Schlaganfall

Strukturierte Versorgung nach TIA und leichtem Schlaganfall reduziert Rezidiv


Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen

Eine rasche diagnostische Abklärung von Patienten mit TIA und leichtem Schlaganfall und sofortige Einleitung und Überwachung einer aggressiven Sekundärprävention in einer neurologischen Klinik erniedrigt das Risiko von Schlaganfällen innerhalb der nächsten 90 Tage um über 80 % gegenüber einer Behandlung beim Hausarzt.

Hintergrund

Transiente ischämische Attacken (TIA) sind ernstzunehmende Anzeichen eines drohenden ischämischen Insultes. So erleiden 10–12 % aller Patienten mit einer TIA innerhalb der nächsten 90 Tage einen Schlaganfall, wobei das Risiko in den ersten 48 Stunden nach der TIA am höchsten ist. Ähnliche Zahlen gelten für Patienten mit leichtem Schlaganfall. Diese haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, einen zweiten und damit schwereren Schlaganfall zu erleiden. Mit wenigen Ausnahmen haben alle Studien, die bisher zur Sekundärprävention des Schlaganfalls durchgeführt wurden, Patienten über einen längeren Zeitraum nach dem vaskulären Ereignis eingeschlossen. In der Zwischenzeit gibt es aber ganz klare Hinweise darauf, dass die üblichen Therapieprinzipien wie Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern und CSE-Hemmern oder konsequente Blutdrucksenkung auch in der Akutphase nach einer TIA und einem Schlaganfall wirksam sind. Die praktische Übertragung in die klinische Praxis fehlt allerdings bisher. Mit der EXPRESS-Studie (Early use of existing preventive strategies) aus England sollte daher untersucht werden, ob eine strukturierte Sofortdiagnose und frühe Einleitung einer Sekundärprävention bei Patienten mit TIA und leichtem Schlaganfall das Risiko für einen weiteren Schlaganfall reduzieren kann. Aus ethischen Gründen entschlossen sich die Studienleiter, statt einer randomisierten Studie eine populationsbezogene Studie durchzuführen. Die Studie fand im Rahmen der Oxford Vascular Study, OXVASC, statt. Hier handelt es sich um eine populationsbezogene Studie in der Grafschaft Oxfordshire, UK. Im Rahmen dieser Studie wurden 91000 Patienten erfasst, die bei 63 Allgemeinmedizinern in neun Praxen eingeschrieben sind. Seit 2001 werden bei diesen 91000 Patienten die Anzahl der TIA und Schlaganfälle prospektiv erfasst und Patienten, die ein ischämisches Ereignis erlitten haben, werden über ein Jahr prospektiv nachverfolgt.

Die EXPRESS-Studie wurde in zwei Phasen durchgeführt.

Erste Studienphase

Die erste Studienphase erfolgte zwischen April 2002 und September 2004. In dieser Phase hatten die Allgemeinmediziner die Möglichkeit, Patienten mit TIA oder leichtem Schlaganfall in die Schlaganfall-Sprechstunde der neurologischen Abteilung der Universität Oxford zu schicken. Die Patienten wurden dort untersucht, die Pathophysiologie identifiziert und dem praktischen Arzt per Fax Therapiehinweise für die Sekundärprävention gegeben. Diese umfassten in der Regel die Gabe von Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel (wenn Acetylsalicylsäure kontraindiziert war), Simvastatin sowie eine antihypertensive Behandlung mit Perindopril, zum Teil in Kombination mit Indapamid, und wenn notwendig weitere Antihypertensiva. Bei Patienten mit kardialer Emboliequelle wurde eine orale Antikoagulation und bei Patienten mit symptomatischen Karotisstenosen eine Karotisendarterektomie empfohlen.

Zweite Studienphase

In der zweiten Studienphase von Oktober 2004 bis März 2007 konnten Patienten mit TIA oder leichtem Schlaganfall direkt in die Schlaganfall-Sprechstunde oder die Stroke-Unit der Neurologie eingewiesen werden. Die Sekundärprävention wurde dort initiiert und dann von der Neurologie über einen Zeitraum von drei Monaten überwacht.

