Antidepressiva

Rangliste für Antidepressiva der zweiten Generation


Dr. Birgit Schindler, Freiburg

Mit der relativ neuen Methode einer Netzwerk-Metaanalyse, bei der direkte und indirekte Vergleiche kombiniert werden, wurden potenzielle Unterschiede beim Therapieansprechen und der Akzeptanz zwischen 12 Antidepressiva der zweiten Generation analysiert. Danach haben bei der Akutbehandlung einer schweren Depression Escitalopram und Sertralin die beste Nutzen-Akzeptanz-Bilanz, Reboxetin die schlechteste.

In den letzten 20 Jahren wurden verschiedene neue Gruppen von Antidepressiva eingeführt, die sich in folgende Wirkstoffklassen einordnen lassen: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer und tetrazyklische Antidepressiva. Unterschiede bei Wirksamkeit und Verträglichkeit innerhalb dieser Wirkstoffklassen, aber auch zwischen den Wirkstoffklassen sind dabei weitgehend unklar.

Mit der relativ neuen Methode einer Netzwerk-Metaanalyse, bei der direkte und indirekte Vergleiche von Wirkstoffen miteinander kombiniert werden, wurden die Wirksamkeit und Akzeptanz von 12 Antidepressiva der zweiten Generation bei der Akutbehandlung einer schweren Depression miteinander verglichen.

Zur Identifizierung relevanter Studien, wurde das Studienregister der entsprechenden Review-Gruppe der Cochrane Collaboration bis einschließlich November 2007 herangezogen. Herstellerfirmen, Zulassungsbehörden und Studienautoren wurden aufgefordert, zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen.

Eingeschlossen wurden randomisierte Studien, in denen eines der folgenden 12 Antidepressiva (aus fünf Wirkstoffklassen) als Monotherapie bei Erwachsenen mit unipolarer schwerer Depression untersucht wurde:

  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Duloxetin, Milnacipran, Venlafaxin
  • Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Reboxetin
  • Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer: Bupropion
  • Tetrazyklische Antidepressiva: Mirtazapin

Ausgeschlossen wurden die Plazebo-Gruppen der Studien und randomisierte Studien mit Frauen, die eine postpartale Depression hatten. Die Qualität der Studien wurde danach beurteilt, ob das Randomisierungsverfahren und die Verblindung angemessen, unklar oder unzureichend waren.

Es wurde die statistische Methode einer Netzwerk-Metaanalyse angewendet, bei der nicht nur direkte Vergleiche zwischen zwei Behandlungen berücksichtigt werden, sondern auch indirekte Vergleiche. Bei einem indirekten Vergleich von A versus B werden Studien verglichen, bei denen A versus C und B versus C untersucht wurde. Dafür wurde ein Random-Effects-Modell innerhalb eines Bayes’schen Netzwerks von Behandlungsvergleichen mittels Markov-Kette-Monte-Carlo-Methoden angewendet. Mit diesem Verfahren wurden Odds-Ratios für alle möglichen 66 paarweisen Vergleiche zwischen den 12 Wirkstoffen berechnet.

Als primäre Endpunkte wurden „Therapieansprechen“ und „Abbruchrate“ nach acht Wochen (Spannbreite 6 bis 12 Wochen, wenn Daten nach 8 Wochen nicht verfügbar waren) ausgewählt. Definiert wurde „Therapieansprechen“ als der Anteil von Patienten, die auf der Hamilton-Depressionsskala oder der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala eine mindestens 50%ige Verbesserung vom Ausgangswert hatten oder die auf der globalen klinischen Beurteilungsskala „verbessert“ oder „sehr verbessert“ angaben.

Die Abbruchrate wurde als die Zahl der Patienten definiert, die die Studie während der ersten acht Wochen, egal aus welchem Grund, beendeten.

Ergebnisse

Von ursprünglich 345 potenziell relevanten Studien, wurden schließlich 117 Studien mit insgesamt 25928 Patienten, die zwischen 1991 und 2007 durchgeführt worden waren, eingeschlossen.

Direkte Vergleiche des Therapieansprechens existieren für 42 der 66 möglichen Vergleiche, für die Akzeptanz 41. Bei der Analyse dieser direkten Vergleiche wurde für acht Paare ein signifikanter Unterschied gefunden (Tab. 1). Danach stimmen die Ergebnisse der direkten Vergleiche in drei Fällen nicht mit den Ergebnissen der Netzwerk-Analyse überein (bei Citalopram vs. Escitalopram, bei Mirtazapin vs. Venlafaxin und bei Citalopram vs. Paroxetin).

