Nutzen und Aktualität der Fachinformationen für das therapeutische Drug-Monitoring von Psychopharmaka


Ein Vergleich mit der Evidenz aus der Literatur

Sven Ulrich, Osterweddingen, Gerd Laux, Wasserburg a. Inn, Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin, Ursula Havemann-Reinecke, Göttingen, Peter Riederer, Würzburg, Gerald Zernig, Innsbruck, Pierre Baumann, Prilly-Lausanne, Christoph Hiemke, Mainz, und die Arbeitsgruppe TDM der Arbeitsgemeinschaft Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP)*

Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) von Psychopharmaka ist die praktisch-therapeutische Anwendung pharmakokinetischer Prinzipien in der Pharmakopsychiatrie. Fachinformationen über Arzneimittel (engl. „summary of product characteristics“, SPC) müssen gemäß gesetzlichen Vorschriften für jedes Arzneimittel erstellt werden und geben das Gerüst des therapeutischen Einsatzes des Arzneimittels vor. Die vorliegende Studie untersuchte die Übereinstimmung deutscher Fachinformationen von 48 Psychopharmaka mit der bestehenden medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz auf dem Gebiet des TDM. Dafür wurde ein Summenscore zur Abschätzung der TDM-Inhalte der Fachinformationen (SPC-ContentTDM) berechnet und mit dem Empfehlungsgrad (engl. „level of recommendation“, LOR) von TDM entsprechend der Konsensus-Leitlinie der TDM-Gruppe der Arbeitsgemeinschaft Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) verglichen. Es wurden beträchtliche Unterschiede zwischen den TDM-Inhalten in Fachinformationen und der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz festgestellt, beispielsweise für Antidepressiva und Neuroleptika. Sogar für im TDM gut untersuchte Substanzen wie etwa Amitriptylin und Clozapin sind die TDM-Inhalte der deutschen Fachinformationen nicht ausreichend. Es muss generell geschlussfolgert werden, dass ein Defizit bei der Erstellung der deutschen Fachinformationen von Psychopharmaka hinsichtlich empirischer pharmakokinetischer Daten besteht. Es wird eine Verbesserung der TDM-relevanten Informationen in Fachinformationen von Psychopharmaka empfohlen. Die Angaben zu orientierenden therapeutischen Bereichen sollten der Konsensus-Leitlinie der TDM-Gruppe der AGNP angepasst werden. Ein verbessertes Niveau von guter pharmakokinetischer Praxis in der Psychopharmakotherapie wäre so erreichbar.
Schlüsselwörter: TDM, Fachinformation, Amitriptylin, Haloperidol, Clozapin
Psychopharmakotherapie 2008;15: 67–74.

Fachinformationen über Arzneimittel (engl. „summary of product characteristics“, SPC) müssen gemäß gesetzlichen Vorschriften (§11a AMG) vom pharmazeutischen Unternehmer erstellt werden. Das verwendete wissenschaftliche Material beinhaltet die Ergebnisse eigener Studien, die für die Zulassung oder nach Einführung auf dem Markt ausgeführt wurden, die Spontanerfassung von etwa unerwünschten Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen im Rahmen eines Pharmakovigilanzsystems sowie allgemein zugängliches bibliographisches Material. Für Generika dienen die Fachinformationen der Originalprodukte als Grundlage. Maßgeblich sind hier aber auch Muster-Fachinformationen der Zulassungsbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM). Nicht selten entstehen so sehr umfassende klinisch-pharmakologische Texte. Von wissenschaftlichen Publikationen und Monographien unterscheiden sie sich dabei aber prinzipiell durch geringere Transparenz, das heißt, das Zustandekommen von Inhalten ist für den Nutzer oft nicht nachvollziehbar, die Methoden sind nicht dargestellt und es gibt keine Quellenangaben. Daher ist die Überprüfung der Herkunft der Inhalte letztlich auch nicht recherchierbar. Wesentliche Kriterien, die bei der Erstellung einer wissenschaftlichen Publikation erfüllt sein müssen, liegen also für Fachinformationen nicht vor. Darüber hinaus müssen bei der Abfassung von Fachinformationen auch haftungsrechtliche Aspekte berücksichtigt werden. So kann es vorkommen, dass eine Kombination kontraindiziert ist, weil diese nicht geprüft wurde. Weder das pharmakologische Wirkprinzip noch Hinweise aus klinischen Studien oder Nebenwirkungsmeldungen begründen die Kontraindikation ausreichend. Daher werden Fachinformationen für wissenschaftliche Publikationen nur selten verwendet.

Andererseits beeinflussen die Fachinformationen das Verschreibungs- und Therapieverhalten der Ärzteschaft wesentlich. Es stellt sich daher die Frage nach der Qualität von Fachinformationen und der wissenschaftlichen Evidenz der wiedergegebenen Daten. Bisher wurde ein Vergleich der Inhalte von Fachinformationen mit der wissenschaftlichen Evidenz nur im Ansatz vorgenommen, beispielsweise zu Inhalten für die geriatrische Anwendung [18] oder die kritische Auseinandersetzung mit der Darstellung von Arzneimittelwechselwirkungen in Fachinformationen, die zu dem Ergebnis gelangt, dass “If physicians only rely on SPC information for drug interaction, adverse events due to lacking management recommendations may occur” [3]. Auch andere Autoren untersuchten Fachinformationen kritisch [8, 25] und fanden diese in einer Auswertung oft „veraltet, ungenau und sogar fehlerhaft“ [10].

