlassen können, was bei dem neuen Präparat nur aus Vorsicht nicht getan wurde. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nahmen noch alle Patienten das neue Antidepressivum ein, teilweise in verringerter Dosis. Einen Rückfall hatte es nicht gegeben. Über Daten zur längeren Therapie sollte später berichtet werden.

Auf der Suche nach dem ersten klinischen Bericht in deutscher Sprache findet man erst 1963 eine Arbeit von H. Betz in der Medizinischen Welt. An der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg erhielten 47 depressive Patienten Tranylcypromin (Jatrosom®, 10 mg), damals noch in Kombination mit dem niedrig dosierten Neuroleptikum Trifluoperazin (1 mg).

Im Jahr zuvor waren schon klinische Arbeiten über andere MAO-Hemmer in deutscher Sprache erschienen, zum Beispiel von Walter Geller über Isocarboxazid in Der Nervenarzt. Interessant sind seine guten Behandlungsergebnisse für viele Patienten mit einer „Defektschizophrenie ohne akute Symptomatik“ und die sich ergebende „bessere Zuwendung der Kranken und größere Möglichkeiten für die Beschäftigungstherapie“, was heute fast vergessen zu sein scheint.

Damit wäre der historische Rückblick auf die Anfänge von Tranylcypromin nahezu vollständig, wenn nicht 1964 erste Mitteilungen über eine Nahrungsmittelinteraktion („cheese effect“) zum vorübergehenden Stopp der Anwendung (nur in den USA) geführt hätten. Die Arzneimittelsicherheit von Tranylcypromin wurde erhöht durch die notwendig gewordene Einführung einer speziellen tyraminarmen Diät.

Kommentar

Nach heutigen Maßstäben sind derartige klinische Pilotstudien nur für die Entwicklung von Hypothesen geeignet und wären für eine Zulassung nicht ausreichend. Erstaunlich bleibt trotzdem, wie zutreffend schon die frühesten Beobachtungen am Patienten zusammen mit einem biologischen Konzept das Therapiegebiet absteckten. Spätere kontrollierte Studien konnten abgesehen von statistischer Sicherheit nur noch wenig hinzufügen.

Quellen

Prof. Dr. med. M. Schmauß, Augsburg, Prof. Dr. med. G. Laux, Wasserburg, Prof. Dr. med. M. Weisbrod, Karlsbad-Langensteinbach, Symposium „50 Jahre Psychopharmakotherapie mit dem irreversiblen MAO-Hemmer Jatrosom®“, veranstaltet von Esparma im Rahmen des DGPPN-Kongress, Berlin, 26. November 2009.

Petersen MC, McBrayer JC. Treatment of affective depression with trans-dl-phenylcyclopropylamine hydrochloride: a preliminary report. Am J Psychiat 1959;116:67–8.

Psychopharmakotherapie 2010; 17(03)