Schlaf- und Beruhigungsmittel im Alter


Dirk K. Wolter, Wasserburg am Inn

Schlaf- und Beruhigungsmittel werden von alten Menschen häufiger eingenommen als von jüngeren, Frauen überwiegen. Benzodiazepine (BZD) und verwandte Substanzen werden nach wie vor am häufigsten verschrieben, obwohl ein Rückgang der Verordnungshäufigkeit zu beobachten ist. In Deutschland werden diese Substanzen zunehmend auf Privatrezept verschrieben, so dass die Krankenkassendaten das Ausmaß des Benzodiazepin-Konsums unterschätzen bzw. den Verordnungsrückgang überschätzen. Benzodiazepine sind zwar akuttoxikologisch sehr harmlose Medikamente, bei chronischer Einnahme sind jedoch schleichende Intoxikationen möglich, die zu gefährlichen Folgen (Stürze, kognitive Beeinträchtigung) und zu diagnostischen Fehlschlüssen (Depression, Demenz) führen können. Deshalb sollten – wenn überhaupt – im Alter nur solche Benzodiazepine eingesetzt werden, die nicht verzögert eliminiert werden (d.h. Lorazepam, Oxazepam und Temazepam). Auch Nicht-Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva, freiverkäufliche Tranquilizer, Melatonin und Phytopharmaka sind keinesfalls harmlos oder/und nur begrenzt wirksam. Vor dem Einsatz der Pharmakotherapie sind Schlafhygiene und andere nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Von einer Niedrigdosis-Abhängigkeit ist bei 40 bis 50% der Benzodiazepin-Dauerkonsumenten auszugehen. Entzugssymptome können sehr vielgestaltig sein. Eine defätistische Haltung ist nicht angebracht, das Alter stellt keinen Hinderungsgrund für eine Entzugsbehandlung dar. Der Entzug sollte immer fraktioniert durchgeführt werden, eine medikamentöse Unterstützung ist oft erforderlich. Unerlässlich sind eine gute Arzt-Patient-Beziehung, ausreichende Informationen und ein klarer Plan für den Patienten, dann ist der Entzug auch im hausärztlichen Setting mit Gewinn für die Patienten und ohne Einbußen an Lebensqualität möglich. Falls ein kompletter Entzug nicht möglich ist, stellt auch die Dosisreduktion oder die Umstellung auf eine für alte Menschen geeignete Substanz einen Erfolg dar.
Schlüsselwörter: Benzodiazepine, schleichende Intoxikation, Benzodiazepin-Abhängigkeit, Entzugsbehandlung
Psychopharmakotherapie 2010;17:39–46.

Pharmakoepidemiologie

Schlaf- und Beruhigungsmittel werden mit dem Alter häufiger eingenommen, von Frauen mehr als von Männern. Seit den 80er Jahren haben Barbiturate keine Bedeutung mehr. Die Verordnung von Benzodiazepinen ist in Deutschland seit Jahren rückläufig, 2004 wurden sie im Bereich der Hypnotika von den Benzo- diazepin-Analoga (den sogenannten Z-Substanzen: Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon) überflügelt, deren Verordnung seit 2005 stagniert. Phytopharmaka spielen vor allem im Bereich der Selbstmedikation eine große Rolle, während ihr Verordnungsanteil zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nach einem Gipfel Mitte der 90er Jahre wieder rückläufig war und 2004 völlig eingebrochen ist. Die hohen Verordnungszahlen von niederpotenten Neuroleptika und sedierenden Antidepressiva bei insgesamt seit Jahren kontinuierlich steigenden Antidepressiva-Verordnungen deuten darauf hin, dass auch diese Substanzen als Schlafmittel breit eingesetzt werden (Abb. 1 und 2) [42].

Abb. 1. Verordnungen (Tagesdosen) von Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Zeitraum 1998 bis 2007 [42]

Abb. 2. Zuwachsraten der Verordnungen (Tagesdosen) von 2006 bis 2007 [42]

Der Rückgang der Benzodiazepin-Verordnungen dürfte allerdings deutlich geringer sein, als es die Daten des GKV-Arzneimittelindex suggerieren, wie der Vergleich mit den Absatzzahlen der pharmazeutischen Industrie zeigt: offenbar werden für diese Medikamente häufig nur noch Privatrezepte ausgestellt [16]. Dasselbe gilt auch für die Z-Substanzen [17], so dass die stagnierenden Verordnungszahlen ebenfalls mit Vorsicht zu interpretieren sind. Die Benzodiazepin-Verordnungen bewegen sich nach wie vor auf hohem Niveau: In westlichen Industriestaaten nehmen 10 bis 15% der Gesamtbevölkerung gelegentlich und bis zu 2% regelmäßig Benzodiazepine ein. Bewohner von Altenheimen erhalten häufiger und regelmäßiger Benzodiazepine, Hochdosisabhängigkeit ist im Alter allerdings sehr selten. Aktuelle Studien aus Europa zeigen einen regelmäßigen Benzodiazepin-Gebrauch bei 9 bis 15% der Bevölkerung ab 75 Jahren. Immer wieder wird ein hoher Anteil nicht sachgerechter Verordnungen festgestellt [5, 21, 53].

Schlaf und Schlafstörungen im Alter

Heute werden etwa 80 verschiedene Formen von Schlafstörungen unterschieden, die grob eingeteilt werden können in Schlafdefizit, Hyper-/Parasomnien und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Eine Tages-Gesamtschlafdauer von über 9 Stunden und unter 6,5 Stunden geht mit erhöhter Morbidität und Mortalität einher. Eine Abklärung schlafbezogener Atemstörung sollte erfolgen bei Atempausen im Schlaf (Fremdanamnese), extremem Schnarchen und stark beeinträchtigter Tagesbefindlichkeit.

Eine differenzierte Darstellung der verschiedenen Formen von Schlafstörungen kann in diesem Rahmen nicht erfolgen, hierzu sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Im Folgenden geht es im Wesentlichen um die sogenannten primären Insomnien.