Ein weiterer Mangel von Fachinformationen könnte in der unzureichenden Systematik der Darstellung pharmakokinetischer Information bestehen. Sie ist für Medikamente auf sehr unterschiedliche Weise umgesetzt, oft fehlen auch wesentliche Kenndaten eines Medikaments. Dies wird offensichtlich, wenn man beispielsweise wissen will, welche Konzentrationen im Blut im Steady-State bei therapeutischen Dosen eines Medikaments zu erwarten sind. Für die wenigsten Psychopharmaka findet man dazu Angaben. Sie können oft auch nicht aus den pharmakokinetischen Kenndaten, wie Clearance, Verteilungsvolumen, Bioverfügbarkeit oder Eliminationshalbwertszeit, errechnet werden, weil selbst diese Daten oft fehlen. Diese Situation ist ein Problem für die Anwendung von therapeutischem Drug-Monitoring (TDM).

In der vorliegenden Arbeit werden demzufolge die Fachinformationen von Psychopharmaka mit der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz in einem praxisrelevanten Gebiet der Pharmakokinetik verglichen, und zwar hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit für das TDM von Antidepressiva, Neuroleptika, Anxiolytika/Hypnotika und Stimmungsstabilisierern. Es soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang sich die wissenschaftliche Evidenz über TDM in den Fachinformationen adäquat abbildet. Für das TDM von Psychopharmaka wurde die wissenschaftliche Evidenz durch die TDM-Gruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) laufend begleitet und mitentwickelt und kürzlich als aktueller Stand des Wissens zusammengefasst [2, 11, 16, 20]. TDM von Antidepressiva und Neuroleptika ist in aktuellen Therapieleitlinien einbezogen [1, 7].

Methode

Bewertet wurden Mustertexte der Zulassungsbehörde für Fachinformationen [4] oder Fachinformationen der Originalhersteller [17], wenn kein Mustertext vorlag, mit Stand Juli 2006. Es wurde die Qualität des Vorkommens von pharmakokinetischen Daten für TDM bewertet und zusammengefasst. In den Abschnitten zur Dosis, unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Arzneimittelwechselwirkungen, Überdosis, Schwangerschaft/Stillen sowie im pharmakokinetischen Teil werden nicht nur explizite Hinweise auf TDM einbezogen (etwa die Erwähnung der Möglichkeit, Plasmaspiegel zu bestimmen, oder der Verweis auf einen so genannten therapeutischen Bereich), sondern auch implizite Inhalte, die letztlich auf TDM beruhen (wie etwa pharmakokinetische Wechselwirkungen oder die Aussage, dass Plasmaspiegel bei Älteren erhöht sind). Implizite Inhalte gehen pro Abschnitt mit einem Punkt, explizite Inhalte mit zwei Punkten ein (bei Vorliegen expliziter TDM-Aussagen wird kein impliziter Punkt hinzugezählt). Für einen empirischen summarischen Zählwert von TDM-Inhalten in Fachinformationen (SPC-ContentTDM, SPCCTDM) werden zusätzlich jeweils drei Punkte für die Zahlenangabe eines toxischen Bereichs und die Angabe von Plasmaspiegeln bei therapeutischen Dosen (aus Studien zur Dosis-Spiegel-Beziehung) sowie vier Punkte für die Zahlenangabe eines interindividuell anwendbaren therapeutischen Bereichs (aus Studien zur Spiegel-Wirkungs-Beziehung) vergeben. Fünf Punkte werden schließlich hinzugezählt, wenn in der Fachinformation eine Empfehlung zur Durchführung von Plasmaspiegelkontrollen enthalten ist. Nähere Erläuterungen zur Berechnung des SPCCTDM sind auch in Tabelle 1 wiedergegeben.

Tab. 1. Abschätzung der Information zum therapeutischen Drug-Monitoring (TDM) in Fachinformationen (Summary of product characteristics, SPC) von Antidepressiva gemäß einem empirischen summarischen Zählwert (SPC-ContentTDM, SPCCTDM) und Vergleich mit dem Empfehlungsgrad für TDM (Level of recommendation, LOR) der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP

Antidepressiva

Herkunft der SPC

Subscores des SPCCTDM

SPCCTDM

LOR [2]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Dosis

UAW

WW

Überdosis

Schw./
Stillen

PK

Plasma-spiegel

Tox. Bereich

Therap. Bereich

Empfehl. von TDM

Trizyklische und tetrazyklische Antidepressiva (TZA)