Tab. 1. Metaanalyse des Therapieansprechens (der wirksamere Teil jedes Paares ist fettgedruckt). Aufgeführt sind nur die Vergleiche, die beim direkten Vergleich signifikant verschieden waren. 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall

Direkte Vergleiche*
Odds-Ratio (95%-KI)

Netzwerkanalyse*
Odds-Ratio (95%-KI)

Citalopram vs. Escitalopram

0,68 (0,53–0,87)

0,84 (0,70–1,01)
nicht signifikant

Fluoxetin vs. Mirtazapin

0,65 (0,45–0,93)

0,73 (0,60–0,88)

Fluoxetin vs. Sertralin

0,70 (0,56–0,88)

0,80 (0,69–0,93)

Fluoxetin vs. Venlafaxin

0,74 (0,62–0,88)

0,78 (0,68–0,90)

Fluvoxamin vs. Venlafaxin

0,42 (0,10–0,96)

0,77 (0,59–0,99)

Citalopram vs. Paroxetin

1,54 (1,04–2,28)

1,08 (0,90–1,30)
nicht signifikant

Citalopram vs. Reboxetin

1,72 (1,01–2,93)

1,63 (1,25–2,14)

Mirtazapin vs. Venlafaxin

1,53 (1,03–2,25)

1,08 (0,87–1,33)
nicht signifikant

* Es wurde nicht auf multiples Testen adjustiert.

Bei den Abbruchraten ergab sich bei diesem direkten Vergleich ein Vorteil von Citalopram über Sertralin (Odds-Ratio 0,67; 95%-KI: 0,46–0,98) und von Fluoxetin über Reboxetin (Odds-Ratio: 0,68; 95%-KI: 0,49–0,94).

Die Ergebnisse der Netzwerk-Metaanalyse (66 Vergleiche) ergaben beim Therapieansprechen bei 25 Paaren signifikant unterschiedliche Odds-Ratios, bei der Akzeptanz 13.

Um das Ergebnis übersichtlicher darzustellen, werden im Folgenden „Plätze“ vergeben:

Beim Therapieansprechen nach acht Wochen belegte dabei Reboxetin (signifikant schlechter als alle anderen 11 Wirkstoffe) den letzten Platz; erste Plätze (signifikant besser als 5 andere Wirkstoffe) gingen an Escitalopram, Venlafaxin und Mirtazapin, der zweite Platz (signifikant besser als 3 andere Wirkstoffe) gebührt Sertralin.

Bei den Abbruchraten ging der letzte Platz wieder an Reboxetin (signifikant schlechter als fünf andere Wirkstoffe). Zweite Plätze ergaben sich für Sertralin (signifikant besser als Reboxetin, Paroxetin, Fluvoxamin und Duloxetin) und Escitalopram (signifikant besser als Fluvoxamin, Paroxetin, Reboxetin und Venlafaxin). Auf dem dritten Platz landete Citalopram (signifikant besser als Fluvoxamin und Reboxetin).

Durch den Vergleich der kumulativen Wahrscheinlichkeiten („Wirkstoff befindet sich unter den vier wirksamsten“) ergab sich folgende Rangliste: Mirtazapin (24,4%), Escitalopram (23,7%), Venlafaxin (22,3%), Sertralin (20,3%), Citalopram (3,4%), Milnacipran (2,7%), Bupropion (2,0%), Duloxetin (0,9%), Fluvoxamin (0,7%), Paroxetin (0,1%), Fluoxetin (0,0%), Reboxetin (0,0%).

Die kumulative Wahrscheinlichkeit der Abbruchraten („Wirkstoff befindet sich unter den vier am besten tolerierten“) ergab folgende Rangliste: Escitalopram (27,6%), Sertralin (21,3%), Bupropion (19,3%), Citalopram (18,7%), Milnacipran (7,1%), Mirtazapin (4,4%), Fluoxetin (3,4%), Venlafaxin (0,9%), Duloxetin (0,7%), Fluvoxamin (0,4%), Paroxetin (0,2%), Reboxetin (0,1%).

Diskussion

Venlafaxin und Mirtazapin waren nur beim Therapieansprechen weit vorne platziert, nicht aber bei der Akzeptanz. Die beste Nutzen-Akzeptanz-Bilanz hat danach Escitalopram, gefolgt von Sertralin. Die Autoren favorisieren aber Sertralin wegen der niedrigeren Kosten in Europa und den USA, da für Escitalopram der Patentschutz noch nicht abgelaufen ist. Die Autoren gehen sogar so weit, vorzuschlagen, dass die Wirksamkeit neuer antidepressiver Wirkstoffe in zukünftigen Studien gegen Sertralin als Standardtherapie untersucht werden sollte. Beachtet werden muss, dass diese Analyse nur für einen Behandlungszeitraum von acht Wochen Gültigkeit hat, während eine Therapie aber mindestens über sechs Monate durchgeführt wird.