Nach einer pragmatischen syndromalen Definition liegt eine defizitäre Schlafstörung vor, wenn trotz ausreichender Gelegenheit zu schlafen mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

  • Probleme beim Einschlafen
  • Probleme beim Durchschlafen
  • Zu frühes Erwachen
  • Nicht erholsamer Schlaf

Zusätzlich muss mindestens eine Beeinträchtigung tagsüber vorliegen, beispielsweise:

  • Erschöpfung, Unausgeglichenheit, Energie-/Motivationsmangel
  • Tagesmüdigkeit
  • Aufmerksamkeit, Konzentration oder Gedächtnis beeinträchtigt
  • Fehler/Unfälle (Arbeit, Autofahren)
  • Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Sorgen um Schlaf
  • Körperliche Symptome des Schlafmangels (z.B. Spannungskopfschmerz)

(nach [48]).

Veränderungen des Schlafs im Alter

Bereits ab dem 30. Lebensjahr verflacht der Nachtschlaf, das heißt, es kommt zu einer Zunahme des oberflächlichen Schlafs sowie einer Abnahme von REM-Schlaf und Tiefschlaf. Im Alter tritt eine Verlängerung der Einschlafzeit bei Verkürzung der REM-Latenz hinzu. Kurze Wachperioden sind häufiger und werden verstärkt wahrgenommen. Der Schlaf wird zunehmend polyphasisch mit mehr Nickerchen am Tag. Während die Abnahme der Schlafeffizienz gesichert ist, sind eine Abnahme von Gesamtschlafdauer und Schlafbedürfnis im Alter nicht unumstritten [30, 34, 37, 47, 49].

Allgemeine Grundsätze für die Behandlung von Schlafstörungen

Zunächst gilt es, symptomatische Schlafstörungen zu erkennen, das heißt Erkrankungen und verschiedene Noxen (Alkohol, Medikamente, Ernährung …) sowie Auslöser/Störfaktoren, beispielsweise Lärm. Ganz wichtig ist die Aufklärung. Unrealistische Erwartungen an den Schlaf wie beispielsweise, dass man von abends acht bis morgens acht durchschlafen könnte, sollten ebenso korrigiert werden wie zwanghafte falsche Vorstellungen vom „Vorschlafen“ und „Nachschlafen“. Auch Wahrnehmungsverzerrungen müssen angesprochen werden: es ist normal, etwa 25-mal pro Nacht aufzuwachen, und man schläft immer mehr als man meint. Schließlich kann ein Schlaftagebuch über mindestens 14 Tage gute Dienste leisten.

Vor dem Einsatz von Hypnotika sind alle Möglichkeiten der Schlafhygiene auszuschöpfen (Tab. 1) [34, 47, 49].

Tab. 1. Schlafhygiene [mod. nach 34, 47, 49]

Persönliche biologische Uhr finden
–Aktivität und Ruhe auf die individuellen zirkadianen Hochs und Tiefs abstimmen
–Persönliche bekömmliche Schlafdauer finden

Zeitbegrenzung für Schlaf über Tag

Körperliche Aktivität und Licht über Tag

Ernährung, Genussmittel
–Schwere Mahlzeiten, Koffein, Alkohol

Probleme tagsüber lösen

Keine belastenden Anstrengungen 3 Stunden vor dem Zubettgehen

Persönliche Einschlafrituale

Angenehme Atmosphäre im Schlafzimmer
–Temperatur, Luft, Interieur, Liegekomfort

Dunkel, aber nicht völlig dunkel
–Vorbereitung auf das Aufwachen durch Tageslicht

Schlafraum vom Wohnbereich trennen

Stimuluskontrolle: wieder im Bett schlafen lernen (oder: wozu das Bett nicht da ist!)

Schlafzeitbegrenzung (Schlafrestriktion):
–Die Schlafeffizienz (=echte Schlafzeit/Zeit im Bett in %) sollte bei 85–90% liegen (wenn >, Bettzeit verlängern, wenn <, Bettzeit verkürzen)

Schlafverschlechternde Gedanken meiden (kognitive Verhaltenstherapie)
–Gedankenstopp, Grübelecke, Umstrukturierung

Nachts nicht auf die Uhr schauen

Bei nächtlichem Erwachen
–Zunächst liegen bleiben, gegebenenfalls Entspannungsübung
–Wenn nach 15 min. noch hellwach: aufstehen, in einen anderen Raum gehen und sich beschäftigen, bis
die Schläfrigkeit wiederkommt

Wirkungsmechanismen von Hypnotika

Schlafmittel entfalten ihre Wirkung über unterschiedliche Mechanismen: Für die Schlafinduktion sind die Verstärkung der GABA-ergen Hemmung, Histamin-H1-Rezeptor-Antagonismus, Blockade von alpha1-adrenergen Rezeptoren und Melatonin-MT1/MT2-Rezeptor-agonistische Wirkung von Bedeutung, während Serotonin-Rezeptoren an der Aufrechterhaltung des Schlafzustandes und der Schlafarchitektur beteiligt sind.

Psychopharmaka als Schlafmittel

Antidepressiva

Verschiedene Antidepressiva wirken über Histamin-H1-Rezeptorantagonismus und Serotonin-5-HT2-Antagonismus, zum Teil auch über die Blockade von alpha1-adrenergen Rezeptoren sedierend, die Wirkung auf den Schlaf ist allerdings nur für einige Substanzen (z.B. Trimipramin) in klinischen Studien untersucht, für ältere Patienten liegen kaum Daten vor. Der Tiefschlaf wird experimentellen Untersuchungen zufolge von diesen Substanzen nicht beeinträchtigt, von Trazodon sogar gefördert. Die Schlafkontinuität wird verbessert, die REM-Latenz verlängert. Trimipramin und Mirtazapin verringern den REM-Schlaf nicht, im Gegensatz zu Amitriptylin, Doxepin und (geringer) Trazodon [8, 35]. Die empfohlenen Dosierungen liegen deutlich unter denen für die antidepressive Behandlung, Stahl [48] nennt beispielsweise für Trazodon 25 bis 150 mg und für Doxepin sogar nur 1 bis 6 mg; in diesen Dosierungen sollen die über andere Rezeptoren vermittelten Wirkungen wie beispielsweise anticholinerge Effekte nicht zum Tragen kommen. In höheren Dosierungen, die denen in der Depressionsbehandlung entsprechen, sind die trizyklischen Antidepressiva aufgrund dieser anticholinergen Effekte und der Wirkung auf die kardiale Erregungsleitung bei älteren Patienten problematisch. Beim heute häufig off Label als Schlafmittel eingesetzten Mirtazapin sind bei alten Patienten die ungünstigen metabolischen Wirkungen, Ödeme und selten Hyponatriämie zu beachten. Zu Agomelatin siehe unten (bei Melatonin).