Amitriptylin

Muster

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

1

Desipramin

Original

0

0

1

0

0

1

0

0

4

0

6

2

Doxepin

Muster

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

3

Imipramin

Muster

0

0

1

2

0

1

0

0

0

0

4

1

Maprotilin

Muster

0

0

1

2

0

1

0

0

0

0

4

3

Mianserin

Muster

0

0

1

0

0

1

3

0

0

0

5

3

Mirtazapin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

3

Nortriptylin

Original

1

0

1

2

0

1

0

3

4

0

12

1

Trimipramin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

3

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Citalopram

Original

1

0

1

0

0

1

3

0

0

0

6

3

Fluoxetin

Muster

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

1

3

Fluvoxamin

Muster

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

1

4

Paroxetin

Muster

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

3

Sertralin

Original

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

3

Reversible und irreversible MAO-Hemmer

Moclobemid

Original

1

0

1

0

0

1

3

0

0

0

6

4

Tranylcypromin

Original

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

1

5

Andere Antidepressiva

Reboxetin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

4

Venlafaxin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

2

Trazodon

Original

0

0

1

0

0

1

0

0

0

0

2

3

UAW: unerwünschte Arzneimittelwirkungen, WW: Wechselwirkungen, PK: pharmakokinetischer Teil der Fachinformation Berechnung des SPCCTDM : Summe der Subscores 1 bis 6 mit 1 Punkt (implizite TDM-Inhalte) oder 2 Punkten (explizite TDM-Inhalte), Subsores 7 und 8 je 3 Punkte, Subscores 9 und 10 entsprechend 4 und 5 Punkte Werteangaben in den Fachinformationen: Desipramin therap. Bereich >120 ng/ml, Mianserin-Plasmaspiegel 60 ng/ml bei 60 mg/Tag, Nortriptylin therap. Bereich 50–150 ng/ml und tox. Bereich >0,5 µg/ml, Citalopram-Plasmaspiegel 300 nmol/l (165–405) bei 40 mg/Tag, Moclobemid-Plasmaspiegel 900 ng/ml bei 300 mg/Tag Evidenzniveaus des TDM gemäß LOR: 1 – kontrollierte Studien, Fallberichte über Toxizität bei hohen Plasmaspiegeln, TDM sehr empfohlen; 2 – mindestens eine prospektive Studie, Fallberichte über Toxizität bei hohen Plasmaspiegeln, TDM empfohlen; 3 – retrospektive Studien und Fallberichte, unsystematische klinische Erfahrung, TDM nützlich; 4 – keine zuverlässigen Daten, TDM wahrscheinlich nützlich; 5 – TDM wegen grundlegender pharmakologischer Überlegungen nicht empfohlen

Als Grundlage für die wissenschaftliche Evidenz des TDM von Psychopharmaka dienten die AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines: Therapeutic Drug Monitoring in Psychiatry [2], die auf allen relevanten Studien sowie Übersichten und Metaanalysen zur Thematik beruhen [z.B. 13, 14, 19, 22–24]. Dort sind für über 60 Psychopharmaka Zahlenwerte für die orientierenden therapeutischen Bereiche, toxischen Bereiche, Plasmaspiegel bei therapeutischen Dosen sowie Empfehlungsgrade (engl. „level of recommendation“, LOR) zum Nutzen/zur Evidenz des TDM von 1 (hoch – Plasmaspiegelkontrolle sehr empfohlen) bis 5 (niedrig – Plasmaspiegelkontrolle nicht empfohlen) enthalten. Dementsprechend wären für niedrige Zahlenwerte des LOR hohe Zahlenwerte des SPCCTDM zu erwarten, wenn sich die wissenschaftliche Evidenz des TDM in den Fachinformationen widerspiegelt. Das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Zusammenhangs zwischen dem Summenscore SPCCTDM und dem LOR wird durch Spearman-Rang-Korrelation untersucht. Weiterhin erfolgt ein parameterfreier Test der SPCCTDM in fünf entsprechend den LOR geordneten Gruppen von Psychopharmaka mit Gleichheit als Nullhypothese (Kruskal-Wallis-Test). Die angegebenen Plasmaspiegelbereiche wurden verglichen. Aussagen zum TDM werden im Detail diskutiert.

Ergebnisse und Diskussion der Psychopharmaka-Gruppen

Antidepressiva

Die quantitative und nach Abschnitten geordnete Abschätzung der TDM-Inhalte in Fachinformationen von Antidepressiva liefert Tabelle 1 (SPCCTDM = 3,5±2,7 [Mittelwert ± Standardabweichung, Werte: 0 bis 12]). Zu Dosierung, Wechselwirkungen und Pharmakokinetik sind Informationen enthalten, die implizit Denkweisen des TDM entstammen, wie etwa geringere Dosis bei eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion, Anstieg der Plasmaspiegel bei Kombination mit Fluoxetin und Fluvoxamin sowie genetisch bedingte Unterschiede im Cytochrom-P450-System und die Besonderheiten der Pharmakokinetik von „poor metabolizern“. Explizite Hinweise im Abschnitt Überdosis sind nur für Imipramin (Empfehlung für „klinisch-toxikologische Untersuchung von Blut bzw. Plasma“), Maprotilin und Nortriptylin gegeben. Keine TDM-Hinweise enthalten die Abschnitte zu Nebenwirkungen und Schwangerschaft/Stillen. Therapeutische Bereiche von Plasmaspiegeln bzw. Plasmaspiegel bei therapeutischen Dosen (5 von 19) und toxische Plasmaspiegel (1 von 19) werden nur für einige Substanzen angegeben. Eine übergreifende Empfehlung zur Plasmaspiegelkontrolle ist in keiner Fachinformation von Antidepressiva enthalten.

