Auf der Suche nach kausalen Therapieansätzen

Prognose und Prädiktoren immunvermittelter Epilepsien


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Die Epilepsiebehandlung ist heute noch zu einem großen Teil symptomatisch orientiert. Bisher hat sich die Forschung vorwiegend auf elektrophysiologische Mechanismen der Erregungsübertragung konzentriert. Darüber hinaus mehren sich die Belege für eine immunologische Beteiligung. Insbesondere das Studium immunvermittelter Epilepsien liefert dabei wichtige Erkenntnisse.

Als immunvermittelte Epilepsien lassen sich derzeit die Rasmussen-Enzephalitis, die limbische Enzephalitis und jetzt auch die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis als diagnostisch eigenständige Krankheitsentitäten abgrenzen.

Rasmussen-Enzephalitis

Die Rasmussen-Enzephalitis ist seit rund 50 Jahren bekannt. Betroffen sind überwiegend Kinder. Kennzeichnend ist eine fortschreitende Atrophie einer Hirnhemisphäre, die neben anderen neurologischen Symptomen auch eine schwer behandelbare fokale Epilepsie auslöst. Hier stellt sich vor allem die Frage, wie schnell und wie stark der Hemisphären-Abbau mit den entsprechenden klinischen Konsequenzen voranschreitet.

Mit einer frühen Immuntherapie lassen sich sowohl der Hemisphärenabbau signifikant vermindern als auch der neurologische Behandlungserfolg verbessern oder zumindest eine weitere Verschlechterung verhindern.

Ein Zwischenergebnis einer derzeit laufenden randomisierten, offenen, prospektiven Therapiestudie mit Tacrolimus und Immunglobulinen (i. v.) zeigt, dass nach einer Nachbeobachtungszeit von 28 Monaten keiner der Patienten mit einer initial leichten Epilepsie (n = 5) eine schwere Epilepsie entwickelte. Bei den sieben Patienten mit einer initial schweren Epilepsie änderte sich die Krankheitsschwere nicht (Nachbeobachtungszeit: 16 Monate). Insgesamt fünf dieser sieben Patienten mit einer schweren Epilepsie unterzogen sich schließlich einer Hemisphärektomie.

Die Prognose leitet sich damit vom klinischen Bild im frühen Krankheitsstadium ab. Bei schweren Epilepsien und bei Patienten mit großen neurologischen Defiziten sollte eine Hemisphärektomie erwogen werden. Hier beträgt die Aussicht auf Anfallsfreiheit bis über 80%.

Limbische Enzephalitis

Zur Diagnose der limbischen Enzephalitis verlangt werden klinische Symptome einer mediotemporalen Hirnschädigung – fokale Epilepsie, episodische Gedächtnisstörungen, Affektlabilität – mit einer entsprechenden Signalanhebung im MRT sowie mindestens einem der vier Befunde: peripherer Tumor, positiver Antikörper-Nachweis, enzephalitische Histopathologie oder charakteristische Krankheitsevolution im MRT.

Prognostisch stehen neben der Chance auf Anfallsfreiheit vor allem die Frage nach einem peripheren Tumor und dem Verlauf der Gedächtnisstörung im Vordergrund. Als aussagekräftigste Prognosefaktoren gelten derzeit der Nachweis von Auto-Antikörpern im Serum und/oder Liquor sowie lichtmikroskopisch im Hirngewebeschnitt. Die Sensitivität der Serum- und Liquordiagnostik ist gut. Nach Schätzungen von Priv.-Doz. Dr. Bien, Bonn, beträgt die Rate falsch-negativer Befunde im Serum knapp 10%.

Die Unterschiede im klinischen Bild und Krankheitsverlauf zeigt Tabelle 1. Intrazellulär exprimiertes Antigen korreliert mit einem ungünstigen klinischen Verlauf und einem schlechten Ansprechen auf eine immunologische Basistherapie mit Glucocorticoiden. Fallberichten zufolge ist auch das Verschwinden eines Hypermetabolismus in den betroffenen Arealen im PET prognostisch günstig.