In Deutschland ist kein Antidepressivum zur Behandlung der primären Insomnie zugelassen, auch die oben aufgeführten Substanzen mit bekannt günstiger Wirkung auf den Schlaf besitzen eine Indikation allenfalls für die Behandlungen von Schlafstörungen im Rahmen depressiver Erkrankungen.

Neuroleptika

Ältere niederpotente Neuroleptika (Melperon, Pipamperon, Promethazin u. a.), aber auch neue Substanzen (Olanzapin, Quetiapin) wirken ebenfalls über Histamin-H1-Rezeptor-Antagonismus und die Blockade von alpha1-adrenergen Rezeptoren, zum Teil auch über Serotonin-5-HT2-Antagonismus schlaffördernd. Wie bei den sedierenden Antidepressiva begründen auch hier klinische Erfahrung und experimentelle Befunde die Anwendung, weniger klinische Studien [11]. Bemerkenswert ist die Entwicklung bei Quetiapin, das bei Markteinführung vom Außendienst mit dem Hinweis auf fehlende sedierende Eigenschaften beworben wurde, während diese nun von den Außendienstmitarbeitern betont werden und sich die Substanz in der Geriatrie großer Beliebtheit erfreut.

In Deutschland sind nur die beiden niederpotenten Neuroleptika Melperon und Pipamperon zur Behandlung von Schlafstörungen zugelassen, und zwar schwerpunktmäßig für ältere Patienten.

Nicht-Benzodiazepin-Hypnotika

Chloralhydrat

Der Wirkungsmechanismus ist weitgehend unklar. REM-Normalisierung, fehlender REM-Rebound und Förderung des Tiefschlafs gelten als positive Eigenschaften, denen jedoch eine rasche Toleranzentwicklung beziehungsweise Wirkverlust durch Enzyminduktion gegenübersteht. Gravierende Risiken schränken die Anwendbarkeit erheblich ein: Abhängigkeitsrisiko mit Entzugsdelirien, gastrointestinale Nebenwirkungen (Schleimhautreizung), allergische Hautreaktionen, Exantheme und bei Überdosierung kardiale Reizleitungsstörungen beziehungsweise Arrhythmien und Sensibilisierung gegen Catecholamine. Hinzu kommen Wechselwirkung mit Cumarinderivaten (Vitamin-K-Antagonismus: Verstärkung der Gerinnungshemmung) und Sulfonylharnstoffen (Verstärkung der antidiabetischen Wirkung). Die therapeutische Breite ist sehr gering (therapeutisch 0,25–1 g/Tag, letal 5–10 g). Kontraindikationen sind Lebererkrankungen (halogenierte Kohlenwasserstoffe sind hepatotoxisch) und Niereninsuffizienz (Kumulation) [1, 8, 11, 27].

Auf die Anwendung (nicht nur) bei älteren Menschen sollte deshalb verzichtet werden.

Antihistaminika

Bei den freiverkäuflichen Antihistaminika Diphenhydramin, Doxylamin und Hydroxyzin sind anticholinerge Wirkungen zu beachten, beim Diphenhydramin auch gastrointestinale Nebenwirkungen, Photosensibilisierung, allergische Hautreaktionen und selten Blutbildveränderungen [1, 8].

Melatonin und Melatonin-Rezeptoragonisten

Melatonin wird in der Zirbeldrüse aus Serotonin gebildet. Die Synthese zeigt eine ausgeprägte zirkadiane Rhythmik, weshalb schon seit langem der Einsatz dieses körpereigenen Hormons als Schlafmittel propagiert wird. Melatonin wird nur nachts synthetisiert, Zeitgeber ist helles Licht. Die Abnahme der Melatoninsynthese korreliert mit der Verkalkung der Zirbeldrüse im Alter.

Während Effekte von Melatonin bei Rhythmusstörungen („Jetlag“) besser belegt sind, ist die schlaffördernde Wirkung nicht unumstritten.

Zur Schlafinduktion kommt es wahrscheinlich indirekt, wohl unter anderem über die Thermoregulation. Die Einschlaflatenz ist verkürzt bei vermindertem Tiefschlaf. Als Medikament entfaltet Melatonin seine Wirkung nur, wenn es während des physiologischen Anstiegs bei eintretender Dunkelheit gegeben wird; die Wirkung tritt eher bei alten Menschen (mit reduzierter Melatoninsynthese) ein als bei jungen, und sie erfolgt nicht kurzfristig bei Einmalgabe, sondern erst bei regelmäßiger Einnahme.

Neben den Wirkungen auf den Schlaf ist Melatonin in vielfältige andere biologische Funktionen involviert (Radikalfänger, Immunsystem, Regulation, Fortpflanzung).

Nach oraler Gabe erfolgt eine rasche Resorption bei kurzer Halbwertzeit. Während in Deutschland nur ein retardiertes Präparat (für die Behandlung ab 55 Jahre) verfügbar ist, kann man in den USA unretardiertes Melatonin im Supermarkt kaufen. Als Nebenwirkung sind Kopfschmerzen beschrieben.

