Optimierungspotenziale, Verordnungsrealität im Krankenhaus


Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Pulheim

Eine Verbesserung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Antidepressiva ist dringend wünschenswert, nicht erst seit von verschiedener Seite die klinische Relevanz ihrer Wirkungen insbesondere bei leichter bis mittelschwerer Depression in Frage gestellt wird. Born et al. liefern einen qualitativen Review über neue Trends und Studien mit zugelassenen wie auch experimentellen Substanzen. Ein Johanniskraut-Extrakt wurde inzwischen als verschreibungspflichtiges Arzneimittel zugelassen; pharmakokinetische Interaktionen sind besonders zu beachten. Agomelatin, Agonist an Melatonin-Rezeptoren und Antagonist an Serotonin-2C-Rezeptoren, scheint anderen Antidepressiva vergleichbar wirksam zu sein bei besserer Verträglichkeit. Der irreversible MAO-Inhibitor Selegilin wurde in den USA als transdermales Applikationssystem zur Behandlung der Depression zugelassen; eine europäische Zulassung und der Nachweis eines Zusatznutzens – bei notwendiger täglicher Applikation – bleiben abzuwarten. Nicotin-Rezeptorantagonisten könnten eine neue Augmentationsstrategie darstellen.

Während der Zusatznutzen einer Augmentation durch Kombination verschiedener Antidepressiva weiterer Evidenz bedarf, obwohl in der Praxis häufig eingesetzt, wächst die Evidenz für den Nutzen einer Augmentation mit verschiedenen Antipsychotika, was zur expliziten Zulassung von Aripiprazol in dieser Indikation in den USA führte.

Vielversprechende Ergebnisse erster Studien zu Tachykinin-Rezeptorantagonisten als innovatives Wirkprinzip ließen sich leider in Folgestudien nicht replizieren. NMDA-Modulatoren könnten aus theoretischen Gründen antidepressiv wirksam sein; für Memantin ist in bisher einer Studie der Wirksamkeitsnachweis gescheitert. Angesichts des Hypercortisolismus depressiv Kranker könnten CRH1-Rezeptorantagonisten wirksam sein; der klinische Beleg ist auch hier bisher leider gescheitert. Dies gilt bisher weitgehend auch für Inhibitoren der Steroidsynthese und neuroaktive Steroide.

Die Therapie der Depression im Rahmen einer bipolaren Störung konfrontiert mit dem besonderen Problem der Provokation einer Manie („switch“). Das Antipsychotikum Quetiapin hat als erster Wirkstoff die explizite Zulassung in dieser Indikation erhalten, wobei sich die Wirksamkeit auch auf unipolare Depression zu erstrecken scheint. Möller referiert die zugrunde liegenden Studien und diskutiert die möglichen pharmakodynamischen Mechanismen, hier insbesondere die rasche Dissoziation vom D2-Rezeptor und die Wirkungen des aktiven Metaboliten Norquetiapin unter anderem am Noradrenalin-Transporter.

Der – in diesem Jahr erstmals auch in der Psychopharmakotherapie (3/2009) kommentierte – Arzneiverordnungsreport liefert jährlich Informationen über die Verordnungsspektren der Vertragsärzte. Seit jeher besteht ein massives Informationsdefizit, wie sich damit die Verordnungsspektren im Krankenhaus vergleichen. Deshalb ist die Originalarbeit von Messer et al. besonders zu begrüßen. Im nunmehr letzten Teil V der Serie der Ergebnisse einer Befragung der Bundesdirektorenkonferenz berichten sie über Antimanika und Stimmungsstabilisierer (Mood-Stabilizer). Für die Akutbehandlung einer manischen Episode bei vordiagnostizierter bipolarer Störung benannten die Befragten an erster Stelle Lithium mit 41,3%, Valproinsäure mit 25,5% und Olanzapin mit 20,4%. Für die Akutbehandlung der depressiven Episode bei bipolarer Störung fiel die erste Wahl mit 53,4% auf Lithium, mit 20,6 % auf Lamotrigin und mit je 8,5% auf Carbamazepin und Olanzapin (dass Quetiapin keine bedeutsame Rolle einnimmt, erklärt sich vermutlich aus dem Zeitpunkt der Erhebung). In der Langzeittherapie favorisieren fast die Hälfte der Befragten eine Kombination von Lithium oder Valproinsäure mit Olanzapin, gefolgt von der Kombination von Lithium mit Valproinsäure.

Die herausragende Bedeutung, die der Valproinsäure beigemessen wird, macht die Probleme deutlich, mit denen die Vertragsärzte in der ambulanten Weiterbehandlung als „Off-Label-Use“ konfrontiert waren, solange Valproinsäure keine formale Zulassung in dieser Indikation hatte (und die ihr „nur“ im Wege des „well established use“ zugestanden wurde).

Regelmäßig steht die Psychopharmakotherapie dem Projekt Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP), Nachfolgeprojekt der AMÜP, als Forum zur Verfügung. Diesmal berichten Degner et al. über den Fall eines Absetzeffekts von Venlafaxin mit Parästhesien in Form stromschlagähnlicher Symptome.

Unter den Kurzberichten aus der internationalen medizinischen Literatur ist besonders erwähnenswert die Metaanalyse von Cipriani et al. (Lancet 2009), wonach bei der Akutbehandlung einer schweren Depression Escitalopram und Sertralin die beste Nutzen-Akzeptanz-Bilanz haben, Reboxetin die schlechteste. Des Weiteren die Ergebnisse der multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, kontrollierten Studie von Aisen et al. (JAMA 2008), wonach Folsäure, Vitamin B6 und Vitamin B12 bei Alzheimer-Demenz – wie in der Prävention von Myokardinfarkten und Schlaganfall – keinen Nutzen haben, so dass erhöhtes Homocystein ein Risikomarker ohne therapeutische Implikationen ist.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(04)