Multiple Sklerose

Retardiertes Fampridin verbessert Gehfähigkeit bei jedem Dritten


Dr. Birgit Schindler, Freiburg

Für die nachlassende Gehfähigkeit bei multipler Sklerose (MS) gibt es bisher außer physiotherapeutischen Maßnahmen keine Behandlungsmöglichkeit. In einer randomisierten, doppelblinden Studie verbesserte der Kaliumkanalblocker Fampridin die Gehfähigkeit bei etwa jedem dritten MS-Betroffenen. Als unerwünschte Wirkung können Krampfanfälle auftreten.

Die multiple Sklerose (MS) wird als eine Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems angesehen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue Therapieansätze, die den MS-Verlauf beeinflussen sollen, in klinischen Studien untersucht. Zur symptomatischen Behandlung dieser Erkrankung gibt es dagegen kaum Untersuchungen.

Der Kaliumkanalblocker Fampridin (4-Aminopyridin) verstärkt die elektrische Signalübertragung in demyelinisierten Nervenbahnen und ist damit ein potenzieller Kandidat für eine symptomatische Therapie bei multipler Sklerose. Der Wirkstoff ist nicht neu, sondern wurde bereits in den 1990er Jahren in kleineren, klinischen Studien untersucht. Ein Review der Cochrane Collaboration kam im Jahr 2002 zu dem Schluss, dass die Sicherheit und Wirksamkeit von Aminopyridinen zur Symptomverbesserung bei multipler Sklerose bislang noch nicht geklärt ist.

Da die fortschreitende Abnahme der Gehfähigkeit als ein Hauptmerkmal der multiplen Sklerose gilt, initiierte der Hersteller von Fampridin eine doppelblinde, randomisierte Studie, in der über 14 Wochen die Wirksamkeit einer retardierten Formulierung von Fampridin auf die Gehfähigkeit von MS-Patienten untersucht wurde.

In dieser Studie erhielten 301 MS-Patienten, die eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit aufwiesen, randomisiert entweder zweimal täglich 10 mg retardiertes Fampridin (n=229) oder Plazebo (n=72). Eingeschlossen wurden Patienten mit jeglicher Form des MS-Verlaufs, die für eine Gehstrecke von 25 Fuß (rund 7,6 Meter) zwischen 8 und 45 Sekunden benötigten. Die Beeinträchtigung der Gehfähigkeit durfte also in einem weiten Bereich variieren. Ausgeschlossen wurden Patienten mit Krampfneigung in der Vorgeschichte. Zusätzlich wurden potenzielle Studienteilnehmer auf epileptiforme Nervenaktivität hin untersucht und bei Vorliegen einer solchen von der Teilnahme ausgeschlossen.

Primärer Studienendpunkt war das „Ansprechen auf die Behandlung“, gemessen als Verbesserung der Gehgeschwindigkeit unter der Behandlung. Diese wurde anhand wiederholter, standardisierter Messung einer 25 Fuß langen Gehstrecke vor, während und nach der Behandlung bestimmt. Zur Validierung des primären Endpunkts wurde zusätzlich die Sicht der Patienten abgefragt: Dazu wurde ein Zwölf-Punkte-Fragebogen, der MS-Walking-Scale-12 (MSWS-12), verwendet.

Ergebnisse

Auf die Behandlung sprachen in der Fampridin-Gruppe 35% und in der Plazebo-Gruppe 8% der Patienten an (p<0,0001). Die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit der Responder stieg dabei

  • in der Fampridin-Gruppe um 25,2% oder 0,51 Fuß/s (15,5 cm/s),
  • in der Plazebo-Gruppe um 4,7% oder 0,10 Fuß/s (3 cm/s).

Die Wirkung auf die Gehgeschwindigkeit blieb während der 14-wöchigen Behandlungsphase erhalten; bereits 2 Wochen nach Ende der Behandlung hatte die Gehgeschwindigkeit wieder bis auf den Ausgangswert abgenommen, ein Zeichen für die rein symptomatische Wirkung von Fampridin.

Patienten beider Behandlungsgruppen, die auf die Behandlung ansprachen, stellten auch auf dem Zwölf-Punkte-Fragebogen (MSWS-12) eine Abnahme der Beeinträchtigung ihrer Gehfähigkeit fest. Ausgehend von 70,3 bzw. 70,1 Punkten betrug die durchschnittliche Veränderung des MSWS-12-Scores während der Behandlung

  • in der Responder-Gruppe –6,84 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] –9,65 bis –4,02),
  • in der Nonresponder-Gruppe +0,05 (95%-KI –1,48 bis 1,57; p=0,0002).

Bei zwei Patienten der Fampridin-Gruppe kam es zu schweren unerwünschten Wirkungen, die der Studienmedikation zugeschrieben wurden: Ein bereits zuvor wegen Angststörungen behandelter Patient erlitt eine schwere Angstattacke; ein weiterer bekam im Verlauf einer durch eine Lungenentzündung ausgelösten Sepsis einen fokalen Krampfanfall. Eine Zunahme der Krampfneigung bei steigender Fampridin-Dosis war bereits in vorangegangenen Studien beobachtet worden und scheint auch aufgrund der Wirkungsweise von Fampridin plausibel.

Fazit

Eine Stärke dieser Studie ist, dass nicht nur die Verbesserung der Gehfähigkeit gemessen wurde, sondern auch die Patientenperspektive abgefragt wurde. Warum die Behandlung nur bei einem Teil der Patienten wirksam war, ist unklar. Welche MS-Patienten auf die Behandlung ansprechen, lässt sich nach den Ergebnissen dieser Studie nicht vorhersagen, da sich die Patienten, bei denen sich die Gehfähigkeit verbesserte, in keinem der registrierten Merkmale von den Patienten ohne Verbesserung unterschieden.

Es wird vermutet, dass Fampridin eine enge therapeutische Breite hat. Um das möglicherweise mit der Behandlung einhergehende Epilepsierisiko einschätzen zu können, waren die bisherigen Studien zu klein. In der vorliegenden Studie wurden Patienten im Voraus auf eine erhöhte Krampfneigung hin untersucht und bei Vorliegen einer solchen von der Studienteilnahme ausgeschlossen.

Da die Unklarheit darüber, welche Patienten von dem Mittel profitieren, eine erhebliche Unsicherheit für die Therapie bedeutet, erscheint es notwendig, weitere Studien durchzuführen, bevor Fampridin in Behandlungsregime bei MS integriert werden kann.

Quellen

Goodman AD, et al. Sustained-release oral fampridine in multiple sclerosis: a randomised, double-blind, controlled trial. Lancet 2009; 373:732–8.

Thompson A, Polman C. Improving function: a new treatment era for multiple sclerosis? Lancet 2009;373:697–8.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(05)