Lennox-Gastaut-Syndrom im Erwachsenenalter

Kein Grund für therapeutischen Nihilismus


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Diagnostische Hürden sowie eine fluktuierende Anfallsfrequenz, die oft wenig mit dem Therapieregime korreliert, lassen viele Ärzte und Patienten vorschnell resignieren. Therapeutisch im Vordergrund stehen bei erwachsenen Patienten mit Lennox-Gastaut-Syndrom die Verringerung behindernder Anfälle, die Besserung der Psycholopathologie und Prävention von (Sturz-)Komplikationen sowie die Stärkung der sozialen Autonomie der Patienten, so der Tenor beim 3. Valentinssymposium der Firma Eisai im Februar 2009.

Die Diagnose des Lennox-Gastaut-Syndroms im Erwachsenenalter ist eine klinische Herausforderung. Die Patienten können sich nicht oder nur wenig äußern; die nötige Aufmerksamkeit erfahren sie oft erst nach einem Betreuerwechsel. Erschwerend kommen kognitive Defizite und eine hohe neuropsychiatrische Komorbidität hinzu. Die Diagnosekriterien sind mit fortgeschrittenem Alter sehr viel unklarer und teilweise umstritten. Derzeit werden drei Ätiologien unterschieden. Allgemein akzeptiert ist das „gealterte typische“ Lennox-Gastaut-Syndrom. Lange Zeit sehr umstritten war dagegen die Hypothese einer Spätmanifestation. Dahinter verbirgt sich wahrscheinlich eine Reihe anderer Syndrome. Eine dritte Möglichkeit ist das sekundäre Lennox-Gastaut-Syndrom, beispielsweise nach einer generalisierten idiopathischen Epilepsie oder infolge einer diffusen Enzephalopathie nach (mehrmaliger) Reanimation.

Meist sind Stürze der Anlass, bei diesen Patienten eine Spät- oder eine Sekundärmanifestation zu diagnostizieren. Diese Diagnosen sollten regelmäßig kritisch überprüft werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beginn der Epilepsie aus der eigenen Verlaufsbeobachtung nicht bekannt ist. Hinter vielen Stürzen verbergen sich Anfälle, die initial oft tonisch verlaufen, während man in der Folgezeit zunehmend auch atonische Anfälle beobachtet. Im EEG findet sich eine Veränderung der langsamen Spike-Wave-Komplexe mit Auftreten fokaler, zunehmend aber multifokaler unabhängiger Spike-Herde.

Behindernde Anfälle verringern

Anfallsfreiheit ist bei maximal 25% der Betroffenen erreichbar. Schwer behandelbar sind vor allem mehrfach behinderte Patienten mit hohem Sturzrisiko. Trotzdem gibt es keinen Grund für therapeutischen Nihilismus. Die Behandlungsstrategie umfasst vor allem die Verringerung behindernder Anfälle, die Besserung der Psychopathologie sowie die Prävention von (Sturz-) Komplikationen; wichtig ist auch die Stärkung des Selbstbewusstseins und des sozialen Umfelds. – Problematisch ist die fluktuierende Anfallshäufigkeit, die mit dem Therapieregime kaum korreliert. Hier kommt es darauf an, Trends zu erkennen und darauf zu reagieren. Eine ketogene Diät kommt bei dieser Altersgruppe therapeutisch meist nicht mehr infrage. Mögliche Optionen sind eine Vagusstimulation und die Epilepsiechirugie. Für evidenzbasierte Empfehlungen zur Pharmakotherapie gibt es laut Cochrane-Analyse keine ausreichenden Daten. Meist ist eine Kombinationstherapie erforderlich. Trotzdem lassen sich aus dem Spektrum der verfügbaren Antikonvulsiva (Tab. 1) einige Anhaltspunkte für die individuell beste Pharmakotherapie finden.

Tab. 1. Pharmakotherapie des Lennox-Gastaut-Syndroms im Erwachsenalter (Basis: 5 randomisierte Studien, Evidenzklasse III und IV; >50% Patienten mit 50% Anfallsreduktion) [Meencke, 2009]

Medikament

Tonisch/
klonisch

Tonisch

Atonisch

Atypische Absence

Myoklonisch

Valproinsäure

X

X

X

X

X

Lamotrigin

X

X

X

X

(X)

Topiramat

X

X

X

(X)

X

Levetiracetam

X

?

X

X

Carbamazepin

X

X

Phenytoin

X

X

Felbamat

?

X

X

(X)

X

Zonisamid

X

(X)

X

(X)

X

Rufinamid

X

X

Clobazam

X!

Ethosuximid

X

Quelle

Prof. Dr. med. Heinz-Joachim Meencke, Berlin, 3. Valentinssymposium®, Berlin, 13. bis 15. Februar 2009, veranstaltet von Eisai GmbH.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(04)