Agomelatin, ein Melatonin-MT1/MT2-Rezeptoragonist und selektiver Serotonin-Rezeptoragonist wurde 2009 in Deutschland als Antidepressivum, aber nicht zur Behandlung von Schlafstörungen zugelassen.

Der in den USA bereits zugelassene MT1/MT2-Rezeptoragonist Ramelteon zeigte in Studien eine hinreichende, aber nicht sehr gute Wirkung [8, 34, 48].

Tryptophan

Aus der essenziellen Aminosäure Tryptophan entsteht Serotonin. Ein erhöhtes Tryptophan-Angebot führt zu einer gesteigerten Serotoninproduktion. Serotonin beeinflusst die interne Schlafregulation (NREM-/REM-Schlaf, Tiefschlaf). Die klinische Wirkung besteht allerdings in einer verkürzten Schlaflatenz (eher schlafanstoßende als schlafverbessernde Wirkung), begründet vielleicht darin, dass es nach Tryptophangabe auch zu einem Melatoninanstieg kommt.

Die in Studien verwendete Dosis lag mit 2 g sehr hoch. Unerwünschte Wirkungen sind Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen. 1989 führten Todesfälle durch gentechnisch verunreinigtes Tryptophan zur Marktrücknahme, seit 1996 ist Tryptophan als Arzneimittel wieder verfügbar [8, 34].

In Deutschland besitzt L-Tryptophan die Zulassung für die Behandlung von Schlafstörungen.

Phytopharmaka

In Studien ließ sich lediglich für eine Baldrian-Hopfen-Kombination anhand objektiver Parameter eine leichte Verbesserung des Schlafes belegen [47]. Johanniskraut führt zu einer Abschwächung der gerinnungshemmenden Wirkung von Cumarin-Derivaten.

Alle in diesem Abschnitt aufgeführten Nicht-Benzodiazepin-Hypnotika mit Ausnahme von Chloralhydrat haben sich nach klinischer Erfahrungen bei ausgeprägten Schlafstörungen, bei Schlafstörungen im Rahmen psychischer Erkrankungen und bei stationären gerontopsychiatrischen Patienten als allein nicht ausreichend wirksam erwiesen [25].

Nicht-Benzodiazepin-Tranquilizer

Opipramol weist dieselbe Grundstruktur wie trizyklische Antidepressiva auf, zeigt aber in therapeutischen Dosierungen keine Wiederaufnahmehemmung für biogene Amine. Es zeichnet sich durch antagonistische Effekte an Histamin-H1-, Serotonin-5-HT2- sowie am Dopamin-D2-Rezeptoren aus. Die erstgenannte Wirkung erklärt die sedierenden Effekte, der Mechanismus der anxiolytischen Wirkung ist unklar. Eine Abhängigkeitsgefahr besteht nicht. Hinsichtlich der Anwendung im Alter gelten dieselben Einschränkungen wie für trizyklische Antidepressiva.

Das seit den 1980er Jahren in Deutschland verfügbare Buspiron soll anxiolytische Wirkung ohne Sedierung und Suchtgefahr bieten bei einer Wirklatenz von 10 bis 14 Tagen. Nach klinischer Erfahrung ist die Wirksamkeit nicht sehr ausgeprägt.

Gute anxiolytische Eigenschaften bei sehr guter Verträglich weist offenbar das mittlerweile für die Behandlung der generalisierten Angststörung in Deutschland zugelassene Pregabalin auf, mit dem off Label in der Gerontopsychiatrie auch gute Erfahrungen bei Unruhe- und Spannungszuständen gemacht werden, die nicht die Kriterien der generalisierten Angststörung erfüllen.

Hinsichtlich der Anwendung von Phytopharmaka und Antihistaminika als Tranquilizer oder Anxiolytika gelten die zu den Hypnotika gemachten Ausführungen [8, 25].

Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga

Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga entfalten ihre pharmakologische Wirkung durch Interaktion mit der Alpha-Untereinheit des GABAA-Rezeptors, vor allem im Kortex, im limbischen System und im Mesenzephalon. Sie besitzen keine intrinsische Aktivität sondern wirken lediglich in Anwesenheit von GABA und werden heute als PAM’s (= positive allosteric modulators) bezeichnet, das heißt, sie wirken als Agonisten oder Antagonisten je nach GABAA-Rezeptortyp. Verschiedene GABAA-Rezeptortypen vermitteln unterschiedliche Wirkungen, wobei der Alpha-Untereinheit große Bedeutung zukommt. Benzodiazepine und Zopiclon binden an die Untereinheiten a1–3 + a5, Zaleplon und Zolpidem binden hingegen relativ selektiv (Faktor 10) an die Untereinheit a1, die offenbar für die Sedierung entscheidend ist.

Pharmakologisch und phänomenologisch lässt sich keine klare Grenze zwischen anxiolytischer, sedierender und hypnotischer Wirkung ziehen, es handelt sich um ein Kontinuum. Die anxiolytische Wirkung von Benzodiazepinen wird am ehesten über die Untereinheiten a1–3 + a5 vermittelt.

Die (scheinbar) etwas unterschiedlichen Wirkprofile entfalten die verschiedenen Benzodiazepine offenbar nicht durch differente intrinsische Medikamenteneffekte, sondern durch regional unterschiedliche Verteilung der verschiedenen GABAA-Rezeptortypen [27, 48].

Benzodiazepine führen zu einer Verkürzung der Einschlaflatenz, einer Verminderung der Aufwachvorgänge und einer Verlängerung der Gesamtschlafzeit, wobei jedoch die normale Schlafarchitektur im Sinne einer Zunahme des leichten Schlafs (Stadium 2) bei gleichzeitiger Abnahme von Tief- und REM-Schlaf verändert wird [34].

