Depressionen

Scopolamin wirkt antidepressiv


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Bei depressiven Patienten mit schlechter Prognose erwies sich der Muscarin-Rezeptorantagonist Scopolamin als schnell und anhaltend wirksames Antidepressivum mit guter Verträglichkeit. So das Ergebnis einer kleinen, randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie.

Obwohl heute eine Reihe antidepressiver Wirkstoffe zur Verfügung steht, sprechen viele depressive Patienten nicht auf eine Therapie an. Selbst bei Patienten, deren Symptome mit Hilfe konventioneller Antidepressiva gelindert werden können, tritt die Besserung im Allgemeinen erst nach drei bis vier Wochen ein. Der Bedarf an neuen Therapeutika, welche die Depressionen schneller und wirksamer behandeln, ist deshalb groß. Das cholinerge System gehört zu den Neurotransmittersystemen, die vermutlich am pathophysiologischen Mechanismus der Stimmungsstörungen beteiligt sind. Eine Erhöhung der cholinergen Aktivität durch den Cholinesterase-Hemmer Physostigmin ruft beispielsweise bei manischen Patienten mit bipolarer Störung Symptome einer Depression hervor und verstärkt diese bei Patienten mit unipolarer Depression. Verschiedene Tiermodelle weisen auch auf eine Beteiligung des Muscarin-Systems bei Depressionen hin.

Die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen erschien bislang jedoch äußerst fragwürdig.

In einer doppelblind, randomisiert und Plazebo-kontrolliert durchgeführten Pilotstudie, in der die Rolle des cholinergen Neurotransmittersystems bei kognitiven Symptomen in Verbindung mit einer Depression untersucht wurde, zeigte sich bei den depressiven Patienten unerwartet eine antidepressive Wirkung des Muscarin-Rezeptorantagonisten Scopolamin. Deshalb wurde in einer zweiten Studie die antidepressive Wirkung von Scopolamin näher untersucht.

Studiendesign

Durchgeführt wurde die doppelblinde, randomisierte, Plazebo-kontrollierte Cross-over-Studie zwischen Mai 2004 und Juni 2005 mit ambulanten depressiven Patienten der Klinik des National Institute of Mental Health in Bethesda. Die Patienten im Alter zwischen 18 und 50 Jahren erfüllten die Kriterien für eine wiederkehrende uni- oder bipolare Depression. Von den 39 in Frage kommenden Patienten wurden 19 randomisiert, 18 beendeten die Studie.

In der Pilostudie hatte sich gezeigt, dass die Schwere der Depression durch Scopolamin deutlich gelindert wurde. Die Besserung der Symptome fiel bei einer Scopolamin-Dosis von 4,0 µg/kg gegenüber Plazebo am deutlichsten aus und sprach für eine stabile und schnell einsetzende antidepressive Wirkung des Muscarin-Rezeptorantagonisten.

In der Cross-over-Studie wurde den Patienten daraufhin in mehreren Sitzungen entweder Scopolamin (4,0 µg/kg) oder eine Kochsalzlösung als Plazebo über 15 Minuten intravenös infundiert. Dafür wurden die Studienteilnehmer randomisiert einer Plazebo/Scopolamin- oder Scopolamin/Plazebo-Gruppe in folgender Reihenfolge zugeordnet:

Drei Sitzungen mit Plazebo-Infusion, gefolgt von drei Sitzungen mit Scopolamin-Infusion

Drei Sitzungen mit Scopolamin-Infusion, gefolgt von drei Sitzungen mit Plazebo-Infusion

Die Sitzungen wurden im Abstand von drei bis fünf Tagen durchgeführt.

Zur Bewertung der antidepressiven und angstlösenden Wirkung von Scopolamin wurden die Montgomery-Asberg Depression Rating Scale und die Hamilton Anxiety Rating Scale benutzt.

Studienergebnis

In der Plazebo/Scopolamin-Gruppe ließ sich während der Infusion des Plazebos kein signifikanter Unterschied zu den Ausgangswerten beobachten. Eine Verringerung in den Depressions- und Ängstlichkeitsskalen – im Vergleich zu Plazebo – ergab sich erst nach Verabreichung von Scopolamin (jeweils p<0,001). In der Scopolamin-Plazebo-Gruppe wurde im Vergleich zum Ausgangswert nach der Infusion von Scopolamin eine deutliche Verringerung in den Bewertungsskalen für Depression und Ängstlichkeit festgestellt. Diese Effekte hielten auch an, als das Plazebo verabreicht wurde (jeweils p<0,001).

Scopolamin war gut verträglich, schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Fazit

Die vorliegende Arbeit, bestehend aus einer Pilotstudie und einer nachfolgenden Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie mit Cross-over-Design, belegt die anhaltenden antidepressiven und angstlösenden Effekte des Muscarin-Rezeptorantagonisten Scopolamin. Damit wird bestätigt, dass die Hypersensibilität des cholinergen Systems in der Pathogenese von Stimmungsstörungen eine Rolle spielt. Der frühe Wirkungseintritt von Scopolamin im Vergleich zu den herkömmlichen Antidepressiva ist in Anbetracht der depressiven Stimmungslage der Patienten mit möglicher Suizidgefahr von großem Vorteil. Das optimale Verabreichungsschema und eine mögliche Langzeitanwendung von Scopolamin als Antidepressivum sollten – auch wegen möglicher Nebenwirkungen wie Verwirrung und Delirium – in Folgestudien untersucht werden.

Quelle

Furey ML, Drevets WC. Antidepressant efficacy of the antimuscarinic drug scopolamine. Arch Gen Psychiatry 2006;63:1121–9.

Psychopharmakotherapie 2007; 14(02)