Tab. 1. Prognostische Faktoren der limbischen Enzephalitis in Abhängigkeit vom Antikörperbefund (Malter & Bien, 2008)

VGKC-Ak

GAD-Ak

Onkoneurale Ak (Hu, Ma)

Antigen

Membranös

Intrazellulär

Intrazellulär

Persistenz

Nein

Ja

Ja

Verlauf

Monophasisch

Konstant oder progredient

Progredient

Periphere Tumoren

Selten

Nein

Ja

Epilepsieprognose unter
Glucocorticoid-Pulsen

Gut

Schlecht

Schlecht

Gedächtnisprognose unter Glucocorticoid-Pulsen

Mäßig

Schlecht

Schlecht

Sekundäre bilaterale
MTL-Affektion

Nein

Ja

Unklar, vorstellbar

VGKC: Antikörper gegen spannungsabhängige Kaliumkanäle, GAD-Ak: Anti-Glutamat-Decarboxylase- Antikörper, Hu-Ak (Humanantikörper), Ma-AK (Mausantikörper), MTL: medialer Temporallappen

Die Therapie erfolgt zunächst gemäß den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit einer monatlichen Glucocorticoid-Pulstherapie; sie ist in der Regel gut verträglich. Bei unzureichendem Ansprechen kann je nach Antikörper- und Tumorbefund eine Eskalation erfolgen. Bei Kaliumkanal-Antikörpern (VGKC-Ak) sollte die Entscheidung für eine Intensivierung nach etwa drei bis sechs Monaten fallen; bei Patienten mit GAD-Antikörpern wird diskutiert, ob diese Subgruppe nicht initial intensiver therapiert werden sollte.

Bei Patienten mit Paraneoplasien oder Antikörper-negativen Patienten mit einer schwer einschätzbaren limbischen Enzephalitis sollte vorsichtig therapiert und auf nebenwirkungsreiche Therapien verzichtet werden, da nicht ausreichend bekannt ist, ob die Patienten wirklich davon profitieren.

Zur Dauer einer Immuntherapie gibt es keine klaren Empfehlungen. An der Klinik für Epileptologie in Bonn beenden die Ärzte die Behandlung bei gutem Ansprechen nach einem Jahr – bei schlechtem Ansprechen auch, „weil sie dann nichts bringt“, so Bien.

Adhäsions-Antikörper als neue Immuntherapie?

Neue tierexperimentelle und klinische Befunde unterstützen die Hypothese, dass inflammatorische Prozesse an der Entstehung von Epilepsien beteiligt sind. Eine internationale Arbeitsgruppe wies kürzlich nach, dass es während eines epileptischen Anfalls zu einer Leukozyten-vermittelten inflammatorischen Schädigung der Blut-Hirn-Schranke kommt. Dabei kommt es zu einer vermehrten Expression von Leukozyten-Adhäsionsmolekülen (PSGLI, α4b1-, αLb2-Integrine und VCAM1) in den Gefäßmuskelzellen.

Gab man den Mäusen vor der Induktion eines Anfalls Diazepam, so wurde die Expression von VCAM1 unterdrückt. Die Autoren sehen dies als weiteres Indiz für die Beteiligung immunologischer Prozesse an der Pathogenese.

Diese tierexperimentellen Ergebnisse werden durch intra vitam durchgeführte Hirnbiopsien bestätigt. Dort kam es nach Anfallsbeginn zu einer verstärkten Adhäsion von Leukozyten und T-Helferzellen an der Gefäßwand. Generell zeigten die Hirnschnitte von Epilepsie-Kranken deutlich mehr Leukozyten als bei gesunden Patienten. Wurde die Adhäsion mit spezifischen Antikörpern unterbunden, blieben die daraufhin mit Pilocarpin induzierten Anfälle aus oder waren deutlich abgeschwächt.

Quelle
Fabene PF, et al. A role for leukocyte-endothelial adhesion mechanisms in epilepsy. Nat Med 2008;14:1377–83.

Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis

Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wurde 2007 zuerst als Entität konzeptualisiert. Sie tritt überwiegend bei jüngeren Frauen (12–45 Jahre) auf und ist gekennzeichnet durch eine monophasische oder schubförmige Enzephalitis mit einem positiven Nachweis von Oberflächen-Antikörpern gegen NMDA- Heteromere, vorzugsweise im Liquor. Rund zwei Drittel der Frauen haben Teratome, meist Ovarialkarzinome.

Die Prognose ist überwiegend gut. Trotz schwerer Krankheitsphasen findet oft eine spontane Remission oder ein Ansprechen durch eine Immuntherapie statt.

Quelle

Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Bien, Bonn, Symposium „Epilepsie: Optimierung von Therapiestrategien durch Prädiktoren“ im Rahmen der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Hamburg, 10. September 2008.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)