Benzodiazepine – pharmakologische Aspekte

Weltweit sind etwa 30 Benzodiazepin-Substanzen im Gebrauch. Die meisten Benzodiazepine werden zu aktiven Metaboliten umgewandelt, in einigen Fällen ist sogar erst der Metabolit wirksam. Die Trennung in Tranquilizer und Hypnotika ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Benzodiazepin-Wirkungen sind in Tabelle 2 dargestellt; die Wirkung auf den Schlaf besteht in einer Verlängerung der Gesamtschlafzeit mit verkürzter Einschlaflatenz, allerdings bei REM-Suppression und verlängerter REM-Latenz sowie Abnahme der Tiefschlafstadien. Gegen die antikonvulsive und sedierende beziehungsweise hypnotische Wirkung entwickelt sich rasch eine Toleranz, während die anxiolytische Wirkung wahrscheinlich länger anhält. Bei längerfristiger regelmäßiger Einnahme haben Benzodiazepine keinen günstigen Effekt auf den Schlaf [51]! Im Alter ist die Toleranzentwicklung geringer ausgeprägt, die Sensibilität der Benzodiazepin-Rezeptoren erhöht [18].

Tab. 2. Benzodiazepinwirkungen

Entzugssymptome

Erwünschte (therapeutische) Wirkungen

Effekte bei Überdosierung und Langzeitanwendung (schleichende Intoxikation)

Ängstlichkeit, Irritierbarkeit, Palpitationen, Unruhe, Depressivität

Angstlösung, affektive Entkoppelung

Gleichgültigkeit, affektive Verflachung, Interessenverarmung, „Wurstigkeit“, Persönlichkeitsnivellierung, Realitätsflucht, Depressivität

Übererregbarkeit des ZNS durch Wegfall der GABAergen Hemmung:
Krampfanfälle
Nervosität, sensorische Überempfindlichkeit
Schlaflosigkeit, Albträume
Muskelkrämpfe, Myoklonien, Ataxie

Verstärkung GABAerger Hemmung im ZNS:
Antikonvulsive Wirkung
Beruhigung („Tranquilizer“)
Sedierung, Schlafanbahnung
Zentrale Muskelrelaxation

Ausgeprägte GABAerge Hemmung im ZNS:
Benommenheit
Antriebsverlust, Apathie,
Kognitive Beeinträchtigungen
Tagesmüdigkeit, Hangover
Koordinationsstörungen, Ataxie, Muskelschwäche, Gangstörungen, Stürze,
Atemdepression

Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Konfusion, Delir

Amnesie (i. d. Anästhesie)

Fehlhandlungen während der Amnesie, Vergesslichkeit, Lernhemmung, kognitive Beeinträchtigungen

Die Eliminationshalbwertszeit (HWZ) der meisten Benzodiazepine und ihrer aktiven Metaboliten ist sehr lang (20 bis 100 Stunden). Veränderungen der Enzymaktivitäten in der Leber führen im Alter zu einer Zunahme der Halbwertszeit bis auf das Drei- bis Fünffache. Eine auf das Doppelte (Dreifache) verlängerte Halbwertszeit führt einerseits dazu, dass bei identischer Dosis doppelt (dreimal) so hohe Plasmakonzentrationen erreicht werden. Andererseits wird aber auch die doppelte (dreifache) Zeit benötigt, bis sich unter Dauertherapie eine konstante Plasmakonzentration („Steady State“) einstellt; dies gilt sowohl für den Anstieg bei Behandlungsbeginn wie auch für das Absinken nach dem Absetzen (schleichende Intoxikation – protrahierter Entzug). Bei alten Menschen mit verlangsamtem Metabolismus kann dies im Fall langwirksamer Benzodiazepine unter Umständen erst nach mehreren Wochen der Fall sein. Vom Alter praktisch unabhängig sind nur die Phase-2-Reaktionen, namentlich die Glucuronidierung. Wenn man also bei älteren Patienten unerwünschte Kumulationseffekte sicher vermeiden will, kommen nur die Substanzen in Frage, die nicht zu aktiven Metaboliten verstoffwechselt und ausschließlich nach Glucuronidierung renal ausgeschieden werden: Lorazepam, Oxazepam, Temazepam und mit Einschränkung Lormetazepam (Abb. 3); bei allen anderen Substanzen ist die Wirkungsdauer unkalkulierbar. Die Wirkungen am Rezeptor können noch anhalten, wenn die Plasmakonzentration schon abgesunken ist. Die Halbwertszeit ist im Hinblick auf Kumulationseffekte nur für die längerfristige Anwendung von Bedeutung, während beim einmaligen Einsatz Anflutungsgeschwindigkeit, Fettlöslichkeit und Verteilungsvolumen entscheidend sind: so ist beispielsweise das „langwirksame“ Diazepam bei einmaliger Gabe ein besseres Schlafmittel als das „kurz- bis mittellangwirksame“ Lorazepam, das in diesem Fall tatsächlich länger wirksam ist als Diazepam, das sich viel schneller im Organismus verteilt [14, 23, 25, 31, 36, 41, 44].

Abb. 3. Stoffwechselwege der Benzodiazepine [25]

Schleichende Intoxikationen können zu pseudodementen, apathisch-adynamen und depressiven Zustandsbildern führen. Das gilt auch für protrahierte Entzugssyndrome, die zusätzlich psychotische Zustandsbilder auslösen können. Für alle diese Syndrome gilt, dass sie auf Grund der zeitlichen Latenz leicht diagnostisch falsch eingeschätzt werden.

Das Sturzrisiko ist einerseits erhöht unter langsam metabolisierten Benzodiazepinen infolge der Kumulation; eine besonders große Gefährdung besteht andererseits zu Beginn einer Benzodiazepin-Medikation, das heißt, bevor die Adaptationsprozesse wirksam werden. Die Sturzgefahr wird potenziert durch andere körperliche Handicaps wie Störungen der Tiefensensibilität usw. und natürlich durch die Kombination mit anderen Pharmaka [29, 32, 38, 40].

Ob auch relevante kognitive Einbußen bis zur Pseudodemenz bei chronischer Benzodiazepin-Einnahme auftreten können, war lange Zeit sehr umstritten. Die Metaanalyse von Barker et al. [6] deutet auf kognitive Beeinträchtigungen hin: Danach treten bei der Langzeiteinnahme (durchschnittlich 9,9 Jahre) in therapeutischer Dosis (17,2 mg Diazepam-Äquivalent) in allen untersuchten neuropsychologischen Domänen Beeinträchtigungen in moderater bis hoher Effektstärke auf.