Endpunkt der Studie war das Auftreten von Schlaganfällen innerhalb der ersten 90 Tage nach TIA oder leichtem Schlaganfall. Der Endpunkt Schlaganfall wurde von einem unabhängigen Arzt festgestellt, der nicht wusste in welchem Zeitraum der Patient an der Studie teilgenommen hatte.

In der ersten Phase der Studie wurden 634 Patienten erfasst, in der zweiten 644. Alter, Anzahl der Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes mellitus und anderen vaskulären Risikofaktoren waren in der ersten und zweiten Phase der Studie vergleichbar.

Ergebnisse

485 Patienten hatten eine TIA und 793 Patienten einen leichten Schlaganfall. Das 90-Tage-Risiko eines Schlaganfalls betrug in der ersten Phase der Studie 10,3 % (32 von 310 Patienten) und in der zweiten Phase 2,1 % (6 von 281 Patienten). Dies entspricht einer Reduktion um etwa 80 % und war statistisch signifikant. Die Ergebnisse waren auch signifikant für die Untergruppen der Patienten, die nur eine TIA oder nur einen Schlaganfall hatten, und für die Gesamtzahl von vaskulären Ereignissen einschließlich Herzinfarkt und Tod. Zerebrale Blutungen waren in beiden Gruppen ähnlich häufig.

Sämtliche therapeutischen Maßnahmen erfolgten in der zweiten Phase schneller und häufiger als in der ersten Phase. Dies betraf orale Antikoagulation, die Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern und CSE-Hemmern, die Einstellung des Blutdrucks und das Zeitintervall bis zu einer Karotisoperation.

Kommentar

Die EXPRESS-Studie ist eine der wichtigsten Versorgungsstudien im Bereich TIA und Schlaganfall. In Deutschland werden in Regionen, in denen es eine Stroke-Unit gibt, Patienten mit TIA in der Regel dorthin eingewiesen. In Regionen ohne Stroke-Unit werden Patienten häufig mit deutlicher Zeitverzögerung zum niedergelassenen Neurologen oder Internisten geschickt. Viel wichtiger ist aber die sofortige pathophysiologisch orientierte Abklärung und die Einleitung einer strukturierten Sekundärprävention mit Thrombozytenfunktionshemmern, Antikoagulanzien (bei kardialer Emboliequelle), CSE-Hemmern und Antihypertensiva, deren Wirksamkeit in prospektiven randomisierten Studien belegt ist.

Dies stößt in Deutschland auf erhebliche Schwierigkeiten. Ein Teil der praktischen Ärzte, die die Nachversorgung durchführen, sind nicht bereit, therapeutische Empfehlungen einer Stroke-Unit zu übernehmen. Dies betrifft insbesondere die Verschreibung von Clopidogrel, Angiotensinrezeptorblockern oder CSE-Hemmern. Zum Teil werden hierfür Budgetgründe verantwortlich gemacht, zum anderen befindet sich ein Teil dieser Substanzen auf Me-too-Listen oder unterliegt anderen Restriktionen. Darüber hinaus dauert es häufig viel zu lange, bis die therapeutischen Empfehlungen aus Stroke-Units in der Praxis umgesetzt werden. Außerdem fehlt eine strukturierte Nachsorge.

Die Ergebnisse aus England legen nahe, dass es dringend notwendig ist, eine integrierte Versorgung durch Sekundärprävention des Schlaganfalls bei Patienten mit TIA und leichtem Schlaganfall zu initiieren und die Einleitung dieser Maßnahmen und die Nachbetreuung durch Krankenhäuser mit Stroke-Units zu ermöglichen. Jenseits des dritten Monats sinkt das Risiko eines Schlaganfalls, so dass die Betreuung dann wie bisher von Hausärzten weitergeführt werden kann.

Bei Patienten mit schweren Schlaganfällen stellt sich das Problem nicht, da diese in der Regel in der Neurologie und anschließend in neurologischen Rehabilitationskliniken weiter betreut werden.

Quelle

Rothwell PM, et al., on behalf of the Early use of Existing Preventive Strategies for Stroke (EXPRESS) study. Effect of urgent treatment of transient ischaemic attack and minor stroke on early recurrent stroke (EXPRESS study): a prospective population-based sequential comparison. Lancet 2007;370:1432–42.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(02)