Daraus folgt ein heterogenes Bild zur Rolle des TDM von Antidepressiva in den Fachinformationen, das mit der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz [2] nicht übereinstimmt. Etablierte TDM-Substanzen wie die trizyklischen Antidepressiva (TZA) Amitriptylin und Imipramin (LOR=1, strongly recommended) erscheinen nur mit wenigen Informationen zur Plasmaspiegelbestimmung in den informierenden Texten (kleiner SPCCTDM). Erstaunlich ist, dass im Abschnitt 13.3 „Pharmakokinetik“ der Fachinformation von Imipramin und anderen Antidepressiva zwar von einem therapeutischen Bereich die Rede ist, auf die Werteangabe aber verzichtet wird. Der reversible MAO-A-Hemmer Moclobemid (LOR=4, TDM nur probably useful) enthält sogar mehr TDM-Informationen in der Fachinformation. Nur die Information zu Nortriptylin ist – unter Einschluss der Angaben zum therapeutischen und toxischen Bereich – als ausreichend einzuschätzen. Diese unzureichende Wiedergabe der wissenschaftlichen Evidenz in den Fachinformationen ist eventuell auch durch eine geringe Wertlegung auf die Pharmakokinetik insgesamt zu erklären, wie ganz offensichtliche fachliche Mängel anzeigen. So findet sich in der Fachinformation von Mianserin der Satz „Bei gleichzeitiger Einnahme mit einer Phenytoin-Phenobarbital- oder Phenytoin-Carbamazepin-Kombination sind die Mianserin-Plasmaspiegel und die Eliminationshalbwertszeit signifikant erhöht.“ Dieser Fehler zieht sich aus dem Mustertext durch die entsprechenden Fachinformationen der reinen Generikahersteller (CT, Ratiopharm, Teva), die ihn offensichtlich kritiklos übernommen haben. Nur der Originalhersteller (Organon) stellt diesen Sachverhalt richtig dar: Die genannten Antiepileptika erniedrigen als bekannte Induktoren von Cytochrom(CYP)-Enzymen die Plasmaspiegel und verkürzen die Halbwertszeit [9, 12]. Die Fachinformation von Nortriptylin gibt ebenfalls falsch an, dass bei Komedikation mit Carbamazepin die Plasmaspiegel steigen und die Dosis von Nortriptylin zu senken sei. Ein typischer inhärenter Widerspruch mehrerer Fachinformationen ist, dass einerseits auf die Nichtexistenz von Zusammenhängen zwischen Plasmaspiegel und Wirkung oder Nebenwirkungen verwiesen wird, gleichzeitig aber auf Veränderungen der Plasmaspiegel, etwa durch pharmakokinetische Interaktionen, geachtet werden soll. Warum, wenn doch kein Zusammenhang besteht? Der Widerspruch klärt sich auf, wenn bedacht wird, dass Studien zum Zusammenhang von Plasmaspiegel und klinischen Daten überwiegend interindividuelle Zusammenhänge suchten (ein Patient hat Trimipramin-Plasmaspiegel von150 ng/ml, der andere Patient 400 ng/ml), mit tatsächlich oft nur geringen oder keinen bisher gefundenen Korrelationen zum therapeutischen Ansprechen. Das in der Praxis anzutreffende Problem betrifft hingegen immer intraindividuelle Zusammenhänge (ein Patient hat zum einen Zeitpunkt Amitriptylin-Plasmaspiegel von 150 ng/ml, später 400 ng/ml, beispielsweise bei Interaktion mit Fluoxetin). Klinisch relevante Konsequenzen werden hier intraindividuell immer wieder beobachtet.

Neuroleptika

Die Abschätzung zu den Fachinformationen von Neuroleptika liefert Tabelle 2 (SPCCTDM = 3,7±2,3, Werte: 1 bis 10). Die nach Abschnitten geordneten Inhalte ergeben ein Bild ähnlich dem der Antidepressiva, das heißt implizite TDM-Inhalte bei Dosis, Wechselwirkungen und Pharmakokinetik, keine TDM-Inhalte bei Nebenwirkungen und Schwangerschaft/Stillen. Im Unterschied zu Antidepressiva enthält der Abschnitt Überdosis keine TDM-Hinweise. Es wird in den Fachinformationen keine generelle Empfehlung für das TDM gegeben. Therapeutische Plasmaspiegelbereiche und Plasmaspiegel bei therapeutischen Dosen werden für immerhin 8 von 20 Neuroleptika angegeben, in Übereinstimmung mit fehlenden TDM-Hinweisen im Abschnitt Überdosis aber keine toxischen Plasmaspiegel.

Tab. 2. Abschätzung der Information zum therapeutischen Drug Monitoring (TDM) in Fachinformationen (Summary of product characteristics, SPC) von Neuroleptika gemäß einem empirischen summarischen Zählwert (SPC-ContentTDM, SPCCTDM) und Vergleich mit dem Empfehlungsgrad für TDM (Level of recommendation, LOR) der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP

Neuroleptika

Herkunft der SPC

Subscores des SPCCTDM

SPCCTDM

LOR [2]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Dosis

UAW

WW

Über-dosis

Schw./
Stillen

PK

Plasma-spiegel

Tox. Bereich

Therap. Bereich

Empfehl. von TDM

Typische (ältere) Neuroleptika

Benperidol

Original

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

1

3

Chlorprothixen

Muster

0

0

1

0

0

1

0

0

4

0

6

3

Flupentixol

Original

0

0

1

0

0

1

0

0

4

0

6

2

Fluphenazin

Muster

0

0

1

0

0

2

0

0

0

0

3

1

Haloperidol

Muster

0

0

1

0

0

1

0

0

4

0

6

1

Levomepromazin

Original

0

0

1

0

0

0

3

0

0

0

4

3

Melperon

Muster

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

1

4

Perazin

Original

1

0

1

0

0

1

3

0

4

0

10

2

Perphenazin

Original

0

0

1

0

0

0

0

0

4

0

5

2

Pimozid

Original

0

0

1

0

0

2

0

0

0

0

3

4

Sulpirid

Muster

0

0

0

0

0

1

3

0

0

0

4

3

Thioridazin

Original

1

0

1

0

0

1

3

0

0

0

6

2

Zuclopentixol

Original

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

1

3

Atypische Neuroleptika

Amisulprid

Original

1

0

0

0

0

1

0

0

0

0

2

3

Clozapin

Muster

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

1

1

Olanzapin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

1

Quetiapin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

3

Risperidon

Muster

0

0

1

0

0

1

0

0

0

0

2

2

Zotepin

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

3

Ziprasidon

Original

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

4

Werteangaben in den Fachinformationen: Chlorprothixen therap. Bereich 40–300 ng/ml, Flupentixol therap. Bereich 2–15 ng/ml, Haloperidol therap. Bereich 2–10 ng/ml, Perazin therap. Bereich 100–230 ng/ml und Plasmaspiegel 80–440 ng/ml bei 500 mg/Tag, Perphenazin therap. Bereich 0,6–2,4 ng/ml, Levomepromazin-Plasmaspiegel 15–60 ng/ml bei 50–375 mg/Tag, Sulpirid-Plasmaspiegel 2 µg/ml bei 800 mg/Tag, Thioridazin-Plasmaspiegel 50–2 800 ng/ml bei 100–800 mg/Tag, weitere Abkürzungen und Berechnung SPCCTDM siehe Tab. 1