Benzodiazepin-Analoga: „Z-Substanzen“ und Clomethiazol

In Deutschland wurden in den frühen 1990er Jahren Zolpidem und Zopiclon, 1999 Zaleplon als Schlafmittel neu eingeführt. Es handelt sich chemisch gesehen zwar nicht um Benzodiazepine; die klinisch-pharmakologischen Ähnlichkeiten überwiegen bei weitem die Unterschiede. Im Vergleich zu Benzodiazepinen haben die Z-Substanzen fast rein sedativ-hypnotische Effekte, auch Amnesie kann auftreten. Die Beeinflussung des REM-Schlafes ist geringer als bei Benzodiazepinen.

Kennzeichen aller drei Substanzen ist die sehr kurze Halbwertszeit von etwa 5 (Zopiclon) beziehungsweise 2 (Zolpidem) und sogar nur 1 Stunde (Zaleplon), wodurch Überhang und Rebound-Effekte seltener auftreten; bei ausgeprägter hepatischer Elimination mit Phase-1-Reaktionen ist von einer verlängerten Halbwertszeit bei alten Menschen beziehungsweise bei Leberfunktionsstörungen auszugehen, so dass individuelle Dosisanpassungen im Alter erforderlich sind; schleichende Intoxikationen wie bei den Benzodiazepinen können aufgrund der kurzen Halbwertszeit jedoch nicht auftreten.

Metaanalysen belegen signifikante klinische Effekte im Vergleich zu Plazebo im Kurzzeitgebrauch bei mittleren bis hohen Effektstärken, allerdings keine bessere Wirksamkeit gegenüber Benzodiazepinen. Bei älteren Patienten überwiegen die unerwünschten Wirkungen (UAW) den klinischen Nutzen [46].

Das Abhängigkeitspotenzial der Z-Substanzen scheint geringer zu sein als das der Benzodiazepine, Tierversuche deuten auf eine fehlende Sensitivitätsveränderung des GABAA-Rezeptors auch nach langer und hoch dosierter Gabe von Zolpidem und Zopiclon hin. Die klinische Datenlage ist jedoch noch unzureichend. Zahlreiche kasuistische Hinweise auf eine mögliche Abhängigkeitsentwicklung liegen für Zolpidem und Zopiclon vor; es scheinen überwiegend „Umsteiger“ betroffen zu sein – doch glaubte man dies bei den Benzodiazepinen zunächst ebenfalls [12].

Clomethiazol wirkt ebenfalls am GABAA-Rezeptor. Die in den englischsprachigen Ländern nicht verfügbare Substanz wird in Deutschland vorrangig in der Behandlung des Alkoholentzugs (Delirs) eingesetzt. Wegen der kurzen Halbwertszeit ist es ein gut zu steuerndes und recht stark wirksames Hypnotikum, das in der Gerontopsychiatrie bei deliranten Syndromen, schweren Schlafstörungen im Rahmen hirnorganischer/demenzieller Syndrome und psychomotorischen Unruhezuständen seinen Platz hat. Aufgrund der atemdepressorischen Wirkung und starker Schleimsekretion ist bei bronchopulmonalen Erkrankungen Vorsicht geboten, außerdem kann es zu Blutdruckabfall kommen. Wegen des ausgeprägten Suchtpotenzials sollte die Anwendung nur kurzzeitig und nur dann erfolgen, wenn eine kontrollierte Einnahme gewährleistet ist [8, 11].

Benzodiazepin-Abhängigkeit

Schwierig ist die Diagnose der Benzodiazepin-(Low-Dose-)Abhängigkeit. Benzodiazepine werden häufig nicht in höherer Dosis eingenommen als vorgeschrieben, zwar über einen langen Zeitraum, jedoch mit ärztlicher Verordnung, und es kommt nicht zu einer Dosissteigerung (Niedrigdosis- oder „Low- Dose“-Abhängigkeit). Die Grenze zwischen der missbräuchlichen Einnahme zur Erzielung psychotroper Wirkungen und der Behandlung von Krankheitssymptomen im Sinne von Anxiolyse, Sedierung oder Schlafanbahnung ist unscharf. Auch das Kriterium der fortgesetzten Einnahme trotz des Wissens um die schädlichen Folgen scheint häufig nicht zuzutreffen. Das Entzugssyndrom ist unscharf definiert. „Drug seeking behaviour“ wie bei Alkoholikern oder Konsumenten illegaler Drogen wird nur selten beobachtet, allerdings verwenden Benzodiazepin-Konsumenten meist viel Energie und Zeit, um an das Rezept zu gelangen. Nebenwirkungsarmut und weitgehend fehlende euphorisierende Wirkungen der Benzodiazepine stellen eine weitere Besonderheit im Vergleich zu vielen anderen Suchtmitteln dar. Hochdosisabhängigkeit ist im Alter selten, aus eigener Erfahrung gibt es jedoch auch über 70-Jährige, die 20 bis 30 Tabletten Zolpidem täglich einnehmen [3, 4, 15, 36, 39, 44].

So kann es nicht überraschen, dass hinsichtlich der Häufigkeit der Benzodiazepin-Abhängigkeit kontroverse Standpunkte vertreten werden. Plausibel erscheint es, davon auszugehen, dass 40 bis 50% der Benzodiazepin-Dauerkonsumenten abhängig sind [22, 50, 53]. Das Einnahmeverhalten erlaubt schon sehr früh Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung: Patienten, die täglich Benzodiazepine einnehmen, konsumieren diese Medikamente zu 2/3 auch noch nach über 10 Jahren [20].

