Multiple Sklerose

Glatirameracetat ebenso wirksam wie die Beta-Interferone


Dr. Günter Springer, Darmstadt

Beta-Interferone sind Glatirameracetat (Copaxone) in der Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose nicht überlegen. Zu diesem einmütigen Ergebnis kamen drei randomisierte Studien, in denen Glatirameracetat mit Beta-Interferonen direkt verglichen wurde.

Zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose (MS) werden vier Basistherapeutika empfohlen, Glatirameracetat und die Beta-Interferone (Interferon beta-1a s.c [Rebif®], Interferon beta-1a i.m. [Avonex®] und Interferon beta-1b [Betaferon®]). Ob sich die Basistherapien in der Wirksamkeit unterscheiden, ließ sich bisher mangels randomisierter Vergleichsstudien nicht beurteilen.

Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Ende 2007 wurden drei randomisierte Studien präsentiert, in denen Glatirameracetat prospektiv und parallel mit Beta-Interferonen verglichen wurde. In diesen Studien, die von Herstellern der Beta-Interferone gesponsert wurden, sollte die Hypothese überprüft werden, dass Beta-Interferone Glatirameracetat in der Wirksamkeit übertreffen.

Kein signifikanter Unterschied in den primären Endpunkten

In keiner Studie waren Glatirameracetat und Beta-Interferone hinsichtlich der primären Wirksamkeitsparameter zu unterscheiden.

In der BEYOND(Betaferon efficay yielding outcomes of a new dose)-Studie, mit 2444 Patienten der bis dato größten Therapiestudie bei multipler Sklerose, wurde Glatirameracetat mit Interferon beta-1b in einfacher und doppelter Standarddosierung verglichen. Im Verlauf der 2-jährigen Behandlung sank die Schubrate in der Glatirameracetat-Gruppe im Vergleich zur basalen Schubrate um 79%, in den beiden Beta-Interferon-Gruppen um 78% und 79% [1]. Mit einem vergleichbaren Ergebnis endete die REGARD(Rebif versus glatiramer acetate in relapsing MS disease)-Studie, in der sich die Patienten des Glatirameracetat-Arms von den mit Interferon beta-1a s.c. behandelten Patienten nach 96-wöchiger Studiendauer in der Dauer bis zum ersten Schub nach Studienbeginn nicht signifikant unterschieden (p=0,643, Abb. 1 [2]). Im Gegensatz zu BEYOND und REGARD wurde in der BECOME(Betaseron vs. Copaxone in MS with triple-dose gadolinium and 3-T MRI endpoints)-Studie bei 75 Patienten als primärer Endpunkt ein kernspintomographischer Parameter untersucht: Glatirameracetat und Interferon beta-1b waren in ihrem Einfluss auf die Zahl neuer Läsionen pro Scan vergleichbar (p=0,67 [3]).

Abb. 1. Zeit bis zum ersten Schub bei MS-Patienten nach Beginn einer Behandlung mit Glatirameracetat oder Interferon beta-1a s.c. (REGARD-Studie [4])

Prof. Ralf Gold, Bochum, zog aus diesen Ergebnissen folgendes Resümee: Glatirameracetat und Beta-Interferone sind gleich wirksam. Die Entscheidung ist daher für beide Therapien gleich gut vertretbar.

Vorteile in der Verträglichkeit

Prof. Judith Haas, Berlin, erzielte in einer offenen Langzeitstudie, die sie an ihrer Klinik mit 308 Patienten durchführte, mit Glatirameracetat bessere Ergebnisse als mit Beta-Interferonen. Nach 12 und 24 Monaten war die Schubratenreduktion mit Glatirameracetat signifikant stärker (p<0,001) als mit den Beta-Interferonen [4], und auch nach 48 und 72 Monaten zeigte sich in der Glatirameracetat-Gruppe eine deutlich niedrigere Schubrate. Für die Langzeittherapie ist besonders wichtig, dass mit Glatirameracetat behandelte Patienten die Therapie wesentlich seltener abbrachen. Nach zwei Jahren hatten bereits 30 bis 40% der Patienten die Behandlung mit Beta-Interferonen abgebrochen, aber weniger als 20% die Behandlung mit Glatirameracetat.

Glatirameracetat und Beta-Interferone unterscheiden sich in der Verträglichkeit. Unter den Nebenwirkungen der Beta-Interferone werden vor allem die oft massiven und lang anhaltenden grippeähnlichen Beschwerden als negativ empfunden, ebenso der Anstieg der Körpertemperatur, der mit einer Verstärkung der MS-Symptome einhergehen kann.

In der PreCISe-Studie wurde mittlerweile auch die Wirksamkeit einer Frühtherapie mit Glatirameracetat bewiesen. Diese Studie, in der Glatirameracetat mit Plazebo verglichen wurde, wurde auf Anraten des Data Safety Monitoring Boards Ende 2007 vorzeitig beendet, weil zu diesem Zeitpunkt aufgrund der eindeutigen Überlegenheit des Verums eine Weiterbehandlung mit Plazebo nicht mehr zu verantworten war. Glatirameracetat verzögerte den Eintritt des zweiten Schubs auf 722 vs. 336 Tage.

Quellen

1. Bayer Schering Press Release (October 29, 2007). www.reuters.com/article/health-SP/idUSL2923113720071029

2. Mikol D, et al. The REGARD trial: a randomised assessor-blinded trial comparing interferon beta-1a and glatiramer acetate in relapsing-remitting multiple sclerosis. Multiple Sclerosis 2007;13(Suppl 2):269.

3. Wolansky L, et al. Betaseron vs. Copaxone in MS with triple-dose gadolinium and 3-T MRI endpoints (BECOME): announcement of final primary study outcome. Multiple Sclerosis 2007;13(Suppl 2):58.

4. Haas J, Firzlaff M. Twenty-four-months comparison of immunomodulatory treatments – a retrospective open label study in 308 RRMS patients treated with beta interferons or glatiramer acetate (CopaxoneR). Eur J Neurol 2005;12:425–31.

5. Prof. Dr. med. Ralf Gold, Bochum, Prof. Dr. med. Judith Haas, Berlin, Fachpresse-Roundtable „MS-Therapie: Drei Vergleichsstudien zeigen keine Überlegenheit gegenüber Copaxone“, München, 4. Dezember 2007, veranstaltet von Sanofi-Aventis und TEVA Pharma.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(02)