Wie für Antidepressiva ist das Ergebnis für Neuroleptika heterogen. Der höchste SPCCTDM von 10 für Perazin lässt sich mit dem LOR=2 („recommended“) gut vereinbaren. Nicht nachvollziehbar ist aber zum Beispiel die geringe Ausstattung der Fachinformation von Clozapin mit praktischen pharmakokinetischen Inhalten, nämlich einem SPCCTDM von nur 1 bei LOR=1 („strongly recommended“). Unverständlich ist weiterhin, dass für Clozapin und Risperidon zwar ausführlich über Plasmaspiegel referiert wird, aber die praktisch wichtigen Zahlenwerte zum therapeutischen Bereich nicht angegeben sind. Für Clozapin besteht beispielsweise eine gute Evidenz für die Bestimmung von Plasmaspiegeln zur Vermeidung von Rückfällen und Intoxikationen [21, 23].

Anxiolytika/Hypnotika

Entsprechend Tabelle 3 ist die Streuung der SPCCTDM für Anxiolytika/Hypnotika kleiner (SPCCTDM = 3,8±1,9, Werte: 2 bis 7). Nicht erwartet wurde ein vergleichbarer mittlerer SPCCTDM wie für Antidepressiva und Neuroleptika. Entsprechend der wissenschaftlichen Evidenz ist die Indikation der Plasmaspiegelbestimmung von Anxiolytika/Hypnotika viel weniger gegeben und therapeutische und toxische Plasmaspiegel sind viel weniger etabliert (vor allem wegen Gewöhnungseffekten [Toleranz]), was auch in einem mittleren LOR=4,0±0,9 (d.h. nur „probably useful“) gegenüber 2,8±1,1 (Antidepressiva) und 2,5±1,0 (Neuroleptika, d.h. jeweils etwa „recommended“ bis „useful“) Ausdruck findet.

Tab. 3. Abschätzung der Information zum therapeutischen Drug-Monitoring (TDM) in Fachinformationen (Summary of product characteristics, SPC) von Anxiolytika/Hypnotika gemäß einem empirischen summarischen Zählwert (SPC-ContentTDM, SPCCTDM) und Vergleich mit dem Empfehlungsgrad für TDM (Level of recommendation, LOR) der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP

Anxiolytika/
Hypnotika

Herkunft der SPC

Subscores des SPCCTDM

SPCCTDM

LOR [2]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Dosis

UAW

WW

Über-dosis

Schw./
Stillen

PK

Plasma-spiegel

Tox. Bereich

Therap. Bereich

Empfehl. von TDM

Alprazolam

Muster

0

0

1

0

0

1

0

0

0

0

2

3

Diazepam

Muster

1

0

0

0

0

1

3

0

0

0

5

3

Lorazepam

Muster

0

0

0

0

0

1

3

0

0

0

4

4

Midazolam

Muster

0

0

1

0

0

1

0

0

0

0

2

4

Zolpidem

Muster

1

0

1

0

0

1

0

0

4

0

7

5

Zopiclon

Muster

1

0

1

0

0

1

0

0

0

0

3

5

Werteangaben in den Fachinformationen: Zolpidem therap. Bereich 80–200 ng/ml, Diazepam-Plasmaspiegel 90–225 ng/ml bei 10 mg/Tag, Lorazepam-Plasmaspiegel 17,1–43,8 ng/ml bei 3 mg/Tag, weitere Abkürzungen und Berechnung SPCCTDM siehe Tab. 1

Stimmungsstabilisierer

Die TDM-Inhalte in den Fachinformationen von Carbamazepin, Valproinsäure und Lithiumsalzen sind gegenüber den anderen Psychopharmaka-Gruppen sehr viel umfangreicher und prägen in einigen Abschnitten nahezu die fachlichen Darstellungen (SPCCTDM = 21 bis 24). Zu Dosis, Wechselwirkungen und Pharmakokinetik ist TDM meist nicht nur implizit, sondern oft auch explizit angegeben. Darüber hinaus sind ausdrückliche TDM-Inhalte auch in den Abschnitten Schwangerschaft/Stillen, Überdosis und sogar Nebenwirkungen aufgeführt. Es werden therapeutische und toxische Bereiche der Plasmaspiegel genannt und Empfehlungen zur Plasmaspiegelbestimmung (Carbamazepin mehrmals!) ausgesprochen (Tab. 4). Dem Leser wird so richtig vermittelt, dass eine Therapie ohne Plasmaspiegelkontrolle keinesfalls durchgeführt werden sollte. Es verwundert jedoch, dass als wissenschaftliche Evidenz für den therapeutischen Bereich von Carbamazepin „erfahrungsgemäß“ ausreichen muss. Vollkommen berechtigt ist immer der einschränkende Verweis, dass „für eine Dosisanpassung jedoch das klinische Bild entscheidend sein sollte, da eine Bestimmung der Konzentration im Serum zu falschen Schlussfolgerungen führen kann“, wie im Fall der Fachinformation von Valproinsäure. Die Fachinformation von Lamotrigin entspricht hinsichtlich dem TDM den anderen Psychopharmaka-Gruppen. Implizite Inhalte sind zwar in allen Abschnitten außer Überdosis gegeben, therapeutische und toxische Plasmaspiegel fehlen aber. Im Unterschied zu Antidepressiva und Neuroleptika werden pharmakokinetische Aspekte, und mithin TDM, auch im Abschnitt zu Nebenwirkungen einbezogen, nämlich Risiko von Hautausschlag bei erhöhten Halbwertszeiten von Lamotrigin.