In der Diskussion über die Abhängigkeitsgefahr von Benzodiazepinen wird gelegentlich zwischen Rebound-Phänomenen und eigentlichen Entzugssymptomen unterschieden. Aus Sicht des Patienten ist diese akademisch vielleicht korrekte Unterscheidung jedoch spitzfindig; ihm ist es gleichgültig, ob er durch ausgeprägte vegetative Dysregulationen, Tremor und psychosenahe Erlebnisse dazu verleitet wird, sein Benzodazepin wieder einzunehmen, oder ob „nur“ eine „einfache Rebound-Schlaflosigkeit“ dafür verantwortlich ist, wie sie bereits nach vierwöchiger Einnahme auftreten kann. In einer ausgezeichneten Übersicht zu den klinischen Aspekten der Benzodiazepin-Abhängigkeit beschreibt Tyrer [50] das zentrale Geschehen treffend: The only constant factor (…) is the extreme difficulty patients have in withdrawing from treatment because of abstinence symptoms. Patients have a common refrain: “I don’t know whether this drug is helping me or not, all I know is that whenever I try to reduce or stop it I feel terrible and have to start taking it again.”

Dementsprechend erscheint es sinnvoller, zwischen major und minor symptoms des Entzugs zu unterscheiden als zwischen Rebound und „eigentlichem“ Entzug; die Symptomatik zeigt ein breites Spektrum von unspezifischen Phänomenen wie Schlafstörungen und Nervosität bis zu spezifischen Symptomen wie Beeinträchtigungen der sensorischen Perzeption (Liftgefühl, Metallgeschmack), Delirien und Krampfanfällen [3, 4, 15, 36, 39, 41, 44, 45, 50].

Obwohl Einnahmedauer und kumulative Dosis die entscheidenden Parameter für die Wahrscheinlichkeit einer Suchtentwicklung darstellen, ist eine Abhängigkeit bereits nach drei Monaten möglich! Hinfällige, körperlich kranke und ängstliche Patienten entwickeln wahrscheinlich eher ein schweres Entzugssyndrom [36], das bloße Lebensalter stellt hingegen keinen Risikofaktor dar [43].

Eine retrospektive Krankenblattauswertung zeigte, dass sich Angst, Depressivität und körperliche Beschwerden unter einer Benzodiazepin-Dauermedikation zumeist verschlechterten (für Schlafstörungen und „Nervosität“ ergaben sich keine signifikanten Unterschiede). Überwiegend profitieren die Patienten damit nicht von einer langfristigen Benzodiazepin-Medikation, während es den meisten nach durchgemachtem Entzug besser geht [28].

Benzodiazepin im Alter: absetzen oder nicht und wenn ja – wie?

Viele Benzodiazepin-Dauerkonsumenten haben erfolglose Absetzversuche hinter sich und lehnen einen (erneuten) Absetzversuch ab [7, 26]. Häufig wird vom Arzt schlicht „vergessen“ zu überprüfen, ob die Indikation weiterhin besteht. Von Dauerkonsumenten wird in mehreren Studien berichtet, dass sie von ihren (Haus-)Ärzten nicht auf die Gefahren hingewiesen wurden [19].

Das Problem der Benzodiazepin-Abhängigkeit wird oft beklagt, aber im Vergleich zum Alkohol wissen wir relativ wenig über Behandlungsmöglichkeiten. Ansätze gibt es beispielsweise in den Niederlanden [9, 33], in Großbritannien [4, 13, 19] oder Finnland [52]. Die Ergebnisse sind – im Rahmen dessen, was man bei Suchterkrankungen als Erkrankungen mit chronischem Verlauf und hoher Rückfallgefahr erwarten darf – durchaus ermutigend, wobei sich zeigt, dass eine zusätzliche spezielle psychotherapeutische Begleitung wenig effektiv ist; wesentlich sind vielmehr eine gute Arzt-Patient-Beziehung (auch beim Hausarzt möglich!), klare Informationen (z.B. über den flüchtigen Charakter der Rebound-Symptome) und ein eindeutiger Plan für die Dosisreduktion (schriftlich für den Patienten). Besonders ermutigend ist schließlich, dass auch im Alter (ab 70 Jahre!) im haus-ärztlichen Setting der fraktionierte Benzodiazepin-Entzug ohne negative Effekte oder Einbußen an Lebensqualität (z.B. Schlaf) möglich ist [10].

Auch bei älteren Menschen sollte nicht vorschnell auf die Entzugsbehandlung verzichtet werden. Einerseits müssen Krankheitssymptome und Lebensqualität unter Benzodiazepinen bzw. nach erfolgreichem Entzug gegeneinander abgewogen werden, andererseits ist die (mutmaßliche) verbleibende Lebensspanne von Bedeutung. Wenn sich unter laufender Benzodiazepin-Medikation die psychischen Symptome wieder verschlechtern, wenn also eine (späte) Toleranz eintritt, die Benzodiazepine ihre Wirkung verlieren und andererseits noch mit einigen Jahren Lebenserwartung zu rechnen ist, sollte man eine Entzugsbehandlung erwägen (Tab. 3).

Tab. 3. Indikation zum Benzodiazepin-Entzug im Alter

Sind nachteilige Folgen des Entzugs zu erwarten? Entzugssyndrom nur bei 40–50% der Dauerkonsumenten. Risiko steigt mit Einnahmedauer und kumulativer Dosis. Körperliche Gesamtverfassung?

Hat der Patient überhaupt noch Nutzen vom Benzodiazepin? Verlust der schlafanstoßenden Wirkung nach wenigen Wochen. Fortsetzung der Einnahme nur zur Vermeidung von Rebound-Symptomen? Psychiatrische Symptome trotz Benzodiazepin?

Schaden durch Benzodiazepine? Psychiatrische Symptome durch Benzodiazepine (Depression, kognitive Beeinträchtigung, Wesensänderung)? Andere Probleme durch Benzodiazepine (Sturzgefahr)?

Verbleibende Lebensspanne?

Trägt das Umfeld Entzug mit?

Verminderung der Dosis bzw. Umstellung auf ein für alte Menschen geeignetes Benzodiazepin sind bereits ein Behandlungserfolg!

