11. Bad Homburger ZNS-Gespräche

Entscheidungswege in der ADHS-Therapie


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Die in der Praxis weit verbreitete Kontroverse Pharmako- versus Verhaltenstherapie in der Therapie der Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) geht am Kern der Sache vorbei. Denn die höchste Effektstärke besitzen kombinierte Therapiekonzepte, so der Tenor auf den 11. Bad Homburger ZNS-Gesprächen.

Entsprechend dem breiten Spektrum an Kernsymptomen der ADHS und assoziierten Erkrankungen folgt auch die Therapie im Kindes- und Jugendlichenalter einem multimodalen Algorithmus. Danach ist eine Pharmakotherapie immer dann indiziert, wenn es zu einer krisenhaften Zuspitzung in der Familie und/oder der Schule kommt. Ist dies (noch) nicht der Fall gibt es mittlerweile eine Reihe von nichtmedikamentösen Interventionsformen.

Für das Elterntraining sind positive Kurzzeiteffekte gut belegt. Positive Daten gibt es auch zu Kurz- und Langzeiteffekten insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit oppositionellem Trotzverhalten. Verhaltensinterventionen in der Schule sind ebenfalls effektiv. Auch eine Psychotherapie der betroffenen Kinder und Jugendlichen in Form eines Selbstmanagement-Trainings sowie als Training zur Verbesserung der sozialen Kompetenzen ist hilfreich. Weniger erfolgreich waren bisher Konzepte eines Selbstinstruktionstrainings. Kein ausreichender Wirkungsnachweis liegt für die Ergotherapie vor, die von Lehrern und Eltern oft favorisiert wird.

Multimodaler Therapiealgorithmus

Bleibt trotz der Verhaltenstherapie eine ausgeprägte Symptomatik bestehen, sollte eine Pharmakotherapie begonnen werden. Langwirksame Medikamente haben hier den Vorteil, um die Symptomatik über den ganzen Tag zu kontrollieren. Kurzwirksame Darreichungsformen haben aber dennoch ihren Platz, beispielsweise zum „Feintuning“ am Morgen oder am Abend. Eine Stigmatisierung in der Schule wegen der Einnahme kurzwirksamer Präparate ist eine stichhaltige Begründung für den Wechsel zu einer langwirksamen Darreichungsform. Wenn die Behandlung mit einem langwirksamen Präparat begonnen wird, sollten im Regelfall Stimulanzien gewählt werden. Die Auswahl sollte sich daran orientieren, welche der verschiedenen Freisetzungskinetiken den individuellen Patientenbedürfnissen am nächsten kommen. – Atomoxetin (Strattera®) ist für Prof. Tobias Banaschewski, Mannheim, Präparat der ersten Wahl bei Substanzmissbrauch, bei komorbiden Tics, bei starker Präferenz der Familie für ein Nicht-Stimulanz-Präparat, bei einer komorbiden Angststörung oder wenn eine 24-Stunden-Wirkungsdauer besonders notwendig ist.

Effektstärken im Vergleich

Beim Vergleich der Effektstärken der unterschiedlichen Therapien muss man auch stark auf das Studiendesign achten. Offene versus verblindete Studien oder Parallelgruppen versus Cross-over-Design beeinflussen die Ergebnisse. Bis heute gilt die 2001 in der MTA-Studie errechnete Wirksamkeit der verschiedenen Interventionen (Tab. 1). Direkte Vergleichsstudien zwischen Stimulanzien und Atomoxetin sind vergleichsweise rar. In den neuen europäischen Leitlinien zum Einsatz langwirksamer Medikamente wird kurz- und langwirksames Methylphenidat als etwas wirksamer eingestuft (Effektstärke 1,0 versus 0,7). Die britischen NICE-Empfehlungen sehen jedoch insgesamt keine ausreichenden Belege für eine Überlegenheit eines der beiden Wirkstoffe. Entscheidend für die Präparatewahl sind, so Banaschewski, vor allem individuelle Faktoren.

Tab. 1. Symptomatische Normalisierung von Kindern und Jugendlichen mit einer ADHS in der MTA-Studie [Swanson et al., 2001]

Therapieverfahren

Therapie erfolgreich

Alltagsübliche Behandlung

25%

Verhaltenstherapie

34%

Pharmakotherapie

56%

Pharmako- plus Verhaltenstherapie

68%

Quelle

Prof. Dr.med. Dr.rer.nat. Tobias Banaschewski, Mannheim, 11. Bad Homburger ZNS-Gespräche, Bad Homburg, 8. September 2007, veranstaltet von Lilly Deutschland.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(01)