Tab. 4. Abschätzung der Information zum therapeutischen Drug-Monitoring (TDM) in Fachinformationen (Summary of product characteristics, SPC) von Stimmungsstabilisierern gemäß einem empirischen summarischen Zählwert (SPC-ContentTDM, SPCCTDM) und Vergleich mit dem Empfehlungsgrad für TDM (Level of recommendation, LOR) der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP

Stimmungs-stabilisierer

Herkunft der SPC

Subscores des SPCCTDM

SPCCTDM

LOR [2]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Dosis

UAW

WW

Über-dosis

Schw./
Stillen

PK

Plasma-spiegel

Tox. Bereich

Therap. Bereich

Empfehl. von TDM

Carbamazepin

Muster

2

0

2

2

2

2

0

3

4

5

22

2

Lamotrigin

Muster

1

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Lithiumsalze

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Valproinsäure

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Werteangaben in den Fachinformationen: Carbamazepin therap. Bereich 4–12 µg/ml und tox. Bereich >20 µg/ml, Lithiumsalze therap. Bereich 0,5–1,2 mmol/l (0,8 mmol/l Prophylaxe) und tox. Bereich >1,5 (2,0) mmol/l, Valproinsäure therap. Bereich 50–100 µg/ml und tox. Bereich >100 µg/ml, weitere Abkürzungen und Berechnung SPCCTDM siehe Tab. 1

Als Diskrepanz ist der große Abstand der SPCCTDM zwischen den drei älteren Stimmungsstabilisierern und gut TDM-untersuchten Antidepressiva und Neuroleptika mit gleichem LOR (z.B. Amitriptylin, Haloperidol) augenfällig. Die Fachinformationen schreiben dem TDM etwa von Amitriptylin, Haloperidol und Clozapin eine weitaus geringere Bedeutung zu als den Stimmungsstabilisierern. Mit Sicherheit ist hierfür die höhere Relevanz der Toxizität von Carbamazepin, Valproinsäure und Lithiumsalzen, die auch durch Plasmaspiegel überwacht wird, maßgebend. Auf der anderen Seite sind aber die therapeutischen Bereiche von TZA, Haloperidol und Clozapin sogar besser untersucht (nicht nur „erfahrungsgemäß“) und versteckte ZNS-Toxizität von TZA oder erhöhtes Anfallsrisiko von Clozapin sind bei erhöhten Plasmaspiegeln ähnlich der Toxizität von Stimmungsstabilisierern zu beachten. Es scheint daher, wie schon früher diskutiert [20], dass eigentlich nur historische und damit verbundene methodische Gründe für die unterschiedliche Bewertung des TDM von Carbamazepin, Valproinsäure und Lithiumsalzen einerseits sowie etwa Amitriptylin, Haloperidol und Clozapin andererseits verantwortlich zeichnen. Aufgrund höherer Plasmaspiegel im Bereich µg/ml war das TDM der alten Stimmungsstabilisierer (damals Anwendung nur als Antiepileptika) methodisch früher zugänglich, das heißt in einer Zeit, als das technisch Machbare meistens gleichzeitig das Durchgeführte war. TDM von Antidepressiva und Neuroleptika erfolgt bei geringeren Plasmaspiegeln von ng/ml und wurde so erst später möglich und reif, als klinischer Nutzen und ökonomische Rentabilität des TDM nach anderen Kriterien bewertet wurden. Für Carbamazepin und Valproinsäure muss schließlich berücksichtigt werden, dass die Evidenz des TDM zunächst hauptsächlich aus Studien über Epilepsie abgeleitet wurde, mit dem primären Ziel der Vermeidung toxischer Plasmaspiegel. Diese Daten wurden für die psychiatrischen Indikationen übernommen und in einigen Studien an psychiatrischen Patienten später bestätigt. Außerdem ist TDM in der Neurologie stärker etabliert als in der Psychiatrie.

Korrelation des empirischen Summenscores in Fachinformationen mit dem Empfehlungsgrad der AGNP-Leitlinie

Durch Spearman-Rang-Korrelation wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den Aussagen zum TDM in Fachinformationen (quantifiziert mittels SPCCTDM) und dem Evidenzniveau des TDM (quantifiziert mittels LOR) gefunden, und zwar bei gemeinsamer Auswertung aller 48 untersuchten Psychopharmaka (r=–0,245; p=0,093) sowie für die Auswertung der größten Untergruppe von 19 Antidepressiva (r=–0,383; p=0,106). In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis waren gemäß einem Kruskal-Wallis-Test die SPCCTDM in den fünf LOR nicht signifikant verschieden (Chi2=6,2; df=4, p=0,187).

Vergleich der TDM-Inhalte in Fachinformationen verschiedener Hersteller

Für Amitriptylin (Antidepressivum) und Haloperidol (Neuroleptikum) wurden die Mustertext-Fachinformationen mit Generika-Fachinformationen (Amitriptylin n=4, Haloperidol n=5) sowie der Originator-Fachinformationen verglichen. Nur marginale Unterschiede existieren bei Amitriptylin, indem zwei Generika-Fachinformationen die impliziten TDM-Inhalte im Abschnitt Dosis nicht übernommen haben. Für Haloperidol gibt eine Generika-Fachinformation zusätzlich zum therapeutischen den toxischen Bereich >15 ng/ml an (damit SPCCTDM 9 statt 6). Erwartungsgemäß unterscheiden sich die Fachinformationen also nur wenig. Unterschiede in den Inhalten von Generika-Fachinformationen eines Wirkstoffs wurden auch an anderer Stelle diskutiert [15].