Der Entzug sollte stets semi-logarithmisch fraktioniert erfolgen. Er kann mit dem vorher eingenommenen Benzodiazepin erfolgen, es kann aber auch auf ein langwirksames Präparat in Tropfenform umgestellt werden, was neben einem automatischen Ausschleichen aufgrund der langen Halbwertszeit auch feine Dosierungsänderungen ermöglicht. In Einzelfällen wird die Substitution nicht toleriert, und der Entzug gelingt nur mit der missbräuchlich eingenommenen Substanz. Der fraktionierte Entzug sollte zwar einem Schema folgen, sich aber an der jeweiligen individuellen Problematik orientieren. In Einzelfällen erweist sich das Absetzen der letzten geringen Dosen als besonders schwierig. Unterstützend werden (sedierende) Antidepressiva, Carbamazepin, Valproinsäure oder Betablocker eingesetzt, es gibt auch Versuche mit Clonidin und Melatonin [9]. Je höher die Dosis, je länger die Einnahme und je älter der Patient, umso vorsichtiger und damit langsamer sollte der Entzug durchgeführt werden, der somit häufig mehrere Monate andauern kann. Nach dem endgültigen Absetzen vergehen oft noch etliche Wochen, bis eine leidliche geistig-seelische Stabilisierung erreicht ist [4, 15, 24, 28, 36, 41, 44].

Der Entzug erfolgt in der Regel ambulant. Verfügen ältere Patienten über kein ausreichendes stützendes soziales Netzwerk oder sind in der häuslichen Umgebung wiederholt gefährliche Situationen durch Intoxikationen, Krampfanfälle usw. aufgetreten, ist zumindest streckenweise ein stationärer Entzug unumgänglich. Auch ein teilstationärer Entzug in einer gerontopsychiatrischen Tagesklinik ist möglich.

Im stationären Setting ist zu berücksichtigen, dass ein Entzug wenig sinnvoll ist, wenn der Patient, seine Bezugspersonen oder der Hausarzt dies nicht mittragen und eine Wiederaufnahme des Benzodiazepin-Konsums nach der Klinikentlassung zu befürchten ist. Dann sollte man sich vergegenwärtigen, dass es nicht nur schwarz oder weiß gibt, unveränderte Einnahme oder völliges Absetzen – auch eine Dosisreduktion beziehungsweise die Umstellung auf ein für alte Menschen geeignetes Benzodiazepin (siehe oben) sind bereits ein Erfolg!

Insgesamt gilt es sicherlich, angesichts von vielfältigen Leidenszuständen im Alter das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, weder unkritisch der Benzodiazepin-Verordnung das Wort zu reden noch diese Medikamente rigoros zu verdammen – eine schwierige Gratwanderung („striking a balance“ – [2]). Für die Akutbehandlung stellen Benzodiazepin zweifellos außerordentlich segensreiche Medikamente dar, auch im Alter. Aber bitte Vorsicht im Hinblick auf die längerfristige Verordnung!

Grundsätze für die Anwendung von Benzodiazepinen und Benzodiazepin-Analoga

Eine Toleranzentwicklung tritt bereits nach drei bis vier Wochen ein. Die Hypnotika sollten nicht längerfristig regelmäßig täglich eingenommen werden, sondern beispielsweise als quotengeregelte Bedarfstherapie (maximal 10 Tagesdosen in 3 Wochen), in Form einer Wochenintervalltherapie (2 bis 4 Wochen, danach 2 bis 4 Wochen Hypnotika-freies Intervall) oder Tagesintervalltherapie (5 von 7 Tagen pro Woche) oder als kontrollierte Bedarfsintervalltherapie (prospektive Festlegung von maximal 3 bis 4 Einnahmetagen pro Woche). Auch eine Kombinationsbehandlung aus einem niedrig dosierten Benzodiazepin-Analogon und einer anderen sedierenden Substanz kommt in Betracht [35]. Faustregel: mindestens einmal im halben Jahr den Patienten auf die Medikation ansprechen und zur Dosisreduktion/Umstellung/Entzug ermutigen!

Literatur

Das Literaturverzeichnis als PDF.


Dr. Dirk K. Wolter, Chefarzt Gerontopsychiatrie, Inn-Salzach-Klinikum, Gabersee 7, 83512 Wasserburg am Inn, E-Mail: Dirk.Wolter@iskl.de

Hypnotics and anxiolytics in the elderly

Use of hypnotics and tranquilizers increases by age, women are predominant. Benzodiazepines and related drugs still are the mostly used drugs in this field, although there is a decrease in prescription. In Germany these drugs are increasingly given by private prescription, thus health insurance data underestimate benzodiazepine-consumption but overestimate the drop of prescriptions, respectively.

Benzodiazepines are harmless drugs with respect to acute toxicology, but in long-term-use insidious intoxication may occur, probably leading to harmful consequences (falls, cognitive impairment) and incorrect diagnosis (depression, dementia). Thus in the elderly only those – if even – benzodiazepines should be used that are not eliminated with delay (i.e. lorazepam, oxazepam, and temazepam). Also non-benzodiazepine, neuroleptics, antidepressants, otc-tranquilizers, melatonine, and plant-based drugs are not harmless at all and show limited effect, respectively. Non-pharmacological treatment approaches have priority over pharmacological treatment.

Low-dose dependence occurs in 40 to 50% of benzodiazepine-long-term-users. Withdrawal symptoms show a great variety. A defeatist attitude towards this problem is not appropriate, old age is not an obstacle to withdrawal. Withdrawal treatment should always be carried out by tapering off dose, support by other drugs is often necessary. A good doctor-patient-relation, sufficient information, and an unequivocal plan given the patient are mandatory, then withdrawal is possible even in general practice with benefit to patients and without impaired quality of life. If complete withdrawal is not feasible, dose-reduction and switch to a drug suitable for the elderly, respectively, have to be regarded as success.

Key words: Benzodiazepines, insidious intoxication, benzodiazepine dependence, withdrawal

Psychopharmakotherapie 2010; 17(01)