ADHS-Therapie

Das individuelle Belastungsmuster entscheidet


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Diagnostische Stolpersteine, zweifelhafte Therapieverfahren und Non-Compliance erschweren oft eine effektive Therapie der Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die Therapie muss sich daher noch stärker am individuellen Belastungsmuster und den Therapieleitlinien orientieren.

Die Praxis zeigt, dass viele Kinder zu spät korrekt diagnostiziert werden – meist erst im Alter von etwa acht bis neun Jahren. Davor werden die Kinder häufig erst zwei Jahre lang mit Spiel- und Ergotherapie behandelt. Für beide Therapien gibt es jedoch keinen ausreichenden Wirkungsnachweis bei Kindern mit einer ADHS. Stattdessen sollte initial ein Eltern- und Geschwistertraining (Coaching, Aufklärung über die Erkrankung, Psychoedukation) sowie eine Neurofeedback-Behandlung der Kinder empfohlen werden. Eine medikamentöse Behandlung ist in dieser Situation nur bei einer krisenhaften Zuspitzung der Situation indiziert. Die Krankenkassen-Statistiken zeigen eine deutlich sinkende Diagnosehäufigkeit nach dem 14. Lebensjahr. Das mag damit zusammenhängen, dass sich das Symptomspektrum mit steigendem Lebensalter verschiebt. Allerdings bleiben wichtige Einschränkungen – zum Beispiel bei Exekutivfunktionen, beim Zeitmanagement – bestehen, die mit steigenden Anforderungen immer belastender für die Betroffenen werden. In diesem Alter sorgt auch die zunehmende Non-Compliance für viele Therapieabbrüche.

Das britische National Institute of Clincal Excellence (NICE) empfiehlt Methylphenidat als Therapie der ersten Wahl bei Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS. Durch die Gabe langwirksamer Methylphenidat-Formulierungen entfällt die soziale Stigmatisierung durch häufige Tabletteneinnahme. Auch der für eine Suchtentwicklung wichtige Stimulus durch den euphorisierenden „Kick“ beim Anfluten der Medikation bleibt aus. Für eine optimale Dosisfindung stehen lang wirksame Methylphenidat-Formulierungen mit unterschiedlichen Dosierungen zu Verfügung (z. B. OROS-MPH [OROS = osmotic release oral system, Concerta®]) in den Dosierungen 18, 27, 36 und 54 mg).

Sozialmedizinische Bedeutung wird unterschätzt

Bis zu 50% der Kinder mit ADHS sind auch im Erwachsenenalter davon mehr oder weniger betroffen. Rund 4% der Erwachsenen erfüllen die vollen Diagnosekriterien einer ADHS. Diese Befunde machen deutlich, dass die sozialmedizinische Bedeutung der ADHS noch gar nicht voll erfasst ist.

Stimulanzien haben sich bei Erwachsenen mit einer ADHS-Symptomatik als ebenso wirksam erwiesen wie im Kindesalter. Im Rahmen der angestrebten Zulassungserweiterung von OROS-MPH für Erwachsene wurden mehrere Studien mit einer Behandlungsdauer bis zu einem Jahr initiiert. Die ersten verfügbaren Auswertungen zeigen einen Therapieeffekt, der über die gesamte Studiendauer stabil bleibt. Es wird empfohlen, die Patienten zunächst ein Jahr zu behandeln und dann die Dosis schrittweise zu reduzieren. Viele Betroffene benötigen dann keine Pharmakotherapie mehr – nicht nur wegen der anwendungsüberdauernden Effekte von Methylphenidat, sondern auch, weil sie inzwischen erfolgreiche Bewältigungsstrategien entwickelt haben.

Quelle

Prof. Dr. med. Frank Häßler, Rostock, Prof. Dr.med. Götz-Erik Trott, Aschaffenburg, Pressekonferenz „Einmal am Tag – Concerta“ veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Berlin, 27. November 2008.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)