Vergleich der TDM-Inhalte in Fachinformationen verschiedener Länder

Zum weiteren Vergleich wurden die Fachinformationen von Amitriptylin und Haloperidol (jeweils Originator) in Österreich und der Schweiz hinzugezogen. Für Amitriptylin ergeben sich deutlich höhere SPCCTDM (Österreich 7, Schweiz 10) als in Deutschland, da im pharmakokinetischen Abschnitt explizite Aussagen zum TDM getroffen werden, bei jeweiliger Angabe eines therapeutischen Bereichs von 100 bis 250 ng/ml (Schweiz zusätzlich toxischer Bereich >300 [400] ng/ml), und da auch im Abschnitt Wechselwirkungen implizite TDM-Inhalte vorgefunden werden. Auch aus der Sicht des internationalen Vergleichs treten also Differenzen der TDM-Inhalte in Fachinformationen zur wissenschaftlichen Evidenz zu Tage. Der Unterschied des SPCCTDM für Haloperidol ist geringfügig (Österreich 7, Schweiz 8), wobei aber ein im Vergleich zu Deutschland anderer therapeutischer Bereich von 4 bis 20 (25) ng/ml angegeben wird. Beim internationalen Vergleich von Inhalten in Fachinformationen wurden 63 % Übereinstimmung angegeben [8] und Mängel der Übereinstimmung zwischen Fachinformationen von 26 Ländern gefunden [15].

Diskussion

Systematische Vergleiche zum Inhalt von Fachinformationen mit der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz bezüglich einer speziellen Fragestellung und für eine bestimmte Arzneistoffgruppe wurden bisher wenig durchgeführt und ergaben teilweise beträchtliche Diskrepanzen [3, 8, 10, 15, 18, 25]. Da sich aus den Fachinformationen sozusagen das Grundgerüst der zugelassenen Pharmakotherapie ableitet, haben sie einen großen Einfluss auf die therapeutische Praxis. Eine zunehmende Überprüfung der Fachinformationen ganzer Arzneistoffgruppen auf Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Evidenz in einem abgegrenzten Bereich von Klinik und Pharmakologie ist demzufolge notwendig und wünschenswert.

TDM von Psychopharmaka (Plasmaspiegelkontrolle) ist eine praktisch-therapeutische Anwendung von Pharmakokinetik in der Psychiatrie. Für den individuellen Patienten in einer speziellen therapeutischen Situation lässt sich die Indikation des TDM oft wie folgt begründen: Nonresponse, Nebenwirkungen oder Intoxikation bei Normdosis, Wechselwirkungen, und ähnliches oder einfach nur fragliche Compliance (bei Psychopharmaka nicht selten). Die Indikation des TDM für ein bestimmtes Arzneimittel ergibt sich gemäß pharmakokinetischen Grundprinzipien global aufgrund einer

l großen pharmakokinetischen Variabilität (starke Unterschiede der Plasmaspiegel bei gleicher Dosis),

l dazu im Verhältnis geringen pharmakodynamischen Variabilität (dann werden oft Zusammenhänge zwischen Plasmaspiegeln und klinischen Endpunkten gefunden, z.B. ein orientierender therapeutischer Bereich),

l sowie einer geringen therapeutischen Breite.

Im praktischen Verständnis ist weiterhin klar, dass Plasmaspiegelkontrolle nur dann Sinn hat, wenn die Möglichkeiten der Vorhersage des therapeutischen Ansprechens, von Nebenwirkungen und Toxizität auf anderem Wege begrenzt sind sowie eine gewisse Mindesttherapiedauer veranschlagt wird (vor allem Langzeittherapie) [20]. Die globalen Indikationen des TDM sind für viele Psychopharmaka gegeben und im klinischen Alltag lässt sich regelmäßig die Notwendigkeit einer Plasmaspiegelkontrolle ableiten. Die wissenschaftliche Evidenz des TDM von Psychopharmaka wurde zuletzt in den Consensus Guidelines der TDM-Gruppe der AGNP zusammengefasst [2]. Gemäß der Richtlinie der Europäischen Kommission zur Erstellung von Fachinformationen sollen TDM-Inhalte aufgenommen werden, beispielsweise Zusammenhänge zwischen Plasmaspiegel und therapeutischem Ansprechen und Nebenwirkungen im pharmakokinetischen Teil [5], wenngleich das selbstverständlich nicht dieselbe grundlegende Bedeutung hat wie etwa Anwendungsgebiete oder Kontraindikationen.

Bei möglichen Mängeln des SPCCTDM als empirisch entwickeltem und nicht validiertem Score zur Quantifizierung von Inhalten von Fachinformationen sowie, nach wie vor, Unschärfen der wissenschaftlichen Evidenz im Bereich TDM von Psychopharmaka wird die Vorgehensweise dieser Arbeit in ihrer Gesamtheit als methodisch adäquat eingeschätzt bei nachvollziehbaren Ergebnissen und Schlussfolgerungen.

