Methylphenidat-Wirkdauer nach Maß

Depotpräparate mit unterschiedlicher Freisetzungskinetik


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Die neuen europäischen Leitlinien zum Einsatz langwirksamer Medikamente bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) haben mehr Klarheit in die Diskussion um den Gebrauch dieser Darreichungsformen bei jugendlichen ADHS-Patienten gebracht. Welche Konsequenzen dies für die Therapie hat, wurde auf dem 39. Danube-Symposium und 1. Internationalen ADHS-Kongress in Würzburg diskutiert.

Den genannten Leitlinien (Banaschewski et al., Eur Child Adolesc Psychiatry 2006) zufolge ist Methylphenidat als Mittel der ersten Wahl anzusehen, wobei kurz- und langwirksames Methylphenidat eine vergleichbar hohe Effektstärke (d) von 1,0 Standardabweichungen besitzen. Atomoxetin liegt mit d=0,7 etwas darunter. Die gute Wirksamkeit der Pharmakotherapie wird auch durch die NNT (Number needed to treat) von 3 bis 5 belegt.

Das spezielle Problem bei Methylphenidat ist, dasjenige Präparat auszuwählen, das die Substanz mit der sehr kurzen Halbwertszeit exakt dann freisetzt, wenn es im individuellen Fall notwendig ist. Die Eltern legen dabei besonderen Wert auf die Schulstunden und die Zeit für die Hausaufgaben. Mittlerweile sind verschiedene Methylphenidat-Präparationen mit einer biphasischen Freisetzungskinetik – ein Teil sofort, ein Teil verzögert – verfügbar (Abb. 1). Bei Equasym® Retard werden initial 30% des unretardierten Wirkstoffs freigesetzt und 70% verzögert ausgeschüttet. Bei Concerta® sind 22% MPH unretardiert, 78% retardiert. Sowohl Medikinet® retard als auch Ritalin® LA enthalten 50% unretardiertes und 50% retardiertes MPH.

Abb. 1. Methylphenidat-(MPH-)Plasmakonzentrationen nach Einnahme verschiedener Methylphenidat-Präparate [nach Banaschewski T et al., Eur Child Adol Psych 2006]

Methylphenidat-Präparationen im Vergleich

In der Plazebo-kontrollierten doppelblinden COMACS-Vergleichsstudie wurden zwei langwirksame Methylphenidat-Medikamente mit unterschiedlichen pharmakodynamischen Profilen – Equasym® Retard und Concerta® – miteinander verglichen. Bei vergleichbarer Gesamttagesdosis beeinflussten Freisetzungsunterschiede das klinische Wirkprofil. Während des Vormittags wirkte Equasym® Retard deutlich besser als das Vergleichspräparat. So schnitten Kinder 90 Minuten nach der Medikamenteneinnahme auf der SKAMP-Skala (Spezifischer ADHS Aufmerksamkeits- und Verhaltenstest über den Schulalltag) für Betragen und Aufmerksamkeit besser ab als unter dem Vergleichspräparat. Nach den Morgenstunden waren die beiden Präparationen bis in den frühen Nachmittag hinein ähnlich wirksam. Am frühen Abend wirkte hingegen Concerta® besser.

Eine Reanalyse zeigte, dass die Kinder je nach Krankheitsschwere unterschiedlich reagierten. Darüber hinaus sprachen Mädchen morgens besser auf die Medikation an, die Jungen am Nachmittag. Aufgrund seiner höheren schnell freisetzbaren Methylphenidat-Dosis führte Equasym® Retard während der Schul- und Hausaufgabenzeit insgesamt zu einer besseren Symptomkontrolle als das Vergleichspräparat. Letzteres war dagegen länger wirksam und verbuchte am späten Nachmittag Vorteile.

Quelle

Prof. Marina Danckaerts, Leuven/Belgien, Prof. Jim Swanson, Irvine/Arizona, Satellitensymposium „Treatment needs and solutions as seen by different players in the ADHD field“, veranstaltet von UCB Deutschland anlässlich des 39th Danube Symposium and 1st International Congress on ADHD, Würzburg, 4. Juni 2007.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(01)