Kritiker dieser Untersuchung geben allerdings zu bedenken, dass der Versuch einer Rangliste eine falsche Präzision vortäuscht, die von der zugrunde liegenden Evidenz nicht gestützt wird. Kritisiert werden neben einer fehlenden Adjustierung auf multiples Testen die ausgewählten Endpunkte, die Auswahl und Qualität der eingeschlossenen Studien und die Frage der Generalisierbarkeit über die Gesamtheit der Studien:

  • Kritik an den Endpunkten „Therapieansprechen“ und „Akzeptanz“: Indem die kontinuierliche Wertung der Wirksamkeit auf der Hamilton-Depressions-Skala in die dichotome Variable „Ansprechen ja oder nein“ überführt wird, geht Information verloren. Das kann dazu führen, dass Unterschiede zwischen den Behandlungen überbewertet werden. Zudem ist die Abbruchrate nur ein grobes Maß für die Verträglichkeit und damit für die Abwägung von Nutzen und Risiken nur bedingt geeignet.
  • Kritik an der Auswahl der Studien: Dass Negativstudien mit Antidepressiva häufig unveröffentlicht bleiben, ist ein bekanntes Phänomen. Kritiker geben daher zu bedenken, dass die Wirkstoffe mit der größten Verzerrung aufgrund von Herstellerinteressen am besten abschneiden werden. Inwieweit bei der vorliegenden Metaanalyse die angeschriebenen Hersteller unveröffentlichte Studien zur Verfügung stellten, wird nicht beschrieben. Erwähnt wird lediglich, dass 15 unveröffentlichte Studien von Webseiten der Hersteller eingeschlossen wurden. Ob durch die Suche in den Studienregistern der Zulassungsbehörden unveröffentlichte Studien identifiziert und eingeschlossen werden konnten, wird ebenfalls nicht beschrieben. Die Autoren der Analyse geben allerdings zu bedenken, dass die Kombination von direkten und indirekten Vergleichen das Risiko einer möglichen Verzerrung durch Herstellerinteressen auch verringern könnte. Dies folgern sie daraus, dass die direkten Vergleiche in mindestens zwei Fällen signifikant waren, die indirekten Vergleiche jedoch nicht.
  • Kritik an den eingeschlossenen Studien (Qualität und Generalisierbarkeit): Bei den meisten eingeschlossenen Studien wurden keine ausreichenden Angaben zum Randomisierungsverfahren und zur Verblindung gemacht. Nur bei zwei Studien waren diese Angaben ausreichend.

Zudem gibt es für das eingeschlossene Studienkollektiv eine ganze Reihe potenzieller Störfaktoren, die die Generalisierbarkeit über die Gesamtheit der Studien in Frage stellen könnten: Patienten mit Begleiterkrankungen, unterschiedliche Anfangsdosen und Dosistitrationen sowie mögliche Begleitmedikation beispielsweise mit Benzodiazepinen.

Positiv anzumerken ist, dass diese Analyse ohne Beteiligung einer Herstellerfirma durchgeführt wurde und dass das Protokoll der Studie und Daten der Auswertung auf der Webseite der Universität Verona, Fachbereich Medizin und öffentliche Gesundheit, Abteilung Psychiatrie und klinische Psychologie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Fazit

Aufgrund zahlreicher Unsicherheiten kann mit dieser Metaanalyse sicherlich keine eindeutige Rangliste erstellt werden. Dennoch könnten für die Praxis einige Hinweise daraus abgeleitet werden, welche Wirkstoffe bevorzugt eingesetzt werden können.

Quellen

Caldwell DM, et al. Simultaneous comparison of multiple treatments: combining direct and indirect evidence. BMJ 2005;331:897–900.

Cipriani A, et al. Comparative efficacy and acceptability of 12 new-generation antidepressants: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet 2009;373:746–58.

Protokoll der Studie: www.psychiatry.univr.it/docs/Research%20Activities/MTM_Protocol.pdf

Parikh SV. Antidepressants are not all created equal. Lancet 2009;373:700–1.

Ranking antidepressants. Correspondence. Lancet 2009;373:1759–62.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(04)