Grundlegende Schlussfolgerung ist, dass die wissenschaftliche Evidenz pharmakokinetischer Daten für das TDM von Psychopharmaka in Fachinformationen nicht adäquat wiedergegeben wird, weder qualitativ noch quantitativ. Innerhalb der untersuchten Arzneistoffgruppen bestehen Widersprüche, indem insbesondere für einige gut untersuchte Substanzen sinnvolle Informationen fehlen, wie etwa therapeutische Bereiche oder die Empfehlung zur Plasmaspiegelkontrolle in bestimmten klinischen Situationen. Im Verhältnis dazu wird für Substanzen mit geringerer Wertigkeit des TDM diese in den Fachinformationen letztlich übertrieben dargestellt. Ein häufig vorgefundener Fehler ist, dass die klinische Wertigkeit von Abweichungen der Plasmaspiegel eines Patienten vom Populationsmittel nicht richtig erfasst wird oder dem Nutzer der Fachinformation nicht die Möglichkeit gegeben wird, diese selbst einzuschätzen. Gerade das ist aber auch eine Forderung beispielsweise der EMEA-Richtlinie zur Untersuchung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen im Rahmen von Zulassungsanträgen [6]. Weiterhin ist die Einschätzung der klinischen Relevanz von vergleichenden Plasmaspiegelkontrollen beim individuellen Patienten erschwert (intraindividuelle Fragestellung), wenn die wissenschaftliche Grundlage des TDM auf Ergebnisse von Studien zum interindividuell gültigen therapeutischen Bereich reduziert wird. Die orientierenden therapeutischen Bereiche, sofern vorhanden und gut belegt, können zum Wert des TDM wesentlich beitragen. Auf der anderen Seite darf aus dem Fehlen dieses Bereichs für ein Psychopharmakon nicht auf Nutzlosigkeit des TDM geschlossen werden. Die Wertigkeit des TDM wird auch im Vergleich der vier untersuchten Psychopharmaka-Gruppen nicht richtig wiedergegeben. Einige Antidepressiva und Neuroleptika müssten letztlich annähernd die Stufe von Lithiumsalzen, Valproinsäure und Carbamazepin erreichen, so dass sich eine Rangfolge Stimmungsstabilisierer >Antidepressiva ≈ Neuroleptika >Anxiolytika/Hypnotika ergibt. Schließlich ist es notwendig, die Zahlenwerte der angegebenen therapeutischen und toxischen Bereiche in den Fachinformationen anzupassen.

Für die Verbesserung der Fachinformationen hinsichtlich der Praxis des TDM sollten einfache und einheitliche Regeln aufgestellt und schrittweise für alle Psychopharmaka umgesetzt werden. Derzeit ist Ärzten, die TDM von Neuroleptika, Antidepressiva und Anxiolytika/Hypnotika anwenden wollen, zu raten, sich nicht in Fachinformationen sondern allein in der zusammenfassenden Fachliteratur zu informieren.

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*Weitere Mitglieder der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP: N. Bergemann, Heidelberg, A. Conca, Rankweil, J. Deckert, Würzburg, O. Dietmaier, Weinsberg, G. Eckermann, Kaufbeuren, M. Gerlach, Würzburg, E. Haen, Regensburg, E. Jaquenoud-Sirot, Königsfelden, U. Jürgens, Bielefeld, J. Kirchheiner, Ulm, M. Köhnke, Rostock, H.J. Kuss, München, T. Messer, Augsburg, B. Pfuhlmann, Würzburg, M.L. Rao, Bonn, B. Schoppek, Haar, M. Schwarz, München

Priv.-Doz. Dr. Sven Ulrich, esparma GmbH, Lange Göhren 3, 39171 Osterweddingen, E-Mail: s.ulrich@esparma.de Prof. Dr. med. Gerd Laux, Inn-Salzach-Klinikum, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Neurologie, 83512 Wasserburg/Inn Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft Berlin, Jebensstr. 3, 10623 Berlin Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke, Psychiatrische Klinik des Universitätsklinikums Göttingen, Von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen Prof. Dr. Peter Riederer, Psychiatrische Klinik, Universitätsklinikum Würzburg, Füchsleinstr. 15, 97080 Würzburg Prof. Dr. Gerald Zernig, Abt. Neurochemie, Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck, Anichstr. 35, 6020 Innsbruck, Österreich Prof. Dr. Pierre Baumann, Psychiatrische Klinik, Universitätsklinikum, Site de Cery, 1008 Prilly-Lausanne, Schweiz Prof. Dr. Christoph Hiemke, Psychiatrische Klinik, Universitätsklinikum Mainz, Untere Zahlbacher Straße 8, 55131 Mainz

Value and actuality of the prescription information for therapeutic drug monitoring of psychopharmaceuticals: a comparison with the medico-scientific evidence

Therapeutic drug monitoring (TDM) of psychopharmaceuticals is the practical therapeutic application of pharmacokinetic principles in pharmacopsychiatry. The prescription information (summary of product characteristics, SPC) is provided by pharmaceutical companies according to requirements of regulatory authorities and determines the framework of clinical application of a drug. The present study investigated the degree of agreement of German SPCs for 48 psychopharmaceuticals with the existing medico-scientific evidence in the area of TDM. For this aim, an empirical summary score of SPC-content related to TDM (SPCCTDM) was calculated and compared with the level of recommendation of TDM (LOR) of the AGNP-TDM expert group consensus guidelines. Considerable disagreement was found between the information on TDM in SPCs and existing medico-scientific evidence, e. g. in case of antidepressant and antipsychotic drugs. No correlation was found between SPCCTDM and LOR. Even for well studied compounds in TDM such as amitriptyline and clozapine, insufficient information on TDM is included in German SPCs. Generally, it must be concluded that deficits exist in the preparation of German SPCs of psychopharmaceutical drugs with respect to empirical pharmacokinetic data, i. e. TDM-relevant information. It is recommended that SPCs of psychopharmaceuticals should be improved in terms of TDM-related information and that target plasma concentrations have to be adjusted according to the guidelines of the AGNP-TDM expert group. A higher level of good pharmacokinetic practice may be thus achieved.

Keywords: Therapeutic drug monitoring, prescription information, amitriptyline, haloperidol, clozapine

Psychopharmakotherapie 2008; 15(02)